So, und jetzt wollen wir Ihnen doch noch einmal ein
gutes, vor allem pannenfreies, neues Jahr wünschen. Und sollten Sie gute
Vorsätze gefasst habe, wünschen wir Ihnen viel Kraft beim Durchhalten. Es
könnte ja sein, dass Sie als Passivraucher sich vorgenommen haben, das
Passivrauchen aufzugeben. Sie haben schon richtig gehört. Das Wort klingt so
harmlos. Dabei ist das, was Raucher Nichtrauchern antun, Körperverletzung,
sagen Experten. Europäische Nachbarn wie Spanien, Italien oder Mazedonien
habe also längst die Konsequenz gezogen und harte Anti-Raucher-Gesetze
erlassen. Und bei uns? Chris Humbs fragt: Wer ist
bei uns eigentlich für die Gesundheitspolitik zuständig? Die gewählte
Regierung oder die Tabakindustrie?
Rauchen in Gaststätten – selbst in den Spiele-Cafes
für die Kleinen. Deutschland ist tolerant – diese Kindesmisshandlung ist
völlig legal.
Die Eltern schämen sich noch nicht einmal.
KONTRASTE
„Die Luft kann man hier schon schneiden. Ist das für die Kids nicht ein
Problem?“
Gäste im Kinder-Cafe
„Mein Kind ist das von zuhause gewöhnt“
KONTRASTE
„Wie sehen sie das?“
Gäste im Kinder-Cafe
„Das stimmt, hier wird eine Menge geraucht – ist mir auch aufgefallen. Das
find ich für Kinder ein bisschen zu viel, aber offensichtlich wird’s ja
toleriert.“
Natürlich kennen auch die Politiker die Zustände in Deutschland. Aber strikte
Gesetze zum Schutz von Nichtraucher lehnt die Mehrheit seit vielen Jahren ab.
Man setzt auf freiwilligen Verzicht.
Die Kinderklinik in Heidelberg. Immer mehr Frühchen kommen in Deutschland zur
Welt. Eine Ursache: das Passiv-Rauchen. Rücksicht gegenüber Schwangeren: oft
Fehlanzeige.
Der freiwillige Verzicht – bei Nikotinabhängigen nahezu unmöglich. Sucht ist
meist stärker als Mitleid.
Prof. Otwin Linderkamp, Universitäts-Klinik für Kinder und Jugendmedizin,
Heidelberg
„Die Frauen handeln sich damit eine ganze Reihe von Problemen ein. Das
geht los damit, dass die Schwangerschaften häufig unglücklich enden, und zwar
dass die Frauen Fehlgeburten haben. Oftmals wachsen die Kinder nicht gut, es
gibt vermehrt Fehlbildungen und schließlich die Frühgeburtlichkeit.“
Das deutsche Krebsforschungszentrum. In dessen Auftrag hat Martina Pötschke-Langer, Mitarbeiterin der
Weltgesundheitsorganisation erstmals die wichtigsten Publikationen zum Thema
Passivrauchen zusammengefasst und ergänzende Studien erstellt.
Dr.
Martina Pötschke-Langer, WHO
„Wir müssen feststellen, dass über 3.300 Nichtraucher, an den Folgen des
Passivrauchens jährlich in Deutschland sterben. Das sind mehr, als durch
Asbest, durch illegale Drogen, SARS oder BSE zusammengenommen.“
Das Problem des Passivrauchens: Der entstehende Qualm ist giftiger als der,
den man direkt inhaliert. Der Grund. Beim Anziehen entsteht eine Hitze bis
knapp 1.000 Grad. Dabei reagieren viele Giftstoffe und werden so
unschädlicher. Beim Abglimmen erreicht die Glut lediglich 600 Grad – mehr
krebserregende Substanzen werden freigesetzt.
Eine Studie verglich den Feinstaub: zwei Garagen. In der einen: ein
Dieselauto ohne Russfilter, in der anderen: drei herkömmliche Zigaretten. 30
Minuten wurde die Tür verschlossen.
Das Ergebnis:
Die Belastung mit krebserregendem Feinstaub hat sich in der Garage mit dem
Auto verdreifacht, in der Garage mit den Zigaretten dagegen verelffacht.
Dr.
Martina Pötschke-Langer, WHO
„Angesichts der klaren Belege der Gesundheitsgefährdung durch
Passivrauchen halten wir es für zwingend erforderlich, dass ein Bundesgesetz
für rauchfreie öffentliche Einrichtungen, der Gastronomie und alle
Arbeitsplätze in Deutschland sobald wie möglich auch eingeführt wird.“
Aber: die verantwortlichen Politiker setzen sich dafür ein, dass weiter
geraucht werden darf. Anscheinend hat man zu großen Respekt vor der
Raucher-Lobby.
Ein freiwillige Vereinbarung besagt: bis 2008 sollen lediglich in großen
Speiselokalen Nichtrauchertische angeboten werden.
Der Wirt eines beliebten Berliner Politikertreffs hat selbst am Gelingen
dieser Minimallösung seine Zweifel.
KONTRASTE
„Wird die freiwillige Regelung funktionieren?“
Harald Grunert, Gastwirt „Ständige Vertretung“
„Ich glaube, dass sie nicht funktioniert. Wir werden uns bemühen, sie mit
zu tragen, aber der wirtschaftliche Aspekt, dass anschließend ein Teil der
Gäste nicht mehr kommen werden, lastet eben auf unseren Schultern.“
Viele Fachleute haben der Politik das Scheitern der Freiwilligkeit
prophezeit. Dennoch setzt man weiter auf den Schmusekurs mit der
Raucher-Lobby.
