Quecksilber im Amtshaus in Fürth

Seit 1952 arbeiteten die Beamten und Angestellten des Ordnungs-, Versicherungs- und Liegenschaftamtes der Stadt Fürth in den höchst Quecksilber kontaminierten Räumen einer alten Spiegelfabrik.

 

Adynamie, Müdigkeit, Gedächtnisstörungen, Schwindel, Gleichgewichtsstörung, Herzrhythmusstörungen, Konzentrationsschwäche und Kopfschmerzen waren die vorherrschenden Symptome.

 

Vor über 10 Jahren machte ein Lehrer den Oberbürgermeister darauf aufmerksam, dass seine Kinder mit metallischem Quecksilber spielten - ohne Konsequenz.

 

1985 fand man bei Erdarbeiten vor dem Gebäude metallisches Quecksilber im Erdreich. Bei Fußbodenrenovierungsarbeiten wurde metallisches Quecksilber mit der Schaufel entfernt.

 

 

Gefahr - Negieren:

(SCHIELE, 11.08.89, Amtshaus Fürth)

 

1. Es besteht in der Tat eine große Diskrepanz zwischen den Meßergebnissen der Hg-Raumluft-Konzentrationen und den Meßwerten von Blut und Urin.

 

2. Diese ist wahrscheinlich im wesentlichen auf die gewählte möglichst ungünstige Meßsituation zur Erfassung der maximal erreichbaren Hg-Konzentrationen in der Raumluft zurückzuführen, die die durchschnittlich in den Räumen vorkommenden wesentlich übertreffen dürfte. Zum Ausschluß eines systematischen Analysenfehlers wären Vergleichsmessungen durch ein Referenzlabor zu empfehlen.

 

3. Gesundheitliche Folgen für die Beschäftigten sind unter Berücksichtigung der gemessenen Werte im biologischen Material, die auch im höchsten Fall noch um mehr als 50% unter denen von industriell hochexponierten Arbeitnehmern liegen, nicht zu befürchten, da sich die Hg-Konzentrationen von Blut und Urin nach Beendigung der Exposition von allein normalisieren. Eine Behandlung, z.B. mit Komplexbildnern, würde hingegen ein zusätzliches Risiko, z.B. durch allergische Nebenwirkungen implizieren.

 

4. Im Hinblick auf erhöhte Quecksilber-Konzentrationen im Blut und Urin sowie in der Raumluft sollten die Zimmer 111-115, 119-120, die Zimmer 212-217 und die Zimmer 220-225 geräumt werden, was zumindest teilweise schon durchgeführt wurde.

 

5. Die untereinander verbundenen Räume weisen weitgehend homogene Belastungswerte der Hg-Konzentrationen in der Luft und von Blut und Urin auf. Eine meßtechnische Differenzierung würde Messungen in den einzelnen Bereichen nach vorheriger Unterbrechung der Luftverbindung zu den anderen Räumen erfordern.

 

6. Dämpfe von metallischem Hg verhalten sich physikalisch und chemisch ähnlich wie ein Edelgas und können durch Umluft auch in andere Bereiche getragen werden.

 

7. Als dauerhaft zumutbare Hg-Belastungen sind für die in den Amtsräumen beschäftigten Personen nur die oberen Normgrenzen der Durchschnitts-bevölkerung für die Quecksilber-Belastung von Blut (3 µg/l) und Urin (5 µg/g Krea.) anzusetzen. Eine Überschreitung dieser Normgrenzen ist auch bei durchschnittlichen Hg-Konzentrationen in der Raumluft von bis zu 1 µg/m3 nicht zu erwarten.

