Neumayer/Halbig

Das Krebshandbuch

Ganzheitlicher Therapieratgeber von A-Z

mit einem Vorwort von Gyorgy Irmey

43 Therapiemethoden und unterstützende Maßnahmen mit Beiträgen von:

Wolf E. Büntig • Rüdiger Dahlke • Max Daunderer Friedrich R. Douwes • Volker Fintelmann • Peter Hübner Michael Imhof • Peter Schleicher • Claus Schulte-Uebbing u.v.m.

Edition WENDEZEIT


Umweltgifte und Krebs


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Umweltgifte und Krebs

Ein Beitrag von Dr. med. Dr. med. habil.-Max Daunderer

Therapiekurzinformation:

Krebserregende Umweltgifte kommen in der Luft, im Wasser, in der Nahrung und zum Beispiel auch in Zahnmaterialien vor. Dr. med. Max Daunderer beschäftigte sich in seinem 10-bändigen Werk »Handbuch der Umweltgifte: Klinische Umwelttoxikologie für die Praxis« intensiv mit toxischen und krebserregenden Umweltgif­ten, die jeden Menschen kontinuierlich in seinem Gesundheits­befinden schädigen können. Dieser Beitrag wurde aus dem genann­ten Buch mit freundlicher Genehmigung der ecomed Verlagsgesellschaft, Landsberg/Lech entnommen. In diesem Ausschnitt weist der Autor Möglichkeiten auf, Umweltgifte zu erkennen und bietet gleichermaßen Therapieansätze an, wie verschiedene Schwerme­tallvergiftungen zu kurieren sind. Daunderer zeigt hier eindeuti­ge Zusammenhänge von Krebserkrankung und Umweltgiften auf.

Grundlagen:

Die Homöopathie hat uns gelehrt, daß unbedeutend geringe Men­gen an Chemikalien eine bedeutende Wirkung im Organismus aus­lösen können. Beispielsweise kann die verstärkte Quecksilberaus­scheidung im Urin durch (Quecksilber) Hg-Hochpotenzen bei Amal­gamträgern im Urin bestimmt werden.

Bei weit unter der Schwellendosis liegender Giftmenge, die akute Symptome hervorruft, können wir nach sehr langer Einwirkungszeit Organschäden beobachten, die ganz anders aussehen als das Bild akuter Vergiftungen.


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Umweltgifte sind charakterisiert durch:

1. Der Vergiftete kennt die Art der Gifte im Regelfall nicht.

2.       Die Giftkonzentrationen sind extrem gering.

3.      Es handelt sich meist um viele Gifte.

4.   Nur Vorgeschädigte merken Vergiftungserscheinungen bald.

5.       Betroffene können der Vergiftung nicht rechtzeitig entgehen.

6.   Durch Vermeidung von Cofaktoren kann das klinische Bild
trotzdem gebessert werden.

7.       Unbekannte Interaktionen aus den verschiedenen Quellen
machen es unm
öglich, Einzelfaktoren zu werten.

Charakteristisches Beispiel - Amalgam;

Dentalamalgam wirkt zytotoxisch (Kawhara), Quecksilber hemmt das Selencoenzym Glutathionperoxidase (Wada) und regt bereits in Spu­ren den Peroxidstoffwechsel an (Stacey), der zur raschen Zerstörung der Zellmembranen führt. Selen bildet mit Schwermetallen schwer lösliche Verbindungen. Das Spurenelement Selen entgiftet dabei Schwermetalle wie Cadmium, Arsen, Blei und Quecksilber. So schließt sich der Kreis zwischen zunehmender Schwermetallbela­stung der Umwelt und ansteigender Krebsinzidenz.

Ubiquitär ebenfalls vorkommende Giftstoffe wie Nitrate, Dioxine, Pestizide, Lösungsmittel und Konservierungsmittel wirken via Schwächung des Immunsystems letztendlich auch krebsfördernd. Verstärktes Ziel unserer Bemühungen muß es deshalb sein, einer­seits diese Gifte in der Umwelt entscheidend zu reduzieren, ande­rerseits durch Schwermetallprotektoren wie Selen und Zink sowie Antioxidantien (ß-Carotin, Vitamin E) das empfindliche innerökolo­gische Gleichgewicht wieder herzustellen.

