PILZ DER
LETZTE
Eine 67 jährige Lehrerin in Wörrishofen hatte 40 Jahre lang ihren Schulkindern beim
Waldspaziergang gelehrt, welche Pilze hochgiftig sind. Nach ihrer Pensionierung
zeigte ihr die Tochter ein Körbchen voll frisch gesammelter Pilze mit der Frage,
ob alle genießbar seien. Ein kleiner weißer „gefiel ihr nicht“, sie aß ihn
sofort. Er schmeckte prima. Wegen heftiger Durchfälle mit Erbrechen wies der
Hausarzt sie in die Klinik ein. Dort bekam sie Infusionen und man wartete, bis
die „Sommergrippe“ abklingt. Als es immer schlimmer wurde mit 40 wässrigen
Durchfällen und Erbrechen pro Tag, rief die Patientin am Giftnotruf an. Im
ersten Satz sagte ich:
„Das ist eine typische
Knollenblätterpilz-Vergiftung“
und holte sie mit dem Hubschrauber nach
München. Sie kam an die künstliche Niere (Medizinal-Kohle-Perfusion)
(Perfusion: künstliche Durchströmung des
Körperkreislaufs oder einzelner Organe mit Versorgungsmitteln und zum
Abtransport von Stoffen), bekam höchstdosierte Penicillininfusionen als Antidot (Gegengift) und vieles mehr. Nach dem
Nierenversagen kam es zum Leberversagen.
Am 8. Tag stellte ich sie in meiner großen
Vorlesung der Klinischen Toxikologie vor. Viele Studenten und Ärzte waren
gekommen. Fröhlich erzählte die Patientin, dass sie „eine absolute Pilzkennerin
sei, stets eine Pilzberatungsstelle im Hochsommer leitete, allen Schulkindern
die Pilze im Wald zeigte und dieser kleine Pilz der beste gewesen sei, den sie
je gegessen hätte.“ Nachdem sie im Bett aus dem Hörsaal herausgefahren war,
sagte ich: „Aber der Letzte!“ Eisiges Schweigen. Noch in derselben Nacht
verstarb die Patientin.