1956 Psychoenergetikum Klassische Musik

Vater, der nur sehr selten Geige oder Klavier spielte, hatte Unterricht beim ersten Konzertmeister in der Oper. Vater wollte Geiger werden, sein Vater empfahl ihm jedoch "Chirurg zu werden". Zu diesem  Konzertmeister, Herrn Rosenbeck, wurde ich nun auch geschickt.

Der liebe alte Herr, der nie ein Mädchen kannte, plauderte fleißig mit mir bis Evi List zum Unterricht kam, die  16jährige Tochter des Direktors der Münchner Oper. Nun plauderten alle drei. Zuletzt wurde eine Melodie von beiden Schülern gespielt. Ohne Üben blieb es lange Zeit dieselbe Melodie - ein leichtes Stück von Liszt. Evi sang im Kinderchor und ich war immer in der Oper, wenn sie sang; bis dreimal in der Woche. Bei "Meistersinger von Nürnberg" hatte sie lange Rollen. So war ich damals mehr als 15 Mal in dieser siebenstündigen Oper.

Auch in der Eröffnungsvorstellung des neu aufgebauten Nationaltheaters nach dem Krieg, regelmäßig als „Theaterarzt“ und regelmäßig seit meiner Berentung bin ich mindestens zweimal wöchentlich in der Oper.

Die Eltern freuten sich ganz besonders über ihren geplanten Opernbesuch.

War es doch so, dass früher stets, wenn die herausgeputzte Familie die Haustüre verschloss, um zur Oper zu fahren, ein wohlbekannter Nachbar aufgeregt herbeistürmte, seine Frau verblute. Mit steter Regelmäßigkeit hatte er mit einer Stricknadel der auf dem Küchentisch liegenden Frau die Gebärmutter zur Abtreibung angestochen, und abends (der "Oper Freitag") kam es zur heftigen Blutung. Die notwendige Krankenhauseinweisung durfte damals nur ein Arzt durchführen. Also blieb die ganze Familie zu Hause und schimpfte über "die Patienten".

 

Kühe geben viel mehr Milch, wenn Mozart im Kuhstall plätschert, viel weniger bei Pop-Musik. Der Ideenreichtum, der einen überfällt, wenn man in der klassischen Oper sitzt, ist unvorstellbar. Viele erkennen dies heutzutage neu. Nicht umsonst ist  Anna Netrebko – mein Idol – heute an dritter Stelle in den Charts. Mit frenetischem Beifall hatte ich 2003 ihren Erstauftritt in der Münchner Oper bei Traviata beklatscht – wissend, dass nun endlich eine junge, hübsche Sängerin dem jungen Publikum die Kraft der klassischen Musik herüberbringt.

Seit 35 Jahren schrieb ich in der Oper die kniffeligsten toxikologischen Probleme, bei denen neue Ideen gefordert waren, wie BSE, Mobilfunk und Gifte im Alltag so wie hunderte Ergänzungslieferungen des Lexikons „Toxikologische Enzyklopädie“.

Mein „Stammplatz“ in der Galerie direkt an der Bühne erlaubt mein Papierrascheln.

(Auszug aus meiner neuen Biografie)