In den letzten Jahren wurde dank der verdienstvollen Arbeit der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft unter Vorsitz von Prof. Hen-schler eine Vielzahl von Chemikalien neu in die MAK-Wert-Liste für krebserzeugende Stoffe aufgenommen. Waren es 1974 noch 24 Stof­fe, die in der MAK-Wert-Liste unter den Gruppen lll A und B einge­stuft waren, so waren es 1987 bereits 103 Stoffe in den Gruppen lll A1 und A2, die als eindeutig krebserzeugend eingestuft wurden, und 61 Stoffe, die in der Gruppe lll B mit begründetem Verdacht auf krebs­erzeugendes Potential aufgenommen wurden. 5500 chemische Sub-


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stanzen sind jedoch potentiell krebserzeugend beim Menschen. Dabei ist nicht bekannt, wie oft und in welcher Konzentration eine kanzerogene Substanz auf den Menschen einwirken muß, um das Wachstum eines bösartigen Tumors zu initiieren. Hinzu kommt die Wirkung der Co-Kanzerogene, d.h. Stoffe, die die Tumorentwicklung fördern oder beschleunigen, ohne selbst kanzerogen zu sein. Schließ­lich ist die individuelle Vorschädigung mit dem daraus resultieren­den Defektzustand des Immunsystems für die individuelle Krebsent­stehung oder Krebsprophylaxe von Bedeutung,

Den ubiquitären Umweltgiften, in der neuesten Veröffentlichung von Greenpeace wird die Bundesrepublik Deutschland als der größte Gift­müllproduzent Europas genannt, kann letztlich niemand entgehen. In Müllverbrennungsanlagen wird der Abfall nach dem Massener-haltungsgesetz nicht beseitigt, sondern es kommt zu einer Umver­teilung, wobei aus einer Tonne Abfall nach Braungart 320 kg Schlacke, 30 kg Flugstäube und 5000-6000 m3 Rauchgase entste­hen. Asbest kann in den Filtern ebensowenig zurückgehalten wer­den wie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, die eben­falls teilweise kanzerogen sind. Auch krebserzeugende Metallver­bindungen, die durch in der Brennkammer nicht lenkbare Umwand­lungsprozesse entstehen, werden emittiert. Um nur zwei herauszu­greifen: Nickel in Form atembarer Stäube ist für den Menschen ein­deutig als krebserzeugend eingestuft, für Cadmiumchlorid ist die kan­zerogene Wirkung in Tierversuchen eindeutig bewiesen.

Kanzerogene Dioxine werden gleichfalls in erheblichem Maße aus­gestoßen, so daß im Umkreis von Müllverbrennungsanlagen kein Gemüseanbau mehr möglich ist. Durch die Entwicklung intelligen­ter Recyclingmethoden, mit der Rücknahme wertvoller Rohstoffe aus demontagefähigen Verbrauchsgütern, die dann vom Hersteller erneut verwandt werden können, kann die Gesamtabfallmenge drastisch reduziert und die toxikologischen Wirkungen auf Mensch und Umwelt entscheidend gemindert werden.

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Neben den Abfällen aus Industrie und Haushalt trägt der Verkehr zu einer wesentlichen Zusatzbelastung der Bevölkerung bei. Das Auto ist nicht nur unwirtschaftlich, was man schon allein an der Tatsache erkennt, daß eine Person, um von Punkt A nach Punkt B zu kom­men, im Schnitt 800 kg mit sich führt, sondern irvden Autoabgasen


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sind diverse krebserzeugende Substanzen enthalten. Am 1.7.89 wur­den aus 43,5 Mio. Kraftfahrzeugen 5,8 Mio. t Kohlenmonoxid, 1,2 Mio. t Kohlenwasserstoffe, 1,6 Mio. t Stickoxide, 55000 t Rußpar­tikel, 42000 t Schwefeldioxid, 1 700 t Blei sowie 124 Mio. t Koh­lendioxidemittiert.

Besondere Aufmerksamkeit verdient das Benzol aus bleifreiem Ben­zin, von dem 42000t im Jahr 1987 emittierten. Benzol ist für den Menschen eindeutig als krebserzeugend bekannt. Es wird durch den Respirationstrakt und die Haut aufgenommen und greift das häma-topoetische System an, wo es schließlich verschiedene Arten der Leukämie hervorrufen kann. Polyzyklische aromatische Kohlen­wasserstoffe (PAK) sind im Tierversuch eindeutig als krebserzeugend erkannt. Herauszugreifen ist das Benz(a)pyren, das als stark krebs­erzeugende Substanz für das vermehrte Auftreten von Lungenkar­zinomen in Gebieten mit starker Luftverschmutzung gegenüber länd­lichen Gebieten verantwortlich gemacht wird. An Rußpartikel aus Die­selmotoren lagern sich polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe an und werden so in den Atemwegen festgehalten.

