Professoren korrupt bei Zigaretten und Amalgam
Hochrangige
Gesundheitswissenschaftler aus Deutschland ließen sich
jahrelang
Studien von der Tabakindustrie bezahlen. Firmeninterne Dokumente
zeigen, wie die
Zigarettenkonzerne die Forscher instrumentalisierten, um
die Gefahren des
Rauchens herunterzuspielen.
Die
Öffentlichkeit wurde jahrzehntelang über die Risiken des Rauchens getäuscht
Die Herren haben
sich große Verdienste um die Gesundheit des deutschen
Volkes erworben.
Jürgen Freiherr
von Troschke, 64, zum Beispiel, der Leiter der
Abteilung
für Medizinische
Soziologie der Universität Freiburg, forschte über die
Gewissenskonflikte ungewollt schwangerer Frauen. Der Professor machte
sich
Gedanken über
das Leiden des Kindes im Krankenhaus und publizierte über
"die Kunst,
ein guter Arzt zu werden".
Oder Johannes
Siegrist, 61: Der Leiter des Instituts für Medizinische
Soziologie an
der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf hat viele
Preise und
Auszeichnungen erhalten. Die "Frankfurter Allgemeine" rühmt den
Experten für
Anspannungen aller Art als "Stresspionier", außerdem gilt er
als Spiritus
Rector der Gesundheitswissenschaften in Deutschland - einer
neueren
Forschungsrichtung, die, so Siegrist, "einen wirkungsvollen
Beitrag zur
Gesunderhaltung der Bevölkerung" leistet.
Was erst jetzt
herauskommt: Troschke, Siegrist und einige andere
namhafte
Kollegen hatten
offenbar nicht nur Interesse daran, Krankheiten zu
verhüten.
Deutsche Gesundheitswissenschaftler ließen sich viele
Forschungsarbeiten, zumeist indirekt über Stiftungen, von der
Tabakindustrie
finanzieren - oft klammheimlich und oft mit Beträgen in
sechsstelliger
Höhe.
Die Resultate
waren entsprechend: In ihren Veröffentlichungen
verharmlosten
die Forscher die Gefahren des Rauchens, sie beschönigten das
Suchtpotential
der Zigaretten oder spielten eine dubiose Rolle bei der
Zulassung von
Zusatzstoffen in Tabakprodukten.
Unter den Folgen
der Bagatellisierung leidet die Arbeit der Suchterzieher
bis zum heutigen
Tag. "Es ist besonders verwerflich, dass sich
ausgerechnet
Gesundheitswissenschaftler von der Tabakindustrie haben
kaufen
lassen", sagt Martina Pötschke-Langer, Leiterin
des Zentrums für
Tabakkontrolle
der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Heidelberg, "damit
ignorieren sie
den frühzeitigen Tabaktod von Hunderttausenden Deutschen".
Die derart
Gescholtenen sehen das im Rückblick anders: Unisono sagen sie
heute, sie
hätten stets auf die "schädigende Wirkung des Tabakrauchens"
(Troschke) hingewiesen.
Die geheimen
Geschäfte der Tabakindustrie mit den deutschen Forschern
waren Teil einer weltweiten Strategie. Anfang der siebziger
Jahre hatte
"Big Tobacco" in den USA geplant, renommierte
Wissenschaftler für sich zu
gewinnen. Diese
sollten "die positiven Effekte" des Rauchens verkünden und
die
"soziale Funktion" des Qualmens bei der Kontaktaufnahme hervorheben.
In Deutschland
setzten die Konzerne offenbar gezielt auf die Elite einer
jungen, sich gerade erst etablierenden Forschungsrichtung.
Die
Gesundheitswissenschaften kümmerten sich besonders um vorbeugende
Maßnahmen zur
Gesunderhaltung. Die Professoren, die in diesem Zweig
arbeiteten,
hatten zum Teil großen Einfluss auf die Gesundheitspolitik.
Viele Jahre lang
saßen Männer wie Troschke und Siegrist in
Förderausschüssen und Beratergremien von Bundesministerien.
