Passivrauchen  Tabaklobby stärker als die Politik

 

 

 

 

 

 

 

Neue Studien belegen: Passivrauchen bringt mehr als 3 000 Deutschen im Jahr den Tod. Vor allem Kinder sind durch das Passivrauchen gefährdet. Experten fordern jetzt umfassende Rauchverbote. Doch in Deutschland bleiben die Politiker untätig. Sie setzen lieber auf Freiwilligkeit: Gastronomen beispielsweise sollen freiwillig Nichtraucherzonen einrichten. Doch nach rauchfreien Restaurants sucht man hierzulande vergeblich. Andere EU-Länder haben schon längst ein Rauchverbot durchgesetzt – mit Erfolg. Hat die Tabaklobby die deutsche Politik fest im Griff? Chris Humbs hat nachgefragt.

So, und jetzt wollen wir Ihnen doch noch einmal ein gutes, vor allem pannenfreies, neues Jahr wünschen. Und sollten Sie gute Vorsätze gefasst habe, wünschen wir Ihnen viel Kraft beim Durchhalten. Es könnte ja sein, dass Sie als Passivraucher sich vorgenommen haben, das Passivrauchen aufzugeben. Sie haben schon richtig gehört. Das Wort klingt so harmlos. Dabei ist das, was Raucher Nichtrauchern antun, Körperverletzung, sagen Experten. Europäische Nachbarn wie Spanien, Italien oder Mazedonien habe also längst die Konsequenz gezogen und harte Anti-Raucher-Gesetze erlassen. Und bei uns? Chris Humbs fragt: Wer ist bei uns eigentlich für die Gesundheitspolitik zuständig? Die gewählte Regierung oder die Tabakindustrie?

Rauchen in Gaststätten – selbst in den Spiele-Cafes für die Kleinen. Deutschland ist tolerant – diese Kindesmisshandlung ist völlig legal.
Die Eltern schämen sich noch nicht einmal.

KONTRASTE
„Die Luft kann man hier schon schneiden. Ist das für die Kids nicht ein Problem?“
Gäste im Kinder-Cafe
„Mein Kind ist das von zuhause gewöhnt“
KONTRASTE
„Wie sehen sie das?“
Gäste im Kinder-Cafe
„Das stimmt, hier wird eine Menge geraucht – ist mir auch aufgefallen. Das find ich für Kinder ein bisschen zu viel, aber offensichtlich wird’s ja toleriert.“

Natürlich kennen auch die Politiker die Zustände in Deutschland. Aber strikte Gesetze zum Schutz von Nichtraucher lehnt die Mehrheit seit vielen Jahren ab. Man setzt auf freiwilligen Verzicht.

Die Kinderklinik in Heidelberg. Immer mehr Frühchen kommen in Deutschland zur Welt. Eine Ursache: das Passiv-Rauchen. Rücksicht gegenüber Schwangeren: oft Fehlanzeige.

Der freiwillige Verzicht – bei Nikotinabhängigen nahezu unmöglich. Sucht ist meist stärker als Mitleid.

Prof. Otwin Linderkamp, Universitäts-Klinik für Kinder und Jugendmedizin, Heidelberg
„Die Frauen handeln sich damit eine ganze Reihe von Problemen ein. Das geht los damit, dass die Schwangerschaften häufig unglücklich enden, und zwar dass die Frauen Fehlgeburten haben. Oftmals wachsen die Kinder nicht gut, es gibt vermehrt Fehlbildungen und schließlich die Frühgeburtlichkeit.“

Das deutsche Krebsforschungszentrum. In dessen Auftrag hat Martina Pötschke-Langer, Mitarbeiterin der Weltgesundheitsorganisation erstmals die wichtigsten Publikationen zum Thema Passivrauchen zusammengefasst und ergänzende Studien erstellt.