Aus Undichtigkeiten des Tanksystems entweichen zusätzlich 260000t Kraftstoff. Für Benzin wurde bisher nur kein MAK-Wert ein­geführt, weil viele differierende Benzine mit unterschiedlichen Anteilen an Aromaten, die im wesentlichen dieToxizität bestimmen, vorliegen. Im Benzin enthalten sind Benzol (1,6 - 3,8 %), Toluol, Xylo-le, Ethylbenzol, Iso-Propylbenzol und Methanol. Des weiteren Anti­klopfmittel wie 1,2-Dibromethan und 1,2-Dichlorethan. 1,2-Dibro-methan ist im Tierversuch als krebserzeugend nachgewiesen, 1,2-Dichlorethan fällt unter die Stoffe mit begründetem Verdacht auf krebserzeugendes Potential, Die Lösungsmittel Toluol, Xylole, Ethyl­benzol, Iso-Propylbenzol und Methanol tragen zu einer Vorschädi­gung von Atemwegen, Leber und Niere bei.

Für die Vorschädigung sind jedoch nicht nur die ubiquitären Umwelt­gifte, denen man nicht entgehen kann, von Bedeutung, sondern vor allem die Mikroenvironment, die sich das Individuum größtenteils selbst schafft.

Es sind die persönlichen Lebensgewohnheiten, wie Rauchen und Passivrauchen, die nicht nur über eine Vorschädigung der Atemwege,


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sondern durch die im Tabakrauch enthaltenen kanzerogenen Sub­stanzen wie Benzol, Benzo(a)pyren, Formaldehyd, Cadmiumchlorid und Nickel in Form atembarer Stäube zu einer relevanten Zusatz­belastung führen. Bei einer angenommenen Luftkonzentration von 10-20 ug Nickel/qm Umgebungsluft führt dieses laut WHO 1987 zu einer täglichen Inhalation von 200 400 ugAag. Nach Kasprzak 1987 nimmt der Raucher von 20 Zigaretten täglich bis zu 7000 ug Nickel/Tag inhalativ auf. Bei einer mittleren Cadmium-Konzentrati-on von 3 pg/m3 und 20 m3 Atemvolumen/Tag beträgt die inhalati-ve Aufnahme 50-60 ug/Tag. Der Raucher inhaliert im Hauptstrom einer einzelnen Zigarette demgegenüber 100-200 ug Cadmium (Bin­der et al. 1983), also bei 20 Zigaretten 2000-4000 ugAag.

Diese inhalativen Konzentrationen krebserzeugender Schwermetal­le werden jedoch weit übertroffen durch die Aufnahme verseuchter Nahrung, wodurch 26900-34600 ug Cadmium/Tag (Zebs 1984) und 100000-500000 ug Nickel/Tag oral aufgenommen werden. Resor­biert werden hiervon jedoch nur 1-10% bei Nickel (EPA 1985) und rund 5% bei Cadmium, wobei die Resorption unter Eisenmangel erhöht sein kann. Durch die differierenden Resorptionsquoten bei ora­ler oder inhalativer Aufnahme entstehen ähnliche Resorptionsraten. Da inhalativ aufgenommene Toxine als Faustregel lOOOfach giftiger sind als bei oraler Aufnahme, ist der Aufnahme über die Atemwege trotz niedriger Gesamtkonzentration mehr Gewicht beizulegen.

Bei der chronischen Formaldehydvergiftung z.B. kommt es zu einer erhöhten Ausscheidung an Ameisensäure und/oder Methanol im Urin, parallel mit einer linear erhöhten Ausscheidung und Aufnahme in alle Zellen von Calcium Ionen (Liesivuori, J., und Savolainen, H. 1987). Formaldehyd als Stoffwechselzwischenprodukt wird somit in erhöter Konzentration anfallen, so daß die Konzentration, ab der es zu einem signifikanten Influx in die Zelle führen kann, überschritten wer­den könnte. Damit wäre die Voraussetzung für mutagene Wirkun­gen an der DNA gegeben. Nach Rot kommt es aus theoretischen Überlegungen heraus unter dem zusätzlichen Einfluß von Chlor zur Entstehung des Stoffwechselproduktes Bischlormethylether, das für den Menschen als karzinogen erkannt ist.

