§ Berufsgenossenschaften sterben

Abekra -Resolution und begründende Stellungnahme mit Entwurfsanalyse der geplanten Novellierung der Gesetzlichen Unfallversicherung - UVRG-10-7-07

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe FreundInnen, Interessierte und MitstreiterInnen,

 

im April 07 hat das Bundesarbeits- und Sozialministerium (BMAuS) den Teil 2 der geplanten Novellierung der Gesetzlichen Unfallversicherung - UVRG - interessierten Kreisen aus Politik und Wirtschaft vorgelegt.

 

Darin wird das GUV-Recht derart grundlegend verändert, dass Opfer von Arbeits- und Wegeunfällen kaum noch auf nennenswerte Entschädigungen für die ihnen zugefügten, chronisch gewordenen Körperverletzungen hoffen können.

Für Berufserkrankungen wird die derzeit geltende Berufskrankheitenliste bis auf zwei darin verzeichneten entschädigungsfähigen Erkrankungen nicht mehr gelten.

 

Nach unserer Analyse bedeuten die darin vorgesehenen Änderungen eine nahezu unglaubliche Reduktion der künftigen Entschädigungen für die Opfer. Das erscheint uns mit dem Zweck der GUV - Haftungsablösung der Risiken der Einzelunternehmen - nicht mehr vereinbar.

 

Damit Sie eine kleine Vorstellung von dem Geplanten erhalten Sie hier einen kurzen Auszug aus unserer abeKra-Resolution. Sie und unsere umfangreiche Begründung/Stellungnahme übersenden wir Ihnen als Anhänge - den Sie sich bitte ausdrucken möchten. Die Stellungnahme ersetzt auch gleichzeitig einen Lehrgang zum künftigen GUV-Recht.

 

abeKra protestiert gegen diese Planungen und hat den Abgeordneten Müntefering bereits aufgefordert, die Planungen aus seinem Arbeits- und Sozialministerium zu stoppen bzw. nicht weiter zu verfolgen - zumal gleichzeitig eine ´Reform´ des Sozialgerichtsgesetzes in Planung ist, die den Sozialversicherten und VersicherungsnehmerInnen in der GUV wesentliche Rechtsschutzmittel entziehen will - z.B.:

 

- Verkürzung der Äußerungsfristen vor Gericht, also Schmälerung des Rechts auf rechtliches Gehör,

- Entzug des Rechts, dem Gericht einen Arzt oder Ärztin des eigenen Vertrauens zwecks Begutachtung zu benennen,

- Anrufung der zweiten Tatsacheninstanz nur noch nach ausdrücklicher Revisionszulassung,

- Rechtsanwaltszwang ab der zweiten Instanz.

 

Da das UVRG zahlreiche Ungereimtheiten sowie Begriffs- wie Textpassagenungenauigkeiten enthält und vielfach mit reichlich mehrdeutigen Begrifflichkeiten arbeitet, ist zu erwarten, dass nahezu alle neuen Bestimmungen durch die Sozialgerichtsbarkeit überprüft werden müssten - das SGG macht das nur noch im Ausnahmefall möglich.

 

Aus beiden Gesetzesentwürfen zusammen wird also ein Paar Schuh - und das ist sehr deprimierend.

 

Selbstverständlich berührt das UVRG auch die Frage, ob VersicherungsnehmerInnen - also die Opfer von arbeitsbedingten Körperverletzungen in abhängigen Arbeitsverhältnissen und selbstständige kleine Gewerbetreibende - hier zu Lande nur Bürger zweiter Klasse sind, die ihr BürgerInnenrecht verloren haben, ausreichend Rentenschädigung für ihnen von Weisungsberechtigten mittelbar zugefügte chronische Körperverletzungen verlangen zu können - im Vergleich zu VersicherungsnehmerInnen auf Privatversicherungs- und Zivilrechtsbasis.  

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Dr. Angela Vogel, abeKra-Geschäftsführerin

 

 

Aus der abeKra-Resolution:

 

(..)

I. Ein erschreckendes Bündel von Entschädigungskürzungen und Rechteentzug für Geschädigte

 

Im Wesentlichen sieht der Arbeitsentwurf vor:

 

• Den Berufsgenossenschaften und Unfallkassen (UVT) wird erlaubt, arbeitsfähig erklärte Verletzte in Arbeitsplätze zu vermitteln. Dadurch entsteht eine ´Neben´-Arbeitsagentur in der Hand einer Unternehmensvereinigung im Range einer öffentlich rechtlichen Körperschaft, die die VersicherungsnehmerInnen (VersicherungsN) überwachen und kontrollieren darf.

 

• Die Haftpflichtversicherungsrente wird in eine einkommensabhängige Erwerbsminderungsrente

(EM-Rente) und einen einkommensunabhängigen Gesundheitsschadensausgleich (GdS) aufgegliedert werden.