Dr. Martina Pötschke-Langer, WHO
„Wir müssen feststellen, dass über 3.300 Nichtraucher, an den Folgen des Passivrauchens jährlich in Deutschland sterben. Das sind mehr, als durch Asbest, durch illegale Drogen, SARS oder BSE zusammengenommen.“

Das Problem des Passivrauchens: Der entstehende Qualm ist giftiger als der, den man direkt inhaliert. Der Grund. Beim Anziehen entsteht eine Hitze bis knapp 1.000 Grad. Dabei reagieren viele Giftstoffe und werden so unschädlicher. Beim Abglimmen erreicht die Glut lediglich 600 Grad – mehr krebserregende Substanzen werden freigesetzt.

Eine Studie verglich den Feinstaub: zwei Garagen. In der einen: ein Dieselauto ohne Russfilter, in der anderen: drei herkömmliche Zigaretten. 30 Minuten wurde die Tür verschlossen.

Das Ergebnis:
Die Belastung mit krebserregendem Feinstaub hat sich in der Garage mit dem Auto verdreifacht, in der Garage mit den Zigaretten dagegen verelffacht.

Dr. Martina Pötschke-Langer, WHO
„Angesichts der klaren Belege der Gesundheitsgefährdung durch Passivrauchen halten wir es für zwingend erforderlich, dass ein Bundesgesetz für rauchfreie öffentliche Einrichtungen, der Gastronomie und alle Arbeitsplätze in Deutschland sobald wie möglich auch eingeführt wird.“

Aber: die verantwortlichen Politiker setzen sich dafür ein, dass weiter geraucht werden darf. Anscheinend hat man zu großen Respekt vor der Raucher-Lobby.

Ein freiwillige Vereinbarung besagt: bis 2008 sollen lediglich in großen Speiselokalen Nichtrauchertische angeboten werden.

Der Wirt eines beliebten Berliner Politikertreffs hat selbst am Gelingen dieser Minimallösung seine Zweifel.

KONTRASTE
„Wird die freiwillige Regelung funktionieren?“
Harald Grunert, Gastwirt „Ständige Vertretung“
„Ich glaube, dass sie nicht funktioniert. Wir werden uns bemühen, sie mit zu tragen, aber der wirtschaftliche Aspekt, dass anschließend ein Teil der Gäste nicht mehr kommen werden, lastet eben auf unseren Schultern.“

Viele Fachleute haben der Politik das Scheitern der Freiwilligkeit prophezeit. Dennoch setzt man weiter auf den Schmusekurs mit der Raucher-Lobby.

Ganz anders in Italien. Hier herrscht – wie in vielen anderen Ländern - inzwischen ein striktes gesetzliches Rauchverbot in allen Gasstätten.

Tana de Zulueta, Senatorin und Abgeordnete
„Dass sich wirklich alle an dieses Gesetz halten würden, dass es althergebrachte Gewohnheiten so völlig ändern würde, also daran hat hier vorher niemand in Italien geglaubt. Aber es hat funktioniert und es hat die Art und Weise, wie man in öffentlichen Räumen lebt, völlig verändert.“

Wer rauchen will, geht vor die Gasstätte. Nach einer Umfrage hat sich das Rauchverbot bei der Mehrheit der Gastwirte eher positiv ausgewirkt.

Maurizio Barabucci, Wirt
„Das Gesetz gegen das Rauchen hat gar keine Kunden verscheucht, im Gegenteil. Es sind sogar neue, nämlich
Familien, hinzugekommen, es ist alles gut gegangen.“
Dr. Martina Pötschke-Langer, WHO
„In Deutschland scheint offensichtlich ein sehr tabakindustriefreundliches Klima zu herrschen.“

Nicht ohne Grund – jahrzehntelang hat die Tabak-Industrie über die Wissenschaft Einfluss auf die deutschen Politiker genommen und so für ein liberales Klima gesorgt.

Das ist das Labor, in dem Philip Morris, der Marlboro-Konzern geheime Studien betreibt. Das Institut für biologische Forschung in Köln – kurz INBIFO. Für uns kein Zutritt.

