Stromausfall langfristig Folgen

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Thomas Petermann • Harald Bradke • Arne LüllmannMaik Poetzsch • Ulrich Riehm

Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften - am Beispiel eines großräumigen und langandauernden Ausfalls der Stromversorgung

TAB-Arbeitsbericht Nr. 141. Berlin 2010, 264 Seiten

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CoverThomas Petermann • Harald Bradke • Arne LüllmannMaik Poetzsch • Ulrich Riehm »Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften - am Beispiel eines großräumigen und langandauernden Ausfalls der Stromversorgung«

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Dr. Thomas Petermann (Leitung)
buero@tab-beim-bundestag.de
Fon +49 30 28491-0

Zusammenfassung

In modernen, arbeitsteiligen und hochtechnisierten Gesellschaften erfolgt die Versorgung der Bevölkerung mit (lebens)notwendigen Gütern und Dienstleistungen durch ein hochentwickeltes, eng verflochtenes Netzwerk »Kritischer Infrastrukturen«. Dazu zählen u. a. Informationstechnik und Telekommunikation, Transport und Verkehr, Energieversorgung oder das Gesundheitswesen. Diese sind aufgrund ihrer internen Komplexität sowie der großen Abhängigkeit voneinander hochgradig verletzbar. Terroristische Anschläge, Naturkatastrophen oder besonders schwere Unglücksfälle haben nicht erst im zurückliegenden Jahrzehnt offenkundig gemacht, welche weitreichenden Folgen die Beeinträchtigung oder der Ausfall Kritischer Infrastrukturen für das gesellschaftliche System insgesamt haben können.

Aufgrund der nahezu vollständigen Durchdringung der Lebens- und Arbeitswelt mit elektrisch betriebenen Geräten würden sich die Folgen eines langandauernden und großflächigen Stromausfalls zu einer Schadenslage von besonderer Qualität summieren. Betroffen wären alle Kritischen Infrastrukturen, und ein Kollaps der gesamten Gesellschaft wäre kaum zu verhindern. Trotz dieses Gefahren- und Katastrophenpotenzials ist ein diesbezügliches gesellschaftliches Risikobewusstsein nur in Ansätzen vorhanden.

Mit einem Beschluss des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen¬abschätzung wurde das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) beauftragt, die Folgen eines langandauernden und großflächigen Stromausfalls systematisch zu analysieren. Zugleich sollten die Möglichkeiten und Grenzen des nationalen Systems des Katastrophenmanagements zur Bewältigung einer solchen Großschadenslage aufgezeigt werden.

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Katastrophenmanagement in Deutschland

Das hochentwickelte deutsche System des Katastrophenmanagements ist durch eine im Grundgesetz verankerte Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern geprägt. Als Folge einer Zweiteilung von Zivilschutz im Verteidigungsfall (Bund) und friedenszeitigem Katastrophenschutz (Länder) ergibt sich ein Politikfeld mit mehreren Ebenen sowie einer Vielzahl von Behörden (Bund, Länder, Kreise, Kommunen), Hilfsorganisationen und Unterstützungskräften.

In zahlreichen Gesetzen und Verordnungen sind Zuständigkeiten und Maßnahmen definiert. Eine wichtige Grundlage für das operative Katastrophenmanagement ist das Gesetz über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes. Mit dessen Neufassung vom 29. Juli 2009 wurde eine stärkere Verflechtung der Kapazitäten des Bundes und der Länder angestrebt. Der Bund ergänzt die Strukturen des Katastrophenschutzes der Länder in zahlreichen Bereichen. Zugleich sind die Einrichtungen und Kräfte der Länder auch zur Abwehr verteidigungsbezogener Gefahren einsetzbar. Mehrere Sicherstellungs- und Vorsorgegesetze eröffnen umfangreiche Optionen zur Steuerung knapper Strukturen, Waren und Dienstleistungen, beispielsweise in den Bereichen Ernährung, Verkehr, Post und Telekommunikation. Von besonderer Bedeutung sind zudem die Hilfeleistungs- und Katastrophenschutzgesetze der Bundesländer. Sie regeln insbesondere die Organisation und die Aufgaben der Katastrophenschutzbehörden und benennen die zu ergreifenden Maßnahmen bei der Katastrophenbekämpfung. Da nach Schätzungen 80 % der Kritischen Infrastrukturen in Privateigentum sind, wird eine Sicherheitspartnerschaft von Staat und Unternehmen angestrebt.

Für die Katastrophenbewältigung kann zusätzlich die Einbindung Deutschlands in das 2002 etablierte Gemeinschaftsverfahren zur Förderung einer verstärkten Zusammenarbeit bei Katastrophenschutzeinsätzen im Rahmen der Europäischen Union (EU) relevant werden. Auch hat Deutschland eine Vielzahl bilateraler Abkommen zur Katastrophenhilfe abgeschlossen.

Beim Eintritt eines Stromausfalls obliegt die Bewältigung der Folgen zunächst den örtlichen Behörden, Einrichtungen und Organisationen. Entsprechend der Lage (regional übergreifend) und der Entwicklung (langandauernd mit erheblichen Folgen) werden sukzessive die nächsthöheren Ebenen bis hin zu den Bundesministerien tätig. Somit liegt die Zuständigkeit bei der oberen Katastrophenschutzbehörde, die mit der (operativen) Durchführung der erforderlichen Maßnahmen die (lokalen) unteren Katastrophenschutzbehörden beauftragt.

Zur Abstimmung dieser heterogenen Akteurskonstellation mit ihren unterschiedlichen Führungs- und Kommunikationsstrukturen müssen im Fall eines regional ausgedehnten und langandauernden Stromausfalls auf allen Ebenen (Kommune, Land, Bund) Krisenstäbe einberufen werden. Eine länderübergreifende Koordination ist erforderlich, um die unterschiedlichen Aktivitäten der Hilfsorganisationen (z. B. Deutsches Rotes Kreuz, Malteser Hilfsdienst, Feuerwehren) und Unterstützungskräfte (Bundesanstalt Technisches Hilfswerk, Bundespolizei und Bundeswehr) zu koordinieren. Voraussichtlich wären aber auch zumindest koordinierende Aktivitäten des Bundes unabweisbar.

Dazu stehen unterstützend verschiedene Systeme und Verfahren der Informationsgewinnung, -verarbeitung und -verbreitung zur Verfügung – so etwa das internetbasierte deutsche Notfallvorsorge-Informationssystem (deNIS), das der Information der Bevölkerung (deNIS I) wie auch dem direkten (Informations-) Management von Großkatastrophen (deNIS II plus) dient. Ergänzend ermöglicht das »Satellitengestützte Warnsystem« (SatWaS) die bundesweite Verbreitung von Warnmeldungen an alle Lagezentren, Zivilschutzverbindungsstellen, Rundfunkanstalten und weitere Medien. Das gemeinsame Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern (GMLZ) dient wesentlich der Gewinnung eines einheitlichen Lagebilds.

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Folgen eines langandauernden und großflächigen Stromausfalls

Als Ursachen für einen langandauernden und regional übergreifenden Stromausfall kommen u. a. technisches und menschliches Versagen, kriminelle oder terroristische Aktionen, Epidemien, Pandemien oder Extremwetterereignisse infrage. Vielfach wird erwartet, dass künftig die Ausfallwahrscheinlichkeit größer wird, u. a. deshalb, weil die Gefahr terroristischer Angriffe und klimabedingte Extremwetterereignisse als Ursachen eines Netzzusammenbruchs zunehmen werden. Aufgrund der Erfahrungen mit bisherigen nationalen und internationalen Stromausfällen sind erhebliche Schäden zu erwarten. Bisherige Stromausfälle dauerten höchstens einige Tage, einige verursachten jedoch geschätzte Kosten von mehreren Mrd. US-Dollar. Für den Fall eines mehrwöchigen Stromausfalls sind die Schäden zu erwarten, die um Größenordnungen höher liegen.

Die verschiedenen Sektoren Kritischer Infrastrukturen sind umfassend von einer kontinuierlichen Stromversorgung abhängig. Unterstellt man das Szenario eines mindestens zweiwöchigen und auf das Gebiet mehrerer Bundesländer übergreifenden Stromausfalls, kämen die Folgen einer Katastrophe nahe. Dies wird im Folgenden des Näheren beschrieben.

