Wer
bekommt nasse Füße, wenn die Klimaerwärmung die Meere anschwellen lässt? "Flood", eine Erweiterung für Google Maps, macht eindrucksvoll deutlich, welche Gebiete im Meer versinken
würden. Auch Experten loben das Programm - als Spielerei für Laien.( Denn die Zeit zum
effektiven Handeln ist längst verschlafen, Dr.D.)
Vom
Norden her erstreckt sich die blaue Fläche weit über die ostenglischen Felder
bis an den Stadtrand von Cambridge. Von den Niederlanden bleiben nur der
Südzipfel und die Grenzregionen zu Deutschland übrig. Die Gebiete an der
Elbmündung erwischt der Meeresspiegel-Anstieg um sieben Meter genauso wie die
Inseln Föhr, Fehmarn und Teile Rügens - Land unter im Browser. "Flood" heißt das, Flut, ein Was-wäre-wenn-Spiel
mit dem Meeresspiegel. Über dessen Anstieg wegen des Klimawandels wird immer
wieder berichtet, doch die Spekulationen um Zentimeter, Dezimeter und Meter pro
Zeiteinheit klingen wenig konkret. Mancher wird sich fragen: Was bedeutet das für mein Zuhause?
In einem Internet-Diskussionsforum stieß Flood"-Programmierer Alex Tingle auf den Vorschlag
eines Nutzers, es müsse doch nur jemand Höhenlinien auf eine Weltkarte
projizieren, und schon wisse man, wer bei welcher Meereshöhe nasse Füße bekäme.
Solche
Daten stehen - als Ausbeute der Shuttle Radar Topography
Mission (SRTM), die im Februar 2000 die Erde in der Vertikalen vermessen hat -
öffentlich zur Verfügung. Rund 50 Gigabytes Rohmaterial der Fernerkundung
liegen auf den Servern des
geologischen Dienstes der USA, dem US Geological Survey. Tingle lud sie Kontinent für Kontinent auf seine
Festplatte und begann zu programmieren. Das war im Januar.
Katastrophen-Skala
endet bei 14 Metern
Tatsächlich
setzt seine Flutkarte auf die Anwendung Google Maps
auf, mit der sich ein virtueller Weltatlas aus Satellitenbildern und Landkarten
im Webbrowser betrachten lässt. Auf den ersten Blick ist auch auf Alex' Webseite die
gewohnte Google-Maps-Oberfläche zu sehen - nur dass
oben links ein zusätzliches Auswahlmenü erscheint: "Sea
level rise" - Anstieg
des Meeresspiegels. Bis maximal 14 Meter Anstieg reicht die Skala.
"Wenn
die Grönlandgletscher vollständig abschmelzen sollten, würden die Meere um rund
sieben Metern ansteigen, habe ich gelesen", sagt Alex Tingle. Das mag ein
wenig hoch gegriffen sein, aber erst im März hatten Forscher im Fachblatt
"Science" ausgerechnet, dass ein Abschmelzen der Polkappen die
Meeresspiegel um mindestens vier, vielleicht gar um sechs Meter steigen lassen
könnte.
Da
der SRTM-Datensatz die Erhebungen des gesamten
Erdballs - vom Toten Meer bis zum Mount Everest - beinhaltet und eine riesige
Datenmenge bildet, musste Tingle einschränken, damit sein kleines Java-Programm
die Flut-Berechnung bewältigen konnte. Deshalb war bei 14 Metern Schluss.
Experten
loben Programm
Was
er "an einem langen Wochenende" programmiert hat, kann man sich als
Laie wie eine unsichtbare Schablone vorstellen, auch Overlay
genannt. Dieses Overlay legt Höhenlinien in den
Stufen von 1 bis 14 Meter an und füllt je nach Auswahl den entsprechenden
Bereich auf der Karte. MashUpswerden solche
Verknüpfungen von Daten unterschiedlicher Quellen genannt. Am Monitor
erscheinen die per Mausklick überfluteten Gebiete dann schraffiert.
Tingle,
der als Programmierer und IT-Berater arbeitet, freut
sich über das Echo auf seine Spielerei. "Greenpeace verwies auf meine
Seite und schrieb mir einen Brief, in dem stand, dass sie so etwas schon seit
Ewigkeiten vorhatten." Er sei kein Umweltaktivist, er habe einfach nur
abstrakte Voraussagen greifbar machen wollen. "Ich selbst lebe in
Nordlondon, und das ist ein gutes Stück über dem Meeresspiegel, auch wenn er um
14 Meter ansteigt. Aber ich denke mir schon, dass es auch mein Leben negativ
beeinflussen würde, wenn plötzlich die Innenstadt überflutet wäre."
Grober
Schätzwert
Wenn
es um solche lokalen Betrachtungen geht, ist bei "Flood"
allerdings Vorsicht geboten. So sind im SRTM-Datensatz
Ebbe und Flut nicht berücksichtigt, stattdessen sieht man nur den
durchschnittlichen Normalpegel. In Hamburg oder Bremerhaven beträgt dieser
Tidenhub aber etwa dreieinhalb Meter. In England und Nordfrankreich sind es
lokal weit über zehn Meter.
Kartierungsexperte
Schenke weist auf ein weiteres Problem des SRTM-Datensatzes
hin. Aus dem Weltraum wurde die Erde in 30 mal 30 Meter große Kacheln
aufgeteilt, für die jeweils eine mittlere Höhe bestimmt wurde. Bis zu sechs
Höhenmeter betrage die mittlere Fehlerspanne bei den SRTM-Daten,
sagt Schenke, "für Neuseeland gar zehn Meter". Denn das Land liegt
schon arg weit im Süden - die SRTM-Vermessung
erfasste nur Breiten zwischen dem Äquator und dem 60. Breitengrad. Die blau
schraffierte Fläche im Browserfenster ist deshalb eher ein grober Schätzwert,
besonders je weiter man in Richtung der Pole klickt.
Genauer
sind etwa die Höhenkarten, die im Bundesamt für Kartografie und Geodäsie (BKG)
erstellt werden. "Die bestimmen Höhen auf den Dezimeter genau", sagt
Schenke. Am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) haben
Wissenschaftler die SRTM-Daten bis zu einer
Genauigkeit von drei Metern verbessert. Doch kosten sowohl die BKG- wie auch
die DLR-Daten teures Geld und bleiben Bastlern wie Tingle somit vorenthalten.
Dass Flood keine realistische Simulation für das Abschmelzen der
Gletscher ist, sondern eben nur ein virtueller Wagenheber für
Wasseroberflächen, stellte Tingle beim Blick auf das Kaspische Meer fest:
"Das wird auch geflutet, wenn man den Meeresspiegel ansteigen lässt -
dabei gibt es weit und breit nur Land, aber weder Gletscher noch eine
Verbindung zum Meer."
URL: http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,416644,00.html
(Schon längst
haben wir Bayern uns auf die Aufnahme der Norddeutschen eingestellt! Dr.D.)
Zum
Thema in SPIEGEL ONLINE:
Klimamodell: Küstenstädte könnten noch in diesem
Jahrhundert versinken (24.03.2006)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,407603,00.html
Web 2.0: Zerreiß mich, kopier mich (13.04.2006)
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,411147,00.html
Zum
Thema im Internet:
USGS:Shuttle Radar Topography Mission (SRTM)
http://srtm.usgs.gov/
Alfred- Wegener- Institut für Polar- und Meeresforschung
http://www.awi- bremerhaven.de/
Google Maps- Erweiterung Flood
http://flood.firetree.net