1955 Schwabinger aufgewachsen als Freidenker unter Künstlern

 

 

Wir wohnten an der Kassenarztpraxis der Eltern in der Kunigundenstr.51 Höhe  Ungerer-Bad.

 

Die Grundschule war binnen zehn Minuten zu Fuß am Anfang der Kunigundenstrasse zu erreichen. Gegenüber war unsere Pfareikirche St.Sylvester. Auf dem Weg waren Bäcker und Metzger in heruntergekommenen Läden.

 Theater gab es als ich Ihr Verkaufsfeld auf dem Schulweg verschmierte und „ arme und alte Würste“ aus „Warme und Kalte“ machte. Niemand verriet den Täter, der Zusammenhalt der Lausbuben war sprichwörtlich groß. Auf dem Schulweg kletterten wir über Bombengrundstücke, sammelten Kastanien und rauften viel. Der Gaslicht-Anzünder auf dem Fahrrad abends war das Signal zum Heimgehen. Das hinten auf dem Pferdefuhrwerk, das die Bierfässer für die nahe Wirtschaft brachte, war der liebste Sport für Pummels. Beim Halt vertrierb uns der Pferderknecht mit der Peitsche. Der englische Garten war unser Spielplatz, später die Spielwiese zum Lieben der Mädchen. Am Eisbach wurde nackt gebadet. Neben dem Gymnasium war der Reitstall Tattersaal, in dem man sich die ersten Muskelkater der Leistenmuskulatur holen konnte und die Eigenwilligkeit der Pferde studierte, wenn sie die Unbeholfenen abwarfen.

 

Die selten ausrückende Freiwillige Feuerwehr verschwand, ein Theater hat sich dort in der Occamstrasse eingenistet. Gegenüber wuchs in der vergammelten Bierkneipe die „Lach- und Schießgesellschaft“. Möbelläden verschwanden und nach langen Leerzeiten eröffneten dort Kneipen ohne Licht, nur Kerzenstummel am Stehtisch und ein Betonfleck in der Mitte zum Tanzen.

 

Der Wirt vom „Käuzchen“ war Vaters Patient und brachte immer gute Weine. Er sagte Vater: „Sagen sie ihren Söhnen, wenn sie abends zu uns kommen, sind sie meine Gäste. Sie bekommen dann guten Wein, wir schenken in der kneipe nur billigsten Fusel aus.“ Wir kamen nie, hätten stets neben Vaters Patienten sitzen müssen. Arztkinder waren ebenso bekannt wie Filmschauspieler. Man gewöhnt sich daran, wird eher scheu.

 

In der Grundschule war ich seltener Gast, die Hälfte der Zeit krank, hatte hunderte Anginen, mit neun Jahren neun Monate ein rheumatisches Fieber. Die Tante war meine Privatlehrerin mit ihrer eigenen Praxis als Allgemeinärztin. Sie lernte sehr gerne mit mir, weil ich mir alles merken konnte, was sie einmal sagte. Wir redeten viel über ihre Patienten – ebenso beide Eltern. Ich las nur Sachbücher, selten Geschichten wie Robinson Crusoe. Bruder las alle Karl May, ich keinen einzigen. Dafür die Kinderheilkunde von Fanconi mit 1500 Seiten und – heimlich – die Bücher der Frauenheilkunde. Eltern meinten, das dürfe ich erst sechs Jahre später mit 14 Jahren.

 

Der Übertritt ins Max-Gymnasium auf der anderen Seite der Ungererstrasse war ein leichtes, nur sehr traurig, weil alle Mitschüler bis auf unseren Streber Otto bei der Prüfung vor Aufregung bewusstlos wurden und wiederholen mussten. Der Stress für die Zehnjährigen war enorm und unerbittlich. Vorher waren an mein Krankenbett viele Lehrerinnen gekommern und hatten mir erzählt, was hierbei auf einen zukäme und  mir Tipps gegeben, die mir sehr halfen. Die anderen hatten dies diese Hilfe nicht, wie ich später erfuhr.

 

Auch bei der Erstkommunion wiederholte sich das „Massenumfallen“. Wir mussten den gesamten Vormittag nüchtern bleiben, weil dies der Pfarrer verlangte. Es wäre eine Todsünde (!) wenn der „Leib Christi“ nach der Kommunion erbrochen würde.

 

Mutter gab uns Semmeln in Milch eingeweicht und meinte, „dem lieben Gott ist es lieber, wenn ihr ihn aufrecht empfangt, dem Pfarrer werde ich sagen, dass ich die Verantwortung für ein krankes Kind übernommen habe“. So war ich trotz kiloweise verbrannten Weihrauchs der einzige gegen Mittag, der aufrecht, stark und fröhlich die Oblate im Mund weich lutschte und hinunterschluckte. Kein Mitschüler durfte natürlich etwas erfahren. Die dummen Pfarrersprüche erschütterten jedoch schon früh ihre Autorität. Ebenso wurden alle Lehrersprüche zu Hause gründlich auf ihre Verwertbarkeit im täglichen Leben überprüft.

