VOLKSSCHAUSPIELER

 

Im Januar 1969 hatte ich meine praktische Ausbildung nach dem Staatsexamen begonnen und fing in der chirurgischen Privatklinik Josefinum an. Da ich im Gegensatz zu den anderen Arzt-Anfängern prima Blutabnehmen konnte, was ich beim Vater in der Praxis schon 8 Jahre lang gemacht hatte, mußte ich morgens zwar (langweilig) chirurgisch assistieren und am Nachmittag im Haus Spritzen geben. Dann mußte ich im Röntgen eine Konstrastmittel - Infusion anlegen. Mir war es ganz mulmig, es war ein bekannter Volksschauspieler, den mein Vater und ich sehr liebten, weil er deftige bayerische Lieder gesungen hatte. Jetzt ging es zur Frage, ob er Nierenkrebs habe. Er lag auf dem Röntgentisch im dunklen Raum und ich sollte den Venenzugang legen. Alles klappte prima und die Infusion lief sehr schnell ein. Nach wenigen Minuten rief er laut, war schweißgebadet und bekam keine Luft. Ich öffnete seine Kleider, gab ihm weitere Kissen und stellte die Infusion ab. Dann telefonierte ich mit dem Chef, einem Chirurgen, der sagte ich soll ihn nicht sterben lassen und soll die Wandtafel mit dem anaphylaktischen Schock lesen. Plötzlich stöhnte der Patient laut, drehte sich zur Seite, wurde tief blau und schien tot zu sein.

 

Ich überflog die Wandtafel: Lagerung, Beatmung, Herzdruckmassage. Jetzt rief ich den Anästhesisten. Der sagte am Telefon: „Schlag ihm mit der Faust auf das Brustbein“. Sofort tat ich dies. Er atmete sofort tief seufzend ein, wurde rasch wieder rosig und lachte. Da stand auch schon der Anästhesist neben mir, griff zur Sauerstoff-Flasche, die ich nie gefunden hätte und zog aus einer Schublade eine fertig aufgezogene Adrenalin-Spritze heraus, die er gleich spritzte. Der Volksschauspieler sagte: „Ich glaub, ich war kurz mal im Himmel“. Er glaubte, es im Spaß gesagt zu haben. Später erfuhren wir, dass er eine Jod-Allergie hatte, dass seine Niere gesund war. Beides waren Gründe, diese Untersuchung nicht durchzuführen.

 

Lachend erzählte mir dann der Anästhesist, dass etwa 5000 Leute an solchen Jod-Rötgenkontrastmitteln aus Jod im Schock gestorben seien. Aber rein statistisch träfe mich das erst wieder in 30 Jahren, zumal ich Internist werden wollte.

 

Gute Röntgenologen hatten die Wiederbelebungshilfen stets griffbereit. Schon lange gibt es diese Jod-Konstrastmittel nicht mehr.