Dass ihre
Verstrickung mit der Tabakindustrie nun ans Licht kommt, geht
auf eine
Übereinkunft zwischen US-Bundesstaaten und mehreren Tabakmultis
zurück. Diese
mussten große Teile ihrer Firmenunterlagen publizieren, weil
sie die
Öffentlichkeit jahrzehntelang über die tatsächlichen Risiken des
Rauchens
getäuscht hatten. Ab 1998 begannen Unternehmen wie Philip Morris
(Marlboro) oder
R. J. Reynolds (Camel), Dokumente ins Internet zu stellen,
mittlerweile
sind es über 42 Millionen Schriftstücke.
In Deutschland
kümmerte sich niemand um die systematische Aufarbeitung -
bis der Berliner
Gesundheitswissenschaftler und Publizist Dietmar
Jazbinsek eher zufällig in den Dokumenten las und dabei auf
die
Undercover-Aktivitäten seiner Kollegen stieß.
Die Ergebnisse seiner
Recherchen hat er in einem Bericht für das
Heidelberger WHO-Zentrum
zusammengefasst.
Demnach hat sich
der Sozialmediziner Troschke mindestens zehn Jahre
lang
Berichte zum
Rauchen vom Verband der Cigarettenindustrie (VDC)
bezahlen
lassen, indirekt über eine Stiftung. Für
eine Literaturstudie über den
"psychosozialen Nutzen des Rauchens" bekam er im Jahr 1982
40.000 Mark.
Darin behauptete
er, dass Untersuchungen zur Motivation von Rauchern durch
Vorurteile der
Gesundheitserzieher verfälscht seien. Wenn Raucher sagten,
sie seien
süchtig, sei das eine reine Schutzbehauptung.
"Raucher rauchen",
weil sie
"in einer jeweiligen aktuellen Situation den Nutzen höher
einschätzen als
den Schaden".
In Debatten über
die Gefahren des Passivrauchens war Troschke ein
aktiver
Verharmloser. Er wandte sich lautstark gegen die
"Diskriminierung der
Raucher",
sie gleiche einer "Pogrom-Stimmung". Gern zeigte er dazu die
Karikatur eines
Rauchers mit einer Art "Judenstern" auf der Brust.
Auf einer
Firmenveranstaltung im Mai 1987 in Hamburg - zu der ihn der
Zigarettenkonzern BAT eingeladen hatte - verglich Troschke
das Rauchen mit
der Einnahme von
Medikamenten. Seine ungewöhnliche These: Zigaretten
könnten gezielt
zur Stressbewältigung eingesetzt werden, ihr Konsum -
sofern maßvoll -
leiste mithin einen Beitrag zur Gesundheitsförderung.
Solche Vorträge
gefielen den Tabakbossen offenbar, großzügig unterstützten
sie Troschkes Raucherforschung. In einem Bericht der
Branchenorganisation
VDC aus dem Jahr
1991 findet sich eine Zahlung in Höhe von 700.000 Mark
für eines seiner
Projekte. Wichtig für diese Förderung sei die "politische
Ausrichtung und
die Persönlichkeit des beteiligten Forschers" gewesen,
heißt es in
einem Vermerk. Abgerechnet wurden die Gelder meist über die
Freiburger
Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Forschung in der
Medizin.
Troschke spielte offenbar auch eine wichtige Rolle für die
Industrie, als
die EU ihre
Anti-Tabak-Politik verschärfte. In einem Strategiepapier heißt
es, der
Professor sei an einigen Projekten und Arbeitsgruppen beteiligt,
und "Prof. Troschke spricht für uns in den Arbeitsgruppen".
Heute ist Troschke Leiter der Deutschen Koordinierungsstelle für
Gesundheitswissenschaften in Freiburg. Zu den Vorwürfen sagt er, er habe
seit den
achtziger Jahren 15 Projekte zu den psychosozialen Bedingungen
des
Tabakrauchens durchgeführt. Zwei davon seien von einer
"Forschungsgesellschaft Rauchen und Gesundheit", keine sei
direkt von der
Tabakindustrie
finanziert worden. In seinen ehrenamtlichen Tätigkeiten
habe er niemals
die Interessen der Tabakindustrie vertreten, beteuert er.
