Quecksilber - schon 1923
wurde gewarnt
(….) Ferner werden in einigen Fabriken
Schalen mit Terpentinöl in den Arbeitsräumen aufgestellt, und den Arbeitern
Fläschchen mit gleichem Inhalt um den Hals gehängt, da der Terpentindampf die
Oxidation des eingeatmeten Phosphors
verhindert. Wichtiger noch ist jedenfalls die persönliche Reinhaltung des
Arbeiters. Wechsel der Kleider beim Beginn und Verlassen der Arbeit,
sorgfältiges Waschen der Hände und des Mundes, Gurgeln und Putzen der Zähne mit
Kalk oder Magnesia werden viel dazu beitragen, die schreckliche Krankheit zu
bannen, denn es gelangt nur ein kleiner Teil des Giftes in den Körper durch
Atmung, ein anderer Teil legt sich in Mund und Nase ab und wird verschluckt,
während ein dritter an Händen und Kleidern haftet, beim Essen mit schmutzigen
Händen wohl gar im Arbeitsraume sich auf die Speisen überträgt und mit in den
Magen geführt wird. Vor allem ist vor dem Missbrauch alkoholischer Getränke zu
warnen, zu denen die Arbeiter bei beginnender Erkrankung gern ihre Zuflucht
nehmen, um ihre gesunkenen Lebensgeister wieder anzufachen, durch die sie aber
ihren Körper noch ärger zerrütten und ihn zur Aufnahme des Giftstoffes
geneigter machen.
Bei weitem ausgedehntere Anwendung als der
Phosphor findet das Q u e c k s i l b e r sowohl als Metall als auch in
seiner Verbindung mit Zinn in Gestalt des Zinnamalgams. In dieser Form dient es
hauptsächlich als Belag für die Spiegel. Bei der Fabrikation von Spiegeln wird
zuerst auf ein auf einer Marmorplatte liegendes Staniolblatt Quecksilber
verteilt, um das Zinnamalgam herzustellen. Ist die Staniolfläche noch einmal
mit Quecksilber übergossen worden, so wird jetzt über diese Schicht mit großer
Vorsicht die Glasplatte geschoben. Der Spiegel ist dann eigentlich schon
fertig, denn die weiteren Manipulationen bestehen darin, das überschüssige
Quecksilber zu entfernen. Es genügt hier anzudeuten, dass das abfließende
Metall in Riefen geleitet wird, um aufgefangen und von neuem verarbeitet zu
werden. Die Luft, in welcher die Arbeiter die Spiegel belegen, ist, wie schon
aus den wenigen Angaben ersichtlich sein wird, mit Quecksilber geschwängert,
und zwar fliegt es nicht sowohl in Dampfform in derselben umher, als vielmehr in
fein verteiltem, staubförmigen Zustande. Dieser Quecksilberstaub legt sich nun
auf Finger, Haare, Kleider und Speisen, in Mund und Nase, und dringt auf allen
diesen Wegen indirekt oder direkt in den Körper ein. Das in kleinen Mengen
während eines langen Zeitraumes in den Organismus gelangte Gift, welches nur in
sehr geringem Maße wieder ausgeschieden wird, verursacht anfänglich eine
langsam fortschreitende Mundfäule. Das Zahnfleisch schwillt an und blutet
leicht, die Zähne werden locker und fallen aus. Dazu gesellen sich nervöse
Erscheinungen, besonders das Quecksilberzittern. Das Zittern zeigt sich beim
Beginn oft nur, wenn die Erkrankten in Erregung geraten. Im späteren Verlauf
zeigt sich das Zittern immer mehr und greift nach und nach auf alle Muskeln über,
ohne wieder zu weichen. Es schließen sich Lähmungen mit Zuckungen der
Beugemuskeln an, ferner Abmagerung, Gedächtnisschwäche, Krämpfe und Delirien.
Zur Verminderung der Vergiftungsgefahr hat man die Aufstellung von Schalen mit
Schwefelblumen in den Werkstätten empfohlen, damit sich zwischen dem Schwefel
und dem Quecksilber eine unlösliche Verbindung bilde. Ferner hat man Versuche
mit Abspülungen des Fußbodens mit Ammoniakwasser gemacht, durchgreifender sind
jedoch Maßregeln allgemein hygienischer Natur. Abgesehen von einer guten
Luftstromregulierung wird das Hauptgewicht auf einen glatten, festen Fußboden
zu legen sein, der nicht in feinen Fugen und Ritzen das Quecksilber aufnimmt
und sammelt. Asphalt oder Zement ist daher für diese Zwecke am passendsten, nur
muss der Fußboden nach einer Ecke zu gesenkt sein, damit dorthin das zerstreute
Metall zusammenfließt. Sodann werden alle die Vorsichtsmaßregeln hinsichtlich
der Kleidung und des Essens beobachtet werden müssen, wie sie schon bei der
Zündholzfabrikation erwähnt wurden. Ja, sie müssen für die Spiegelfabriken
sogar noch verschärft werden. Die Straßenkleider dürfen nicht in den für die
Arbeitskittel bestimmten Schrank gehängt werden, der Arbeitsanzug muss an Hals
und Handgelenken eng anschließen, und auf keinen Fall darf eine Mahlzeit in den
Arbeitsräumen gestattet werden. Wenn auch die in manchen Gegenden geltende
Polizeivorschrift, nach der überhaupt nur an vier Tagen in der Woche das
Belegen der Spiegel ausgeführt werden darf, schwerlich zu allgemeiner Annahme
gelangen wird, so ist doch eine zeitweilige Beurlaubung der Arbeiter,
vielleicht in Verbindung mit einer Jodkaliumkur sehr in Erwägung zu ziehen.
Gegen die beginnende Mundfäule werden Gurgelungen und Mundspülwasser von
Kaliumchlorat mit Erfolg gebraucht.
Noch mannigfaltiger und ausgedehnter in
seiner Bewertung als Quecksilber ist as Blei. Die Weber an den Webstühlen, bei
denen die kleinen, zum Spannen der Fäden dienenden Bleigewichte fortwährend
abgerieben werden und bleihaltigen Staub entwickeln, die Schriftsetzer, an
deren Fingern beim Hantieren mit den Lettern sich der Bleistaub heftet, die
Töpfer, welche zu ihren Glasuren Bleiverbindungen benutzen, leiden unter der
schädlichen Einwirkung dieses Metalls. Außer den Arbeitern, welche in chemischen
Fabriken Bleipräparate erzeugen, stellen auch die Blumenmacherinnen, die zum
Färben der künstlichen Blumen vielfach Bleifarben benutzen, die Schneider,
welche mit in Bleiessig getränkter Seide nähen, und die Stickerinnen, die
Bleiweiß zum Durchpausen der Stickmuster verwenden, einen guten Bruchteil zu
den Erkrankungsfällen an chronischer Bleivergiftung (….)
Quelle: Der Arzt im Hause - Ein Wegweiser
zur Bekämpfung und Verhütung von Krankheiten.
1. Band, 1923