In jüngster Zeit kamen etliche formaldehyd-freie Produkte auf den Markt, die oft Isocyanate enthalten. Diese können ihrerseits zu chro-


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nischen Bronchitiden führen. In feuchtem Klima hydrolisieren Isocyanate zu Diaminen, die mögliche Kanzerogene darstellen. For­maldehyd potenziert die Wirkung des Pentachlorphenols auf den Menschen um den Faktor 5 (Irptc, l 987).

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Durch den verbreiteten Einsatz der Holzschutzmittel Pentachlor-phenol und Lindan in Innenräumen ist es zu einer erheblichen Zusatz­belastung an Dioxinen in der Bundesrepublik gekommen. Über das volle Ausmaß der immunologischen Wirkungen der Dioxine und Fura-ne, die u.a. das p-450-System in verschiedensterweise induzieren, herrscht Unklarheit. Eine kanzerogene Wirkung im Tierversuch ist jedoch bewiesen, eine humankanzerogene Wirkung wird zur Zeit kon­trovers diskutiert, wird jedoch immer sicherer. So warnte im Mai die­ses Jahres der BGA-Experte Dr. W. Lingk bereits vor der human­kanzerogenen Wirkung von Dioxinen und Furanen. Da bisher noch von einer nur krebsfördernden Wirkung ausgegangen wurde, hielt das BGA maximal 1 pg TEQ pro kg KG täglich für unbedenklich. Die amerikanische Umweltschutzbehörde EPA hält jedoch nur 0,006 Pikogramm pro kg/KG für eine noch unbedenkliche Tagesdosis. Demgegenüber wird die tägliche Aufnahme in der bundesdeutschen Bevölkerung mit 1-2 Pikogramm TEQ pro kg/KG angenommen, über­trifft also schon die bei lediglich krebsfördernder Wirkung ange­nommene Grenzdosis deutlich. Die biologische Halbwertzeit der Dio­xine liegt bei 11,6 Jahren. Dramatische Auswirkungen hat dies bei der Muttermilchkonzentration. In den ersten Lebenstagen des Säug­lings, einer Zeit, in der die Entgiftungsfunktion der Leber noch nicht entwickelt ist, nimmt der gestillte Säugling bereits 80 bis 90 Piko­gramm pro Kilogramm Körpergewicht Dioxin täglich auf.

Das Prinzip der chronischen Giftwirkung ist deshalb so wichtig, weil dadurch die Summe der Vorschäden bestimmt wird, durch die letzt­lich eine Karzinogenese erleichtert wird. Am Beispiel des Holz­schutzmittels Pentachlorphenol wird hier Folgendes deutlich: Während zu Beginn maximale Schadstoffkonzentrationen gemessen werden können, merkt der Mensch die Belastung noch nicht. Erst über die Jahre, in denen das Pentachlorphenol abdampft, zeigen sich die ersten Symptome, wobei die Raumluftkonzentrationen aber gerin­ger werden. Zu der bestimmenden Größe «Konzentration« tritt eine zweite unbekannte Größe, »der Faktor Zeit«. Am Endpunkt ist im Extremfall im Milieu kein Gift mehr nachweisbar, während der Orga-


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nismus ein Maximum an Krankheitssymptomen zeigt, da die Kon­zentration mal der Zeit eine Konstante ist. Untersuchen wir in der täglichen Praxis die chronisch vergifteten Patienten auf die Zusam­mensetzung ihrer Lymphozyten-Subpopulationen, so stellen wir zumeist einen auffälligen relativen oder absoluten Mangel an T-Suppressorlymphozyten fest. Da möglicherweise auch die Entste­hung von Tumoren auf die Einwirkung von Amalgam zurückzuführen ist (uns wurde über einen Chemiker einer großen Amalgamfirma bekannt, daß Amalgam die Nukleinsäuresynthese hemmt), soll hier die Amalgamvergiftung dargestellt werden.

