Schadstoffanalyse von Gewässern ( neues System )

ermöglicht eine schnellere Warnung der Bevölkerung

 

Jagd nach Pestiziden im Wasser

Schädlingsvernichtungsmittel im Salat oder im Fisch sind eine schaurige Vorstellung – und doch Alltag. Pestizide und andere Schadstoffe verunreinigen Seen, Flüsse und Grundwasserbrunnen, aus denen Landwirte Beregnungswasser und Wasserwerke Trinkwasser gewinnen. Eine neue Technik soll nun helfen, die vorgeschriebenen regelmäßigen Kontrollen des Trinkwassers zu verbessern: Das Prüfsystem, das mit der Größe eines Reisekoffers auskommt, kann 32 Wasser belastende Stoffe vor Ort analysieren – nach Aussage von Fachleuten schneller und kostengünstiger als bisher.

 

Das System haben Forscher in einem EU-Projekt entwickelt, an dem Siemens, die Universität Tübingen, das Technologiezentrum Wasser in Karlsruhe und weitere Partner beteiligt waren. Im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren genügen nach Aussage der Entwickler geringere Konzentrationen, um Schadstoffe aufzuspüren. „Es kann Mengen deutlich unterhalb eines Mikrogramms in einem Liter Wasser spätestens nach 15 Minuten am Messort nachweisen“, erläutert Projektleiter Joachim Kaiser von Siemens. Das Ergebnis wird in einem zugehörigen Computer gespeichert, über ein Funk-Modem oder ein lokales Datennetz (LAN) an einen zentralen Server geschickt und dort verglichen mit den in einer Datenbank gespeicherten bisherigen Analyseergebnissen.

 

Bei Auffälligkeiten wird das jeweilige Wasserwerk per E-Mail oder SMS informiert, so dass es bei Grenzwertüberschreitungen schneller als bisher Maßnahmen zur Abhilfe oder Frühwarnung treffen kann. Dies ist ein beträchtlicher Zeitgewinn gegenüber anderen Verfahren, deren Ergebnisse oft erst mehrere Stunden nach der manuellen Probeentnahme und anschließenden Analyse in einem Labor verfügbar sind, sagen Experten.

 

In offensichtlicher Anlehnung an die Aufklärungsflugzeuge AWACS wurde das System AWACSS genannt: Automated Water Analyser Computer Supported System. Ein Labormuster wird auf der Umwelt- und Entsorgungs-Fachmesse IFAT 2005 vorgestellt, die vom 25. bis 29. April in München stattfindet.

 

Schlüsselkomponente ist ein Biochip, bestehend aus einem oberflächenbehandelten Glasplättchen mit 32 Sensorpositionen. An diesen Stellen werden Schadstoffmoleküle festgehalten und zum Leuchten gebracht. Ein optischer Sensor erfasst Art und Konzentration der Schadstoffe, wie Antibiotika, Pestizide oder Hormone. Der Chip funktioniere vollautomatisch wie 32 voneinander unabhängig arbeitende Messgeräte. Teures geschultes Personal sei zur Bedienung nicht nötig. Bisherige Verfahren messen jeweils nur einen und diesem ähnliche Stoffe. AWACSS könne für weitere Schadstoffe ausgebaut werden, sagen die Siemens-Forscher.

 

„Diese Innovation ist hervorragend“, urteilt Doris Eberhardt, Wasserexpertin des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Wichtiger sei aber, dass die Landwirtschaft weniger Pestizide ausbringe und die Industrie weniger andere Schadstoffe emittiere. „Reinigen ist wesentlich teurer als zu verhindern, dass Schadstoffe überhaupt ins Grundwasser gelangen.“ Überdies werde nur Trinkwasser gereinigt. Fische, Wasserlebewesen und Salate oder Gemüse nehmen belastetes Wasser auf. Zudem zerstören Pestizide die natürliche Selbstreinigungskraft des Wassers.

 

Das EU-Parlament in Brüssel diskutiert daher eine Grundwasserrichtlinie, die das Vorsorgeprinzip und Schadstoff-Grenzwerte enthält. Noch ist unklar, wann und wie weit die Verursacher zur Verantwortung gezogen werden. Experten erwarten aber, dass die Richtlinie von den Mitgliedsländern Schadstofflisten mit Grenzwerten fordern wird.

 

„Neue Analysesysteme wie AWACSS würden sich gut eignen, um die Einhaltung der Vorgaben rasch überprüfen zu können. Sie könnten aber auch dazu beitragen, vor nicht gelisteten Stoffen zu warnen, so dass die Listen aktualisiert werden können“, meint Eberhardt. Dazu müssten die Systeme allerdings so feinfühlig sein, dass sie nicht nur die für Menschen schädlichen Konzentrationen messen, sondern auch niedrigere Konzentrationen, die die empfindlicheren Ökosysteme schädigen.

HANDELSBLATT, 25.4.2005