 

8. Eine vorübergehende Weiterbeschäftigung von Personen in Räumen mit durchschnittlichen Hg-Belastungen von bis zu 5 µg/m3 bzw. mit Hg-Konzentrationen im biologischen Material von bis zum Zweifachen der oberen Normgrenze, d.h. 6 µg/l Blut oder 10 µg/g Krea. Die Quecksilberkonzentration im Urin ist bis zur Fertigstellung geeigneter Ersatzräume in den nächsten Monaten gefahrlos vertretbar. Eine gelegentliche Überprüfung der Hg-Konzentrationen im Blut und Urin sowie in der Raumluft ist zu empfehlen.

 

 

Gutachten Landesgewerbeanstalt Bayern vom 19.09.1989 (in gleicher Sache)

 

1. Im gesamten Gebäudekomplex des Amtshauses sind Quecksilber-Raumluftbelastungen gegeben. Bodenuntersuchungen auf dem unmittelbaren Gelände (Innenhofbereich) erbrachten in 50 cm Tiefe eine deutliche Kontamination des Bodens mit Quecksilber (2-200 mg/kg).

 

2. Die höchsten Raumluftbelastungen an Quecksilber (50-1300 µg/m3) wurden im Bereich des Rückgebäudes bis zum Treppenaufgang sowie im sich anschließenden Drittel des Gebäudes an der Hirschenstraße gemessen. Die höchsten Belastungen sind im 2. OG gegeben. Damit ist das Zentrum der Quecksilberkontamination klar umrissen; zur Veranschaulichung dienen die Anlagen 1-4. Aufgrund der Meßergebnisse sind nachfolgende Büroräume ungeeignet und so schnell als möglich zu schließen. Um eine Verschleppung zu vermeiden, muss auch von einer Nutzung der Räume des Rückgebäudes als Durchgang abgesehen werden.

 

3. Die Hauptquelle für die Belastung im hoch kontaminierten Bereich ist aufgrund der durchgeführten Materialuntersuchungen im Bodensand zu sehen (bis 7,6 g/kg). Daneben sind Putz und Mörtel deutlich kontaminiert (bis 58 mg/kg).

 

4. Nach dem jetzigen Kenntnisstand sind weitere Raumluftmessungen nicht notwendig. So schnell als möglich sind Sanierungspläne zu entwickeln. Auch die Bereiche mit nur geringen Quecksilber-Raumluftbelastungen (<5 µg/m3) bzw. geringsten anzunehmenden Belastungen (<1 µg/m3) sind in die Sanierungs-pläne einzubeziehen, da eine eindeutige Trennung sicher nicht möglich ist, und auch dort von einer geringen Quecksilber-kontamination ausgegangen werden muss. Ein weiterer Zeitverzug zur Entwicklung derartiger Pläne ist nicht akzeptabel.

 

Eine arbeitsmedizinische Stellungnahme hat dazu unabhängig zu erfolgen.

 

 

Pat. K.M., 17.11.42

 

Die Vorgeschichte (Tätigkeiten des Probanden vom 01.07.1979 bis 26.08.1989 im Ämtergebäude Kohlenmarkt 3, Fürth) darf als bekannt vorausgesetzt werden.

In den uns vorliegenden Unterlagen der Landesgewerbeanstalt Bayern vom 19.09.1989 und des Instituts für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg vom 26.10.1989 wird eindeutig eine langjährige erhöhte Quecksilber-Raumluft-Belastung in den Räumen des Amtsgebäudes bestätigt. Das Gewerbeaufsichtsamt Nürnberg stellt mit Schreiben vom 12.02.1990 fest, dass aus der Sicht des Arbeitsschutzes die gefundenen Werte bezüglich Quecksilberbelastung selbst für quecksilberexponierte Arbeitnehmer stellenweise weit über den zumutbaren Grenzen liegen; für nicht beruflich exponierte Mitarbeiter sind diese unvertretbar.

Der Internist Dr. Max Daunderer, München, attestierte dem Probanden am 16.10.1989 sowie am 26.02.1990 eine schwere chronische, inhalatorische Quecksilberintoxikation, das Institut für Arbeitsmedizin der Universität Erlangen (Schreiben an den Probanden vom 31.07.1989) zumindest eine derzeit nachweisbare, ,,leichte Quecksilberanreicherung im Organismus“.

