Wurzelbehandlungen
schlechte Qualität
Eine Wurzelbehandlung ist oft die letzte
Möglichkeit, einen entzündeten Zahn zu retten. Doch in vielen Fällen scheitert
der komplizierte Eingriff, weil sich die Zahnärzte nicht genug Zeit nehmen und
keine spezielle Ausrüstung verwenden. Eine neue Studie lieferte jetzt
erschreckende Zahlen.
Etwa sechs Millionen Wurzelbehandlungen werden jährlich über die Krankenkassen
abgerechnet. Die Prozedur ist oft die letzte Möglichkeit, einen entzündeten
Zahn zu retten. In unnötig vielen Fällen scheitert aber der Eingriff. Forscher
der Universität Göttingen untersuchten 200 Patienten, die sich nach einer
Wurzelkanalbehandlung durch andere Zahnärzte erstmals in der Klinik
vorstellten. Erschreckendes Ergebnis: In etwa jedem zweiten Fall war die
Behandlung nicht optimal. Rund 90 Prozent der Zähne könnten nach einer
Wurzelbehandlung erhalten werden, sagt Michael Hülsmann, Professor für Zahnerhaltung
und Leiter der Studie - wenn die Zahnärzte die Therapie mit viel Sorgfalt, Zeit
und spezieller Ausrüstung durchführen würden.
Der Eingriff ist kompliziert: Zähne haben zwischen einem und vier
Wurzelkanälen; versteckte Abzweigungen oder Abweichungen sind möglich. Der
Zahnarzt muss sie mit winzigen Titanfeilen reinigen und zusätzlich
desinfizieren. Erst wenn der Zahnnerv komplett entfernt ist, darf der Hohlraum
verschlossen werden. Die Göttinger Wissenschaftler fanden bei ihrer Auswertung
zahlreiche Belege dafür, dass Zahnärzte dabei nicht gründlich genug vorgegangen
waren. Bakterien waren in den Kanälen zurückgeblieben, mehr als die Hälfte der
Wurzelfüllungen war zu kurz.
Mit drei Maßnahmen könnte die Erfolgsquote deutlich
gesteigert werden. Die erste ist der sogenannte Kofferdam. Das Gummituch, das
die Zahnumgebung abdeckt, ist nach Einschätzung der Europäischen Gesellschaft
für Endontologie bei Wurzelbandlungen unverzichtbar. Es verhindert, dass
Speichel oder Bakterien in den aufgebohrten Zahn gelangen. Bislang nur 8,2
Prozent der deutschen Zahnarztpraxen verwenden das Gummituch in jedem Fall. Wurzelbehandlung: Ein Gummituch soll
verhindern, dass Speichel oder Bakterien in den aufgebohrten Zahn gelangen
Die zweite Maßnahme ist der Einsatz eines Dentalmikroskops.
Die wenigsten Zahnärzte hierzulande nutzen es - obwohl das Nervensystem winzig
klein verzweigt ist und das menschliche Auge die Umgebung nicht in
ausreichender Detailschärfe ausmachen kann.
Ein Facharzt für Wurzelbehandlungen fehlt in Deutschland
Die nach Experteneinschätzung
entscheidende Schwachstelle ist mangelnde Spezialisierung. Weltweit sind die
Heilungsraten von Wurzelbehandlungen durch niedergelassene Zahnärzte erheblich
niedriger als die von Fachzahnärzten für Endontologie. Anders als
beispielsweise in Italien, den Niederlanden und Großbritannien gibt es in
Deutschland keinen offiziellen Titel für diesen Bereich.
Doch auch hierzulande haben sich Zahnärzte auf den Eingriff spezialisiert.
Solche Routiniers sollten Patienten aufsuchen, empfiehlt Hülsmann, auch wenn
viele dieser Experten von Kassenpatienten den Abschluss eines zusätzlichen
Behandlungsvertrages verlangen - der Patient also aus eigener Tasche zuzahlen
muss. Da der Aufwand die Erfolgsaussichten erheblich verbessert, können sich
die mitunter mehreren Hundert Euro Zuzahlung lohnen. Nach einer missglückten
Wurzelbehandlung muss der Zahn oft gezogen werden - dann können die Kosten
schnell über tausend Euro betragen - für ein Zahn-Implantat.
Martin U. Müller / mer Zahnstudie
Artikel vom 23. Juli 2008
URL: http://www.stern.de/zaehne/aktuelles/632057.html