Untersucht man den Abrieb von Amalgam durch Kaubelastung mit Hilfe des Kaugummi-Tests, so findet man im Speichel von Amal­gamträgern oft schon vor der Kaubelastung erhöhte Speichelkon­zentrationen an Quecksilber. Korrelierend zur Zahl der Amalgamfülungen kann die Quecksilberkonzentration im Speichel nach 10minütiger Kaubelastung bis auf 100000 ug/l steigen, dazu bis zu 1 000 ug/l Zinn, 500 ug/l Silber und 100 ug/l Kupfer. Der WHO-Grenz-wert für Quecksilber im Trinkwasser liegt demgegenüber bei 0,5 ug/l. Die direkte Beeinflussung des Immunsystems durch Quecksilber wurde durch den Nachweis eines signifikanten Abfalls der T-Lym-phozyten (T-Suppressor-, T-Helfer-Lymphozyten) und der Natural-Kil-ler-Zellen nach 20minütigem Kauen von Prof. Köstler 1989 gezeigt. Durch Amalgamfüllungen kommt es zu einer täglichen Quecksil­beraufnahme von 3,0-17,0 ug/Tag, durch Fisch und Seefrüchte zur täglichen Aufnahme von 2,3 ug/Tag und durch andere Nahrung von 0,3 ugATag (Bio-Probe Newsletter 5/91). Das Quecksilber aus Amal­gamfüllungen ist folglich der bestimmende Anteil. Die Messung des Quecksilbers im Spontan-Urin ist lediglich ein Maß für die akute Ver­giftung, während der DMPS-Test zur Erkennung einer chronischen Intoxikation geeignet ist.

Zunächst wurden die erstmobilisierten Quecksilberkonzentrationen im Urin von 528 Patienten statistisch ausgewertet. Zur Zeit befin­den sich die Untersuchungsergebnisse eines wesentlich größeren Patientenkollektivs in der statistischen Auswertung, wobei eine Bestätigung der hier aufgezeigten Ergebnisse zu erwarten ist. Die erstmobilisierte Quecksilberkonzentration im Urin wurde der Zahl der Amalgamfüllungen gegenübergestellt. Sind keine Amalgamfüllungen vorhanden, so wird eine Quecksilberkonzentration von 50 ug/g Krea-


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tinin nicht überschritten, sofern eine gewerbliche oder aus anderen besonderen Gründen hohe Quecksüberbelastung ausgeschlossen werden kann. Das bestätigt den auf 50 ug Quecksilber/g Kreatinin festgesetzten Grenzwert. Vier bis acht Amalgamfüllungen stehen einer Quecksilberkonzentration von rund 120 ug/g Kreatinin gegenüber, bei 9 und mehr Amalgamfüllungen werden 200 ug/g Kreatinin im Schnitt überschritten.

Wie auch gegenüber anderen Umweltgiften zeigen Kinder und junge Menschen eine wesentlich höhere Empfindlichkeit. Das zeigt sich auch an den Quecksilberkonzentrationen im Urin nach Mobilisation mit DMPS, wobei, in der Gruppe mit 9 und mehr Füllungen die Alters­gruppe der bis 25jährigen eine Durchschnittskonzentration von 296,4 Mg/g Kreatinin aufweist, die einer Konzentration von 103,2 ug/g Krea­tinin in der Altersgruppe der 46-55jährigen gegenübersteht. In Unter­suchungen zur Low-Dose-Radioaktivität wurde eine 120fach höhe­re Empfindlichkeit von Kindern festgestellt.

Und nur eine konsequente Entfernung aller Amalgamfüllungen bringt langfristig eine wirksame Reduktion des Speichers, wie man anhand der positiven Korrelation zwischen Zeitspanne nach Amal­gamentfernung und Konzentration des mobilisierten Quecksilbers im Urin sieht. Sind 9 und mehr Amalgamfüllungen vorhanden, zeigt das gesamte Patientenkollektiv nach Mobiiisation eine Durchschnitts­konzentration von 244,9 ug/g Kreatinin im Urin. Bereits 1-24 Mona­te nach Entfernung aller Füllungen fällt diese Konzentration auf 60 |jg/g Kreatinin. Sind die Füllungen 24 Monate und länger entfernt, so sinkt die Durchschnittskonzentration auf 28,9 ug/g Kreatinin. Durch die Schwermetall-Dysbalance im menschlichen Organismus, ausgelöst durch eine Amalgamvergiftung, kommt es zu einer signi­fikant höheren Bleispeicherung, wie sie gleichfalls im DMPS-Mobi-lisationstest erkannt werden kann. Bei 13 Amalgamfüllungen liegt die Bleiausscheidung im Urin nach DMPS im Mittel bei 100 ug/g Krea­tinin, während ohne Amalgamfüllungen der mittlere Ausschei­dungswert bei 50 ug/g Kreatinin liegt. Doch selbstverständlich ist die Klinik entscheidend.

