Merkwürdige Dinge gehen vor
in deutschen Schrebergärten. Der Bundesverband Deutscher Gartebfruende meldet,
„die Generation Golf entdeckt den Garten neu“.
Der Altersdurschnitt in den
15.200 deutschen Kleingartenvereinen ist in kurzer Zeit um Zehn Jahre gesunken,
fast die Hälfte der seit 2000 neu verpachteten Parzellen wird von
Er hatte seine „Armen- und
Spezialgärten“ zwar ausdrücklich für Kinder konzipiert, die in den
Mietskassernen der Städte keinen Platz zur „gesunden Triebabfuhr“ hätten.
Schreber hatte aber genaue
Vorstellungen, wie Kinder ihren Trieben eigene Abfuhr zu erteilen haben. Der
Pädagoge war ein ausnehmend strenger Vater, er entwickelte mechanische Geräte
zur Verhinderung der Selbstbefriedigung, stolz schrieb er, bei der Erziehung
sei sein Grundsatz immer die „ausnahmslose Konsequenz“ gewesen.
Drei seiner fünf Kinder
wurden verrückt. Schreber schwebten von Beeten eingefasste Spielplätze vor, die
zur „Ehrhärtung der Kinder dienen sollten. 1864, drei Jahre nach seinem Tod,
wurde ein solcher Garten zu Schrebers Gedächtnis eingeweiht. Die Kinder, für
die das Ganze gebaut worden war, verloren schnell das Interesse and den Beeten,
statt ihrer kümmerten sich die Eltern um die Pflanzen. Man zerstritt sich, das
Gelände wurde in Parzellen aufgeteilt, die Leute bauten Zäune – der
Schrebergarten war geboren.
Und mit ihm das Image von
Ordnungswahn und gantelnder Biestigkeit. Warum also werden plötzlich so viele
Schrebergärten von jungen
Das Hamburger Trendbüro
erklärt die Beliebtheit damit, dass bei jungen
Ersetzt man den Ausdruck
gemeinsames Abhängen freilich durch geselliges Beisammensein, würde auch das
ältere Ehepaar, das am vergangenen Donnerstagabend in der Kleingartenanlage an
der Münchener Schäftlarnstrasse beim Bier sass und sympathisch trendfern vor
sich hinsinnierte, die Erkenntnisse des Trendbüros unterschreiben.
Man sei hier „zwengs am
Garten und zwengs de Leit, fifty fifty“, sagt der Mann. „Aber schon auch wegen
dem Gemüse“, schiebt seine Frau nach. Womit wir bei einer anderen Entwicklung
wären. Die Welt konstatierte kürzlich, die Schrebergärten würden „zunehmend zur
Selbstversorgung neigen“. Auch beim BDG merkt man „ganz deutlich, dass die
Leute mehr, Fläche unterm Spaten haben als noch vor ein paar Jahren“, wie
dessen Sprecher Thomas Wagner es ausdrückt.
Die New York Times
propagierte neulich gar die komplette Selbstversorgung qua Kleingarten. Als
Wiedergutmachung für den umweltschädlichen Kohlendioxidverbrauch.
Und um das Gefühl der
Unabhängigkeit vom Warenkreislauf zu erhöhen. „Wenn die Experten recht haben,
wenn uns sowohl das Öl als auch die Zeit ausgehen“, so der unheilsschwangere
Text, werde man die körperliche Tüchtigkeit und die seelische Stabilität, die
einem das Gärtnern verschaffe, „schon bald dringend brauchen“.
Meine Güte! Mieten die Leute
etwa Kleingärten aus demselben Antrieb, aus dem heraus sie in den Achtzigern
Atombunker bauten?
Die Propagierung solchen
Angstgärtnerns erinnert an die „Victory
Gardens“, die in England und den USA im zweiten Weltkrieg angelegt wurden.
Das britische
Verteidigungsministerium lobte die Kleingärten damals als „zivile
Moralverstärkung“, schliesslich könne jedes Mütterchen durch die Anpflanzung
von Nahrung für die Soldaten das Gefühl bekommen, aktiv gegen Hitler zu
kämpfen. In Amerika verschickte das Landwirtschaftsministerium eine Broschüre
mit dem Aufdruck „Unser
Begibt man sich, irritiert
durch den düsteren Ton der New York Times, an einem Maiabend auf Feldforschung
durch Münchener Schrebergärten, kann man auch nach mehreren Stunden keine
Vertreter eines solchen Angstgärtnerns finden. Zwar wird bestätigt, dass mehr
Obst und Gemüse angebaut werde, aber eine ältere Dame, die ihre wilden
Blumenbeete bestellt, seufzt, das hat doch nur damit zu tun, dass „leider
wieder mehr auf diese Nachkriegssatzung gepocht wird, und da steht eben immer
noch was drin von Obst und Gemüse. Man darf hier nämlich nicht einfach
querfeldeingarteln“. Stimmt, man muss seine Parzelle vielmehr auf dem engen
Raum einrichten, den einem die rechtlichen Vorschriften des
Bundeskleingartengesetzes, der Baumschutzverordnung, des
Kreislaufwirtschaftsgesetzes sowie des Abfall- und Biotoilettengesetzes lassen.
Was die Frage nach dem
Selbstversorgerboom angeht, so bringt das Ehepaar an der Schäftlarnstrasse die
generelle Einschätzung mit den Worten auf den Punkt,
das eigene Zeug sei „halt so
gesund wie im Bioladen“.
Ökoboom im Schrebergarten,
das ist freilich ähnlich erstaunlich wie die Verjüngung des Publikums. In den
Achtzigern gehörte der Bioladen genau so zum Grundinventar aller Kabarettisten
wie der Schrebergartenbesitzer. Galt der Bioladen als Biotop für neue
Innerlichkeit und den liebevollen Warenaustausch von Mensch zu Mensch, so stand
der Schrebergärtner für den knorzig-faschistoiden Kleinbürger, dessen annaler
Charakter im zwanghaften Rasenmähen Ausdruck fand. Wie weltanschaulich neutral
man solche Dinge heute betrachtet, kann man an dem Kleingärtner am Flaucher sehen,
der an diesem Abend unter einer Bayernfahne sitzt und sagt, natürlich pflanze
er Gemüse an, „zwengs am Ökologischen, des Gspeih vom Aldi is voigspritzt bis
obehin“.
Mit der Verjüngung der
Gärten braucht man dem Mann aber genau so wenig zu kommen wie dem Ehepaar an
der Schäftlarnstrasse. Generationswechsel, schön und gut, sagen sie, am
eigentlichen Gärtnern hätten all die Jungfamilien aber kaum Interesse. Das
passt zwar nicht zur Selbstversorgerthese, dafür aber zur Marktanalyse des
Industrieverbands Garten, für dessen Mitarbeiter der moderne Kleingärtner „ein
fauler Hund ist“. Die Gartensortimente in den Baumärkten untermauern diese
These. Wohin man auch schaut, allerorten werden sogenannte „Komforartikel“
angepriesen. Das Insektenmittel Axoris verspricht „eine Sekunde Pflege, eine
Saison schädlingsfrei“. Und der neueste Renner der Firma Wolf ist die
„Turbo-Nachsaat“, die garantiert, dass der Rasen langsam wächst: „50 Prozent
weniger Schnitt!“ verspricht die Packung. „Naja“, sagt der Mann am Flaucher gutmütig,
„des Junge Gmias“ müsse halt noch lernen, was richtig gut ist: Jäten Pflanzen,
selber Ernten.
Quelle: S.Z. 17.05.08