Quelle: DER SPIEGEL
3/2001 „Verbrechen gegen
die Menschheit“ Der
Physiker und frühere US-Armee-Experte Doug Rokke über die Uran-Munition Rokke, 51, verfügt
über langjährige Erfahrung im Umgang mit biologischen und chemischen
Kampfstoffen. Der frühere Mitarbeiter eines Projektes über angereichertes
Uran entwickelte amtliche Vorschriften für den Umgang mit Uran-Munition.
Heute streitet er für die Entschädigung von Golfkriegsveteranen. Spiegel: Herr Rokke, Sie gehörten zu einem
Team von Pentagon-Experten, die nach dem Ende der „Operation Wüstensturm“
1991 in die Golfregion geschickt wurden. Was fanden Sie vor? Rokke: Ausgedehnte radioaktive
Verseuchung in dem von uns untersuchten Material – jenen US-Panzern und
Fahrzeugen, die aus den eigenen Reihen irrtümlich mit Uran-Munition
beschossen wurden. Verseucht waren auch die Überlebenden. Es gab keine
Sicherheitsvorkehrungen, trotz der Verhaltensregeln, die für jeden, der sich
solch einem Wrack näherte, Atemgeräte und Schutzkleidung vorschrieben. Und
für viele der Erkrankten fehlte es an der richtigen medizinischen Hilfe. Spiegel: Worin bestand Ihre Aufgabe? Rokke: In der Entsorgung der
Strahlenruinen. Wir verschifften 24 verseuchte Objekte in die USA, wo sie in
Barnwell, South Carolina, entsorgt wurden. Der Rest, zu verstrahlt für einen
gefahrlosen Rücktransport, wurde im Wüstensand Saudi-Arabiens verscharrt. Spiegel: Was passierte mit der durch
Uran-Munition vernichteten Ausrüstung im Irak oder in Kuweit? Rokke: In Kuweit übernahmen zwei private
US-Firmen nach Ende des Krieges die Beseitigung des Schlamassels: Praktisch
kam der Strahlenmüll auf den „Friedhof“ – das Material wurde einfach zu einer
riesigen Halde zusammengeschoben. Im Irak liegt das Zeug noch immer
ungeborgen herum. Spiegel: Warum ist die Munition so
gefährlich? Rokke: Wenn solch ein Geschoss auftrifft,
lösen sich bis zu 70 Prozent seiner Masse zu hochtoxischem Staub auf,
der
eingeatmet werden und über Mund oder Wunden in den Körper gelangen kann, wo
die Strahlung tödlich wirken kann. Gefahr besteht daher auch noch lange nach
dem Ende der Feindseligkeiten rund um kontaminierte Panzerwracks oder
gesprengte Bunker. Spiegel: Offiziell heißt es immer, Uran 238
entspreche etwa der natürlichen Strahlung in einem Vorgarten. Rokke: Aber niemand hat 50 Kilo Uran auf
seinem Grundstück herumliegen. Bei Kampfeinsätzen gegen Panzer feuerten
US-Jets rund 3900 dieser Geschosse pro Minute. Das sind fast 20 Kilo
strahlender Stoff in der Sekunde. Im Kosovo verballerte die Nato rund 31 000
dieser Projektile, in Bosnien wurden 11 000 Geschosse eingesetzt. Und wenn es
nicht ordentlich beseitigt wird, sammeln Kinder die giftigen Überreste – wie
es jetzt schon passiert. Wir haben mutwillig und wissentlich ganze
Landstriche verseucht: Das ist ein Verbrechen gegen Gott und die Menschheit. Spiegel: Die scheidende US-Außenministerin
Madeleine Albright bekräftigte, dass es keine gesicherten Erkenntnisse über
den Zusammenhang zwischen Uran-Munition und dem Auftritt von Leukämie gebe. Rokke: Schon lange vor dem Golfkrieg gab
es Warnungen wegen der Verwendung der Uran-Munition und möglicher Folgen.
Aber erst 1994 entwickelte unser Projekt auf Wunsch des Pentagons ein
umfassendes Trainings- und Sicherheitsprogramm – einschließlich Empfehlungen
für medizinische Behandlung und Überwachung von möglichen Strahlenopfern.
Nato-Offiziere – auch aus Deutschland – waren direkt daran beteiligt. Richtig
umgesetzt wurden die Anweisungen aber nie. Spiegel: Trotz Anweisungen von höchster
Stelle? Rokke: Die medizinische Nachsorge nach
unseren Richtlinien hätte rückwirkend mehrere tausend frühere US-Soldaten
umfasst und – bei einem direkten Zusammenhang zwischen Uran-Munition und
Erkrankungen – Behandlungskosten und Schadensersatzforderungen in
Millionenhöhe nach sich gezogen. Spiegel: Laut Angaben der Behörde für
Veteranen vom 3. Januar dieses Jahres sind aber nur 63 Prozent wegen
Uran-Erkrankungen in Behandlung. Rokke: Natürlich. Weil das Pentagon
breite medizinische Untersuchungen unterdrückte und verschleppte, fanden sich
keine Hinweise auf Gesundheitsrisiken für Militärs, die sich der Strahlung
von Uran-Munition aussetzten. Solch ein Bezug wird bis heute vom
Verteidigungsministerium geleugnet. Spiegel: Ist der denn wissenschaftlich
gesichert und nachweisbar? Rokke: Die Indizien sind überwältigend. Spiegel: Hatte Ihr Team, das 1991 im
Einsatz war, an Spätfolgen zu leiden? Rokke: Spätfolgen? Trotz Atemgerät und
Schutzkleidung sind unsere Leute binnen einer Woche krank geworden. Wir
bekamen Ausschlag und Atembeschwerden. Später folgten Nierenprobleme und
acht, neun Monate danach gab es die erste Krebserkrankung. Nach zwei, drei
Jahren starben die Ersten. Spiegel: Waren das nicht Einzelfälle? Rokke: Wohl kaum. Direkt mit der
Entsorgungsarbeit waren rund hundert Leute betroffen. Die Mehrheit von ihnen
ist krank, auch ich leide unter Atembeschwerden. Mein Doktor bescheinigte mir
„Lungenprobleme, verursacht durch Einatmen von Uranstaub“. Vorige Woche erst
beerdigten wir einen meiner Kameraden, der mit dem Transport des Zeugs
betraut war. Heute sind 20 von ihnen tot. Interview: Stefan Simons |