Quecksilbervergiftung bei Degussa, keine Rente, starb
Der heute 51jährige Pat. H. O. hat von
seinem 28. - 43. Lebensjahr bei der Firma Degussa als Gekrätzemüller am
Amalgamofen der Quecksilberdestillationsanlage gearbeitet. Im Jahre 1973 kam es
aufgrund eines Defektes zu Nebelschwaden in der Luft und Quecksilberseen am
Boden. Quecksilber im Urin lag bei 1.233 µg/l. Schon 1973 fiel der inneren
Klinik bei dem 41-jährigen auf: Gingivitis, Oberkiefervollprothese,
lückenhaftes Unterkiefergebiss, graubräunlicher Zahnsaum, 9000 Leukozyten,
abakterielle Leukozytose (25) im Urin, geistig abgeflacht, „einfach
strukturiert“. Diabetes mellitus.
Antidottherapie mit
Dimercaprol in mehreren Stößen. Zwei Jahre später Schwellung der Hand-, Knie-
und Sprunggelenke mit Schmerzen in den Armen und Beinen, stechenden Schmerzen
auf der linken Rücken- und Brustseite und auf der linken Schulter, nach 3
Wochen Rückgang der Gelenkschwellungen, dann Temperaturen bis 40 Grad, Husten,
Atemnot:
Myokarditis mit
Bronchopneumonie. Im EKG Linkstyp, AV-Block 1. Grades (PQ 0,23 sec.), V3 - 6,
A. J. praeterminal negatives T, Vorhofüberlastung, Rückbildung der
T-Negativierung mit der Herzvergrößerung und den Entzündungszeichen. 1976: „vegetatives
Herzsyndrom im Sinne einer Hyperkinese“. 1977: Arbeitsmedizin Erlangen, Prof.
Schiele: berufsbedingte akute Quecksilberbelastung, wegen Fehlens „typischer
Beschwerden“ keine Anerkennung als Vergiftung, Intelligenzminderung und
Antriebsarmut als Folge eines „ungeklärten hirnatrophischen Prozesses“, geringe
aktive chronische aggressive Hepatitis, latenter Diabetes mellitus,
Zahnfleischschwund, Zustand nach Myokarditis, Pneumonie (24 Seiten Gutachten!).
Befund vom
14.8.1989, Hg-Vergiftungssymptome: Mund-Rachen-Magenschmerzen, Metallgeschmack,
Reizhusten, Atemnot, wiederholt Bronchitis, Frösteln, Gewichtsverlust, allg.
Schwäche, Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen, Schwindel, Nervosität, erhebl. redz.
Merkfähigkeit, feines Zittern, auch an den Augenlidern, bei Intention
verstärkt, Zitterschrift, Speichelfluss, Zahnfleischentzündungen, blauvioletter
Saum an den Zahnhälsen, Zahnausfall, hartnäckiger Schnupfen, eitrige
Nasennebenhöhlenentzündungen, Herzrhythmusstörungen, Nervosität, Reizbarkeit,
Aufbrausen, gehetztes Tempo, Schlaflosigkeit, rasche Ermüdung, Depression,
Schüchternheit, Unentschlossenheit, Menschenscheu, Stimmungslabilität,
Empfindungsstörungen, Schwerhörigkeit, Hautekzem, Leberschaden, Nierenschaden,
Hg i. Urin 0,5 µg/g Kreatinin, Zink 445 µg/g Kreatinin, Pb 8 µg/g Kreat., Cu 32
µg/g Kreat. (nach DMPS i.v.). Nie Amalgamfüllungen gehabt.
Beurteilung:
Typische, schwere chronische gewerbliche
Quecksilbervergiftung mit den typischen Organschäden des Gehirns, des Herzens,
der Leber, und anderer Organe. Die neurologischen Spätschäden sind
irreversibel. Es ist unfassbar, dass hier die Berufserkrankung bisher abgelehnt
wurde- bis der Patient starb!
Quelle: (Dr. M.
Daunderer)
FORUM
des Praktischen und Allgemein-Arztes 28 (1989) Nr. 11