Nanopartikel Kleine Krankmacher

 

 

Erst allmählich erkennen Forscher das gesundheitsgefährdende Potential von Nanomaterialien

 

Großes Risiko

 

Nanokugeln sind Studien zufolge gefährlicher für Mensch und Tier als etwa Asbestfasern

 

Nanopartikel sind wenige millionstel Millimeter groß. Weil sie so klein sind, durchwandern sie problemlos Zellmembranen. Daher können sie ganz einfach in Körperzellen und Hirnzellen eindringen.

 

Buckyballs sind Kohlenstoffklumpen aus nur 60 Atomen. Studien zeigen, dass diese wasserlöslichen Gebilde Bakterien töten, Haut- und Leberzellen schädigen und Hirnschäden hervorrufen können.

 

Kohlenstoffröhrchen, so genannte Nanotubes, verringern die Zellaktivität. Das Ausmaß der Schädigung hängt von der geometrischen Form der Röhrchen ab. Im Test stellte sich heraus, dass Nanotubes giftiger sind als Asbestfasern.

 

 

In der Nanotechnologie sehen viele Forscher die Zukunft. Nanotechnologie wird finanziell gefördert, vom Staat wie von der Industrie. Schließlich versprechen Strukturen, die nur wenige millionstel Millimeter groß sind, viele neue Möglichkeiten: in der Materialwissenschaft genauso wie in der Medizin. Doch mitunter wird Nanotechnologie zu hoch gehandelt. Denn sie birgt Risiken -  Gesundheitsrisiken.

 

Die meisten Forscher und Entwickler lassen sich hingegen von den vielfältigen Anwendungsbereichen der Nanotechnologie begeistern: So können Hirntumoren mit Hilfe winziger magnetischer Teilchen präzise bekämpft werden. Nanomaterialien machen Autolacke kratzfest und Fensterscheiben Schmutz abweisend. Die ersten Nanosolarzellen stehen kurz vor der Serienreife. Marktforschungsunternehmen erwarten zu recht neue Milliardenmärkte in den kommenden Jahren.

 

Doch harmlos ist die Technik im molekularen Maßstab keinesfalls, wie einige Forschungsergebnisse nahe legen. Denn Teilchen, die nur wenige Nanometer groß sind, reagieren schneller und besser mit anderen Stoffen als ihre größeren Verwandten. Nanoteilchen können Zellmembranen durchdringen und in den Körper sowie ins Gehirn gelangen. Überall im menschlichen Organismus können sie großen Schaden anrichten.

 

So untersuchten Wissenschaftler des Georgia Institute of Technology (Midtown, Atlanta) die Wirkung von so genannten Buckyballs, das sind 60 Kohlenstoffatome, die sich in einer fußballähnlichen Form angeordnet haben. Dieses Molekül mit der chemischen Bezeichnung C60 tötet Mikroorganismen. „Wir haben herausgefunden, dass solche C60-Aggregate eine große antibakterielle Wirkung haben“, sagt Joseph Hughes, Umweltingenieur und Leiter der Forschungsgruppe. Überschreitet die Konzentration des Kohlenstoffs einen bestimmten Schwellenwert, behindern die C60-Klumpen die Atmung von zwei häufig vorkommenden Bakterienarten, die im Erdreich leben.

 

Viel schlimmere Effekte sind allerdings im medizinischen Bereich zu erwarten: Schließlich sollen Buckyballs als wesentlicher Bestandteil neuer Medikamente dienen. Dann könnten auch menschliche Zellen durch die Kohlenstoffklumpen in Bedrängnis kommen. Auch in den Licht sammelnden Schichten neuer Solarzellen kommen die C60-Moleküle vor: Von dort können sie ins Grundwasser gelangen und so wiederum in den menschlichen Körper.

 

Dass Buckyballs Leber- und Hautzellen schädigen können, hatte Vicki Colvin vom Center for Biological and Environmental Nanotechnology in Texas bereits vergangenes Jahr herausgefunden. Sie hatte Zellkulturen 48 Stunden lang verschiedenen Konzentrationen des Moleküls ausgesetzt. Das Ergebnis: 20 Teilchen pro Milliarde Lösungsmoleküle töten die Hälfte einer Zellkultur ab.

 

Bereits länger bekannt ist die gesundheitsschädliche Wirkung des Nano-Klumpens bei Fischen: Die Biologin Eva Oberdörster von der Southern Methodist University (Dallas, Texas) gab Buckyballs in ein zehn-Liter-Aquarium: in einer Dosis von 0,5 Teilchen auf eine Million Wassermoleküle. 48 Stunden später konnte sie bei den Fischen Hirnschäden feststellen.

 

Nanoröhrchen sind ebenfalls nicht ungefährlich. So untersucht derzeit die EMPA Materials Science and Technology, die eidgenössische Materialprüfungsanstalt in St. Gallen in der Schweiz, die Wirkung von Kohlenstoffnanoröhrchen auf Zellkulturen. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass solche Nanotubes Zellen schädigen: Die Zellaktivität verringerte sich nach einem Tag drastisch. Das Ausmaß ist dabei abhängig von der geometrischen Form der Röhrchen. Das vom Hersteller gelieferte Rohmaterial stellte sich als deutlich giftiger heraus als eine gereinigte Mischung oder als Asbestfasern. Für Peter Wick, Molekularbiologe und Projektleiter, lautet die voläufige Erkenntnis der Studie: „Man muss genau wissen, wie das Material beschaffen ist und auch, wie hoch der Anteil der Verunreinigungen ist.“

 

Dass Nanoteilchen nicht grundsätzlich als ungefährlich eingestuft oder per se verdammt werden können, bestätigt eine Analyse des schweizerischen Rückversicherers Swiss Re: „Toxikologische Studien können nicht einfach für bestimmte Teilchen durchgeführt und die Ergebnisse dann verbindlich auf alle anderen Nanopartikel übertragen werden“ , schreiben die Autoren.

 

Bei Nanopartikeln kommt es offensichtlich auf die Größe an. Denn sie bestimmt, welche Eigenschaften das Nanomaterial hat. So sind Buckyballs wasserlöslich, im Gegensatz zu kleineren Kohlenstoffmolekülen. Daher reicht es nicht, wenn Toxikologen eine Substanz einmal prüfen. Vielmehr müssen sie jede einzelne Größe der jeweiligen Substanz testen. „Das Wissen, das wir bislang haben, ist noch nicht ausreichend, um eine Risikobewertung vorzunehmen“, sagt Rob Aitken vom britischen Institut für Arbeitsmedizin. Denn es müsse untersucht werden, auf welchem Wege Nanomaterial in Organismen gelangen kann - etwa über die Haut oder die Atemwege.

 

Eine Datenbank für mögliche Nanorisiken gibt es noch nicht. Allerdings hat die EU-Kommission Anfang des Jahres die Projekte „Impart“ und „Nanotox“ gestartet. Unter

http://www.impart-nanotox.org können verfügbare Dateien eingespeist werden. Die amerikanische Umweltbehörde versucht derzeit, einheitliche Standards für Studien zu entwickeln.

 

Quelle: Financial Times Deutschland, 20. September 2005, S. 38