2010 Todeskonfrontation zu Weihnachten

Nun ging es doch glimpflich zu Ende, mein schlimmstes Weihnachten seit 60 Jahren. Damals kam der erfahrenste Kinderarzt an mein Krankenbett, um meiner Mutter zu sagen, sie solle untätig meinen Tod erwarten, da ich bei Herzrhytmusstörungen durch mein rheumatisches Fieber keinerlei Überlebenschancen hätte. Erst unser Nachbar, Prof. Romano Guardini, eröffnete eine Alternative, die mich rettete. Bis dahin vergingen fürchterliche Stunden, die Weihnachtsfeier fiel aus, mein älterer Bruder hatte es mir nie verziehen.

 

Heuer bekam unserer jüngster Siamkater Sascha zu Weihnachten plötzlich einen riesigen Tumor beider Nieren und drohte zu sterben. Eine Woche zuvor geschah dies bereits mit meinem Lieblingskater Harty, der mit einem großen Herz auf der Brust seit meinem Versuch, vor zehn Jahren ihn zu verschenken, mein absolutes Lieblingstier blieb. Sein plötzlicher Nierentumor trat nach einem Tropfen Antibiotikum ins Ohr auf, er bekam Herzrhythmusstörungen, sein Herz blieb nach drei Stunden langsam stehen. Anstelle einer Herzmassage reinigte ich sein Ohr, entfernte das Antibiotikum und gab ihm Sauerstoff. Er erholte sich völlig, der Nierentumor blieb. Dann hing er wie sterbend herum. Als er in der klirrenden Kälte in den Garten ging, um unter einem Baum zu sterben, holte ich ihn herein. Nach etwas Paraffinöl wurde der Bauch nach dem Stuhlabgang weich und er sah wieder entspannter in die Zukunft.

Auch Sascha erholte sich durch Paraffinöl deutlich, der ganze Bauch halbierte seine Größe, nur der Nierentumor blieb. Sein Appetit stieg, aber er verzog sich wieder unter den Schreibtisch zum Sterben. Sein Tod blieb unausweichlich, das Antibiotikum half nicht mehr. Jede Minute rechnete ich, dass er regungslos blieb. Die anderen zehn Katzen strichen traurig um ihn. Er war sehr beliebt. Blind von Geburt an war er stets sehr zärtlich zu seinen drei Geschwistern und allen anderen. Die stattliche Malta-Katze Fuchsi war sein Freund. Alle liegen in seiner Nähe und begleiten ihn mit ihrem Duft in den Katzenhimmel. Das zog sich hin bis Sylvester.

Dort ist schon seine Großmutter Lisa, die am gleichen vor drei Monaten verstarb und Schnecki, der stets „moigelnde“ Kater, der sich stets krank gefühlt hatte, der im Juli verstarb und nun ausgestopft auf der Anrichte sitzt. Er wird gerne von allen dort besucht und ist dem Katzenpapa ein Trost und Ermunterung, für die Überlebenden zu sorgen.

Nach Hartys Wiederbelebung untersuchte ich alle anderen zehn Katzen argwöhnisch und musste mit Entsetzen feststellen, dass mindestens sechs Katzen vergrößerte, schmerzfreie Nieren haben.

Ursächlich für die Massenvergiftung ist der bösartige Keim, Chlostridium perfringens der Anaerobier, der tödlichen Gasbrand verursacht, zuletzt starben sieben Menschen heuer am mit Stuhl verunreinigten „Lidl-Käse“. Erst Monate nach den unseren Todesfällen hatte ich den Keim nachgewiesen. Das  Antibiotikum Clindamycin hilft gegen die Spätschäden nun nicht mehr. Clostridium perfringens gilt nicht ohne Grund neben „Botox“ als wichtigstes bakteriologisches Terrorgift.

Durch die vielen Besuche beim Tierarzt und der Tierklinik der Universität kenne ich nun die Einstellung der heutigen Tiermedizin zu ernsten Erkrankungen. Ich würde seit 60 Jahren nicht mehr leben, wenn es mir damals so gegangen wäre wie heute in der Tierklinik. Reihenweise bringen Tierhalter ihr Liebstes mit offensichtlichen Problemen in die Klinik und tragen es eingeschläfert wieder nach Hause. Jeder erkannte Tumor bedeutet den sofortigen Chemietod.