Informationstechnik und Telekommunikation

Die Folgen eines großräumigen, langfristigen Stromausfalls für Informationstechnik und Telekommunikation müssen als dramatisch eingeschätzt werden. Telekommunikations- und Datendienste fallen teils sofort, spätestens aber nach wenigen Tagen aus.

In der komplexen Topologie der Informations- und Telekommunikationsnetze gibt es unterschiedliche Grade der Abhängigkeit von einer externen Stromversorgung: Bei der Festnetztelefonie fallen sofort das (digitale) Endgerät und der Teilnehmeranschluss aus, danach die Ortsvermittlungsstellen. Bei den Mobilfunknetzen sind es weniger die Endgeräte, die im aufgeladenen Zustand und bei mäßigem Gebrauch einige Tage funktionstüchtig sein können, sondern die Basisstationen, die die Einwahl in die Netze ermöglichen. Diese sind zumeist, bedingt durch das erhöhte Gesprächsaufkommen, binnen weniger Minuten überlastet oder fallen wegen nur kurzfristig funktionierender Notstromversorgung ganz aus.

Massenmedien sind für die Krisenkommunikation mit der Bevölkerung von besonderer Bedeutung. Zeitungsverlage und -druckereien verfügen teilweise über Notstromkapazitäten, sodass sie in gewissem Umfang zur Information der Bevölkerung beitragen können. Besser sind die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten auf einen Stromausfall vorbereitet und in der Lage zu senden. Jedoch können die Bürger ohne Strom mit ihren Fernsehgeräten keine Sendungen empfangen. Dadurch wird der Hörfunk, der über millionenfach in der Bevölkerung vorhandene akku- und batteriebetriebene Geräte empfangen werden kann, zu einem der wichtigsten Kanäle für die Information der Bevölkerung im Krisenfall.

Im Bereich der Kommunikation von Behörden ist aufgrund des gegenwärtigen Informationsstandes keine für alle Akteure und Netze gleichermaßen zutreffende Einschätzung möglich. Beispielsweise können die Kommunikationsnetze des Bundes, etwa der Informationsverbund Berlin-Bonn (IVBB) oder der Informationsverbund der Bundesverwaltung (IVBV), in der Regel zwei bis drei Tage mit NSA weiterbetrieben werden. Für eine funktionierende Kommunikation in der Breite ist dies allerdings nicht ausreichend.

Verletzbarkeit und Bewältigungskapazitäten

Die durch Bundeswehr, Technisches Hilfswerk (THW) oder Telekommunikationsunternehmen im Ereignisfall einsetzbaren mobilen notstromversorgten Funktechniken und leitungsgebundenen Kommunikationsmittel sind vermutlich in erster Linie für die eigenen Erfordernisse vorgesehen; für die Gewährleistung der Kommunikation von Behörden, Bevölkerung und Unternehmen in einem Großraum sind sie nicht ausgelegt.

Bereits in den ersten Tagen zeigt sich, dass das für einen Katastrophenfall vorgesehene und gesetzlich geforderte Mindestangebot an Telekommunikationsleistungen bei einem langandauernden und großflächigen Stromausfall durch die Telekommunikationsanbieter nicht erbracht werden kann. Die für zentrale Kommunikationseinrichtungen vorgehaltenen Reservekapazitäten wie »Unterbrechungsfreie Stromversorgung« (USV) und Notstromaggregate (NSA) sind nach wenigen Stunden oder Tagen erschöpft bzw. aufgrund ausgefallener Endgeräte wirkungslos.

Damit entfällt innerhalb sehr kurzer Zeit für die Bevölkerung die Möglichkeit zur aktiven und dialogischen Kommunikation mittels Telefonie und Internet. Die Vielzahl der strombetriebenen Netzwerkknoten, Vermittlungsstellen und Funkantennen der Festnetz- und Mobiltelefonie sowie des Internets macht deren flächendeckende Wiederinbetriebnahme praktisch unmöglich, da Tausende von Batteriespeichern geladen und Treibstofftanks versorgt werden müssten. Allenfalls an den Rändern des vom Stromausfall betroffenen Gebiets ist eine teilweise Reaktivierung einzelner Infrastrukturelemente denkbar. Darüber hinaus betrifft der Ausfall der Kommunikationsinfrastrukturen auch die Behörden und Einsatzkräfte, die verbleibende bzw. punktuell wieder hergestellte Möglichkeiten zur Kommunikation prioritär in Anspruch nehmen.

Eine nachhaltige Absicherung der Kommunikationsnetze, die es ermöglicht, über Wochen ein umfassendes Angebot an Dienstleistungen für die Kunden stabil zu halten, dürfte zurzeit wirtschaftlich und technisch nicht zu realisieren sein. Konzepte, die im Fall eines länger andauernden Stromausfalls zumindest ein definiertes minimales Versorgungsniveau bieten, sind – soweit ersichtlich – noch nicht entwickelt.

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Informations- und Handlungsbedarf

Die vorstehende Einschätzung der Verletzbarkeit sowie der Bewältigungskapazitäten des Sektors »Informationstechnik und Telekommunikation« im Fall eines langandauernden großflächigen Stromausfalls ist mit zahlreichen Unsicherheiten behaftet. Weiterer Informations- und Forschungsbedarf ist deshalb offensichtlich.

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Transport und Verkehr

Im Sektor »Transport und Verkehr« fallen die elektrisch betriebenen Elemente der Verkehrsträger Straße, Schiene, Luft und Wasser sofort oder nach wenigen Stunden aus. Dies betrifft sowohl die Transportmittel als auch die Infrastrukturen sowie die Steuerung und Organisation des entsprechenden Verkehrsträgers. Zu Brennpunkten werden der abrupte Stillstand des Schienenverkehrs und die Blockaden des motorisierten Individual- und öffentlichen Personennahverkehrs in dichtbesiedelten Gebieten. Während der Betrieb in Häfen weitestgehend zum Stillstand kommt, erweisen sich die Flughäfen als relativ robust und durchhaltefähig.

Der Straßenverkehr ist unmittelbar nach dem Stromausfall besonders in großen Städten chaotisch. Kreuzungen ebenso wie zahlreiche Tunnel und Schrankenanlagen sind blockiert, es bilden sich lange Staus. Es ereignen sich zahlreiche Unfälle, auch mit Verletzten und Todesopfern. Rettungsdienste und Einsatzkräfte haben erhebliche Schwierigkeiten, ihren Aufgaben, wie Versorgung und Transport von Verletzten oder Bekämpfung von Bränden, gerecht zu werden. Durch den Ausfall der meisten Tankstellen bleiben zunehmend Fahrzeuge liegen, der Motorisierte Individualverkehr (MIV) nimmt nach den ersten 24 Stunden stark ab. Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) kann wegen knappen Treibstoffs allenfalls rudimentär aufrechterhalten werden. Der Verkehr auf Autobahnen ist über die gesamte Dauer des Stromausfalls weniger betroffen.

Der Stromausfall bringt den stromversorgten Schienenverkehr abrupt zum Stillstand. Viele Menschen sind in U-Bahnen und Zügen der Bahn eingeschlossen. Leitstellen, Stellwerke und Sicherungstechnik sind in ihren Funktionen drastisch eingeschränkt. Die Beeinträchtigung des Schienenverkehrs bedeutet eine massive Behinderung der Mobilität der Bevölkerung.

Im Bereich des Luftverkehrs wird der Grundbetrieb von größeren Flughäfen durch Netzersatzanlagen und Treibstoffvorräte über die gesamte Dauer des Stromausfalls sichergestellt. Starts und Landungen können deshalb in begrenztem Umfang noch abgewickelt werden.

Die weitreichenden Folgen des Stromausfalls für den Schiffsverkehr zeigen sich insbesondere in den Häfen. Dort unterbricht der Stromausfall das Be- und Entladen der Schiffe, da z. B. Förderbänder oder die strombetriebenen Kräne nicht mehr funktionieren. Sämtliche Abläufe stocken, der gesamte Hafenbetrieb kommt zum Stillstand, Güterstaus entstehen. Während der Ausfall der Binnenhäfen sich vor allem regional auswirken wird, sind die Ausfälle der Seehäfen als Umschlagplätze nationaler und internationaler Güter deutschland- und sogar europaweit zu spüren.

