Zinnvergiftungen Kasuistik:

1. Fall:

Zinnvergiftung bei einer Zahnarzthelferin.

Seit Beginn der Lehrzeit als Zahnarzthelferin vor 2 Jahren erfolgte täglich mindestens zehnmal ungeschützter Kontakt mit Amalgam über die Handinnenflächen. Dies geschah auf Anweisung des Zahnarztes: ,,Amalgam kneten, das macht gar nichts.“
Vier Milchzähne waren in der Kindheit, vier bleibende seit 12 Jahren mit Amalgam gefüllt.

Bei Behandlungsbeginn litt die Patientin seit 1 1/2 Jahren an Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Migräne,

Schwindel, Zittern, Muskel-und Gelenkschmerzen, Allergie und Infektanfälligkeit.

Die Migräneanfälle hatten sich zu Beginn der Lehrzeit eingestellt, ein Jahr darauf kamen Kreislaufstörungen hinzu, die öfters zu Kollaps geführt hatten. Seit Sommer 1989 traten Gelenkschmerzen (Schulter, Ellenbogen, Knie), sowie Knochenschmerzen (Schulterblätter, Oberschenkel) auf, sowie mitunter Abdominalkoliken.

Wir führten eine Mobilisation mit DMPS durch. DMPS ist das Natriumsalz der 2,3 Dimercaptopropansulfonsäure, ein Komplexbildner aus der Gruppe der a-Dithiole. Durch Bindung an die beiden benachbarten Sulfonsäuregruppen wird eine Reihe von Metallen wie z. B. Quecksilber, Kupfer, Zinn in wasserlösliche Bindungen überführt.

 

Laborwerte:
Urin I
Kreatinin      5,96 g/l
Zn             168,0  µg/l   Ref: 140-720
            
Urin II (45 min nach 250mg Dimaval i.V.)

Cu             996,0  µg/l

Hg             273,0  µg/l   = 136,0  µg/g Kreatinin

Sn             1094,4 µg/l   = 549,9 µg/g Kreatinin

 

Der Zinnwert lag über dem, uns bis dahin höchsten bekannten in der Weltliteratur.

Nach Mobilisation, sofortigem Expositionsstopp (Umschulung) und Zinksubstitution beobachtete die Patientin nach sechs Wochen eine Besserung des Schwindels, der Migräne und keinen Infekt mehr.
Eine weitere Mobilisation erfolgte in der sechsten Woche nach Behandlungsbeginn mit Unithiol (500mg DMPS) und erbrachte folgende Werte:

 

 

Urin 1

Kreatinin    1,24 g/l

Zn            152,0 µg/l

Cd                0,1  µg/l

Sn                    n.n.

 

Urin II (45 min nach 500mg Unithiol)

Kreatini       n 2,42 g/l

Cu              3049,0 µg/l   =  1260,0 µg/g Kreatinin

Hg                612,0 µg/l   =    252,0 µg/g Kreatinin

Sn                   45,2 µg/l   =      18,7 µg/g Kreatinin

 

Die weiterhin sehr hohen Kupferausscheidungen wiesen auf Dysbalance im Mineralhaushalt hin.

 

Nach der dritten Mobilisation lagen die Werte bei:

 

Urin 1

Kreatini        1,2 g/l

Hg              62,7 µg/l   =   52,3 µg/g Kreatinin

Se                                      21,8 µg/g Kreatinin

 

Urin II (45 Min. nach Gabe von 250 mg Dimvaval)

Kreatinin          1,78 g/l

CU              1694,0 µg/l    =   952,0 µg/g Kreatinin

Hg                    90,7 µg/l   =     51,0 µg/g Kreatinin

 

Urin II (24Stunden-Urin)

Kreatinin     1,55 g/l

Hg            136,5 µg/ = 88,0 µg/g Kreatinin

org. Hg        18,l µg/l = 11,7 µg/gKreatinin

Sn                  3,7 µg/l = 2,4 µg/g Kreatinin

 

Stuhl

Hg         30,6 µg/kg

 

Die vierte Mobilisation wurde mit Unithiol, dem derzeit erhältlichen DMPS aus der ehemaligen Sowjetunion, in Kombination mit 600 mg DMSA (Dimercaptobernsteinsäure) oral durchgeführt, um eine stärkere Entgiftung aus dem ZNS als mit DMPS allein zu bewirken. Die Ausscheidung erfolgt danach weitgehend ausschließlich über den Stuhl.

 

Urin I

Kreatinin 2,08 g/l

Zn           83,0 µg/l

Sn              n.n.

Hg             1,4 µg/l   =   0,4 µg//g Kreatinin

 

Urin II 45 Min. nach Unithiol + DMSA

Kreatinin    2,52 g/l

Cu           1869,0 µg/l = 742,0  µg//g Kreatinin

Hg            164,0 µg//l = 65,l µg/g Kreatinin

Sn               24,2 µg/l = 9,6 µg/g Kreatinin



Stuhl

Hg 24,0 µg/kg

 

Bei der Wiedervorstellung Ende August 1990 äußerte die Patientin eine wesentliche Besserung gegenüber den Beschwerden zu Therapiebeginn drei Monate zuvor. Die Gelenkbeschwerden seien ganz verschwunden, das Zittern sei nur noch in einem sehr geringen Ausmaß vorhanden. In letzter Zeit sei nur noch ein einziger Migräneanfall aufgetreten.