Das Top-Thema bereits in den 70er Jahren: Passivrauchen – das größte Image-Problem der Tabak-Industrie – die Gefährdung unschuldiger Opfer. Diese Forschung unterlag und unterliegt höchster Geheimhaltung – wie aus einem vertraulichen Philip Morris-Dokument, das Kontraste vorliegt, hervorgeht:
Zitat:
„…Wir haben uns größte Mühe gegeben, jeglichen schriftlichen Hinweis auf einen Kontakt mit INBIFO zu vernichten...“

Aus Unterlagen, die den Reißwolf überlebt haben, war der Tabak-Industrie bereits 1982 klar: die schädlichen Auswirkungen des Passivrauchs gegenüber dem Aktivrauch sind
Zitat:
„…um den Faktor Drei erhöht…“

Raglan Rylander war in streng geheimer Mission für Phillip Morris als Koordinator im Kölner Labor tätig. Die Koryphäe in Sachen Rauchen veröffentlichte als Universitätsprofessor offenbar wider besseres Wissen genau das Gegenteil:
Zitat:
„Umgebungsbedingter Tabakrauch hat keinen Einfluss auf das Risiko, zu erkranken.“

Ob die Überweisungen von Philip Morris auf sein Konto ihn zu diesem Handeln motivierten, wird nur er wissen.

Auch der frühere Präsident des Bundesgesundheitsamts ließ sich mit der Tabak-Industrie auf einen Deal ein. Laut einem Dokument des Zigaretten-Verbandes heißt es:
Zitat:
„…bevor er beauftragt wurde, musste Professor Überla den Standpunkt des Verbandes zum Thema Passivrauchen akzeptieren.“

Damit hatte die Tabak-Industrie einen der einflussreichsten Wissenschaftler und Gesundheitsbeamten in Deutschland auf ihrer Seite. Übrigens: Er lehrte bis 2005 an der Münchner Uni. Studiengang: Öffentliche Gesundheit.

Die Strategie der Tabak-Konzerne ist in Deutschland aufgegangen. Die Politik will die Gefahren durch das Passiv-Rauchen immer noch nicht ernst nehmen.

Dr. Martina Pötschke-Langer, WHO
„Es wird eine Politik betrieben, die im Interesse der Tabakindustrie steht und nicht im Interesse der Gesundheitspolitik der Bevölkerung.“

Bis heute fließt Geld, damit Schaden von der Tabak-Industrie abgewendet wird. Und zwar direkt an das Bundesministerium für Gesundheit.

Diese Vereinbarung besagt: Das Ministerium erhält insgesamt 11,8 Millionen Euro von den Tabak-Konzernen. Geld für die Aufklärung von Schülern zum Thema Rauchen.

Als Gegenleistung verpflichtet sich die Bundesregierung zu folgendem:
Zitat:
„Die Maßnahmen dürfen nicht die Zigarettenindustrie, deren Produkte oder den Zigarettenhandel diskriminieren oder den erwachsenen Raucher verunglimpfen.“

Prof. Otwin Linderkamp, Universitäts-Klinik für Kinder und Jugendmedizin, Heidelberg
„Derjenige, der Geld annimmt, wird letztlich doch in irgendeiner Weise korrumpiert. Auch wenn die Tabakindustrie nicht genau vorschreibt, wofür das Geld verwendet wird, bleibt das nicht aus. Das ist einfach auch menschlich, dass derjenige, der zahlt, auch anschafft.“

Natürlich haben wir versucht, die zuständigen Politiker zu den Themen Sponsoring und fehlendem Nichtraucherschutz in Deutschland zu interviewen. Sie wollten nicht mit uns sprechen.

Wir haben übrigens auch die Regierungsparteien CDU, CSU und SPD gefragt, ob sie Spendengelder von der Tabakindustrie und/oder deren Verbänden im Jahr 2005, im Wahljahr, bekommen haben. Auf die Antwort warten wir noch.

http://www.rbb-online.de/_/kontraste/beitrag_jsp/key=rbb_beitrag_3592383.html

Sendung vom 05. Januar 2006, Autor: Chris Humbs