Verletzbarkeit und Bewältigungskapazitäten

Die Folgen eines Stromausfalls treten abrupt auf und sind massiv. Aus einer Vielzahl von Unfällen, liegengebliebenen Zügen und U-Bahnen, umzulenkenden Flügen sowie Lkw- und Güterstaus in Häfen ergeben sich erhebliche Einschränkungen der Mobilität und des Gütertransports. Insbesondere in Metropolen und Ballungsräumen führen Staus und Unfälle im Straßenverkehr zu chaotischen Zuständen. Brandbekämpfung, Notrettung und Krankentransporte, Einsätze zur Sicherstellung der Notstromversorgung sowie eine Vielzahl weiterer Maßnahmen zur allgemeinen Schadensbewältigung werden erheblich behindert. Da alle Tankstellen ausgefallen sind, wird der Treibstoff für die Einsatzfahrzeuge knapp. Darüber hinaus drohen erhebliche Engpässe bei der Versorgung der Bevölkerung, beispielsweise mit Lebensmitteln oder medizinischen Bedarfsgütern.

Dementsprechend sind die Behörden und Hilfsorganisationen mit komplexen Herausforderungen konfrontiert. So muss vor Ort eine ausreichende Versorgung der Einsatzkräfte sowie der NSA von besonders sensiblen Komponenten der Kritischen Infrastrukturen (wie Einsatzleitstellen, Wasserwerke, Krankenhäuser) mit Treibstoff sichergestellt werden. Auch müssen durch Räumungen, Sperrungen und Fahrverbote wichtige Trassen des Straßen- und Schienenverkehrs für die Einsatzkräfte freigemacht und freigehalten werden. Schließlich gilt es, (überregionale) Transportachsen einzurichten sowie Transportkapazitäten bereitzustellen, um die Versorgung mit essenziellen Gütern, insbesondere über die Schiene, zu ermöglichen. Dazu müssen die zuständigen Behörden im Verlauf des Stromausfalls zusammen mit Logistikunternehmen und den Bahnbetreibern entscheiden, welche Strecken offen gehalten werden sollen und welche Maßnahmen für einen Notbetrieb umgesetzt werden müssen.

Im Teilsektor »Luftverkehr« können aufgrund einer aufwendigen Notstromversorgung aktuelle An- und Abflüge noch teilweise realisiert werden. Die Deutsche Flugsicherung wird aber schon bald Flugbewegungen reduzieren oder untersagen, und die Fluglinien leiten Flüge in das vom Stromausfall nichtbetroffene Gebiet um. In Flughäfen müssen noch ein Grundbetrieb aufrechterhalten, die Sicherheit auf dem Gelände gewährleistet sowie die noch wartenden Fluggäste versorgt werden. Zudem wird geprüft, inwiefern Versorgungsflüge, ggf. als Sichtflug, für die betroffene Bevölkerung möglich sind.

Angesichts der schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Binnen- und Seehäfen im Teilsektor »Wasser« versuchen die jeweiligen Hafenbehörden den Hafenbetrieb zu reduzieren, Staus aufzulösen, Schiffe sowie nichtbetroffene Häfen in Deutschland und Europa zu kontaktieren und mit den verantwortlichen Behörden zu kommunizieren, um den Güterverkehr umzulenken und über Straße und Schiene abzuwickeln. Die Feuerwehr und das THW kommen ggf. zum Einsatz, beispielsweise um eine temporäre Stromversorgung mit mobilen Aggregaten aufzubauen oder wenn es zu Gefahrenlagen im Zusammenhang mit gefährlichen Gütern kommt. Aufgrund der Ausfälle im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie wird es dabei zu erheblichen Schwierigkeiten kommen.

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Wasserversorgung und Abwasserentsorgung

Wasser ist als nichtsubstituierbares Lebensmittel und Garant für hygienische Mindeststandards eine unverzichtbare Ressource zur Deckung menschlicher Grundbedürfnisse. Wasser ist aber auch für Gewerbe, Handel, Industrie und öffentliche Einrichtungen von substanzieller Bedeutung. Die Wasserinfrastruktursysteme können ohne Strom bereits nach kürzester Zeit nicht mehr betrieben werden. Die Folgen ihres Ausfalls, insbesondere für die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser, wären katastrophal.

Im Bereich der Wasserversorgung wird elektrische Energie in der Wasserförderung, -aufbereitung und -verteilung benötigt. Besonders kritisch für die Gewährleistung der jeweiligen Funktion sind elektrisch betriebene Pumpen. Fallen diese aus, ist die Grundwasserförderung nicht mehr möglich, die Gewinnung von Wasser aus Oberflächengewässern zumindest stark beeinträchtigt. Zudem können Aufbereitungsanlagen und das Verteilsystem nur noch durch natürliche Gefälle gespeist werden, sodass erheblich weniger Wasser bereitgestellt und höher gelegene Gebiete gar nicht mehr versorgt werden können.

Die reduzierte Wasserversorgung wirkt sich auch auf die Abwasserentsorgung aus: So sinkt die anfallende Schmutzwassermenge, und es ändert sich die Zusammensetzung des Schmutzwassers. Deshalb besteht die Gefahr, dass sich durch das stark konzentrierte Abwasser in der Kanalisation Ablagerungen bilden und zu Verstopfungen und Geruchsbildung führen. Da die Abwasserhebepumpen oftmals nicht notstromgepuffert sind, kann anfallendes Abwasser aus den Kanälen austreten. Kläranlagen sind in der Regel mit Notstromerzeugungskapazitäten ausgerüstet, die einen Volllastbetrieb erlauben. Sollte die Notstromversorgung versagen, müssen die Abwassermengen vor dem Klärwerk abgeschlagen und in die Oberflächengewässer geleitet werden. Damit sind unmittelbare Umweltschäden verbunden.

Eine Unterbrechung der Wasserversorgung wirkt sich umfassend auf das häusliche Leben aus: Die gewohnte Körperpflege ist nicht durchführbar; für die Mehrzahl der Haushalte gibt es kein warmes Wasser. Das Zubereiten von Speisen und Getränken ist nur reduziert möglich, und die Toilettenspülung funktioniert nicht. Mit fortschreitender Dauer des Ausfalls ist mit einer Verschärfung der Probleme zu rechnen. Saubere Kleidung gibt es bald nicht mehr, und die hygienischen Zustände werden prekär. Toiletten sind verstopft. Es wächst die Gefahr der Ausbreitung von Krankheiten. Eine weitere, mittelbare Folge des Stromausfalls ist ein wachsendes Risiko von Bränden im industriellen Bereich etwa durch den Ausfall von Kühlungen und Prozessleitsystemen oder durch Versuche in den Haushalten, ohne Strom zu kochen, zu heizen oder zu beleuchten. Da als Folge der reduzierten oder ausgefallenen Wasserversorgung die Brandbekämpfung beeinträchtigt ist, besteht insbesondere in Städten wegen der hohen Besiedelungsdichte die Gefahr der Brandausbreitung auf Häuserblöcke und möglicherweise sogar auf ganze Stadtteile.

Verletzbarkeit und Bewältigungskapazitäten

Die Auswirkungen eines Stromausfalls auf die Wasserinfrastruktursysteme sind in Deutschland örtlich sehr heterogen. Dennoch lässt sich sagen, dass ein Großteil der in den Netzen und auf Anlagen vorhandenen Trink- und Abwasserspeicher sowie Notstromkapazitäten allenfalls auf die Überbrückung wenige Stunden dauernder Versorgungsstörungen ausgelegt ist.

Zur Bewältigung der unmittelbaren und mittelbaren Folgen eines Stromausfalls sind Maßnahmen mit hohem personellem, organisatorischem, zeitlichem und materiellem Aufwand erforderlich. Dazu gehören die Versorgung der Bevölkerung durch Rückgriff auf Notbrunnen (5.200 in Deutschland) und der Einsatz mobiler Sanitärwagen. Weitere Maßnahmen betreffen die Aufrechterhaltung eines Betriebszustands der Ver- und Entsorgungsnetze auf einem niedrigen Leistungsniveau durch Überbrückung und funktionellen Ersatz einzelner stromabhängiger Komponenten und Anlagen. Dies erfordert insbesondere den mobilen Einsatz von NSA. Diese müssen an wechselnden Positionen betrieben werden, wie z. B. an Hebeanlagen in der Kanalisation oder bei den elektrischen Pumpen der Wasserversorgung. Solange eine Notstromversorgung verfügbar ist, kann die Wasserversorgung mit begrenzter Leistung, eingeschränkter Verfügbarkeit im Leitungsnetz und/oder reduzierter Trinkwasserqualität betrieben werden. Die Trinkbarkeit des Wassers lässt sich dann auf Abnehmerseite, z. B. durch Entkeimungsmittel, herstellen. Ob diese Maßnahmen zur Katastrophenbewältigung – insbesondere angesichts der knappen Kapazitäten bei NSA – für einen längeren Zeitraum tragfähig sind, ist zweifelhaft.