Während Quecksilber und Kupfer im Amalgam meist verantwortlich für die Nervenschäden sind, sind für Zinnvergiftung Knochen und Gelenkschmerzen typisch, da sich Zinn bevorzugt im Sehnengewebe ablagert. Zinn gilt als äußerst gefährliches Schwermetall, das in organischer Verbindung um den Faktor 100 toxischer ist als organisches Quecksilber. In Zahnamalgamen ist es je nach Mischung bis zu 30% enhalten.

 

Zahnarzthelferinnen sind durch ungeschützte Verarbeitung von Amalgamen u. U. vital gefährdet.

 

Die Mobilisation mit DMPS bei einer Amalgamvergiftung sollte auch bei schweren Fällen im Abstand von 6 Wochen erfolgen. Die Urinwerte sollten zweckmägig 45 Min. nach der Injektion gemessen werden.

Im Gegensatz dazu kann die Gabe von DMSA oral durchaus im Abstand von einer Woche erfolgen.

Zinkmangel ist durch intravenöse oder orale Gabe zu beheben, da durch die Mobilisation auch Zink verloren geht und da es seinerseits die Ausscheidung von Quecksilber fördert.

 

2. Fall:

Dr. MÜLLER, Kempten, berichtete von einer 25jährigen Zinnlöterin mit Klaustrophobie und Paniksymptomen.


3. Fall:

Ein norwegischer Medizinstudent wurde zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt. Er hatte seine Ehefrau mit Rotwein vergiftet, dem er Zinnlösung zugesetzt hatte. Sie starb sechs Tage später im Krankenhaus. Die Tat wurde als ,“gerissen und raffiniert“ bewertet (Oslo, 14.09.91).

 

4. Fall

H.M., w., * 12.07.1934

32 Jahre Verzinnerin und Löterin (15 Jahre Per-Exposition)

13 Amalgamfüllungen

Frau H. klagte bei Therapiebeginn über folgende Beschwerden: Erschöpfung, Müdigkeit, starke Kopfschmerzen (bes. seit ‘88) Gedächtnisstörungen, Gleichgewichtsstörungen, ständiges Ohrensausen, Schlafstörungen (seit ‘85, Verschlimmerung ‘88), Muskel-und Gelenkschmerzen mit Lumbago (seit ‘75), Zittern (Verschi. seit ‘88), Kopftremor (seit ‘88), Schwindel (Verschi. ‘88), Benommenheit, Parästhesien; Mundbereich, Brust (Jan. ‘89: Taubheitsgefühl an gesamter linker Kopfhälfte), herabgesetztes Geschmacks-und Geruchsvermögen, Nervenschmerzen (seit ‘85), Depression, Sehstörungen, Herzrhythmusstörungen (seit ‘88), Juckreiz und Hautbrennen, trockene Schleimhäute obere Atemwege (seit ‘88), Schweißausbruch bei geringer Belastung, Schüttelfrost und kalte Füße, brüchige Fingernägel und Haarausfall, Neigung zu Hämatomen, verminderte Kraft v. a. an linker Hand (seit ‘88)

 

Arbeitsunfähigkeit seit 30.06.1989

 

Vorerkrankungen: Mitralklappenprolaps

Stuma dif. Iº - IIº

Hysterektomie mit Beckenbodenplastik (‘85)

seither Cholelithiasis bekannt

Cholesterin 317 mg ./., LDH 214

Lumbalsyndrom bei Lumbalsd.

 

Noxen

-Exposition von Pb, Sn, Putalsäure seit 57

- Perdämpfe ‘57-‘72 bei unzureichender Entlüftung

-Arbeitsplatz befindet sich am Ende der Löthage

-‘88 Vergröberung der Abteilung um fast die Hälfte der Bestückerinnen bei unverändeter schlechter

Belüftung

- Einführung eines nach HCL riechenden Abdeckstreifens auf Leitplatte

-Reizung der Atemwege, Schwindel, Zittern

- 13 Amalgamfüllungen

 

Befunde:

- Internist 3/89; toxischer Schleimhautschaden in Nasen-Rachen-Bronchialraum mit hyperreagibler

Bronchialschleimhaut, Angstsyndrom

- Psych/Neur. 7/89 mittelschwere Polyneuropathie, Organ. Psychosyndrom im Rahmen eines nervlichen Erschöpfungszustandes Schwäche M. interossei links, M. triceps brachi, links im 23

-New 10/89 N. optikus Schädigung li.

- VEP: beids. schlecht ausgeprägte u. reprochuzierbare Potentiale links signifikant längere Latenz

- Ophtalen 12789 Röhrengesichtsfeld beginnende Optkerathropie

- HNO 3/90: Innenohrschwerhöhrigkeit bds. Vestibulopathie links provozierbarer, karizontale

Nystagmus

- Int. .5/90: schwere obstuktive u. mittelgrad. Atemwegsobstiktion bei Zustand nach tox. Schleimhautschädigung

 

Therapie:

 

1. Mobilisation (4/90:)

Nativblut         Pb 191 µg/l

Urin I PB

Uroporphyrme      29,l µg/l

Koproporphymie 35,0 µg/l

Speichel         Hg 36,9 µg/l

 

2. Mobilisation (6/90)

Nativblut         Pb 8,l

Urin                1185 µg/g Kreat.

Cu                     385 µg/g Kreat.

Hg                     21,5 µg/g Kreat.

 

Daunderer,M.: Klinische Toxikologie

                         Umweltgifte Handbuch

                         Zahnmedizin in der Klinischen Toxikolodie

                         Gifte im Alltag