Die verschiedenen Metalle im Amalgam verursachen eine Reihe von Symptomen, die je nach Vorschädigung des Organismus unter­schiedlich geprägt sind. Die Amalgamvergiftung als Mischintoxikati-


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on per se zeigt folgende Leitsymptome: Müdigkeit/Antriebstosigkeit, Metallgeschmack, Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, reduzierte Merkfähigkeit, Haarausfall, Stimmungslabilität, Hauterscheinungen und Infektanfälligkeit. Ein vorausgegangenes Schädel-Hirn-Trauma dispo­niert zu Kopfschmerzen, ein früherer Virusinfekt zur Infektanfälligkeit.

Eine Untersuchung der Nierenfunktion von Schafen, 30 Tage nach dem Legen von Amalgamfüllungen, ergab eine Funktionseinbuße von 50% im Gegensatz zur Kontrollgruppe (Murray J. 1 991). Dabei neh­men die Symptome mit der Einwirkungszeit zu, am raschesten erkranken Kinder und Allergiker. Als nächstes erkranken Personen mit einem Mangel an den Spurenelementen Zink und Selen. Schwer­metalle, wie auch andere Umweltgifte, steigern den Zink- und Selen­verbrauch. Gerät der menschliche Organismus in einen Mangelzu­stand, so ist die Einwirkzeit bis zum Erscheinen der ersten Krank­heitssymptome erniedrigt. Sonst Gesunde zeigen im Mittel erst nach einer Latenzzeit von 15Jahren Krankheitssymptome. Wenstrup, Ehmann und Markesberg wiesen an 10 Gehirnen von Patienten mit Morbus Alzheimer, im Vergleich zu 12 Gehirnen von nicht Erkrank­ten, doppelt so hohe Quecksilberkonzentrationen nach. Sie fanden das Quecksilber in den Zellkernen, den Mitochondrien und Mikro-somen. Die Gesamt-Quecksilberkonzentration der Zellen lag bei den an M. Alzheimer Erkrankten im Mittel bei 176 pg/kg, in der Kon­trollgruppe bei 69,6 ug/kg. Zink und Selen werden bei den Erkrank­ten demgegenüber deutlich erniedrigt. Da Zink und Selen bei der Entgiftung bzw. Umgiftung von Quecksilber benötigt werden, ist deren Abfall statistisch mit der Erhöhung von Quecksilber einher­gehend. Über die Bildung von Quecksilberselenid kommt es zu einem erhöhten Bedarf des Radikalfängers Selen, so daß ein relativer Man­gelzustand auch aufgrund der hiesigen Bodenverhältnisse, man kennt ein deutliches Nord-Süd-Gefälle in Deutschland, entstehen kann. Die Therapie mit DMPS ist in bezug auf die Einzelsymptome unter­schiedlich erfolgreich. Am erstaunlichsten ist die Zunahme des Antrie­bes, die neu gewonnene Freiheit von Kopf- und Bauchschmerzen, die Reduktion von Schwindel und Zittern. Nervosität, Allergien und Infektanfälligkeit schwinden oft erst unter fortgesetzter Therapie. Eine Veröffentlichung von Dr. Bannasch, L., und Dr. Schleicher, R, zeigt nach Amalgamentfernung und DMPS-Mobilisation eine Zunah­me der Absolutzahlen an Gesamt-T-Zellen in 79% und der Natural-Killerzellen in 83%.


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Im'folgenden soll die Problematik anhand weniger ausgewählter kli­nischer Beispiele verdeutlicht werden. Der Fall eines jungen, stark quecksilbergeschädigten Mädchens betont mehr die zentralnervös bedingten Schäden durch Quecksilber. Das Kind ist reizbar, aggres­siv, bewegungsgestört, lernbehindert, ein Pflegefall. Ein paar Mona­te später, nach Therapie mit DMPS, ist das Kind wesentlich umgäng­licher und geistig aufnahmefähiger. Es geht in die Schule, was vor­her nicht möglich war.

Schon Kleinkinder ohne eigene Amalgamfüllungen weisen relevan­te Konzentrationen an organischem Quecksilber infolge der fetalen Belastung durch die amalgamtragende Mutter auf. Sie leiden an chro­nisch rezidivierenden Infekten und Verhaltensstörungen.