Informations- und Handlungsbedarf

Angesichts der überragenden Bedeutung der Wasserinfrastruktursysteme für die Versorgung der Bevölkerung sollten Sicherheitskonzepte fortentwickelt werden. Zwar enthält das Regelwerk des Deutschen Verbands für das Gas- und Wasserfach bereits zahlreiche Elemente des Trinkwassersicherheitskonzepts der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Da aber der Aspekt der Risikoabschätzung in den Bereichen Wassergewinnung, -aufbereitung, -speicherung und -verteilung noch kaum implementiert ist, besteht Bedarf an Analysen, um Priorisierungen hinsichtlich zu entwickelnder Maßnahmen zu ermöglichen. Bezüglich vorliegender Vulnerabilitätsanalysen ist festzustellen, dass Auswirkungen eines langanhaltenden Stromausfalls auf die Wasserinfrastruktur bisher nicht modellgestützt untersucht worden sind. Als besonders geeignet könnten sich Modelle erweisen, die das Wasserinfrastruktursystem als einen Bestandteil eines Geflechts von interagierenden Infrastrukturen auffassen. Ergebnisse könnten beim Aufbau eines vorbeugenden Katastrophenmanagementsystems hilfreich sein.

Aspekte der Vulnerabilität und Resilienz sollten verstärkt in Planungen für zukünftige Systeme integriert werden. Zum Beispiel wird im Bereich der Abwasserbehandlungsanlagen bereits verstärkt Forschung und Entwicklung mit dem Ziel einer Steigerung der Energieeffizienz und der Eigenenergieproduktion durch Faulgasverstromung in Blockheizkraftwerken (BHKW) betrieben. Durch deren weiteren Ausbau wäre schon bei heutigem Stand der Technik eine autarke Energieeigenversorgung denkbar. Eine Inselnetztauglichkeit der dezentralen Stromerzeuger könnte einen Beitrag zu einer verbesserten Resilienz des Sektors nach dem Stromausfall leisten. Ziel solcher Systeme sollte sein, die Kläranlagen sicher und unkompliziert in einen autarken Betriebszustand zu versetzen. Energieautarkie und Inselnetztauglichkeit wären auch für die Wasserwerke als zentrale Elemente der Infrastruktur anzustreben.

Kurzfristig besteht Bedarf, Verbesserungen an nichtsystemischen Sicherheitskonzepten vorzunehmen. So gibt es bei Kläranlagen noch erhebliche Defizite in der Ausstattung mit Systemen zur unterbrechungsfreien Stromversorgung, bei Notstromaggregaten und in der Ausstattung mit Betriebsmitteln (z.B. Diesel) für einen längeren Zeitraum.

Im Bereich Brandschutz ergeben sich Möglichkeiten der Vulnerabilitätssenkung beispielsweise durch die Entwicklung und den Einsatz neuer Technologien, die durch effektiveren Löschwassereinsatz zu einer Senkung des Wasserbedarfs führen.

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Lebensmittel

Der Sektor Lebensmittel umfasst die komplexe Versorgungskette von der Rohstoffproduktion bis zur Abnahme von Fertigerzeugnissen durch den Endverbraucher. Als Folge des Stromausfalls ist die Versorgung mit Lebensmitteln erheblich gestört; deren bedarfsgerechte Bereitstellung und Verteilung unter der Bevölkerung werden vorrangige Aufgaben der Behörden. Von ihrer erfolgreichen Bewältigung hängt nicht nur das Überleben zahlreicher Menschen ab, sondern auch die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Aufgrund fehlender Klimatisierung und Durchlüftung kommt es innerhalb der ersten Tage zu Schäden in der Unterglasproduktion von Obst und Gemüse sowie an Lagergut. In der Tierhaltung werden die für Leben und Gesundheit der Tiere wichtigen Funktionen in der Stalltechnik zunächst durch (vorgeschriebene) NSA aufrechterhalten. Der Ausfall der weiteren Stall- und Melktechnik beeinträchtigt jedoch das Wohlbefinden der Tiere und kann bei Milchvieh zu Euterentzündun-gen und in der Folge zum Tod führen. Sobald der Treibstoffvorrat für die NSA erschöpft ist, was zumeist nach 24 Stunden der Fall ist, leiden die Tiere unter der manuell nicht zu leistenden Versorgung mit Futter, Wasser und Frischluft. Am problematischsten ist die Versorgung von Schweinen und Geflügel in Beständen mit mehreren Tausend Tieren. Unter diesen Bedingungen überleben die Tiere oft schon die ersten Stunden nicht.

Die weiterverarbeitende Lebensmittelindustrie fällt zumeist sofort aus, sodass die Belieferung der Lager des Handels unterbrochen wird. Diese halten zwar umfangreiche Lebensmittelbestände vor, allerdings überwiegend in Form von (Tief-) Kühlprodukten. Nur wenige Lager können die erforderliche Notstromversorgung länger als zwei Tage aufrechterhalten. Dadurch werden auch der Warenumschlag und damit die Versorgung der Filialen massiv beeinträchtigt. Dort leeren sich die Regale innerhalb weniger Tage.

Verletzbarkeit und Bewältigungskapazitäten

Der Lebensmittelhandel erweist sich angesichts der erhöhten Nachfrage als das schwächste Glied der Lebensmittelversorgung. Schon nach wenigen Tagen ist mit ernsthaften Engpässen bei der Lebensmittelversorgung zu rechnen. Mit dem Ziel der Katastrophenbewältigung könnten die Behörden u.a. folgende Maßnahmen ergreifen:

Trotz größter Anstrengungen kann aber mit hoher Wahrscheinlichkeit die flächendeckende und bedarfsgerechte Verteilung der Lebensmittellieferungen nur ungenügend gewährleistet werden. Eine Kommunikation über Vorrat und Bedarf zwischen Zentrale, Lager und Filiale ist wegen des Ausfalls der Telekommunikationsverbindungen erheblich erschwert. Das behördliche Katastrophenmanagement leidet erheblich unter dem Fehlen eines einheitlichen Lagebilds, sodass auch eine länderübergreifende Planung und Koordinierung von Maßnahmen drastisch erschwert sind.

Informations- und Handlungsbedarf

Ansatzpunkte für eine vorsorgende Stärkung der Resilienz des Sektors wären vor allem die regionalen Zentrallager des Handels sowie u. U. ausgewählte Filialen. Diese könnten mit einer robusten Notstromversorgung ausgestattet werden. Sind Stromeinspeisepunkte vorhanden, wäre der Einsatz mobiler Aggregate eine Option, die dann aber für längere Zeit sichergestellt werden müsste. Eine weitere Handlungsperspektive läge in einer auf regenerativen Energien basierten Eigenstromversorgung der Zentrallager, die ein hohes Maß an Autarkie ermöglichen würde.

Geprüft werden könnten öffentlich-private Sicherheitspartnerschaften zur Stärkung der Resilienz des Sektors. Ausgangspunkt könnte beispielsweise ein Konzept sein, bei dem im Rahmen einer Absprache mit dem Handel angestrebt würde, je 10.000 Einwohner eine katastrophentaugliche Filiale und in jedem Bundesland ein Lebensmittellager vorzusehen, die mit umfassenden Beständen, Kommunikationsmitteln und NSA ausgestattet werden. An geeigneten Standorten kämen auch inselnetzfähige dezentrale Stromerzeuger, die regenerative Energiequellen nutzen, infrage. Diese würden in eine zentrale Datenbank aufgenommen, mit deren Hilfe im Katastrophenfall Behörden und Unternehmen Lieferungen koordinieren.