 

Zurück blieb meine Meinung:

Lehrer sind eine bunte Mischung von Charakteren wie im täglichen Leben:

Die einen liebt man wegen ihrer Stärken, anderen geht man besser aus dem Wege, nur wenige sind ein nachahmenswertes Vorbild. Aber jeder hat ein Kriterium, das man auch später bei anderen Menschen findet; nur Gute oder nur Schlechte gibt es nicht. Diejenigen, die nett zu einem waren, bleiben viel länger in Erinnerung als die Fiesen.

 

Da viele Patienten dem Vater über meine Schulfrechheiten berichteten, war er froh, als ich zum Bruder in das Giesinger Gymnasium wechselte. Da waren die beiden Prinzen von Thurn und Taxis in der Klasse, in Fritzi, den Jüngeren verrliebte ich mich gleich. Er war wie ich lustig und frech. Sein Bruder Johannes war ernst und verschlossen, so wie mein Bruder. Mühnemann, der Millionärssohn, war vier Jahre älter als der Durchschnitt, wurde im Rolls Roys vom Chauffeur gebracht und hatte Nachhilfestunden vom Lateinlehrer, einem finalen Alkoholiker, der im Leberkoma starb, als M. aus der Schule geworfen wurde. Als er mit seiner Familie bei der Ungarnkrise 1956 mit dem Flugzeug in die USA floh, fragte ich ihn, warum er nicht dort geblieben sei und erhielt dafür eine fürchterliche Ohrfeige von ihm. Zynische Fragen blieben jedoch lebenslang meine Vorliebe.

 

Die Selbstherrlichkeit der Lehrer und ihre Neigung, an schwachen Schülern aus einfachen Kreisen ihre Macht ausspielen zu lassen, war übermächtig. Diskussionen brachten nichts. Jedoch meine Aktionen: Einmal schickte ich einem Lehrer einen Sarg und verschiedene kränze in die Wohnung, da er „gestorben sei“. Das Städtische Bestattungsamt folgte meiner sonoren Stimme. Ein anderer erhielt viele Zentner Koks vor die Türe gekippt, so wie es damals noch üblich war zum Einfüllen in den Keller. Wochenlang lagen sie noch dort. Er wohnte natürlich dort nur zur Miete. Die Aktionen läuterten die Betroffenen erheblich. Sie hatten vergeblich versucht, den Urheber zu ermitteln. Niemand wusste jedoch etwas.

 

Sprüche wie „Eglfing (unser Bezirkskrankenhaus) mach Tore auf, der …(hilflose Schüler) kommt im Dauerlauf“ waren Teil der gemeinen Erniedrigung meiner Mitschüler, die gerächt wurde.

 

Der Flair des Schwabinger Gymnasiums mit Witz und Extravaganz ging mir sehr ab, sodass wir nach Neubau und Verlegung des Giesinger Gymnasiums zurück nach Schwabing ins Alte Realgymnasium gingen. Die Schulzeit war fröhlich und entspannt, gewürzt mit vielem Lustigen. Als mir der Lateinlehrer während einer Schulaufgabe das Buch wegnahm, von dem er meinte, dass ich daraus spickte, mußte er feststellen, dass es die wissenschaftlichen Tabellen von Geigy waren, aus denen ich gerade aus Langeweile, weil ich längst fertig war, die Zusammensetzung des Blutes las. Alle Lehrer wussten danach, dass ich fieberhaft Medizinbücher während des Unterrrichts las. Nur der Mathematiklehrer meinte bis zum Schluss, dass ich wie Opa Mathematiker werden wollte. Egal, alle trimmten mich auf Eins, da damals der Numerus Clausus die Note Eins verlangte. So durfte ich in München Medizin studieren.

Da ein Gemälde vom Direktor der Schönen Künste vom Ur-Opa in meinem Zimmer hing, besuchte ich oft einen Patienten meines Vaters, der die Bilhauer-klasse leitete. Er war begeistert von meinen modellierten Köpfen und riet mir, mich bei ihm einzuschreiben. Die Kunstakademie und das dornier Institut zur Restaurierung wearen Magnete für mich. Dier Direktoren plauschten viel mit mir und lernten mir viel über Materialkunde, Modellieren und Restaurieren. Meine Chemiekenntnisse wurden ständig erweitert. Vom Kunstunterricht war ich durch diese Aktivitäten freigestellt, bekam die Note Eins und versorgte mein Gymnasium mit meinen Arbeiten, führte eine Klasse „Modellieren“, führte Interessierte in die Techniken ein, bekam einen Tonbrenn-Ofen und alle Werkzeuge.Meine Tante, die Zahnärztin vermittelte mir ihr Knowhow der Materialkunde.

Nach dem Medizinstudium sanierte ich in der Kunstakademie alle Klassen von gesundheitsschädlichen Materialien bei der Bearbeitung wie Styropor.

(Zusatz zur Biografie)