Quecksilber-Vergiftung
durch Antidot geheilt
Eigentlich wurde
sie ein Opfer der Punkte-Diät, jene New Yorkerin, die nach einer
wohlschmeckenden, nahezu ausschließlich aus Protein bestehenden Nahrung suchte,
um abzunehmen. Sie fand diese in Schwertfischfilets. Zwar ging ihr Gewicht
zurück, doch auch ihre zunehmende Geistesabwesenheit steigerte sich schließlich
zum Bild einer akuten Psychose. Sie wurde in zwei Jahren mehrmals mit der
Diagnose „schizophrene Reaktion“ hospitalisiert, ehe man die wirkliche Ursache
ihres Leidens erkannte: Quecksilberintoxikation.
Schwertfisch und
Thunfisch sind glücklicherweise noch die einzigen Fischarten, bei denen ein
bestimmtes Risiko besteht, wird behauptet. Die FDA hat jedenfalls vorläufig
einen Gehalt von 0,5 ppm für das höchste zulässige
Maß erklärt. Seither sollen Thunfischkonserven aus Japan und Amerika nach
Deutschland importiert werden, war kürzlich in der Presse zu lesen, wo man noch
keine so strengen Bestimmungen erlassen hat.
Viele halten
freilich das Gebot der FDA für eher zu lax: Dafür sprechen zahlreiche
experimentelle Daten, wonach alkylierte Quecksilberverbindungen, vor allem das
in Fischen vorkommende Methylquecksilber, noch erheblich toxischer sind als die
anorganischen Hg-Verbindungen, auf die sich die bisherigen Aussagen der
Toxikologen vorwiegend beziehen.
Fragliche Höchstwerte
In Schweden hat man
ein klinisch anders begründetes Höchstmaß für den Quecksilbergehalt
aufgestellt: Die maximal verträgliche Höchstmenge, welche pro Tag aufgenommen
werden kann. Sie liegt bei 0,03 mg für einen Menschen von 70 kg. Dieses Maß
basiert auf der Menge von Methylquecksilber, die neurologische Symptome
auslösen kann. Teratogene Effekte oder subklinische Folgen für das Nervensystem
werden also noch gar nicht einbezogen. Und doch hat ein Mann, der zweimal pro
Woche eine Dose Thunfisch mit dem von der FDA sogar noch erlaubten Hg-Gehalt
verspeist, diese Menge bereits überschritten.
Anorganisches und
organisches Quecksilber führen nach Ansicht vieler Toxikologen zu zwei
grundlegend verschiedenen Krankheitsbildern. Chronische Intoxikation mit
metallischem Quecksilber löst Dermatitiden, Gingivitis, Stomatitis,
Gastroenteritis und psychische Symptome aus, die man als Erethismus („Streitsucht“)
zusammengefasst hat. Dieser Erethismus kann von Angstzuständen,
Konzentrationsmangel, Gedächtnislücken und Intelligenzabbau begleitet sein. In
leichten Fällen erscheint er weitgehend rein als Streitsucht und
Dickköpfigkeit. Bei Erregung begleiten ihn ein leichter Tremor von Gesicht und
Zunge.
Organische
Quecksilbervergiftungen haben nicht nur andere Symptome, sondern auch einen
anderen Verlauf. Während die Intoxikation mit dem reinen Metall schleichend
verläuft und vor allem durch berufliche Exposition ausgelöst wird, setzt die
organische Form oft abrupt ein. Ihre wichtigsten Symptome sind Dysarthrie,
Ataxie und eingeengtes Gesichtsfeld. Doch kann elementares
Hg ebenso wie organisches die Nieren schädigen.
Die Hauptquellen
organischer Hg-Intoxikation sind Fische und mit Fungiziden behandelter Weizen,
den hungrige Bauern verspeisen, statt ihn auszusäen. Dieses Verhalten hat zu
der Katastrophe im Irak geführt, wo über 300 Menschen erkrankten, 114
neurologische Symptome zeigten und elf an allen Zeichen einer amyotrophen
Lateralsklerose litten.
