Salzwassergefahr
Trinkt
man zu viel Salzwasser auf einmal - und dies kann schon die Menge sein, nach
der sich ein durstiger Schiffbrüchiger in heißen Breiten sehnt -, so wird der
Wasserbedarf nicht gestillt, sondern man trocknet innerlich aus. Verantwortlich
dafür ist die Osmose: der Ausgleich zweier verschiedener Flüssigkeiten, in
diesem Fall Wasser mit unterschiedlich hohem Salzgehalt, durch eine Membran
hindurch. Der Osmoseprozess stoppt erst, wenn sich beide Seiten angeglichen
haben. Ist Salz im Spiel, strömt das Wasser von allein immer nur dorthin, wo
die höhere Konzentration herrscht.
Salz zieht Wasser an, der Effekt ist in jedem Salzstreuer zu beobachten -
übertroffen nur noch von Reis, der dem Salz hinzugefügt wird, damit es trocken
bleibt.
Die Flüssigkeit menschlicher Zellen hat einen bestimmten Salzgehalt, er ist
geringer als der von Meerwasser. Wird nun die Zellwand, die Membran eben, von
außen mit salzigerem Wasser umspült, so zieht dies die Flüssigkeit aus der
Zelle heraus, anstatt hineinzuströmen. Der Salzgehalt von Meerwasser ist
andererseits auch zu groß, um von den Nieren ohne weiteres aufgenommen und
weiterverarbeitet zu werden.
Das Wasser im Körper befindet sich zu zwei Dritteln in den Zellen, der Rest
außerhalb von ihnen, im Blut etwa oder im Verdauungstrakt, wo es nach dem
Trinken auch zuerst landet. Strömt dort Salzwasser ein - und verändert sich
dadurch der osmotische Druck -, registrieren dies im Hypothalamus,
einem Teil des Gehirns, sofort spezielle Zellen, die Osmoserezeptoren. Sie
kontrollieren nicht nur die Wasserausscheidung, sondern auch das Durstgefühl.
Erstes Anzeichen bei Durst ist der trockene Mund. Er entsteht, weil bei
Wassermangel die Speichelproduktion vermindert wird, um mehr Flüssigkeit dem
Blut zuführen zu können. Blut ist besonders auf einen konstanten
Flüssigkeitsgrad angewiesen. Und so lautet das Signal: mehr Wasser in den Mund.
Aber auch Meerwasser?
Gewiss hört sich die Behauptung zunächst absurd an, wir trockneten aus, wenn
wir Mengen von Meerwasser trinken. Natürlich haben wir nach dem Schlucken mehr
Wasser in uns, im Magen, auch im Darm. Aber dort, wo das Wasser letztlich hin
soll, in den Zellen, entziehen wir es mit jedem Schluck.
Der Punkt, an dem die Einnahme von Salzwasser nicht mehr hilfreich ist, an dem
sie gesundheitsgefährdend, ja lebensbedrohlich wird,
dürfte sich kaum verbindlich feststellen lassen. Abzuwägen gilt: Gar kein
Wasser schadet, zu viel Salz aber auch. Und dann kommt es noch auf den
Zeitpunkt an. Entscheidend ist, dass das osmotisch geregelte Verhältnis von Wasser
und Salz im Körper nicht kippt.
Schiffbrüchige sollten, wenn sie über einen gewissen Süßwasservorrat verfügen,
diesen so weit mit Salzwasser strecken, bis die Grenze des Verträglichen
erreicht ist. Ist nur Salzwasser vorhanden, so empfiehlt es sich, davon vor
allem am Anfang zu schlucken, wenn nämlich der Körper noch nicht dehydriert ist
und sich das Salzwasser darin auf das verträgliche Maß "verdünnt".
Falsche Sparsamkeit, das Warten auf den großen Durst, ist deshalb verfehlt.
Kleine Dosen helfen, den Salzgehalt möglichst lange auf einem
gesundheitsverträglichen Maß zu halten.
Aus demselben Grund sollten Schiffbrüchige tunlichst alles Schweißtreibende
vermeiden. Je mehr Flüssigkeit ausgeschwitzt wird, desto konzentrierter wird
die Salzlösung im Körper.
Kleiner Trost: Es gibt auch auf hoher See - außer Regen, wenn er denn fällt -
eine Quelle trinkbaren Wassers. Die Flüssigkeit in frisch gefangenen Fischen
hat einen für Menschen erträglicheren Salzgehalt als Meerwasser, zum Strecken
von Trinkwasser wäre sie also begrenzt zu gebrauchen: fangen, töten,
aufschneiden und auslutschen. Doch die Meere sind unergründlich und für viele
Überraschungen gut. Gewarnt wird deshalb davor,
dubiose Meerestiere, die nicht den üblichen Proportionen von Fischen entsprechen,
"auszutrinken". Haie und Krabben, so heißt es auch, hätten einen zu
hohen Salzgehalt, von Quallen sollte man - und würde man wohl ohnehin - die
Finger lassen.
Versuche der französischen Armee ergaben, dass der Mensch es mit Salzwasserdiät
sechs Tage problemlos aushalten würde. Danach indes wird die Osmose
problematisch.
Die Frage, wie viel der Mensch verträgt, stellt sich auch an Land - dort
allerdings auch: Wie viel braucht der Mensch? Salz ist schließlich
lebensnotwendig. Dauerhafte Einnahme destillierten Wassers würde deshalb
ebenfalls Probleme verursachen. Die Antwort auf die richtige Dosis allerdings
unterliegt Schwankungen. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt zwei
Kilogramm im Jahr, größere Mengen standen jahrzehntelang laut mehreren Studien
im Verdacht, Bluthochdruck und Infarkte zu verursachen. Seit jedoch der
US-Experte Gary Taubes in den neunziger Jahren in der Zeitschrift
"Science" jene Studien glaubhaft widerlegen konnte, sind die
Gesundheitsbehörden vieler Länder, auch Deutschlands, mit ihren Warnungen vor
zu viel Salz zurückhaltender.
Quelle:
Spiegel online 16.2.06
Salzwassererbrechen mit 2 Eßlöffel
Kochsalz auf einen Liter Wasser wurde nach einer Reihe von Todesfällen, bei
denen die Patienten austrockneten ehe sie erbrechen konnten und an einer
Lungenembolie verstarben, längst aus der Medizin verbannt.