Schrebergärten wieder modern

Merkwürdige Dinge gehen vor in deutschen Schrebergärten. Der Bundesverband Deutscher Gartebfruende meldet, „die Generation Golf entdeckt den Garten neu“.

Der Altersdurschnitt in den 15.200 deutschen Kleingartenvereinen ist in kurzer Zeit um Zehn Jahre gesunken, fast die Hälfte der seit 2000 neu verpachteten Parzellen wird von Familien mit Kleinkindern beackert. Vladimir Kaminier schrieb über den Berliner Kleinfamilienkleingartenboom gar ein ganzes Buch, durch das seine ungezogenen Kinder toben wie eine marodierende Horde. Ob sich Daniel Schreber über diese entwicklung freuen würde?

 

Er hatte seine „Armen- und Spezialgärten“ zwar ausdrücklich für Kinder konzipiert, die in den Mietskassernen der Städte keinen Platz zur „gesunden Triebabfuhr“ hätten.

Schreber hatte aber genaue Vorstellungen, wie Kinder ihren Trieben eigene Abfuhr zu erteilen haben. Der Pädagoge war ein ausnehmend strenger Vater, er entwickelte mechanische Geräte zur Verhinderung der Selbstbefriedigung, stolz schrieb er, bei der Erziehung sei sein Grundsatz immer die „ausnahmslose Konsequenz“ gewesen.

 

Drei seiner fünf Kinder wurden verrückt. Schreber schwebten von Beeten eingefasste Spielplätze vor, die zur „Ehrhärtung der Kinder dienen sollten. 1864, drei Jahre nach seinem Tod, wurde ein solcher Garten zu Schrebers Gedächtnis eingeweiht. Die Kinder, für die das Ganze gebaut worden war, verloren schnell das Interesse and den Beeten, statt ihrer kümmerten sich die Eltern um die Pflanzen. Man zerstritt sich, das Gelände wurde in Parzellen aufgeteilt, die Leute bauten Zäune – der Schrebergarten war geboren.

Und mit ihm das Image von Ordnungswahn und gantelnder Biestigkeit. Warum also werden plötzlich so viele Schrebergärten von jungen Familien okkupiert?

Das Hamburger Trendbüro erklärt die Beliebtheit damit, dass bei jungen Familien „gemeinsames Abhängen in der Natur hoch im Kurs steht“.

 

Ersetzt man den Ausdruck gemeinsames Abhängen freilich durch geselliges Beisammensein, würde auch das ältere Ehepaar, das am vergangenen Donnerstagabend in der Kleingartenanlage an der Münchener Schäftlarnstrasse beim Bier sass und sympathisch trendfern vor sich hinsinnierte, die Erkenntnisse des Trendbüros unterschreiben.

Man sei hier „zwengs am Garten und zwengs de Leit, fifty fifty“, sagt der Mann. „Aber schon auch wegen dem Gemüse“, schiebt seine Frau nach. Womit wir bei einer anderen Entwicklung wären. Die Welt konstatierte kürzlich, die Schrebergärten würden „zunehmend zur Selbstversorgung neigen“. Auch beim BDG merkt man „ganz deutlich, dass die Leute mehr, Fläche unterm Spaten haben als noch vor ein paar Jahren“, wie dessen Sprecher Thomas Wagner es ausdrückt.

 

Die New York Times propagierte neulich gar die komplette Selbstversorgung qua Kleingarten. Als Wiedergutmachung für den umweltschädlichen Kohlendioxidverbrauch.

Und um das Gefühl der Unabhängigkeit vom Warenkreislauf zu erhöhen. „Wenn die Experten recht haben, wenn uns sowohl das Öl als auch die Zeit ausgehen“, so der unheilsschwangere Text, werde man die körperliche Tüchtigkeit und die seelische Stabilität, die einem das Gärtnern verschaffe, „schon bald dringend brauchen“.

 

Meine Güte! Mieten die Leute etwa Kleingärten aus demselben Antrieb, aus dem heraus sie in den Achtzigern Atombunker bauten?