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Gesundheitswesen

Nahezu alle Einrichtungen der medizinischen und pharmazeutischen Versorgung der Bevölkerung sind von Elektrizität unmittelbar abhängig. Das dezentral und hocharbeitsteilig organisierte Gesundheitswesen kann den Folgen eines Stromausfalls daher nur kurz widerstehen. Innerhalb einer Woche verschärft sich die Situation derart, dass selbst bei einem intensiven Einsatz regionaler Hilfskapazitäten vom weitgehenden Zusammenbrechen der medizinischen und pharmazeutischen Versorgung auszugehen ist.

Bereits nach 24 Stunden ist die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens erheblich beeinträchtigt. Krankenhäuser können mithilfe von NSA noch einen eingeschränkten Betrieb aufrechterhalten, Dialysezentren sowie Alten- und Pflegeheime aber müssen zumindest teilweise geräumt werden und Funktionsbereiche schließen. Die meisten Arztpraxen und Apotheken können ohne Strom nicht mehr weiterarbeiten und werden geschlossen.

Arzneimittel werden im Verlauf der ersten Woche zunehmend knapper, da die Produktion und der Vertrieb pharmazeutischer Produkte im vom Stromausfall betroffenen Gebiet nicht mehr möglich sind und die Bestände der Krankenhäuser und noch geöffneten Apotheken zunehmend lückenhaft werden. Insbesondere verderbliche Arzneimittel sind, wenn überhaupt, nur noch in Krankenhäusern zu beziehen. Dramatisch wirken sich Engpässe bei Insulin, Blutkonserven und Dialysierflüssigkeiten aus.

Verletzbarkeit und Bewältigungskapazitäten

Der dezentral strukturierte Sektor ist schon nach wenigen Tagen mit der eigenständigen Bewältigung der Folgen des Stromausfalls überfordert. Die Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens wird nicht nur durch die zunehmende Erschöpfung der internen Kapazitäten, sondern auch durch Ausfälle anderer Kritischer Infrastrukturen reduziert. Defizite bei der Versorgung, beispielsweise mit Wasser, Lebensmitteln, Kommunikationsdienstleistungen und Transportdienstleistungen, verstärken die Einbrüche bei Umfang und Qualität der medizinischen Versorgung.

Die Rettungsdienste können nur noch begrenzt für Transport- und Evakuierungseinsätze eingesetzt werden. Sie sind durch die Beeinträchtigungen der Kommunikationsinfrastruktur von Notrufen der Bevölkerung weitgehend abgeschnitten. Auch ist die Koordination der Einsätze erheblich erschwert. Probleme bereitet auch die schwindende Verfügbarkeit von Treibstoff. Die präklinische medizinische Versorgung ist deshalb massiv beeinträchtigt.

Der Zusammenbruch der in Krankenhäusern konzentrierten Versorgung droht. Einige Krankenhäuser können zunächst eine reduzierte Handlungsfähigkeit bewahren und sind dadurch zentrale Knotenpunkte der medizinischen Versorgung. Sie verfügen meistens noch über einen gewissen Bestand an Medikamenten sowie ausreichend Personal und Treibstoff. Medizinisches Personal der ambulanten Versorgung unterstützt die Arbeit der Krankenhäuser. Jedoch führt diese verhältnismäßig gute Ausstattung auch dazu, dass dann, wenn andere Einrichtungen (wie Alten- und Pflegeheime, Dialysezentren) geräumt werden müssen, auf Krankenhäuser ausgewichen wird, sodass der Zusammenbruch der noch vorhandenen Kapazitäten droht. Zwar ist in den Notfallplänen der Krankenhäuser die Entlassung möglichst vieler Patienten vorgesehen. Doch können wegen der katastrophalen Zustände außerhalb der Kliniken allenfalls Patienten entlassen werden, die sich selbstständig versorgen können. Auch erste Hilfeleistungen seitens der Bundeswehr im Rahmen der »Zivil-Militärischen Zusammenarbeit« (ZMZ) sorgen allenfalls punktuell für Entlastung.

Spätestens am Ende der ersten Woche wäre eine Katastrophe zu erwarten, d. h. die gesundheitliche Schädigung bzw. der Tod sehr vieler Menschen sowie eine mit lokal bzw. regional verfügbaren Mitteln und personellen Kapazitäten nicht mehr zu bewältigende Problemlage. Ohne weitere Zuführung von medizinischen Gütern, Infrastrukturen und Fachpersonal von außen ist die medizinisch-pharmazeutische Versorgung nicht mehr möglich.

Informations- und Handlungsbedarf

Krankenhäuser spielen als Ankerpunkte der medizinischen Versorgung der Bevölkerung eine zentrale Rolle. Zwar kann ihnen eine gewisse Robustheit zugebilligt werden, diese wird aber nicht ausreichen, um die Ausfälle aller weiteren Einrichtungen – insbesondere der dezentralen ambulanten Versorgung – zu kompensieren. Für die zumeist vorhandenen NSA muss deshalb eine kontinuierliche Nachführung von Treibstoff sichergestellt werden. Dazu kämen in begrenztem Umfang die Vorhaltung von Treibstoff auf dem Gelände oder Vereinbarungen mit Lieferanten (die Lieferungen angesichts der allgemeinen Folgen des Stromausfalls wahrscheinlich kaum realisieren könnten) infrage. Einspeisepunkte für die Notstromversorgung wären grundsätzlich bereits bei der Planung vorzusehen. Schließlich sollten Krankenhäuser als prioritär Berechtigte für die Zuteilung von Treibstoff durch die Katastrophenschutzbehörde bestimmt werden. Ein weiter gehender Ansatzpunkt ist die Gewinnung eines möglichst hohen Grades an Energieautarkie und Inselnetzfähigkeit, wie in Kliniken im Ansatz bereits vielfach im Rahmen von Umweltschutzbemühungen und Maßnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs realisiert. Zur Sicherstellung der Trinkwasserversorgung von Krankenhäusern sollten verstärkt Möglichkeiten zur Aufbereitung bzw. zum Transport des Wassers aus Notbrunnen zu den Krankenhäusern bzw. Behelfskrankenhäusern geprüft werden.

Eine verbesserte Bevorratung von Sanitätsmitteln könnte zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit erheblich beitragen. Es könnte auch erwogen werden, im Arzneimittelgesetz weitere Ausnahmeregelungen für Notfälle und Katastrophen vorzusehen. Ziel müssten praxisnahe Regelungen für den langandauernden Katastrophenfall und die Versorgung der Bevölkerung sein. Schließlich erscheint es unabweisbar, Hersteller und Großhandel sowie Apotheken in die Katastrophenbewältigung einzubeziehen. Voraussetzung wäre dabei, dass die genannten Akteure Vorsorge für Herstellung und Verteilung bei einem längeren Stromausfall zu treffen hätten. Dazu müsste geprüft werden, in welcher (rechtlichen) Form dies umsetzbar sein könnte.

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Finanzdienstleistungen

Selbst bei einem großflächigen und langandauernden Stromausfall zeigt sich das Finanzdienstleistungssystem in einzelnen Teilsektoren als relativ robust. Nach Einschätzungen von Experten sind der Daten- und Zahlungsverkehr zwischen den Banken, den Clearingorganisationen und den Börsen, die Datenhaltung sowie weitere kritische Geschäftsprozesse über eine lange Zeit durch Notstromversorgung gewährleistet bzw. können in ein nichtbetroffenes Gebiet ausgelagert werden. Auch im Börsensystem sind die für einen Katastrophenfall geplanten Maßnahmen in technischer, personeller und organisatorischer Sicht ausreichend, um den Betrieb im Wesentlichen über die gesamte Dauer des Stromausfalls sicher¬zustellen.

Verletzbarkeit und Bewältigungskapazitäten

Weniger robust sind die Kommunikationswege zwischen den Banken, Clearingorganisationen und Handelsplätzen einerseits und den Personen und Unternehmen, die Finanzdienstleistungen nachfragen, andererseits. Wegen des Ausfalls der Telefonnetze und des Internets besteht im betroffenen Gebiet nach kurzer Zeit keine Möglichkeit mehr, Finanzdienstleistungen abzuwickeln. Viele Banken, die nach dem Eintritt des Stromausfalls noch geöffnet bleiben, schließen nach einigen Tagen. Da auch die Geldautomaten ausgefallen sind, droht die Bargeldversorgung der Bevölkerung zu kollabieren. Es ist anzunehmen, dass es hierdurch und durch den Ausfall elektronischer Zahlungsmöglichkeiten in Geschäften und Banken mit der Zeit zu Unmut und teils zu aggressiven Auseinandersetzungen kommt, da es für die Bevölkerung keine Bezahlmöglichkeiten mehr gibt.

