Rauchen - „Gemeingefährliche
Vergiftung“
Ein Jurist verklagt die
Tabakindustrie - wegen der Zusatzstoffe, die Zigaretten noch gefährlicher
machen, als sie ohnehin sind
Halbe Sachen liegen
Michael Adams nicht. Wenn der Hamburger Professor für Wirtschaftsrecht etwas
macht, „dann richtig“. Das soll jetzt die Tabakindustrie zu spüren bekommen:
Der Wissenschaftler erstattete Strafanzeige gegen sämtliche großen
Zigarettenhersteller und deren Industrieverband VdC. Wegen „gemeingefährlicher
Vergiftung und gewerbsmäßigem Bandenbetrug“. Durch „Beifügung von
Zusatzstoffen“ würden die Zigarettenhersteller „das Produkt Zigarette“ noch
gefährlicher machen, als es ohnehin schon sei, argumentiert Adams. Eine zweite
Klage hat er schon in der Schublade: gegen Verbraucherschutzministerin Renate
Künast wegen Untätigkeit.
„Eigentlich wollte
ich die Anzeige gar nicht stellen“, so Adams, „denn von einem Wissenschaftler,
der so etwas macht, heißt es schnell: Der hat ja Schaum vor dem Mund, der ist
kein Wissenschaftler mehr.“ Doch nach zahlreichen mitverfassten Aufsätzen über
Gesetzesverstöße bei der Zigarettenproduktion habe er „nicht mehr anders
gekonnt. Sonst hätte ich ein Glaubwürdigkeitsproblem gehabt“.
Nun fragt sich, ob
die Justiz ihm Glauben schenkt. 54 Seiten umfasst das Konvolut, das Adams bei
der Staatsanwaltschaft Hamburg abgegeben hat und an dessen Ende der „Verfall
von Vermögen“ der großen Tabakunternehmen in Milliardenhöhe gefordert wird.
Adams rechnet sich bessere Chancen aus, als sie jener 56-jährige Dauerraucher hatte,
der 2003 vergebens versuchte, von Reemtsma 213.000 Euro Schmerzensgeld für
seine Herzinfarkte einzuklagen. Denn der Jurist behauptet nicht, Rauchern sei
unbekannt, dass Zigaretten ungesund sind und süchtig machen. Vielmehr ist „die
ganz erhebliche zusätzliche Gefährdung und Suchterzeugung durch systematische
Veränderung des Tabaks der entscheidende Punkt, der die Strafbarkeit
begründet", heißt es in der
Anzeige.
Adams beruft sich
auf neueste Erkenntnisse aus den USA und des Deutschen Krebsforschungszentrums
(DKFZ). Demnach werden Zigaretten bis zu 600 Zusatzstoffe beigemischt. An
erster Stelle steht Ammoniak, weil es, so Adams, „die Anflutung des Nikotins im
Gehirn“ und die Suchtwirkung verstärke. Aber auch Menthol, Zucker, Vanille,
Kakao und Honig kommen zum Einsatz, um vor allem Jugendliche den Einstieg zu
erleichtern. „Als Geschmacksverstärker überdecken diese Stoffe den natürlichen
strengen Tabakgeschmack“, so Adams. Zusätzlich machen die an sich ungiftigen
Beimischungen die Zigarette gefährlicher, weil bei ihrer Verbrennung Stoffe
entstehen, „von denen Dutzende krebserzeugend sind“, wie der DKFZ-Experte
Heinz-Walter Thielmann herausgefunden hat.
„Gewerbsmäßigen Bandenbetrug“ wittert Michael Adams bei den so genannten
Light-Zigaretten. Sie seien vermarktet worden, „obwohl die Hersteller wussten,
dass diese eine geringere Gesundheitsschädlichkeit suggerieren - die
tatsächlich nicht vorhanden war“. Forschungen hätten gezeigt, dass die Raucher
bei Light-Zigaretten durch tiefere Inhalation zwischen 50 und 150 Prozent mehr
Schadstoffe aufnähmen als auf der Packung verzeichnet. „Und das wusste die
Tabakindustrie ganz genau“, sagt. Adams.
Der VdC und einige
Tabakkonzerne wollen keine Stellungnahme zu Adams Anzeige abgeben. „Wir warten
ab, ob die Sache überhaupt einer weiteren Prüfung durch die Staatsanwälte
standhält“, so Rainer Stubenvoll, Sprecher von BAT („Lucky Strike“). Beim
„West“-Hersteller Reemtsma heißt es: „Wir halten uns bei der Herstellung an
alle rechtlichen Bestimmungen und fügen den Zigaretten nichts hinzu, was sie
für Jugendliche attraktiver macht oder das Rauchen-Aufhören erschwert.“
Einen wesentlichen Beweis konnte der Hamburger
Zigarettenschreck Adams bisher nicht führen: eine genaue Auflistung der
Zusatzstoffe in deutschen Glimmstengeln. Er kann sich nur auf amerikanische
Angaben berufen, weil das deutsche Verbraucherschutzministerium untätig
geblieben ist.
Nach der neuen
Tabakprodukt-Verordnung sind Hersteller und Vertreiber seit November 2002
verpflichtet, sämtliche Zusatzstoffe
ihrer Produkte, „auch die toxikologischen Daten“, an das
Künast-Ministerium zu melden. Das haben sie auch brav getan. Weiter heißt es in
der Verordnung: „Das Ministerium gibt den Inhalt der Listen zur Unterrichtung
der Verbraucher in geeigneter Weise bekannt.“ Darauf aber wartet man bis heute.
Adams: „Offenbar mangelt es im Hause Künast an der erforderlichen Kompetenz.“
2003 antwortete das
Ministerium einem Interessierten, der die Listen einsehen wollte: „Es handelt
sich um eine solche Menge an Unterlagen, die in angeordneter Form zugeleitet
wurden, dass ein Zugriff auf bestimmte Angaben nicht möglich ist.“ Am 8. April
2004 hieß es: „Die Daten liegen jetzt erstmalig in elektronischer Form vor. Sie
werden zur Zeit auf Vollständigkeit geprüft.“ Im Mai, Juli und September fragte
Adams selbst nach und erfuhr im November von Staatssekretär Alexander Müller:
„Der Schutz von Produktformeln, die ein Geschäftsgeheimnis darstellen,
erfordert eine eingehende Prüfung des sehr umfangreichen, inhomogenen
Datenmaterials.“ Dennoch dürfe er „versichern, dass das Bundesministerium für
eine zügige Veröffentlichung der Listen Sorge tragen wird.“
Doch die Funkstille
dauert bis heute an. Nun hat Adams dem Verbraucherschutzministerium
geschrieben: „Eine Rechtfertigung einer über zweijährigen Bearbeitungszeit ist
dem Gesetz nicht zu entnehmen. Sie müssen mit einer gerichtlichen
Geltendmachung rechnen.“
Quelle: stern, 16.05., Seite 159