In einem von uns veranlaßten HNO-ärztlichen Gutachten der Universitäts-HNO-Klinik Erlangen wird eine erhöhte Hirnstammlaufzeit festgestellt, die möglicherweise toxisch bedingt ist.

Wenn laut Privatdozent Dr. Stefan Halbach, Institut für Toxikologie, Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung in München (,,Quecksilber-Exposition und ihre Folgen“ -Artikel im Deutschen Ärzteblatt 87, Heft 7, 15. Febr. 1990) ,,... bei Langzeitexposition mit erhöhten Konzentrationen dampfförmigen Quecksilbers das Gehirn das kritische Organ ist . ..“, dann sind die objektiv festgestellten augenärztlichen (konzentrische Gesichtsfeld-einschränkung), neurologischen und vegetativen Störungen sowie die psychischen Auffälligkeiten, welche insgesamt ihre Entsprechung in den durchaus glaubhaft geschilderten Beschwerden finden, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf hirnorganische Schäden zurückzuführen, welche ihre Ursache in der Einwirkung erhöhter Quecksilberkonzentrationen über lange Zeit hinweg haben.

Somit wird amtsärztlicherseits festgestellt, dass oben beschriebene Gesundheitsstörungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Folge der langjährigen Quecksilber-Raumbelastung sind. Somit sind die Voraussetzungen zur Anerkennung von chronischer Quecksilber-Intoxikation und deren Folgen als Dienstunfall gegeben.

 

Quelle: Gesundheitsamt, Dr. Brüggmann (Medizinaloberrätin)

 

K.M. starb am 26.03.92 eines unnatürlichen Todes als Folge der chronischen Quecksilbervergiftung. Der Staatsanwalt ermittelt.

 

 

Tabelle: Meßwerte von 19 Beschäftigten im Fürther Amtshaus,

daraus 4 Beispiele:

 

Urin I: vor DMPS Gabe

Urin II: nach der Mobilisation aus den Organen durch DMPS Gabe

 

 

 

 

 

 

 

Name: Z.H.

Geschlecht: m

geb.: 22.02.65

 

 

Urin I

 

Urin II

 

Kreatinin (g/l)

0,94

-

Hg (µg/g Krea.)

18,2

2.676,1

Cu (µg/g Krea.)

-

1.456

Zn (µg/g Krea.)

428

-

 

 

 

Name: A.R.

Geschlecht: m

geb.: 24.05.60

 

 

Urin I

 

Urin II

 

Kreatinin (g/l)

1,62

1,91

Hg (µg/g Krea.)

11,4

1.192,7

Cu (µg/g Krea.)

-

497

Zn (µg/g Krea.)

202

-

 

 

 

Name: F.U.

Geschlecht: w

geb.: 08.06.60

 

 

Urin I

 

Urin II

 

Kreatinin (g/l)

1,23

1,37

Hg (µg/g Krea.)

25,4

3.182,5

Cu (µg/g Krea.)

-

696

Zn (µg/g Krea.)

-

-

 

 

 

Name: U.D.

Geschlecht: w

geb.: 27.10.66

 

 

 

Urin I

 

Urin II

 

Kreatinin (g/l)

1,31

0,38

Hg (µg/g Krea.)

8,3

578,4

Cu (µg/g Krea.)

-

912

Zn (µg/g Krea.)

142

-

Aus: Daunderer, Max:

 

Klinische Toxikologie

 

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Daunderer -Klinische Toxikologie - 133. Erg.-Lfg. 11/98

Kapitel Metalle (umfasst 767 laufende Seiten)

III-9.3 Quecksilber - anorganisch

Seite 58-61 (CD-ROM Ausgabe 2/2002 laufende Seite 594-597)