Anhand des folgenden Falles stellte sich erstmals die Frage einer Tumorinduktion durch Amalgam:

Eine 54jährige Patientin suchte mit einer Alopezia totalis und Seh­störungen die Praxis auf. Sie hatte 14 Amalgamfüllungen. Diagno­stiziert wurde ein Meningeom. Der feingeweblich untersuchte Gehirntumor wies folgende Schwermetallkonzentrationen auf: Quecksilber: g29 pg/kg, Zinn 232,3 pg/kg, Silber 60800 ug/kg, Kup­fer 2600 pg/kg. Ebenso fand sich bei einem Patienten, mit erhöten Schwermetallkonzentrationen im Mobllisationstest, in einem Tri-geminusneurinom eine Zinnkonzentration von 600 ug/kg. In einem Mammakarzinom wurde eine Quecksilberkonzentration von 171 pg/kg festgestellt. Eine Patientin ließ mehrere eigene Gewebepro­ben auf Quecksilber untersuchen: Tumorgewebe der Vulva mit der Diagnose Metastase eines Mammakarzinoms, oder differentialdia­gnostisch Metastase eines unbekannten Primärtumors, wies 16920 bzw. 10660 pg/kg Quecksilber auf. Ein Vulva-Rezidivknoten 3657 ug/kg. Ein gutartiger Hauttumor des Narbenbereiches des Mamm­akarzinoms, bei dem subjektiv ein Wachstum bemerkt wurde, ent­hielt 5328 ,ug/kg Quecksilber. Im Fettgewebe der Patientin lag die Quecksilberkonzentration demgegenüber bei 39 pg/kg, in einem ent­zündlichen Mammaknoten und einem Grützbeutel war die Queck­silberkonzentration unter der Nachweisgrenze von 22 bzw. 15 pg/kg. Ein 49jähriger Patient trübte nach Auswechseln von 4 Amalgamfül­lungen ein und bekam epileptische Anfälle. Aufgrund des CT-Bildes hatte man den Verdacht auf einen Hirntumor, in der Untersuchung des Operationspräparates wurde allerdings nur eine unklare Hirna-


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trophie mit mikroskopisch nachweisbarer Gliose des Hirngewebes diagnostiziert. Der Patient wurde komatös und ist jetzt moribund. Nur durch DMPS Mobilisation, die erhöhte Quecksilber- und Zinnkon­zentrationen nachwies, konnte jeweils eine Bewußtseinsaufklärung erreicht werden. An den Zahnwurzeln im Periost dieses Mannes fand man Quecksüberkonzentrationen bis zu 2000 ug/kg. Die Konzen­trationen an anderen Zahnwurzeln liegen noch bis zu 2 Zehnerpo­tenzen über diesem Wert.

Zusammengefaßt das ABC der Umweltgifte:

Der erste Schritt ist das Erkennen.

Die Aufnahme des Giftes muß durch Finden der Quelle und ent­sprechende Exposition des Vergifteten bewiesen werden. Der Beweis der Aufnahme wird durch den dem jeweiligen Gift entsprechenden Nachweis in Körperflüssigkeiten, in Gewebe­proben, in Tumoren geführt. Dabei sollte jeder Tumor auf Gifte untersucht werden. Metalle lassen sich sehr gut nachweisen. Jetzt ist es auch möglich, in dem bildgebenden Verfahren der Kernspintomographie, eingestellt auf die Protonendichte, 80 Metalle darzustellen. So läßt sich auch möglicherweise der Resorptionsweg des Amalgam in die Organe nachweisen. Das C wird gebildet durch die Cardinalsymptome, die durch Ent­giftung in großem Maße reduziert werden. An nächster Stelle steht das Vermeiden.

In Anbetracht der synergistischen Interaktionen von Umweltgiften, die über eine schleichende Vorschädigung der einzelnen Organe und des Immunsystems zur ernsten Gefährdung gegenüber Karzinoge­nen führen, muß darauf gedrungen werden, Umweltgifte in jeder Form zu minimieren und zu meiden, wo es möglich ist. Erst an letzter Stel­le steht die Therapie.