Wie gezielt US-Tabakmultis weltweit nach kritischen Wissenschaftlern
fahndeten und sie
umzudrehen versuchten, legen zahlreiche Protokolle und
Gesprächsnotizen
nahe. Beispiel: Johannes Siegrist. Der aufstrebende
Medizin-Soziologe war der Industrie durch seine "ziemlich radikalen
politischen
Ansichten" unangenehm aufgefallen. Im Mai 1980 bekam der
Wissenschaftler
in Marburg überraschenden Besuch: An die Tür klopfte Frank
G. Colby, ein Forschungsmanager von R. J. Reynolds Tobacco.
Das Gespräch
lief anfangs etwas sperrig, doch am Ende war Colby
laut einem
Protokoll guter
Dinge: "Dr. Siegrist könnte erzogen werden." Tatsächlich
ließ sich der
Marburger bald nach dem Besuch Colbys Studien mit
Geldern
aus der
Tabakindustrie bezahlen. Nun wollte er der Frage nachgehen, ob
traditionelle
Risikofaktoren wie das Rauchen erst dann zu einer höheren
Anfälligkeit für
Herzkrankheiten führen, wenn sie mit psychosozialen
Belastungen wie
"beruflichen Gratifikationskrisen" zusammenfallen würden.
So geht es aus
einem Antrag hervor.
Für die Konzerne
waren solche Einschätzungen Gold wert, relativierten sie
doch die
Schädlichkeit ihrer Produkte. Der VDC war deshalb bei seinen
Zuwendungen auch
nicht kleinlich. Als die Deutsche Forschungsgemeinschaft
ein Projekt Siegrists nicht weiterfinanzieren wollte, sprang der
Verband
mit 300.000 Mark
ein.
Der
Wissenschaftler wehrt sich gegen die Vorwürfe. Ihm seien keine
Versuche
bekannt, "auf mich bzw. meine Forschungsarbeit" Einfluss zu
nehmen. Die Annahme finanzieller Mittel habe
er stets an die "Bedingung
vollständiger
wissenschaftlicher Unabhängigkeit geknüpft". Im Übrigen habe
er seine
"kritische Haltung zum Rauchen" in vielen Publikationen unter
Beweis gestellt.
Allerdings hatte
der hochdekorierte Professor bis vor einem Jahr noch
gute
Kontakte zur
Tabaklobby. Seit 1995 saß er im wissenschaftlichen Beirat der
Stiftung für
Verhalten und Umwelt, die von der Zigarettenindustrie ins
Leben gerufen
wurde. Seine Aufgabe dort sei gewesen, sagt Siegrist,
"Projektanträge" zu begutachten und "externe Gutachter
vorzuschlagen".
Wie nützlich
deutsche Wissenschaftler für die Glimmstängelhersteller
waren, verdeutlicht
das Beispiel des Augsburgers Johannes Gostomzyk, 69.
Anfang der
achtziger Jahre debattierte Amerika heftig über die
Schädlichkeit
des Passivrauchens. Eine Arbeit der Amerikaner James White
und Herman Froeb hatte belegt, dass in verqualmten Büros auch die
Lungen
von
Nichtrauchern leiden. Die Branche war nervös, bis Colby
von Reynolds
sie in einem
Geheimpapier beruhigte. Man habe Gostomzyk als
"geheimen
Gesandten"
zu den beiden Forschern geschickt.
Der Deutsche
erstellte einen Bericht, der die Untersuchung der Amerikaner
als
unwissenschaftlich abstempelte. Gostomzyk sagt heute,
er habe White in
den USA
aufgesucht, um mit ihm über den "Einfluss des Passivrauchens auf
die Lungenfunktion
zu sprechen". Er habe sich anschließend darüber mit
Professor Franz Adlkofer, dem damaligen Leiter der wissenschaftlichen
Abteilung des
VDC, unterhalten. Was dann mit seiner Information geschehen
sei, entziehe
sich seiner Kenntnis.
Gostomzyk, Leiter des Augsburger Gesundheitsamtes, tauchte
in der Folge
als regelmäßiger
Empfänger von Forschungsgeldern aus der Zigarettenbranche
auf - den Lesern
seiner Veröffentlichungen verschwieg er dies
geflissentlich.
Und so konnte der Beamte aus Bayern eine große Karriere im
Gesundheitsbetrieb hinlegen: Er ist Ehrenpräsident der Deutschen
Gesellschaft für
Sozialmedizin und Prävention, er ist Schriftleiter der
Fachzeitschrift
"Das Gesundheitswesen" und als Vorsitzender der
Landeszentrale
für Gesundheit in Bayern ein Ratgeber der Regierung von
Edmund Stoiber.