Ganz anders in Italien. Hier herrscht – wie in vielen anderen Ländern -
inzwischen ein striktes gesetzliches Rauchverbot in allen Gasstätten.
Tana de Zulueta,
Senatorin und Abgeordnete
„Dass sich wirklich alle an dieses Gesetz halten würden, dass es althergebrachte
Gewohnheiten so völlig ändern würde, also daran hat hier vorher niemand in
Italien geglaubt. Aber es hat funktioniert und es hat die Art und Weise, wie
man in öffentlichen Räumen lebt, völlig verändert.“
Wer rauchen will, geht vor die Gasstätte. Nach einer Umfrage hat sich das
Rauchverbot bei der Mehrheit der Gastwirte eher positiv ausgewirkt.
Maurizio Barabucci, Wirt
„Das Gesetz gegen das Rauchen hat gar keine Kunden verscheucht, im
Gegenteil. Es sind sogar neue, nämlich Familien,
hinzugekommen, es ist alles gut gegangen.“
Dr.
Martina Pötschke-Langer, WHO
„In Deutschland scheint offensichtlich ein sehr tabakindustriefreundliches
Klima zu herrschen.“
Nicht ohne Grund – jahrzehntelang hat die Tabak-Industrie über die
Wissenschaft Einfluss auf die deutschen Politiker genommen und so für ein
liberales Klima gesorgt.
Das ist das Labor, in dem Philip Morris, der Marlboro-Konzern geheime Studien
betreibt. Das Institut für biologische Forschung in Köln – kurz INBIFO. Für
uns kein Zutritt.
Das Top-Thema bereits in den 70er Jahren: Passivrauchen – das größte
Image-Problem der Tabak-Industrie – die Gefährdung unschuldiger Opfer. Diese
Forschung unterlag und unterliegt höchster Geheimhaltung – wie aus einem
vertraulichen Philip Morris-Dokument, das Kontraste vorliegt, hervorgeht:
Zitat:
„…Wir haben uns größte Mühe gegeben, jeglichen schriftlichen Hinweis auf
einen Kontakt mit INBIFO zu vernichten...“
Aus Unterlagen, die den Reißwolf überlebt haben, war der Tabak-Industrie
bereits 1982 klar: die schädlichen Auswirkungen des Passivrauchs gegenüber
dem Aktivrauch sind
Zitat:
„…um den Faktor Drei erhöht…“
Raglan Rylander war in streng geheimer Mission für
Phillip Morris als Koordinator im Kölner Labor tätig. Die Koryphäe in Sachen
Rauchen veröffentlichte als Universitätsprofessor offenbar wider besseres
Wissen genau das Gegenteil:
Zitat:
„Umgebungsbedingter Tabakrauch hat keinen Einfluss auf das Risiko, zu
erkranken.“
Ob die Überweisungen von Philip Morris auf sein Konto ihn zu diesem Handeln
motivierten, wird nur er wissen.
Auch der frühere Präsident des Bundesgesundheitsamts ließ sich mit der
Tabak-Industrie auf einen Deal ein. Laut einem Dokument des
Zigaretten-Verbandes heißt es:
Zitat:
„…bevor er beauftragt wurde, musste Professor Überla
den Standpunkt des Verbandes zum Thema Passivrauchen akzeptieren.“
Damit hatte die Tabak-Industrie einen der einflussreichsten Wissenschaftler
und Gesundheitsbeamten in Deutschland auf ihrer Seite. Übrigens: Er lehrte
bis 2005 an der Münchner Uni. Studiengang: Öffentliche Gesundheit.
Die Strategie der Tabak-Konzerne ist in Deutschland aufgegangen. Die Politik
will die Gefahren durch das Passiv-Rauchen immer noch nicht ernst nehmen.
Dr.
Martina Pötschke-Langer, WHO
„Es wird eine Politik betrieben, die im Interesse der Tabakindustrie steht
und nicht im Interesse der Gesundheitspolitik der Bevölkerung.“
Bis heute fließt Geld, damit Schaden von der Tabak-Industrie abgewendet wird.
Und zwar direkt an das Bundesministerium für Gesundheit.
Diese Vereinbarung besagt: Das Ministerium erhält insgesamt 11,8 Millionen
Euro von den Tabak-Konzernen. Geld für die Aufklärung von Schülern zum Thema
Rauchen.
Als Gegenleistung verpflichtet sich die Bundesregierung zu folgendem:
Zitat:
„Die Maßnahmen dürfen nicht die Zigarettenindustrie, deren Produkte oder
den Zigarettenhandel diskriminieren oder den erwachsenen Raucher
verunglimpfen.“
Prof. Otwin Linderkamp, Universitäts-Klinik für Kinder und Jugendmedizin,
Heidelberg
„Derjenige, der Geld annimmt, wird letztlich doch in irgendeiner Weise
korrumpiert. Auch wenn die Tabakindustrie nicht genau vorschreibt, wofür das
Geld verwendet wird, bleibt das nicht aus. Das ist einfach auch menschlich,
dass derjenige, der zahlt, auch anschafft.“
Natürlich haben wir versucht, die zuständigen Politiker zu den Themen
Sponsoring und fehlendem Nichtraucherschutz in Deutschland zu interviewen.
Sie wollten nicht mit uns sprechen.
Wir haben übrigens auch die Regierungsparteien CDU, CSU und SPD
gefragt, ob sie Spendengelder von der Tabakindustrie und/oder deren Verbänden
im Jahr 2005, im Wahljahr, bekommen haben. Auf die Antwort warten wir noch.
|