Die Propagierung solchen Angstgärtnerns erinnert an die „Victory Gardens“, die in England und den USA im zweiten Weltkrieg angelegt wurden.

Das britische Verteidigungsministerium lobte die Kleingärten damals als „zivile Moralverstärkung“, schliesslich könne jedes Mütterchen durch die Anpflanzung von Nahrung für die Soldaten das Gefühl bekommen, aktiv gegen Hitler zu kämpfen. In Amerika verschickte das Landwirtschaftsministerium eine Broschüre mit dem Aufdruck „Unser Essen kämpft mit!“. Die Nazis propagierten ebenfalls das Gärtnern für den Endsieg und schrieben vor, dass der Grossteil der Flächen mit volksernährendem Gemüse zu bebauen sei.

 

Begibt man sich, irritiert durch den düsteren Ton der New York Times, an einem Maiabend auf Feldforschung durch Münchener Schrebergärten, kann man auch nach mehreren Stunden keine Vertreter eines solchen Angstgärtnerns finden. Zwar wird bestätigt, dass mehr Obst und Gemüse angebaut werde, aber eine ältere Dame, die ihre wilden Blumenbeete bestellt, seufzt, das hat doch nur damit zu tun, dass „leider wieder mehr auf diese Nachkriegssatzung gepocht wird, und da steht eben immer noch was drin von Obst und Gemüse. Man darf hier nämlich nicht einfach querfeldeingarteln“. Stimmt, man muss seine Parzelle vielmehr auf dem engen Raum einrichten, den einem die rechtlichen Vorschriften des Bundeskleingartengesetzes, der Baumschutzverordnung, des Kreislaufwirtschaftsgesetzes sowie des Abfall- und Biotoilettengesetzes lassen.

Was die Frage nach dem Selbstversorgerboom angeht, so bringt das Ehepaar an der Schäftlarnstrasse die generelle Einschätzung mit den Worten auf den Punkt,

das eigene Zeug sei „halt so gesund wie im Bioladen“.

 

Ökoboom im Schrebergarten, das ist freilich ähnlich erstaunlich wie die Verjüngung des Publikums. In den Achtzigern gehörte der Bioladen genau so zum Grundinventar aller Kabarettisten wie der Schrebergartenbesitzer. Galt der Bioladen als Biotop für neue Innerlichkeit und den liebevollen Warenaustausch von Mensch zu Mensch, so stand der Schrebergärtner für den knorzig-faschistoiden Kleinbürger, dessen annaler Charakter im zwanghaften Rasenmähen Ausdruck fand. Wie weltanschaulich neutral man solche Dinge heute betrachtet, kann man an dem Kleingärtner am Flaucher sehen, der an diesem Abend unter einer Bayernfahne sitzt und sagt, natürlich pflanze er Gemüse an, „zwengs am Ökologischen, des Gspeih vom Aldi is voigspritzt bis obehin“.

 

Mit der Verjüngung der Gärten braucht man dem Mann aber genau so wenig zu kommen wie dem Ehepaar an der Schäftlarnstrasse. Generationswechsel, schön und gut, sagen sie, am eigentlichen Gärtnern hätten all die Jungfamilien aber kaum Interesse. Das passt zwar nicht zur Selbstversorgerthese, dafür aber zur Marktanalyse des Industrieverbands Garten, für dessen Mitarbeiter der moderne Kleingärtner „ein fauler Hund ist“. Die Gartensortimente in den Baumärkten untermauern diese These. Wohin man auch schaut, allerorten werden sogenannte „Komforartikel“ angepriesen. Das Insektenmittel Axoris verspricht „eine Sekunde Pflege, eine Saison schädlingsfrei“. Und der neueste Renner der Firma Wolf ist die „Turbo-Nachsaat“, die garantiert, dass der Rasen langsam wächst: „50 Prozent weniger Schnitt!“ verspricht die Packung. „Naja“, sagt der Mann am Flaucher gutmütig, „des Junge Gmias“ müsse halt noch lernen, was richtig gut ist: Jäten Pflanzen, selber Ernten.

 

Quelle: S.Z. 17.05.08