1950 Suchtprophylaxe ist Schmerzmittel meiden

Als ich etwa 6 Jahre alt war, führte Vater mich feierlich an der Hand ins Sprechzimmer. Es war zu Weihnachten; ich erwartete  eine  Überraschung. Da öffnete Vater den weißen Glasmedikamentenschrank und holte eine vergilbte Packung Morphiumampullen heraus. Dem tief enttäuschten und uninteressierten Max (er kannte sie längst vom heimlich Suchen) erklärte er: Als Medizin-Angehöriger bekommst Du so etwas bei jedem kleinen Schmerz. Das hilft, aber es gehen damit nicht nur die Schmerzen, sondern auch all deine Probleme weg. Probleme sind aber in jedem Leben. Wenn du wieder einmal Probleme hast, dann willst du wieder ein Morphium. Das ist Sucht. Sucht macht die Medizin unmöglich. Ich weiß nicht warum, aber dies habe ich mir von Vater gemerkt und alle Drogen wie die Pest gemieden. Die Medizin wollte ich nie gefährden.


Wenn die Mutter Sonntagsdienst hatte, dann holte bei jedem zweiten Hausbesuch ein Morphinist die Notärztin. Sie wurde oft bedroht. Daher fuhr meist Vater ihre Besuche. Dabei fuhr ich oft mit, vorher hatte ich immer das Telefon bedient und alles aufgeschrieben. An einem Sonntagabend wurden wir in die Fuchsstraße in Schwabing in ein zerbombtes Einfamilienhaus in den notdürftig abgedichteten Keller gerufen. Dort wurde Vater mit einer Pistole bedroht, er solle dem beinamputierten Alkoholiker und Morphinisten Morphium spritzen. Er hatte jedoch nie Morphium dabei. Später erklärte mir Vater, wie sinnlos es sei, dass das Gesundheitsamt jedem Morphinisten eine große Menge Morphium zuteilt und trotzdem jeder Süchtige unzufrieden ist. Vierzig Jahre später wiederholen Unerfahrene diesen Unsinn mit Methadon bei Fixern- obwohl es einen traumhaften Entzug mit Naltrexon bei Fixern gibt, wie wir längst nachgewiesen und im Handbuch der Drogen veröffentlicht haben.

Binnen drei Tage ist damit ein Morphinist frei von Morphium -

wenn auch der körperliche Entzug 6 Stunden lang relativ heftig ist. Aber er ist nicht annähernd so schlimm wie eine Geburt, die ja viele weibliche Drogenabhängige schon hinter sich haben.

Danach folgt sechs Wochen lang der psychische Entzug, der in geringem Ausmaß ja das ganze Leben lang anhält.

(Auszug aus meiner neuen Biografie)