Als Achillesferse des Sektors erweisen sich die fehlenden elektronischen Bezahlmöglichkeiten sowie die versiegende Bargeldversorgung der Bevölkerung. Aus diesem Grund verstärkt sich die Unsicherheit in der Bevölkerung: Die Menschen haben Angst, sich nicht mehr mit Nahrungsmitteln und anderen Gütern des täglichen Bedarfs versorgen zu können. Die Information der Kunden und eine angemessene Risikokommunikation in Abstimmung mit den Katastrophenschutzbehörden werden deshalb immer wichtiger.

Informations- und Handlungsbedarf

Die Deutsche Bundesbank steht vor der Aufgabe, in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und Einsatzkräften des Bevölkerungsschutzes, zumindest eine rudimentäre Bargeldversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Hierzu müssten die Banken einbezogen werden. Für Anlieferung und Ausgabe von Bargeld wäre ein umfassendes Organisations- und Logistikkonzept erforderlich. Auch müsste ein erweitertes Sicherheitskonzept entwickelt werden, da fraglich ist, ob die privaten Sicherheitsdienstleister die intensive Auslieferung von Bargeld ausreichend absichern könnten.

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Fallbeispiel »Gefängnisse«

Durch NSA können Justizvollzugsanstalten (JVA) zunächst die Hauptfunktionen des Betriebs zunächst aufrechterhalten. Dies sind primär die Sicherung der Gefangenen und die Grundversorgung (Beleuchtung, Lüftung, Heizung). Die erste Phase des Stromausfalls ist am chaotischsten. Besonders problematisch ist ein Stromausfall am Tag, da eine große Zahl von Gefangenen außerhalb der Zellen ist. Sämtliche nicht mit Notstrom versorgte Sicherheitselemente, Anlagen der Gebäudetechnik sowie EDV-Anlagen und Kommunikations¬mittel stehen nicht mehr zur Verfügung. Dies macht den Dauereinschluss der Gefangenen erforderlich. Neben der daraus resultierenden psychischen Belastung zeigen sich bei Gefangenen durch schlechter werdende hygienische Verhältnisse, ungenügende Nahrungsmittelversorgung sowie fehlende Heizung gesundheitliche Probleme.

Auch das Personal der JVA ist zunehmend belastet und übermüdet. Zudem kommen Teile des Personals aufgrund der Verkehrsprobleme zu spät oder gar nicht zur Arbeit. Dadurch wächst insgesamt die Gefahr von Gehorsamsverweigerungen und Unruhen. Bedingt durch die Auswirkungen des Stromausfalls auf andere Sektoren ist nicht von einer Entlastung durch Polizeikräfte und andere Unterstützungskräfte auszugehen. Die Sicherstellung der Versorgung der NSA hat nun die höchste Priorität. Nur dadurch sind ein (reduzierter) Betrieb und eine adäquate Überwachung der Gefangenen möglich. Selbst wenn dies gelingt, entsteht zunehmend – insbesondere durch hygienische, medizinische und weitere Versorgungsprobleme – eine kaum zu bewältigende Lage. Die Situation verschärft sich, sollte die Zahl der Häftlinge aufgrund wachsender Kriminalität und Verhaftungen im betroffenen Gebiet steigen.

Verletzbarkeit und Bewältigungskapazitäten

Die Treibstoffreserven der JVA vor Ort reichen voraussichtlich nur für wenige Tage. Für die Sicherstellung der Notstromversorgung sind also die Verfügbarkeit mobiler NSA bzw. die Lieferung zusätzlicher Treibstoffmengen zwingend notwendig. Ist die Notstromversorgung gefährdet, scheint eine Verlegung der Gefangenen in andere JVA, die sich außerhalb des betroffenen Gebiets befinden und deren Belegungskapazität nicht überschritten ist, nahezu unumgänglich.

Selbst bei funktionierendem Notstrom wird die Durchhaltefähigkeit einer JVA aufgrund von Sicherheits- und Gesundheitsproblemen nach wenigen Tagen infrage stehen. Deshalb, und weil die Gefahr von Ausbrüchen droht, muss über eine Räumung der JVA entschieden und diese in die Wege geleitet werden. Dabei könnten massive Koordinationsprobleme aufgrund ausgefallener Festnetz- und Mobilfunktelefonie auftreten. Es ist ferner fraglich, ob ausreichende und geeignete Transportkapazitäten einschließlich des hierfür erforderlichen Sicherungspersonals abrufbar sind.

Informations- und Handlungsbedarf

Explizite gesetzliche Regelungen zur Notstromversorgung in JVA sind nicht erkennbar. Ob auf der Ebene der Verwaltungsvorschriften, als Folge der Katastrophenschutz- und Hilfeleistungsgesetze der Bundesländer, einschlägige Maßgaben vorliegen, konnte nicht sicher geklärt werden. Unklar ist ferner, ob ein länger andauernder Stromausfall Teil von Notfallplänen der JVA oder von Alarm- und Einsatzplänen der unteren Katastrophenschutzbehörde ist und ob entsprechende Übungen unter Einbezug externer Unterstützungskräfte stattfinden. Weiterer Informations- sowie rechtlicher Klärungsbedarf ergibt sich für möglicherweise notwendig werdende außergewöhnliche Maßnahmen, wie die Nichtaufnahme von Freigängern oder die gezielte Entlassung (»Hafturlaub«) bestimmter Gruppen von Gefangenen.

Die sektorbezogene Perspektive bei der Folgenanalyse hat offenkundig gemacht, wie begrenzt die Kapazitäten zur Folgenbewältigung sind. Zudem werden durch die signifikante gegenseitige Abhängigkeit der Sektoren die Durchhaltefähigkeit weiter reduziert und die Möglichkeiten für das Hilfeleistungssystem eingeschränkt. Im Folgenden wird diese Einschätzung nochmals untermauert, und es werden einige sektorübergreifende Schlussfolgerungen gezogen.

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Verhalten

Bricht die Stromversorgung zusammen, sind alltägliche Handlungen infrage gestellt und gewohnte Kommunikationswege größtenteils unbrauchbar. Die damit verbundenen Gefährdungen und Ungewissheiten verunsichern die Bürger und erschüttern ihre Überzeugung von der Kontrollierbarkeit ihrer Lebensbedingungen. Dies wird dadurch verstärkt, dass der Stromausfall die Betroffenen unvorbereitet und unter der Bedingung der zeitlichen Unbestimmtheit trifft. Stockt die Versorgung, fehlen Informationen und beginnt die öffentliche Ordnung zusammenzubrechen, entstehen Ohnmachtsgefühle und Stress.

Die aus Angst und Ungewissheit resultierenden Folgen für das Verhalten der Menschen sind keinesfalls homogen. Vielmehr ist zu erwarten, dass ein breites Spektrum unterschiedlicher und teils widersprüchlicher Reaktionen auftreten wird. Manche Individuen und Gruppen fallen hinter die etablierten Normen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zurück. Sie werden rücksichtsloser, aggressiver und gewaltbereiter. Die Bereitschaft zu helfen kann abnehmen. Andererseits werden auch Reaktions- und Verhaltensformen wie Kooperation, Empathie und Hilfsbereitschaft zutage treten, wodurch die Betroffenen das Gefühl der Bewältigbarkeit der Katastrophe gewinnen.

Die Mitglieder der Hilfsorganisationen erleben die Folgen des Stromausfalls als extremen Stress sowie als hohe körperliche und psychische Belastung. Fehlende Ressourcen und unzureichende Koordinierung vor Ort, aber auch unterschiedliche Organisationskulturen können fehlerhaftes Gefahrenverhalten verursachen, eine effiziente Kommunikation und Zusammenarbeit der Einsatzkräfte erschweren oder sich zu Konflikten zwischen den Helfern zuspitzen.

