Schizophrenie psychiatrische Behandlung
Epidemiologische Studien zeigen, dass die Schizophrenie in allen Ländern und
Kulturräumen mit vergleichbarer Häufigkeit und Symptomatik auftritt. Die Inzidenz der Erkrankung scheint in den letzten 130 Jahren
keine Zunahme erfahren zu haben. Die Prävalenz der
Schizophrenie schwankt studienabhängig zwischen 0,2% und 2%. Die Punktprävalenz beträgt weltweit 1,4 bis 4,6 ‰, die Lebenszeitprävalenz ca. 1% und die Jahresinzidenz
0,1 bis 0,2 ‰ Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie,
Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) erkranken in Deutschland rund
800.000 Menschen mindestens einmal im Leben an einer schizophrenen Erkrankung.
Die WHO stuft die Schizophrenie weltweit als eine der teuersten Krankheiten
ein. Die Gründe für die direkten und indirekten Kosten der Schizophrenie liegen
in ihrer Häufigkeit, Chronizität und Beeinträchtigung
der Fähigkeit zu einem selbstständigen Leben der betroffenen Menschen.
Zahlreiche Studienergebnisse der letzten Dekade deuten an, dass sie Gründe für
diese trotz verbesserter therapeutischer Strategien nach wie vor häufig
anzutreffenden ungünstigen Verlaufsentwicklungen schon in den ganz frühen
Stadien der Erkrankung festgelegt werden. Diesbezüglich ist ein
gesundheitspolitisch alarmierender Befund vieler neuerer Studien mit
ersterkrankten schizophrenen Patienten, dass extrem lange Zeiträume vergehen,
bis Patienten, die bereits manifest psychotisch erkrankt sind – also unter
Halluzinationen, Wahnvorstellungen usw. leiden -, von den Gesundheitssystemen
als krank erkannt werden und danach einer adäquaten Therapie zugeführt werden.
Neben dem prinzipiell vermeidbaren Leiden, dem die Patienten, aber auch deren
Angehörige in diesen Zeiträumen ausgesetzt sind, ist dieses Ergebnis auch
deswegen alarmierend, da offenbar ein Zusammenhang zwischen der Länge der
unbehandelten psychotischen Symptomatik und den aus der Erkrankung erwachsenden
gesundheitlichen und sozialen Folgeschäden besteht:
Je länger die psychotische Symptomatik der Patienten nicht behandelt wird,
desto ungünstiger ist ihr weiterer Krankheitsverlauf und Ausgang hinsichtlich
ganz unterschiedlicher Verlaufsdimensionen (Übersicht in Bottlender
und Möller, Curr. Opinion
in Psychiatry, 2003).
Vor dem Hintergrund dieser neueren Erkenntnisse wurden von Australien und dem
skandinavischen Sprachraum ausgehend in der vergangenen Dekade weltweit Zentren
zur Früherkennung psychotischer Erkrankungen in die medizinische Versorgung
integriert. In Deutschland wurde das einzige Früherkennungszentrum an der
Psychiatrischen Klinik der Universität Köln 1999 ins Leben gerufen. Im Rahmen
des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten
Kompetenznetzes Schizophrenie kamen seit Anfang 2000 drei weitere
Früherkennungszentren in den psychiatrischen Universitätskliniken Bonn,
Düsseldorf und München hinzu.
Ziel der Früherkennung ist es einerseits Patienten, die bereits manifest
erkrankt sind, durch Aufklärung der Öffentlichkeit in Fachkreisen schneller zu
identifizieren und dann auch zu behandeln. Dieses Ziel soll im Sinne einer
Sekundärprävention verstanden werden. Darüber hinausgehend sollen aber auch
Patienten, die sich noch in der Prodromalphase, also
vor der ersten psychotischen Episode befinden, in den Früherkennungszentren
umfangreich untersucht werden, um eine individuelle Risikoabschätzung für die
Entwicklung einer manifesten Psychose vorzunehmen. Abhängig vom Grad dieses
Risikos werden verschiedene präventive therapeutische Maßnahmen eingeleitet,
die den Ausbruch der Erkrankung verhindern sollen.
