Pflanzen können
sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen
Wissen in der Wurzelspitze
Was haben Pflanzen dem Menschen voraus?
Wenn Pflanzen wachsen, dann machen sie das
scheinbar von alleine richtig und müssen dafür nicht besonders klug sein.
Stimmt das? Oder unterschätzen wir die Natur mit dieser Annahme? In einem
Experiment wird eine Maiswurzel gezwungen nach oben zu wachsen, mit dem
Ergebnis, dass sie dabei immer wieder einen Weg nach unten sucht. Dazu benutzt
sie ihre Wurzelspitze, in der ihr Sinn für die Schwerkraft sitzt.
Entfernt man die
Wurzelspitze, wachsen die Pflanzen sichtbar anders. Wo wir handeln, reagiert
die Pflanze über ihr Wachstum. Dass Pflanzen ihre Umgebung sehr differenziert
wahrnehmen, davon sind die Bonner Pflanzenforscher Dieter Volkmann und
Frantisek Baluska überzeugt. "Pflanzen können
sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen", so Dieter Volkmann:
"Das habe ich schon vor 20 Jahren gesagt, und damit großes Aufsehen
erregt. Beim Hören sind wir nicht so ganz sicher, aber inzwischen wissen wir
durch Arbeiten von unserem Kollegen Stefano Mancuso
in Florenz, dass sie ziemlich sicher unterschiedliche
Frequenzen wahrnehmen können."
Pflanzen mögen Musik
Eins der wichtigsten
Experimentierfelder fürs pflanzliche Hören ist ein Weinberg im malerischen Montalcino. Dort untersucht der Biologe Stefano Mancuso, der eng mit Volkmann und Baluska
zusammenarbeitet, warum Wein, der regelmäßig mit Kompositionen von Mozart,
Bach, Vivaldi und Mahler beschallt wird, besser wächst. Dabei ist ein positiver
Effekt, dass Fressfeinde und Schadinsekten offensichtlich nicht beschallte
Pflanzen bevorzugen. Entscheidend ist jedoch, dass der Musikeinsatz
grundsätzlich zu größeren, süßeren Früchten und so auch zu besserem Wein führt.
Mit Maiskeimlingen im Labor konnte Mancuso
nachweisen, dass sich Pflanzenwurzeln offenbar nach einer Tonquelle ausrichten
und bei bestimmten Frequenzen schneller wachsen. Vor allem die Wurzelspitze ist
in der Lage, solche Signale zu verarbeiten. Hier gibt es faszinierende
Parallelen zu unserem Nervensystem. "Die Wurzelspitze hat eine spezielle
Zone, die die Fähigkeit hat, Signale zu verarbeiten", so Frantisek Baluska: "Diese Zellen sind oft in synchronen Phasen,
in denen sie oszillieren. Darin sind sie den menschlichen oder tierischen
Neuronen sehr ähnlich." Auf Grundlage dieser revolutionären Erkenntnis,
dass bestimmte Pflanzenzellen in der Wurzel wie unsere Nervenzellen
funktionieren, haben die Bonner Forscher ein ganz neues Fachgebiet, die
Pflanzenneurobiologie aus der Taufe gehoben.
Duft statt Flucht
Die Bonner Wissenschaftler
konnten unter dem Mikroskop beobachten, dass die gleichen Moleküle, die bei
Mensch und Tier Reiz und Reaktion steuern, auch in der Pflanze wirksam sind.
Dadurch könnte die Unterscheidung zwischen Pflanzen- und Tierwelt hinfällig und
eine Neubewertung von Pflanzen notwendig werden. Dafür spricht auch die Forschung
zur Pflanzenkommunikation am Max-Planck-Institut in Jena: Tabakpflanzen warnen
sich gegenseitig über Duftstoffe vor Fressfeinden. Um ihre Feinde zu töten,
produzieren sie vermehrt Nikotin. Und lässt sich ein Tier, wie die Raupe des
Tabakfalters, davon nicht beeindrucken, dann ändern sie ihre Duftnote - um
damit die Fressfeinde der Raupe anzulocken, wie Experimente in der Duftkammer
zeigen. Pflanzen können nicht fliehen, gerade deshalb reagieren sie
vielfältiger auf ihre Umwelt als wir, so Volkmann: "Wir möchten dafür
sorgen, dass die Pflanzen ohne weiteres mit niederen Tieren verglichen werden
können. Pflanzen können einiges mehr als der Mensch. Auf Grund dieser
Fähigkeiten ist es angebracht, einen gewissen Respekt vor Pflanzen zu haben.
Das würde dann auch in Richtung Ethik gehen." Doch noch steht die
Pflanzenneurobiologie ganz am Anfang. An ihrem Ende wird vielleicht eine neue
Sensibilität für Pflanzen stehen - und eine Anerkennung pflanzlicher
Intelligenz.
http://www.3sat.de/delta/ ZDF