Das Verhalten von Gruppen und Individuen in einem Katastrophenfall ist ein noch nicht ausreichend erschlossener Untersuchungsgegenstand. So fehlen Analysen zum Schutz-, Flucht- und Unterstützungsverhalten der Bevölkerung sowie zur Belastungsakkumulation in langandauernden Bedrohungslagen. Zugleich existiert hierzu aber eine Reihe von weitgehend fragwürdigen Annahmen – insbesondere zu erwartbarem, überwiegend unsozialem, apathischem oder panikartigem Verhalten der Bevölkerung. Deshalb wäre hier weitere Aufklärung – insbesondere zu den möglichen Hilfeleistungspotenzialen der Bevölkerung in Katastrophensituationen – erforderlich. Durch differenzierte Forschungsbemühungen könnte am Beispiel Stromausfall ein Beitrag zur Analyse des in der Katastrophenforschung wenig thematisierten menschlichen Bedrohungs- und Fehlverhaltens und seiner Ursachen geleistet werden. Dabei sollte auch das Verhalten von Helfern Untersuchungsgegenstand sein. Informations- und Forschungsbedarf ist vor allem bei der interorganisatorischen Kommunikation und Kooperation zu sehen. Welches fördernde und hemmende Faktoren der Kommunikation sind, sollte durch verstärkte sozialwissenschaftliche und interdisziplinäre Analysen weiter erhellt werden.

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Rechtliche Aspekte der Katastrophenbewältigung

Die durch den Stromausfall induzierten Folgen und Folgeketten führen zu einer Situation, in der das Leben, die körperliche Unversehrtheit und Sicherheit der Bevölkerung hochgradig gefährdet sind sowie großer materieller Schaden entsteht. Es entwickelt sich eine Gefahren- und Schadenslage, in der überregionale Ressourcen mobilisiert werden müssen, damit der Staat seiner Schutzpflicht genügen kann. Auf rechtlicher und administrativer Ebene sind durch den Gesetz- und Verordnungsgeber entsprechende Voraussetzungen geschaffen worden.

Beispielsweise könnten auf Basis verschiedener Vorsorgegesetze, Bewältigungskapazitäten zur Unterstützung regionaler Kapazitäten aktiviert werden. Eröffnet würden dann beispielsweise folgende Optionen:

Zur Sicherstellung der Kraftstoffversorgung kann das BMWi auf Grundlage des Erdölbevorratungsgesetzes eine Verordnung zur Freigabe der Bestände erlassen. Kraftstoff könnte über das Schienennetz mittels dieselbetriebener Fahrzeuge oder durch Tankkraftwagen verfügbar gemacht und verteilt werden.

Zusammen mit weiteren Landesgesetzen und -verordnungen sowie behördlichen Ausführungsbestimmungen sind umfassend und differenziert für spezifische wie sektorenübergreifende Erfordernisse die notwendigen Voraussetzungen für die Mobilisierung von Bewältigungskapazitäten, auch von außerhalb des betroffenen Gebiets, geschaffen worden.

Zugleich erscheint diese Vielfalt der Rechtsmaterien überkomplex und wenig abgestimmt. Beispielsweise sind die rechtlichen Grundlagen für das Katastrophenmanagement im Sektor »Gesundheitswesen« in mindestens elf Bundes- und Landesgesetzen sowie zehn Verordnungen bzw. Verwaltungsvorschriften zu finden. Diese Vielzahl von Instrumenten muss von den zuständigen Akteuren auf den verschiedenen Ebenen sachlich angemessen, zum richtigen Zeitpunkt und aufeinander abgestimmt eingesetzt werden. Dies kann nur gelingen, wenn in den Krisenstäben kompetentes Fachpersonal agiert, ein gemeinsam geteiltes Verständnis der Regelungsmaterien herrscht sowie vorausschauend Vorkehrungen getroffen werden, dass die Gesetze und Verordnungen optimal angewendet werden. Diese Voraussetzungen dürften noch nicht vollständig geschaffen sein.

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Private Sicherheitspartner

Die Aufgabe eines gutkoordinierten Notfall- und Krisenmanagements wird noch komplexer dadurch, dass relevante nichtbehördliche Akteure einbezogen werden müssen. Dazu zählen neben den Energieversorgungsunternehmen zahlreiche weitere Unternehmen, beispielsweise die Informations- und Kommunikationsunternehmen, die Lebensmittelwirtschaft oder das Sicherheitsgewerbe. Deren Vielzahl und Heterogenität erschweren diese Aufgabe erheblich. So muss man sich vergegenwärtigen, dass es beispielsweise im Sektor »Wasser« 5.200 Versorger und 5.900 Entsorger oder im Sektor »Informationstechnik und Telekommunikation« 3.000 Anbieter von Dienstleistungen gibt. Diese operieren teils lokal, teils überregional und weisen ganz unterschiedliche Kompetenzen und Kapazitäten bezüglich des Krisenmanagements auf. Aufgrund der Vielzahl und Heterogenität der potenziellen Sicherheitspartner der Behörden ist zu vermuten, dass hier noch weiterer Optimierungsbedarf bei der Gewinnung von privaten Sicherheitspartnern auf Kreis- und Landesebene und deren Integration in die Krisenprävention und -bewältigung besteht.

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Vernetzte Katastrophenbewältigung - Kommunikation und Koordination

Zur Erstellung eines einheitlichen Lagebilds sowie zur Koordination der zahlreichen regionalen und überregionalen Krisenstäbe und Einsatzleitungen sind moderne Informations- und Kommunikationstechnologien nahezu unentbehrlich. Infolge des Ausfalls der Stromversorgung kann aber kaum noch auf die öffentlichen Kommunikationsinfrastrukturen zugegriffen werden. Auch sind die zur Verfügung stehenden Bewältigungskapazitäten und die behördeneigenen Kommunikationsnetze nicht für einen langandauernden Stromausfall ausgelegt.

Damit verbleibt den Behörden noch die Möglichkeit der punktuellen Wiederherstellung einzelner Infrastrukturen. Eine Option besteht in der zumindest stundenweisen Versorgung von Basisstationen des Mobilfunks sowie der zugehörigen Fernvermittlungsstelle (Mobileservices Switching Centre, MSC) mit Notstrom. Sofern eine Verbindungskette über weitere MSCs errichtet werden kann, wären Verbindungen zwischen den Teilnehmern in Reichweite sowie in das vom Stromausfall nichtbetroffene Gebiet möglich. Ob jedoch eine dauerhafte Versorgung sowie die Vernetzung mit weiteren MSCs innerhalb und außerhalb des vom Stromausfall betroffenen Gebiets zu leisten wäre, ist fraglich.

Aus den genannten Gründen ist davon auszugehen, dass trotz intensiver Bemühungen zur Wiederherstellung der Kommunikationsinfrastrukturen kein einheitliches Lagebild gewonnen werden kann. Die noch realisierbaren technischen Optionen sind eher von kurzer Reichweite und Zeitdauer, die Versorgung ist problematisch und eine Koordinierung der Kräfte und Maßnahmen ist nur unzureichend zu leisten. Aus all diesen Gründen wird die behördliche Katastrophenbewältigung hochgradig defizitär bleiben.

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Krisenkommunikation mit der Bevölkerung

Einer dialogischen Krisenkommunikation mit der Bevölkerung wird durch die Ausfälle im Sektor »Informationstechnik und Telekommunikation weitgehend der Boden entzogen. Da die rudimentär verbleibenden oder wieder aufgebauten Kommunikationsmöglichkeiten von den Behörden zur unmittelbaren Schadensbehebung und Katastrophenbewältigung beansprucht werden, ist die Kommunikation mit der Bevölkerung überwiegend auf örtliche batteriegestützte Warnsysteme, Radiomeldungen sowie Lautsprecherwagen angewiesen. Da Radiosender sich auch zur Ausstrahlung von Warndurchsagen und Informationen über das satellitengestützte Warnsystem des Bundes SatWaS eignen, versuchen die Behörden, ausgewählte Sendestationen als Mittel der Krisenkommunikation mit Notstrom zu versorgen. Eingerichtete Anlaufstellen, wie Bürgermeisterämter, Feuerwehrhäuser oder Gemeindehallen, können sich – wie Erfahrungen zeigen – zu Knotenpunkten der Informationsverteilung entwickeln. Lautsprecherdurchsagen durch Einsatzfahrzeuge oder Streifen der Einsatzkräfte sind weitere Möglichkeiten, dem Bedürfnis der Bevölkerung nach Informationen Rechnung zu tragen.

Es ist aber offensichtlich, dass eine solch fragmentierte (Einweg-)Kommunikation den Ansprüchen an eine kontinuierliche und zielgruppenspezifische Krisenkommunikation nicht gerecht werden kann. Fällt die strombasierte Kommunikation so weitgehend aus wie beschrieben, wird es äußerst schwierig, Glaubwürdigkeit zu vermitteln und Vertrauen zu schaffen. Wie eine solche Krisenkommunikation ohne Strom gestaltbar sein könnte, ist noch weitgehend unklar. Deshalb besteht Bedarf an konzeptionellen und praxisfähigen Überlegungen.