Fast vergessen ist
hingegen die Katastrophe an der japanischen Minamata-Bay, wo vor zehn Jahren
viele Fischer starben, weil ein Industriewerk methylquecksilber-haltige
Abwässer in die Bucht geleitet hatte.
Die Opfer - zuerst
Katzen und bald darauf Menschen - kamen nach heftiger Ataxie um; die Ursache
entdeckte man, als beobachtet wurde, dass nur die Einwohner erkrankten, die von
Fischen lebten. Binnen drei Jahren starb ein Drittel aller bei diesem
japanischen Desaster Vergifteten.
Dennoch sind die
Unterschiede zur Intoxikation mit anorganischem (elementarem) Quecksilber nur
relativ, bemerkten kürzlich Forscher von der Harvard Universität in Boston. Dr.
R. A. Pieter Kark et al. berichteten über einen Patienten, der sich zwar mit
metallischem Hg vergiftete, aber unter anderem auch die drei typischen Symptome
der Intoxikation mit organischem Quecksilber zeigte: Dysarthrie, Ataxie und
eingeschränktes Gesichtsfeld.
Er arbeitete in
einer Werkstatt, wo er elementares Hg aus Batterien
und Amalgamen extrahierte. Der Arbeitsplatz war ziemlich unberührt von
toxikologischen Bedenken: Auf dem rohen Zementestrich standen kleine
Quecksilberpfützen, der Betroffene arbeitete ohne Handschuhe, wenn er
zerbrochene Batterien in einen Retortenofen füllte oder das rohe Quecksilber in
Flaschen goß, wobei er noch eine erkleckliche Menge verschüttete.
Nach einem Jahr
wurde der Kranke schweigsamer und träger. Sein Gedächtnis ließ nach, er verlor
jedes Interesse für das Leben, sah und hörte immer schlechter. Zwei Wochen vor
der Klinikaufnahme musste er seine Arbeit aufgeben. Er konnte nicht mehr stehen
und zitterte so sehr, dass er durch einen Strohhalm trinken musste. Die
Intelligenztests ergaben die Leistungsstufe eines nahezu Schwachsinnigen; die
neurologische Untersuchung zeigte zahlreiche Ausfälle (eingeschränktes
Gesichtsfeld, Gehörverlust, motorische Schwäche an Händen und Füßen, schwere
Ataxie).
Durch eine Therapie
in drei Zyklen von je zehn Tagen, wobei der Kranke viermal täglich 250 mg
N-Azetyl-D-L-Penicillamin (NAP) erhielt, konnten die Symptome zum größten Teil
beseitigt werden. Diese Kur wurde eingeleitet, als sich am 15. Tag der
Hospitalisation eine bizarre Anomalie entwickelte, die den Patienten, der
bereits wieder gehen konnte, für einige Zeit völlig bewegungsunfähig machte.
Alle fünf Minuten streckten sich die Rumpf- und Beckenmuskeln übermäßig,
während die Muskeln des rechten Armes in einem bizarren Muster einen Tremor mit
einer Frequenz von 20 pro Minute produzierten.
Die NAP-Gaben
besserten diese Symptome dramatisch binnen drei Tagen. Zum ersten Mal konnte
der Kranke wieder richtig gehen und mit der rechten Hand zugreifen. Nach dem
dritten Zyklus, mit 250 mg viermal täglich, war die Myokloni völlig
verschwunden, aber der Kranke konnte noch nicht Treppen hinuntersteigen
(fehlende Tiefenperzeption). Nach einem letzten Zyklus mit viermal 500 mg NAP
täglich verschwand auch dieses Symptom.
Quelle: Praxis-Kurier Nr. 21, 24.5.1972
Dr.Daunderer: D-Pernicillamin wurde wegen der hohen Allergierate und
Toxizität verlassen!