Währungsreform
1923
Zeit ist Geld
Galoppierende
Preise, heiß laufende Gelddruckereien: Vor 85 Jahren war fast jeder Deutsche
Millionär - und verfluchte seinen Reichtum bitterlich. Die Hyperinflation von
1923 war eines der dramatischsten Wirtschaftsdesaster der deutschen Geschichte.
Von Katja Iken
Doch so sehr sich die Frauen auch beeilten: Den Wettlauf gegen die
galoppierende Inflation konnten sie nich
Am Ende kapitulierte die Regierung - und stand nicht nur bei den Gegnern,
sondern auch bei der eigenen Bevölkerung tief in der Kreide. Mit sogenannten
Kriegsanleihen hatten die deutschen Bürger ihrem Staat die Kriegskosten
vorgestreckt. Um die Schulden zu begleichen, kurbelte der Staat die Notenpresse
an - und die Mark verlor rapide an Wert. Denn für die immer größeren Geldmengen
im Umlauf gab es keine materiellen Gegenwerte im Land.
Eine Fahrkarte für 150 Milliarden Mark
Mit dem Mord an Walther Rathenau im Juni 1922, der das Vertrauen in die
Stabilität der jungen Weimarer Republik im In- und Ausland tief erschütterte,
verschärfte sich die Geldentwertung weiter. Als die Franzosen Anfang 1923 wegen
ausstehender Reparationszahlungen das Ruhrgebiet besetzten, eskalierte die
Situation vollends: Um die streikende Bevölkerung finanziell unterstützen zu
können, kurbelte die Regierung die Geldproduktion abermals an - mit der Folge,
dass die krisengeschüttelte Wirtschaft endgültig zusammenbrach.
Immer rasanter drehte sich die Inflationsspirale: Kostete ein Roggenbrot im
Oktober 1922 noch 23 Mark, musste man im Juli darauf bereits 2000 Mark und im
Herbst sogar 260 Millionen Mark dafür hinblättern. Wer die öffentlichen
Verkehrsmittel nehmen wollte, musste das Geld für die Fahrkarte in einer
Schubkarre mitführen. Betrug der Preis für eine Berliner Straßenbahnfahrt
Anfang 1923 noch 50 Mark, so waren dies im Juli 1000 und Mitte November 150
Milliarden Mark. Unvorstellbare Summen, deren Produktion einen enormen Aufwand
darstellte.
Auf dem Höhepunkt der Hyperinflation waren rund 30.000 Menschen mit der
Herstellung der Geldscheine beschäftigt. Rund um die Uhr arbeiteten im Herbst
1923 bis zu 133 Fremdfirmen mit knapp 1800 Druckmaschinen für die
Reichsdruckerei. 30 Papierfabriken produzierten das hierzu notwendige
Banknotenpapier - eine Entwicklung, die Hans Fallada in seinem 1937 erschienen
Inflations-Roman "Wolf unter Wölfen" aufgegriffen hat: "Irgendwo
in dieser Stadt stand eine Maschine und erbrach Tag und Nacht Papier über der
Stadt. 'Geld' nannten sie es. Sie druckten Zahlen darauf, wunderbare, glatte
Zahlen mit vielen Nullen, die immer runder wurden. Und wenn du gearbeitet hast,
wenn du dir etwas erspart hast auf deine alten Tage - es ist alles wertlos
geworden; Papier, Papier und Dreck."
Wäschekorb für die Kollekte
Wie von Fallada beschrieben, gehörten insbesondere ältere Menschen, deren
Erspartes zum Teufel ging, zu den Verlierern der Inflation - die Selbstmordrate
bei Senioren stieg in dieser Zeit sprunghaft an. Doch auch kleine Gewerbetreibende,
Arbeiter, Kriegerwitwen und Kriegsinvaliden traf die rasante Geldentwertung
besonders schlimm. Während die Arbeitslosigkeit stieg, fielen die Reallöhne ins
Bodenlose, mit fatalen Folgen: Verarmung und Verelendung griffen um sich,
Plünderungen und Krawalle gehörten zur Tagesordnung, Einbrecher wurden immer
dreister. Hatten sie es in vergangenen Zeiten auf Geld abgesehen, griffen sie
nun lieber nach Wertsachen und gingen sogar soweit, ihren Opfern die Goldzähne
auszureißen.
Die Währung verkam zum Spielgeld, im wörtlichen Sinne: Mit den wertlosen
Bündeln bauten die Kinder hohe Türme auf der Straße; lastwagenweise karrte die
Müllabfuhr die Scheine zur Verbrennung. Lohnverhandlungen fanden wöchentlich
statt, Bankbeamte durften ihren Arbeitsplatz nicht vor Geschäftsschluss
verlassen - schließlich kannten sie die aktuellen Wechselkurse. Und in der
Kirche hielten die Pfarrer den Gläubigen einen Wäschekorb für die Kollekte hin.
Wer irgendwie konnte, versuchte die Situation zu seinen Gunsten zu nutzen. Unternehmer
wie etwa Hugo Stinnes nahmen Schulden auf, die am nächsten Tag leicht zu
begleichen waren und vergrößerten so ihr Wirtschaftsimperium. Doch auch das
Spekulantentum explodierte, Tag um Tag zog die neugegründete Wucherpolizei über
die Märkte, um Preisbetrüger zu stellen - meist vergeblich. Da das Geld trotz
der Nachtschichten in den Papierfabriken und Druckereien nicht reichte, gingen
mehr als 5800 Städte, Gemeinden und Firmen dazu über, eigene Notgeldscheine
herauszugeben.
"Oha, wat is dat för 'ne Welt"
Regional trieb dies zum Teil bizarre Blüten, da viele ihre Scheine mit eigenen
Sprüchen bedrucken ließen. Der Hamburger Hagenbecks Tierpark etwa mahnte die
Bevölkerung ironisch: "Mensch, schimp nich op de slechte Tied - wi hebbt
hüt mehr Geld noch als Schiet". Auf anderen Scheinen der Hansestadt war zu
lesen: "Oha, wat is dat för 'ne Welt, so so'n Lappen 'n Markstück
gellt!" Am Ende kursierten mehr als 2800 verschiedene Geldscheinsorten in
Deutschland.
Als der US-Dollar schließlich bei knapp 4,2 Billionen Mark stand und die
Inflationsrate sich auf geschätzte 750 Milliarden Prozent belief, musste die
Regierung handeln. Nachdem Reichskanzler Gustav Stresemann zunächst die
Notenpresse stilllegen ließ und das offizielle Ende des Ruhrkampfs verkündete,
beendete er den monetären Spuk am 15. November 1923 mit der Währungsreform und
der Einführung der Rentenmark.
Weil das Deutsche Reich zur Deckung des Grundkapitals der neugegründeten
Rentenbank nicht die nötigen Goldvorräte aufweisen konnte, wurde der
Grundbesitz von Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe mit einer Hypothek von
3,2 Milliarden Rentenmark belastet. Für eine Billion Papiermark erhielten die
Menschen nun eine Rentenmark - die dem Wert von 15,4 Pfennigen des Jahres 1914
entsprach. Ab dem 30. August 1924 wurde schließlich die Reichsmark zur
offiziellen Währung - und Geld war wieder etwas wert.
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