Verbot von Amalgam -
Perestroika im Gesundheitswesen?
Kürzlich forderte
Winfried Beck, Vorsitzender des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte, die
Umgestaltung, die Perestroika im bundesdeutschen Gesundheitswesen. Ich kann ihm
hier voll zustimmen. Wollte man das Gesundheitswesen wirklich an der Wurzel
reformieren, so müssten in allererster Linie Ursachen für die chronischen
Erkrankungen bzw. Todesursachen angegangen werden, und ein solches Vorgehen
überschreitet natürlich auch die Grenzen reiner Gesundheitspolitik und greift
in alle anderen Politikbereiche über. Doch wir brauchen nichts dringender als
diese Umgestaltung, diese Perestroika in unserem Gesundheitswesen! Eine
grundsätzliche Orientierungsänderung, weg vom Ökonomischen, hin zum Gesundheitsrelevanten
ist allerdings dafür Voraussetzung. Auf der einen Seite habe ich viel Hoffnung,
denn die Naturheilkundeverfahren erleben jetzt einen neuen Boom. Naturheilärzte
berichten mir, dass die Leute in ihre Praxis kommen und ganze Einkaufstaschen
voller Medikamente mitbringen, die sie nicht mehr schlucken wollen. Die
Aversion gegen die Chemie hat deutlich zugenommen. Der Trend, so Sprecher der
Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, gehe bei Patienten und Ärzten „eindeutig
in Richtung Naturheilkunde“.
Doch wann werden
die Gesundheitspolitiker in Bonn und in den Ländern das komplexe Zusammenspiel
von Körper, Seele und Geist, auf das sich die Naturheilkunde mit ihrem
ganzheitlichen Medizinbegriff beruft, lernen zu begreifen? Mit Recht ist für
die Anhänger der Ganzheitsmedizin die Krankheit nicht nur ein Störfaktor, der
behoben und korrigiert werden muss, sondern auch ein Signal, eine
Herausforderung, die Weichen neu zu stellen und mehr im Einklang mit sich und
der Natur zu leben. Der Körper also als ein komplettes Ökosystem! Viele, die
sich auf die weichen Verfahren in der Medizin eingelassen haben, auf
naturheilkundliche Verfahren, stellen ihre Ernährung um, bewegen sich mehr und
fühlen sich für ihre Gesundheit selbst verantwortlich. Dass eine solche
Einstellung Kosten spart, das hat sich auch im Ministerium von Norbert Blüm
herumgesprochen. In einigen Bereichen werden innerhalb der
Gesundheitsstrukturreform homöopathische Arzneimittel den pharmazeutischen
Produkten praktisch gleichgestellt - vorausgesetzt, sie wirken. Doch dies ist
nur ein bescheidener Anfang, denn der ideologische Grabenkrieg zwischen den
beiden Richtungen in der Medizin wird weitergeführt - auch im Ministerium von
Norbert Blüm. Leider werden immer noch eine ganze Reihe von homöopathischen
Arzneimitteln in Bonn belächelt. Und der Streit um die Anerkennung dieser
naturheilkundlichen Verfahren geht erbarmungslos weiter. Doch die Strömungen
werden immer stärker, die weg wollen von der „Apparate-Medizin“, die statt auf
High-Tech wieder mehr auf psychologisches Einfühlungsvermögen setzen möchten.
Aber trotz alledem blüht das Geschäft mit der Krankheit weiter und die
Pharma-Industrie verdient ungeschmälert daran. Teurer und meist riskanter wird
es nur für die Kranken, denen oft die Kraft zum Kämpfen fehlt.
Wenn wir eine neue,
weiche Gesundheitspolitik anstreben, so müssen wir uns überall, wo Gesundheit auf
dem Spiel steht, einmischen und auch Partner außerhalb des Gesundheitswesens
suchen - z.B. bei den Verkehrs- und Siedlungsplanern, bei den Gewerkschaften,
sogar auch in der Industrie.
Neues Denken in der
Gesundheitspolitik heißt auch Stärkung der Patienten-/Patientinnenrechte. Und
heißt auch Beseitigung der vermeidbaren Ursachen von Krankheit. Und hier möchte
ich an die Zahnärzte appellieren - wenn es Vermutungen gibt, dass
Amalgam-Füllungen bei Krankheiten wie Quecksilbervergiftung, Augenleiden,
Nervenschäden, Parodontose und sogar Multipler Sklerose eine Rolle spielen, so
muss hier schnellstens mit einem Verbot von Amalgam reagiert werden! In Schweden
hat die dortige Sozialbehörde erklärt, dass ein klarer Zusammenhang zwischen
dem Quecksilbergehalt im Gehirn und Nieren und der Anzahl der Amalgam-Füllungen
im Mund besteht. Wo bleiben die groß angelegten Untersuchungen hier in der
Bundesrepublik Deutschland? Löst sich das Quecksilber aus den Zahnfüllungen -
ja oder nein? Sind Personen mit Amalgam im Mund entsprechend stärker durch das
Schwermetall belastet - ja oder nein? Für jeden Standpunkt zum Thema Amalgam
scheint es Argumente zu geben - doch inzwischen gehen viele von uns zögernd zum
Zahnarzt und bringen unsere Bedenken gegen Amalgam-Füllungen vor. Wie lange
wird man noch mit den vielen konfusen Argumenten abgespeist? Und wie hoch ist
die Amalgam-Belastung des zahnmedizinischen Personals? Ich glaube, es ist an
der Zeit, dass die Zahnärzte in der Bundesrepublik sich klar und deutlich zu
diesem Thema äußern. Denn letzten Endes tragen sie eine große Verantwortung,
nicht nur für die Patienten, auch für die Umwelt. Jährlich, so die Zeitschrift
NATUR (5/88) belasten Zahnfüllungen die Umwelt mit einer Quecksilbermenge, die
der aus 220 000 Tonnen Kohle-Zink-Batterien entspricht!
Petra Kelly
Quelle: Phillip
Journal, 6/89