Für die wenigsten Umweltgifte gibt es eine kausale Therapie. Für die chronische Schwermetallvergiftung ist eine wirksame Entgiftung durch Chelatbildner wie DMPS bzw. DMSA durchaus möglich. Sie reduziert die Symptome des Patienten entscheidend. Ob mit DMPS oder DMSA therapiert werden sollte, ist im Einzelfall zu entscheiden. Da durch DMSA prozentual mehr gegenüber Blei und Cadmium ent­giftet und ein höherer Anteil an organischem Quecksilber und weni­ger Zink ausgeschieden wird, ist generell eine Langzeittherapie mit


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DMSA vorzuziehen. Die Therapiedauer richtet sich nach der Höhe der Depots und der Schwere der Vergiftungssymptome. Die Antidote DMPS (2,3-Dimercaptopropan-l-sulfonsäure, Handelsbezeichnung Dimaval, Heyl) und DMSA (Dimercaptobernsteinsäure) wirken nur extrazellulär, wodurch nach der Entgiftung eine Sogwirkung auf die Speicher ausgelöst wird; sie dürfen daher nur in großen Intervallen gegeben werden. DMPS ist als Dimaval rezeptfrei in der Apotheke erhältlich und darf, wie jedes Antidot, bei Verdacht einer Vergiftung sofort angewandt werden. Spurenelemente, wie ein oft noch beste­hender Zinkmangel, werden nach Messung eines pathologischen Ausgangswertes substituiert. Dem Selen als Bestandteil der Gluta-thionperoxidase kommt eine hervorragende Stellung in der Krebs­prophylaxe zu, da eine positive Korrelation zwischen hoher Selen­aufnahme und niedrigen Raten an dem weiblichen Brustkrebs, dem Dickdarmkrebs und dem Rektumkarzinom hergestellt werden konnte.

Die chronische Schwermetallvergiftung durch Amalgam ist nur ein Beispiel aus der Palette der Umweltgifte, das nachgewiesenermaßen das Immunsystem schädigt und im Verdacht steht, zumindest krebs­fördernd zu wirken. Infolge der Unübersehbarkeit von Interaktionen zwischen den sich gegenseitig potenzierenden Schadstoffen ist im Sinne des Vorsorgeprinzips dem Minimierungsgebot gegenüber kan­zerogenen Substanzen vermehrt Rechnung zu tragen.

Tumoren - Ursache*

»Die Pathogenese von Krebserkrankungen ist, soweit wir bisher wis­sen, sehr vielgestaltig. Insofern ist der Krebs bezüglich Auslösung und Genese alles andere als ein einheitliches Geschehen«, erklärte Dr. med. Dieter Eis, Institut für Hygiene, Fachbereich Umweltmedi­zin, Universität Heidelberg, in seinem Vortrag über Umweltfaktoren und Krebsentstehung. »Man kann das Krebsgeschehen entweder aus ökologischen, ganzheitlichen und psychosozialen oder mechanisti­schen und naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten betrachten. Wir sollten uns jedoch davor hüten, den einen oder anderen dieser Ansäze als den allein seligmachenden anzusehen. Denn alle haben ihre Berechtigung, und sie alle haben ihre Vor- und Nachteile.«

Daß bestimmte Schadstoffe der Umwelt krebserregend sein können, wurde bereits seit langem vermutet und konnte für eine Reihe von


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Substanzen inzwischen bewiesen werden. Die sich in den letzten Jah­ren häufenden Berichte über die zunehmende Belastung der Umwelt durch industrielle Abfallprodukte werden daher in der Öffentlichkeit mit wachsender Beunruhigung zur Kenntnis genommen. Die heute verfügbaren Methoden (molekularbiologische Verfahren, toxikologische Kanzerogenitätstests, epidemiologische Studien, Risikoextrapolationen) gestatten nur einen sehr fragmentarischen Ein­blick in die Ätiopathogenese des Krebsgeschehens. Die Kanzero­genese bedarf vieler unterschiedlicher Einflüsse, die meist auch zeit­lich versetzt einwirken müssen.

Bei diesen Faktoren handelt es sich keineswegs immer um Chemi-kalien, auch Strahlen spielen eine Rolle. Berücksichtigt werden müs­sen außerdem die genetische Prädisposition, die Vorerkrankungen, der Lebensstil, die Lebenszufriedenheit und das Streßbewälti­gungsvermögen des Individuums.«

(Siehe auch die Beiträge »Hildegard-Medizin in der Krebstherapie«. »Entgiftung des Gesamtorganismus« und «Zahnsanierung beim Tumorpatienten«)

Quelle: Dr. med. Dieter is, Heidelberg, Med. Woche Baden-Baden 1992