Es sei ein
Dilemma, sagt Martina Pötschke-Langer, dass mit dem
unseligen
Einfluss der
führenden Gesundheitswissenschaftler die Suchtprävention in
Deutschland
"die letzten zwei Jahrzehnte blockiert war". Weil ausgerechnet
die Wortführer
von "Public Health" beim Thema Rauchen auf
der falschen
Seite gewesen
seien, sei die Forschung hierzu in Deutschland immer noch
"weltweit
abgeschlagen ganz hinten".
Bei der
Anwerbung des Münchner Mediziners Karl Überla, 70,
hatte selbst
die
Tabakindustrie zunächst Skrupel - schließlich war der Mann damals
Präsident des Bundesgesundheitsamtes
(BGA). Der VDC probierte dennoch, den
Mediziner für
sich zu gewinnen. Am 21. Mai 1982 beantragte Überla
laut den
Dokumenten
tatsächlich ein großangelegtes Forschungsprojekt: 1,6
Millionen
Mark für eine
Studie über Passivrauchen, die auch bewilligt wurden.
Wenig später
traf sich der VDC-Mann Adlkofer
mit Überla, so heißt es in
einem internen
Bericht, um die "Cumarin-Affäre" zu
besprechen. Der als
Rattengift gebräuchliche Pflanzenstoff hatte sich als extrem toxisch
erwiesen und war
deshalb als Zutat für Tabakprodukte verboten worden. Die
Firmen aber
wollten Cumarin als Geschmacksverstärker für Light-Zigaretten
verwenden. Die
Industrie argumentierte deshalb, bei den Versuchen am
Maxvon-Pettenkofer-Institut des BGA, die zu dem Verbot
geführt hatten, sei
die Dosierung
"unnatürlich hoch" gewesen. Am 11. August 1982 konnte
Adlkofer seinem Verband melden, dass der Chef des obersten
Gesundheitsamtes die Sicht der Zigarettenindustrie teilte.
Die endgültige
Entscheidung über den Zusatzstoff wurde auf die lange Bank
geschoben. In
der Zwischenzeit durften Philip Morris und BAT insgesamt 36
Milliarden
Zigaretten mit dem Wirkstoff herstellen.
Überla bekam laut internen Dokumenten weiter lukrative
Aufträge, auch als
er längst aus
seinem Amt als BGA-Chef ausgeschieden war. Als Professor der
Universität in
München und Sprecher des Bayerischen Forschungsverbundes
Public Health war er weiterhin eine einflussreiche Forschergröße. Überla
bestreitet
heute, dass er oder sein Institut den Forschungsauftrag 1982
erhalten habe,
nach seiner Erinnerung sei ein gemeinnütziger Verein
Empfänger der 1,6 Millionen Mark gewesen. Auch
Aufträge von der
Zigarettenindustrie habe er in den letzten Jahren nicht erhalten. Dass
er
mit Adlkofer über Cumarin gesprochen
habe, sei ihm "nicht erinnerlich", an
BGA-Entscheidungen zu Cumarin sei er
"nicht beteiligt" gewesen.
Die Manager der
Tabakindustrie dagegen waren sich offenbar sicher, stets
auf die
deutschen Forscher setzen zu können - auch wenn sie von deren
wissenschaftlichen Fähigkeiten keineswegs überzeugt waren. So firmieren
die Studien von
Siegrist und Troschke in den US-Dokumenten unter der
Überschrift
"soft science" - weiche Wissenschaft, das
ist für die auf
harte Daten
bauenden Naturwissenschaftler eine Schmähvokabel. Und über den
ehemaligen
BGA-Chef schreibt ein Reynolds-Mann: "Prof. Überlas analytische
Kompetenz ist
sehr begrenzt." Seine Projekte hätten nur "dank der massiven
Unterstützung
durch Wissenschaftler der Industrie durchgeführt" werden
können.
Das fand VDC-Mann Adlkofer aber doch kleinkariert. Er antwortete den
Kritikern in den
USA, dass sie nicht verstanden hätten, worum es in der
Zusammenarbeit
mit Überla gegangen sei. Dabei handele es sich um ein
"durch und
durch politisches Projekt".
© DER SPIEGEL 23/2005[/b]