Wenn ich bei meiner Befundung so vorgehen würde, müsste ich 98% der Einsender den Freitod raten. Offensichtlich kommen sie alle zu spät. Niemand hat Interesse, ihnen aus diesem Schlammassel zu helfen. Altruistische Hilfe finden die wenigsten. Objektiv gesehen, wäre für viele das Vorgehen wie in der Tiermedizin passend. Krankenkassen wären schlagartig nur noch für die seltenen Unfälle frei und blieben spottbillig. Soll ich mit meinen heißgeliebten Haustieren so umgehen, wie die Tiermedizin?

Nach dem Überleben meines Rheumatischen Herzmuskelschadens sagte mir meine Mutter als erfahrene Chefärztin der Kinderheilkunde: „Wenn Du mit deinem Vorschaden älter werden willst, musst du ein sehr guter Arzt werden, denn die Ärzte werden dir nicht viel helfen, wenn du wieder etwas krank wirst, du musst ein sehr, sehr guter Arzt werden!“

Heute weiß ich, dass die Annahme einer Erkrankung und ihr Aussitzen für die Durchhaltefähigkeit des Arztes zwar eine Herausforderung ist, aber nach ihrer Überwindung die eigene Kraft multipliziert. Jeder Schwerkranke gibt uns Kraft. Meine schwerkranken Katzen verstärken meine Widerstandskraft gegen meine eigenen, schwersten Krankheiten. Der Blick in die Augen meiner Katze Zebra, die auch demnächst an dieser scheußlichen Nierenkrankheit sterben wird, verstärkt meine Dankbarkeit, dass ich sie heute noch ganz fest lieben kann.

Würde ich mit ihr in die Tierklinik gehen, würden sie mich mit Engelszungen überreden zur Euthanasie. Ängstlich halte ich alle 11 Katzen zuhause und will sie in den Tod begleiten. Natürlich liegen Schmerzmittel für alle bereit – inklusive die letzte Spritze. Solange meine Tiere leben möchten, dürfen sie das und ich verschönere ihnen jede Sekunde.

Nicht eingebildet ist, dass auch meine Nieren vergrößert sind und schmerzen, der Urin riecht eklig. Auch hier warte ich auf das Ergebnis der Bakteriologie und trinke viel Wasser. „Wie so mir, so auch Dir“, sage ich meinen Katzen.

Im Ohrausstrich wegen Schmerzen hatte ich auch Clostridium perfringens.

Angesichts der sterbenden Katzen habe ich plötzlich wieder die Kraft für die vielen OPT von bald sterbenden, die wie sterbende Katzen nach einem Leckerli aus Chemikalien nach einer schönen Krone (Implantat) für ihren Sargnagel im Kiefer lechzen.

Da war das Einstürzen des Vordaches über dem Arbeitsplatz und Spielplatz der Katzen durch eine Schneelawine vom Dach fast eine Kleinigkeit, als bekannt war, dass niemand darunter verschüttet wurde.

Am Morgen des ersten Weihnachtsfeiertages kam der erschreckte Anruf eines alten Privatpatienten, der auf seinem Stuhlgang hellrotes Blut fand und dachte, sofort müsse er sterben. Mein Hinweis, dass die zu 99,9 % durch blutende innere Hämorrhoiden verursacht und meist völlig harmlos sei, beruhigte ihn sofort. Als positive Folge beendete er aber angesichts des nahenden Todes sofort seine lebenslange Unterdrückung und Missachtung seiner heute 50jährigen Tochter und bot an, sie wieder in seine Familie aufzunehmen. Im weiteren Verlauf bestätigte sich meine Beruhigung – obwohl man bei jemand, der jahrzehntelang bis zu meinem Machtwort krebsauslösenden Nickel-Chrom-Draht im Kiefer getragen hatte, nie weiß, wann der Krebs zuschlägt.

Ernste Krankheiten haben eine wundersame Heilwirkung auf Größenwahn und Egoismus. Niemand sollte sie missen. Jedermann sollte ihre Heilwirkung schätzen!

Oft finden wir nur unter Tränen zurück zu unseren Lieben.

Dies ist das Weihnachten der Alten, es ist genauso wertvoll wie der Taumel voll Geschenken der Jungen!

2009 Dreizehn Mitarbeiter beim Toxikologen Max [PDF; 9,7 MB]