 

• Die EM-Rente ist nicht mehr nach der bisherigen abstrakten Schadensbemessung (Minderung der Erwerbsfähigkeit – MdE) zu bemessen. Die künftige EM-Rente wird auf der Basis der Differenz zwischen dem vom Haftpflichtversicherer der GUV geschätzt erzielbaren Einkommen ohne und mit Gesundheitsschaden der VersicherungsN berechnet. Es handelt sich dabei um eine abstrakt negative Schadensschätzung, nicht aber um eine Berechnung des individuell konkret entstandenen Schadens.

 

• Bei vollständiger Erwerbsminderung beträgt die EM-Vollrente nur noch 60% des zuvor erzielten Jahreseinkommens – statt wie bisher 66%. Bei teilweiser Erwerbsminderung wird Teilrente geleistet. Sie wird in Höhe des Prozentsatzes der Vollrente (= 60% ) festgesetzt, der der Höhe der Erwerbsminderung (GdS) entspricht – siehe Beispiel in der Begründung zu dieser Resolution.

 

• EM-Rente für Berufserkrankungen – im Unterschied zu EM-Renten für Arbeits- und Wegeunfälle - ist künftig erst ab dem Tag zu leisten, an dem der UVT von diesem Versicherungsfall erfahren hat.

 

• Die EM-Rente wird erst nach sechs Jahren auf Dauer gewährt. Davor kann sie geändert oder entzogen werden.

 

• Bei Arbeitslosigkeit wird die EMR nur gezahlt, wenn chronisch Verletzte beweisen können, sie haben ihren Arbeitsplatz infolge dieser – bzw. bei mehreren Versicherungsfällen - aller versicherten Gesundheitsschäden bzw. Funktionseinschränkungen – verloren.

 

• Die Zahlung der EMR wird mit Eintritt in das Rentenalter beendet.

 

• Die UVT entrichten die nach der EMR berechneten, meist sehr niedrigen Rentenbeiträge an die GRV kurz vor Eintritt in das Rentenalter der VersicherungsN en block – als Ausgleich sowohl für die Kürzung des Prozentanteils vom Jahreseinkommen als auch für den Vollentzug der EMR und des GdS zwischen 30 und 49% ab der Altersruhezeit. Die Vorteile für die UVT sind erheblich. Sie holen sich die RV-Beiträge von den VersicherungsN durch doppelte Kürzungen zurück.

 

• Der Gesundheitsschadensausgleichs (GdS) wird dem Grad der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertenrecht (SGB IX) angeglichen und Verletzte ab einem Schädigungsgrad von 30% im Erwerbs- und Privatleben entschädigt.

 

• Ab Eintritt in das Rentenalter wird VersicherungsN mit einem GdS zwischen 30 und 49 % der Gesundheitsschadensausgleich entzogen – als lindere das Alter alle Schmerzen,

 

• hingegen RentnerInnen ab einem Schädigungsgrad von 50% den Gesundheitsschadensausgleich weiter erhalten.

 

• Der GdS wird innerhalb der ersten drei Jahre nur als vorläufige Entschädigung gewährt, deren Prozentsatz auch ohne Änderung der Verhältnisse geändert werden kann.

 

• Die mtl. GdS-Beträge haben der jährlichen Anpassung nach dem GRV-Recht zu folgen. Dies, obgleich die GUV-Renten ansonsten mit dem Recht der GRV – Erwerb von Rentenansprüchen (durch langjährige Zahlung eigener Versicherungsbeiträge) nichts zu tun haben und reine Entschädigungen für die Verletzungsfolgen im Sinne von Schmerzensgeld sind. Auch das begünstigt die UVT.

 

• Für Berufserkrankte wird eine Verjährungsfrist eingeführt. Ist die Krankheit/Schädigung mehr als zehn Jahre vor Kenntnis durch den UVT eingetreten, verfallen die Ansprüche. Für Wiederaufnahmeverfahren nach Ablehnung gilt eine Zehnjahresverjährungsfrist ab Antragsmeldung beim UVT.

 

An Willkür ist auch der folgende Punkt nicht zu überbieten:

 

In diesem Entwurf werden mehrere GdS-Körperorganschädigungstaxen präsentiert. Prozente und Beträge sind vom Ministerium festgesetzt. Die Beträge sind sittenwidrig niedrig – und spielen die sog. leichter Verletzten mit chronischen Schäden übel gegen die Schwerverletzten aus. Das erweckt den Eindruck, hier wolle sich auch der Staat als größter Arbeitgeber der Republik aus seiner Verursacherverantwortung stehlen und die Kosten für Körperverletzungen seiner MitarbeiterInnen auf diese selbst abwälzen. Dazu passt, dass die radioaktiv (z.B. durch Radar) geschädigten ehemaligen NVA-Soldaten, deren Ermittlungsverfahren seit 1991 (und später) auch derzeit noch auf der Rechtsbasis der RVO durchgeführt werden, im Unterschied zu anderen VersicherungsN nach Inkrafttreten des UVRG keinen Bestandsschutz nach dem SGB VII haben sollen. Deren Entschädigungsanträge sind dann gleich auf der Basis des UVRG zu entscheiden – was bedingt, sie werden leer ausgehen. (..)"

Dr.Angela Vogel