Das Früherkennungs- und Therapiezentrum für psychotische Krisen in München,
kurz FETZ München, existiert seit Anfang 2001. Menschen, die sich im FETZ
München vorstellen, werden von einem multiprofessionellen Team untersucht und
gegebenenfalls behandelt. Bei Verdacht auf das Vorliegen einer Prodromalphase einer schizophrenen Erkrankung, wofür
Patienten und Ärzte erste Anhaltspunkte nach dem Durchgehen einer Checkliste
erhalten können, erfolgt im FETZ München zunächst eine ausführliche
allgemeinpsychiatrische Untersuchung und anschließend eine spezifischere
psychopathologische Diagnostik mit einem eigens für die Früherkennung
entwickelten Früherkennungsinventar. Sollte sich der Verdacht auf ein erhöhtes
Risiko für die Entwicklung einer Psychose verdichten, werden weitere Diagnostische
Schritte (MRT, Neuropsychologische Untersuchung usw.) durchgeführt und auch
weitere therapeutische Schritte vorgeschlagen.
Diesbezüglich wurden aus klinischen und empirisch basierten, insbesondere aber
auch aus ethischen Gesichtspunkten zwei Risikoprofile definiert. Für ein frühes
Prodromalstadium sprechen in Vorstudien als
prädikativ gefundene Prodromalsymptome oder ein
Leistungseinbruch bei vorhandenem genetischem oder perinatalem Risiko. Diesen
Patienten wird eine psychologische Frühintervention mit
verhaltenstherapeutischer Ausrichtung empfohlen.
Für ein späteres Prodromalstadium sprechen
psychosenahe Symptome wie zum Beispiel kurz dauernde spontan remittierende
psychische Symptome (zum Beispiel kurzes halluzinatorisches Erleben, welches
ohne Therapie wieder verschwindet usw.) oder abgeschwächte so genannte attenuierte psychotische Symptome (magisches Denken,
Eigenbezugstendenzen usw.). Bei diesen Patienten, bei denen ein hohes Risiko
für die Entwicklungen des Vollbildes eines paranoid-halluzinatorischen Syndroms
besteht, wird eine niedrig dosierte pharmakologische Intervention mit einem
atypischen Neuroleptikum empfohlen.
Die Erfolgsaussichten der Früherkennung und Intervention sind insgesamt als
hoffnungsvoll zu beurteilen. Erste Ergebnisse aus Australien und Norwegen
zeigen, dass durch die Früherkennungsaktivitäten der Zeitraum, den psychotisch
erkrankten Patienten benötigen, bis sie adäquat behandelt werden, dramatisch
verkürzt werden kann und dass eine Intervention in der prodromalen
Phase das Risiko der Entwicklung des Vollbildes der Schizophrenie
signifikant erniedrigen kann (McGorry et al. 1998).
Über die Langzeitwirkungen der Früherkennung und Frühintervention liegen
bislang noch keine prospektiv erhobenen Daten vor. Da sich in einigen
Untersuchungen jedoch gezeigt hat, dass die Dauer der unbehandelten Psychose
auch ungünstigere Auswirkungen auf den Langzeitoutcome
der Schizophrenie hat, ist die Hoffnung durchaus begründet, durch ein
frühzeitigeres Erkennen und Therapieren auch langfristige positive Effekte für
Menschen, die schizophren erkrankt sind oder die ein deutlich erhöhtes Risiko
für diese Erkrankung aufweisen, erzielen zu können.
Ein weiteres wichtiges Ziel der Früherkennungsaktivitäten im Rahmen des
Kompetenznetzes Schizophrenie ist überdies, die Vorhersagbarkeit und
Risikoabschätzung der Entwicklung einer Schizophrenie durch prospektiv erhobene
Befunde weiter zu optimieren, um darauf aufbauend ein auch für die
psychiatrische Routinediagnostik pralles und empirisch ausreichend validiertes Erkennungsinstrumentarium anbieten zu können.