Psyche erkrankte ist Umweltmedizin für Zilker und Reichl

Das MCS-Syndrom (Vielfachchemikalienüberempfindlichkeit) wird oft als eine Krankheit des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Insbesondere in den USA wurde und wird dieses Syndrom intensiv erforscht. Bei der Pathogenese der MCS verdichten sich die Hinweise auf Umweltfaktoren, insbesondere Chemikalien.

In Deutschland sind erste Bestrebungen zu erkennen, in Sachen MCS durch das Umweltbundesamt ein Forschungsprogramm zu starten. Bisher wird allerdings die Existenz des MCS-Krankheitsbildes von Repräsentanten der deutschen Schulmedizin vehement verneint.

Die DGUHT beschäftigt sich seit Jahren mit der MCS-Problematik. Die folgende Stellungnahme soll diese Aktivitäten - auch als Angebot auf konstruktive Mitarbeit der Gesellschaft bei dem Forschungsvorhaben des Bundesumweltamtes - unterstreichen.

Es geht um den "Taschenatlas der Toxikologie - Substanzen, Wirkungen, Umwelt", herausgegeben von Privatdozent Dr. Dr. Franz-Xaver Reichl, erschienen bei Thieme, Stuttgart-New York, 1997.

Auf wenigen Seiten wird in einem vom Herausgeber und von Herrn Prof. Dr. Zilker verfaßten Kapitel eine Abhandlung über die Umweltmedizin geschrieben. Die Grundlagen sind kompakt auf zwei Seiten dargestellt. Es folgen Anmerkungen über die Weiterbildung zum Umweltmediziner sowie über Biomonitoring. Sechs weitere Seiten befassen sich mit der Problematik Umweltgifte und psychische Störungen. Die nachfolgenden Ausführungen gehen auf diesen Themenkreis ein.

1. Selbstverständlich gibt es Zusammenhänge zwischen "Psyche" und "Umweltgiften". Es wird in diesem Kapitel aber völlig einseitig die Richtung erkrankte Psyche (vermeintliche Ursache: Umweltvergiftung) beschrieben, nicht jedoch die Richtung Umweltvergiftung (insbesondere durch neurotoxische Noxen). Selbst unter der Überschrift "Umweltgifte als Krankheitsverursacher" wirkt das Gift nur über die Psyche.

2. Es wird nahezu abgestritten, daß es eine "unspezifische Symptomatik" durch Umweltnoxen gibt. Es wird suggeriert, Umweltgifte müßten "spezifische Wirkungen" hervorrufen, ansonsten kämen nur psychische Ursachen in Frage.

3. Der Zynismus des gesamten Beitrags einschließlich der Illustrationen läßt jegliche Objektivität vermissen. Das Kapitel kumuliert in der entlarvenden Polemik der Autoren, die die Schäden durch Umweltgifte nicht in ihrer Toxizität, sondern ausschließlich in den entstehenden Kosten aufgrund gewonnener Prozesse von vermeintlichen Umweltopfern sehen. Die beiden Autoren kommen zu dem Schluss, daß dies aber der Preis ist, den die moderne Gesellschaft für die zunehmende (völlig ungefährliche??) Chemisierung und Energisierung unseres Lebens bezahlen muß.

4. Der Beitrag diskutiert in keiner Weise die Ergebnisse internationaler Forschungen auf dem Gebiet der in unserem Jahrhundert neu hinzugetretenen komplexen Umwelterkrankungen wie MCS-IES, SBS, CFS und viele andere mehr. Literaturhinweise, die zu einer Versachlichung der Diskussion führen könnten, fehlen. Man geht offenbar davon aus, daß diese Umwelterkrankungen oder Syndrome nur einen gemeinsamen Nenner haben können: die Psyche!

5. Dem großen Kreis der Umweltkranken und den Selbsthilfegruppen werden in erster Linie lobbyistische Interessen unterstellt. Kein Wort über die therapeutischen Ansätze und ersten Erfolge dieser Selbsthilfegruppen. Es ist das Fazit der Verfasser, daß eine Besserung der Symptome bei diesen vermeintlichen Umweltkranken wohl am ehesten durch psychotherapeutische Maßnahmen zu erreichen sein wird. Auf Methoden der modernen Schulmedizin, Präventionsmaßnahmen oder auf alternative Verfahren wird nicht eingegangen. Defizite in der Umwelttoxikologie hinsichtlich der Abwehr von Gefahren und Risiken für die Gesundheit werden nicht angesprochen. Dies gilt sowohl für Forschungsdefizite als auch für gravierende Defizite in der Bewertung der Rolle der sich neu entwickelnden regulatorischen Toxikologie.

6. Die DGUHT distanziert sich von dieser unsachlichen und einseitigen Darstellung des Themenkreises Umweltgifte und psychische Störungen der Verfasser Reichl und Zilker. Es ist nahezu ironisch, dass in einem Vorwort zu diesem "Taschenatlas der Toxikologie - Substanzen, Wirkungen, Umwelt" dieses "Werk" als ideale Vorbereitung für pharmakologische und toxikologische Prüfungen angepriesen wird. Dieser (Selbst-)Einschätzung des Herausgebers und der Mitverfasser können wir bezüglich der polemischen und unwissenschaftlichen Darstellung des Kapitels Umweltmedizin nicht folgen.

 

Rubrik: Umweltmedizin Fr, 24.11.2000 14:49 / Vorstand gez. Prof. Dr. Pesch / gez. Prof. Dr. Hoffmann und Wissenschaftlicher Beirat gez. Prof. Dr. Dr. Huebers / gez. Prof. Dr. Witte

Quelle: http://www.umweltmedizin.de/content/articles/511/539/164/index.html?catid=164&artid=3277&topid=539&nosum=1

Datum: 19.01.2006