1976 Seveso hier funktionierte nur die Vertuschung

Die mit unserer Ärztin am Giftnotruf befreundete Leiterin des

Giftnotrufs Mailand, Frau Dr. Bozza, rief Juli 1976 an und fragte, was 3,4,7,8-TCDD sei, diese unbekannte Substanz sei in Seveso kiloweise freigesetzt worden, und zerstöre alle Lebewesen, die Leute hätten alle Hautausschläge. Das Gesundheitsministerium hätte den Befehl zur Geheimhaltung gegeben, sie wolle jedoch den Betroffenen helfen. Wir hatten keinerlei Unterlagen. Alle befreundeten Toxikologen wurden befragt. Prof. Weger aus Innig erinnerte sich schwach an einen Studenten der, Schuster, der damit im Pharmakologischen Institut arbeiten wollte , was jedoch vom Leiter Prof. Kiese verboten wurde, da sie extrem gefährlich war. Schuster brachte am gleichen Tag einen Pack fotokopierter Originalunterlagen, die noch am gleichen Abend mit der Alitalia Maschine nach Mailand geflogen wurden.

Wir waren bei deren Studium entsetzt. Noch entsetzter waren wir über die Regierungsbulletins:

1. Oft Hände waschen (wasserunlöslich!)

2. Im Schritt-Tempo Auto fahren (auf der offenen Autobahn!)

3. Keine Kinder bekommen (Schwangere?) usw.

Wir boten der italienischen Regierung unsere Sachkunde an. Sie lehnten ab, wollten Geheimhaltung. Der Stoff galt als wichtigster

NATO  Kampfstoff. Prof. Weger bot über die Bundeswehr umfangreiche Hilfe mit Transportflugzeugen incl. Medikamenten und zur Dekontamination an. Alles wurde abgelehnt. Offizielle Beschwerde in Bonn über die mangelnde Geheimhaltung war die Antwort. Da entschloss ich mich am Freitagabend um 22 Uhr (alle Behörden sind
3 Tage unbesetzt!) zur Bekanntgabe an die Deutsche Presse Agentur. Ungläubig fragten diese mehrmals am Giftnotruf München zurück: da saß ich am Telefon und beantwortete alles. Am Samstag stand in allen Zeitungen der Welt: Großer Chemieunfall in Seveso mit TCDD. Deutsches Toxikologenteam steht abflugbereit mit Hilfsgütern am Flughafen in München Riem.

Auch das half nicht. Nur wusste die betroffene Bevölkerung von da an Bescheid. Wer konnte zog weg. Die Toxikologen der Welt mussten  sich mit dieser Substanz befassen. Der letzte wichtige Kriegskampfstoff war dadurch unwirksam gemacht, der eiserne Vorhang massiv durchlöchert.

Die Geheimhaltungsstrategie bei Dioxinen liegt noch in der Brust jedes alten Toxikologen  und vieler Politiker. Stoiber, der jetzige bayrische Ministerpräsident, verlangte als Innenminister

ein Verfahren gegen mich, nachdem ich veröffentlicht hatte, dass bei Fernseherbränden viel Dioxine und Furane frei werden. Ein Weglassen des Feuerhemm-Lackes und die Aufnahme in die Bestimmung der Brandschutzversicherungen sowie eine Empfehlung des Umweltbundesamtes waren jedoch die positive Folge.

Daraufhin versuchten sie es aufgrund meiner Warnung, die massiv

dioxinverseuchte Bille Siedlung in Hamburg nicht primär als Beobachtungsmodell zu sehen, sondern unbewohnbar zu machen.

Menschliche Toxikologie hat bei Politik und Wirtschaft heute noch nicht das Sagen.