Sucht
geheime Tabletten
1,9 Millionen Deutsche sind von Tabletten abhängig
Betroffen sind vor allem Frauen und alte Menschen
Sie sind drogensüchtig und niemand merkt es: Rund 1,9
Millionen Deutsche kommen laut einer Studie des Münchner Instituts für
Therapieforschung (IFT: Mitbegründer Dr.Max Daunderer)
nicht mehr ohne Medikamente aus - Tendenz steigend. In Behandlung befinden sich
allerdings nur rund 2000 der Betroffenen.
Professor Michael Soyka,
Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der LMU, spricht
deshalb von „der klassischen geheimen Sucht“. Abhängig von Schmerz-, Schlaf-,
Aufputsch- oder Beruhigungsmitteln sind laut vor allem Frauen.
Rund 20,4 Prozent der weiblichen 18- bis 59-jährigen Bundesbürgerinnen
nehmen demnach Medikamente mit Suchtpotential zu sich (bei den Männern sind es
lediglich 13,3 Prozent). Erschreckend: Fast 11 Prozent der Frauen wissen nicht,
wie sie den Tag ohne Arzneimittel überstehen sollen (Männer: 7,9 Prozent).
„Medikamenten-Abhängigkeit ist die einzige Sucht, von der Frauen stärker
betroffen sind als Männer“, sagt auch AZ-Autor Michael Soyka.
Woran liegt`s? Sie neigen eher dazu, Pillen oder
Säfte zur generellen Lebensbewältigung einzusetzen, so das IfT.
„Angst und Depressionen treten bei Frauen öfter auf, deswegen bekommen sie auch
öfter Medikamente dagegen verschrieben“, sagt Soyka.
Ebenfalls stark gefährdet sind ältere Menschen. „Bei fast
jedem 9. der 50- bis 59-jährigen liegt problematischer Medikamentengebrauch vor“
warnt das IfT. Michael Soyka:
„Im Alter nehmen die körperlichen Beschwerden zu. Anstatt zur Krankengymnastik
zu gehen, schlucken viele Menschen lieber Tabletten.“
Und schlittern Pille für Pille in die Abhängigkeit - eine
Sucht, die schwer zu erkennen ist. Ursprüngliche Merkmale wie eine
Alkohol-Fahne oder Einstiche gibt es nicht.
„Und die Betroffenen merken oft selbst nicht, was mit
ihnen passiert. Schließlich senken Medikamente die Urteilsfähigkeit“, so der LMU-Experte.
Warnzeichen gebe es jedoch: Das so genannte „Doktorhopping“, bei dem der Abhängige mehrere Ärzte
parallel aufsucht, um sich stets dasselbe Mittel verschreiben zu lassen. „Wenn
jemand Pillen hortet und immer gleichgültiger wird, sind das auch Signale.“
Was die Süchtigen sich und ihrem Körper antun, merken sie
oft erst viel später.
Entweder, wenn sie eine langwierige und lediglich in der
Hälfte der Fälle erfolgreiche - Entziehungskur antreten. Oder, wenn ihre
Gesundheit sich verschlechtert. „Vor allem Schmerzmittel sind dafür bekannt,
dass sie die inneren Organe, insbesondere Leber und Niere angreifen“, berichtet
Michael Soyka.
Die Folgen können dramatisch sein: Nach Schätzungen der
Europäischen Gesellschaft für Dialyse haben bis zu 25 Prozent aller Patienten,
die heute auf ein Spender-Organ warten, ihre Niere durch den Missbrauch von
Schmerzmitteln geschädigt.
Hilfe bietet u.a. die
Fachambulanz für Suchterkrankungen,
Machtlfinger Str. 13,
Tel. 089-7244940
Quelle: AZ 30.11.05