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Versorgung mit Treibstoff und Notstrom

Für das Katastrophenmanagement ist die Verfügbarkeit der Ressource Treibstoff von zentraler Bedeutung. Unabdingbar ist die Versorgung beispielsweise von

Grundsätzlich bieten trotz der ungünstigen Randbedingungen – wie insbesondere der Ausfall von Tankstellen – die existierenden Bewältigungskapazitäten in Form von Treibstoffvorräten notwendige Voraussetzungen für die erforderliche Mobilität der Akteure des Katastrophenmanagements. Beispielsweise stehen durch die gesetzlich vorgeschriebene Erdölbevorratung erhebliche Treibstoffreserven zur Verfügung, die den Bedarf auch während eines langandauernden Stromausfalls decken könnten. Da Benzin und Diesel vor allem in oberirdischen Tanklagern vorgehalten werden, können dort die Tankwagen oder -züge nach dem Schwerkraftprinzip befüllt werden, falls Strom nicht zur Verfügung steht.

Trotz dieses Potenzials ist es fraglich, inwieweit diese Kapazitäten und Ressourcen bei einem Stromausfall aktiviert und genutzt werden können. So dürften angesichts der Beeinträchtigungen der Verkehrsinfrastrukturen die Transportfahrzeuge nicht schnell und umfassend genug einsetzbar sein, um Treibstoffengpässe insbesondere in den urbanen Zentren zu verhindern. Schließlich ist die Koordinierung und bedarfsgerechte Verteilung von Treibstofflieferungen eine äußerst komplexe Aufgabe – selbst wenn es gelänge, ausreichend Tankfahrzeuge von Mineralölkonzernen und Logistikdienstleistern auf der Basis des VerkLG einzubinden: Da ein großflächiges Gebiet betroffen ist, sind Probleme bei der Abstimmung von Zuständigkeiten sowie logistische Herausforderungen zu erwarten. Problemverstärkend wirken die defizitären Kommunikationsmöglichkeiten, sodass es vielerorts zu Situationen der Fehl- oder Unterversorgung kommen wird.

Insgesamt wird deutlich, dass umfangreiche Vorkehrungen zur Gewährleistung von Transportdienstleistungen für die Versorgung mit Treibstoff im Krisenfall bestehen. Jedoch wird unter den spezifischen Bedingungen eines Stromausfalls die zeitnahe und gutkoordinierte Aktivierung und Verteilung der Treibstoffreserven ein kritischer Faktor für die Folgenbewältigung sein.

Ein Ansatzpunkt zur Erhöhung der Resilienz des Sektors bestünde in einer Verbesserung der unmittelbar vor Ort verfügbaren Ressourcen. Beispielsweise könnte vorgesehen werden, ausgewählte Tankstellen mit NSA auszustatten und kontinuierlich mit Treibstoff zu versorgen. Unter der Prämisse, dass diese prioritär für die Zwecke der Behörden und der Hilfsorganisationen zur Verfügung stehen, wären der Zeitdruck bei der Zuführung von Treibstoffreserven gemindert und die Mobilität und Handlungsfähigkeit der Einsatzkräfte für eine gewisse Zeit sichergestellt. Zugleich wäre es zum kontinuierlichen Betrieb von NSA erforderlich, an ausgewählten relevanten sicherheitskritischen Standorten zeitgerecht den notwendigen Brennstoff nachzuführen.

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Robuste Stromversorgung nach einem Stromausfall - Inselnetze als Option

Die Durchhaltefähigkeit zahlreicher Infrastrukturelemente wird durch die geringen Batterie- und Brennstoffkapazitäten unterbrechungsfreier Stromversorgungs- und netzunabhängiger Eigenstromversorgungsanlagen begrenzt. Selbst ein flächendeckender Ausbau stationärer und mobiler Notstromerzeugungskapazitäten würde aber angesichts des immensen Bedarfs sowie zunehmender Konkurrenz um Treibstoff allenfalls punktuell und zeitlich begrenzt eine verbesserte Durchhaltefähigkeit der Kritischen Infrastrukturen bewirken.

Eine weiter führende Perspektive zur nachhaltigen Steigerung der Robustheit der (Not-)Stromversorgung böten deshalb Konzepte zum Aufbau von Inselnetzen. Unter Nutzung dezentraler vernetzter Stromerzeuger könnten regional begrenzte Inselnetze nach einem Stromausfall weiterhin Strom erzeugen. Bereits ein punktueller, auf öffentliche Einrichtungen mit hoher Bedeutung für die Katastrophenbewältigung beschränkter Auf- und Ausbau von Inselnetzen – insbesondere auf der Basis regenerativer Energien – könnte eine Stärkung der Resilienz der Stromversorgung und damit der Kritischen Infrastrukturen bewirken. Daher wird die Überprüfung der technischen und ökonomischen Machbarkeit in einem Modellprojekt vorgeschlagen.

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Information und Sensibilisierung der Bevölkerung

Hinsichtlich der Informiertheit und der Einstellung der Bevölkerung ist ein erhebliches Defizit zu konstatieren. Die Stromversorgung als Kritische Infrastruktur ist für die Bevölkerung kein Thema, die Möglichkeit von Stromausfällen und die Folgen einer Unterbrechung der Stromversorgung werden ausgeblendet. Erlebte Stromausfälle werden meist schnell vergessen.

Katastrophen wie Stromausfälle werden meist mit Extremwetterereignissen und Terrorismus assoziiert. Da Naturereignisse als unvermeidbar wahrgenommen werden und dem Terrorismus mit einer Art Fatalismus begegnet wird, meint man, als Privatperson diesen vermeintlich alleinigen Ursachen nicht vorsorgend begegnen zu können. Dementsprechend gibt es keine nennenswerte Vorbereitung der Bevölkerung auf einen Stromausfall, und die Fähigkeiten zur Bewältigung seiner Folgen sind in dieser Hinsicht ungenügend. Angesichts der geringen Sensibilität für das Risiko und die Gefahren eines Stromausfalls sollte darüber nachgedacht werden, wie das Interesse der Bevölkerung durch Informationen und Beratung zu wecken und aufrechtzuerhalten wäre, um in Krisensituationen die Bürger in geeigneter Weise ansprechen zu können. Dazu wäre zunächst eine wissenschaftlich fundierte Strategie für die Risikokommunikation mit der Bevölkerung vor einem Stromausfall zu erarbeiten. Dabei sollten die Bürger nicht als passive Katastrophenopfer, sondern als kompetente und aktiv handelnde Akteure betrachtet werden.

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Fazit

Die Folgenanalysen haben gezeigt, dass bereits nach wenigen Tagen im betroffenen Gebiet die flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit (lebens)notwendigen Gütern und Dienstleistungen nicht mehr sicherzustellen ist. Die öffentliche Sicherheit ist gefährdet, der grundgesetzlich verankerten Schutzpflicht für Leib und Leben seiner Bürger kann der Staat nicht mehr gerecht werden. Die Wahrscheinlichkeit eines langandauernden und das Gebiet mehrerer Bundesländer betreffenden Stromausfalls mag gering sein. Träte dieser Fall aber ein, kämen die dadurch ausgelösten Folgen einer nationalen Katastrophe gleich. Diese wäre selbst durch eine Mobilisierung aller internen und externen Kräfte und Ressourcen nicht »beherrschbar«, allenfalls zu mildern.

Weitere Anstrengungen sind deshalb auf allen Ebenen erforderlich, um die Resilienz der Sektoren Kritischer Infrastrukturen kurz- und mittelfristig zu erhöhen sowie die Kapazitäten des nationalen Systems des Katastrophenmanagements weiter zu optimieren. Der Stromausfall als ein Paradebeispiel für »kaskadierende Schadenswirkungen« sollte deshalb auf der Agenda der Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft weiterhin hohe Priorität haben, auch um die Sensibilität für diese Thematik in Wirtschaft und Bevölkerung zu erhöhen. Der vorgelegte TAB-Bericht soll hierzu einen Beitrag leisten.

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Erstellt: 17.05.2011

Aktualisiert: 23.05.2011

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