NANO MINERALIEN
wirkungslos
Fitness, Gesundheit, natürliche Schönheit - das verspricht die Neosino AG jedem, der ihre Nanopartikel
schluckt. Zwei von SPIEGEL ONLINE in Auftrag gegebene Studien zeichnen ein
anderes Bild: Die teuren Mittelchen sind demnach selbst Billig-Brausetabletten
unterlegen.
Sie sind das Lebenselixier der Wellness-Industrie:
Nahrungsergänzungsmittel, die dem Publikum so ziemlich alles versprechen -
straffe Haut etwa, volles Haar, stabile Knochen und ungeahntes Wohlgefühl. Die
Produkte der Marke Neosino setzen noch eins drauf: Sogenannte Nanomineralien -
Kalzium, Magnesium und Silizium in Form winziger Partikel - sollen vom Körper
"effektiver aufgenommen und verwertet" werden und "um ein
Vielfaches wirkungsvoller" sein. Das zumindest behauptet die Neosino AG, die unter anderem den FC Bayern und den
Münchner Sportarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt zu ihren Partnern zählt -
weshalb die Nano-Produkte von Medien auch als
"Bayern-Pillen" tituliert wurden.
Zwei von SPIEGEL ONLINE in Auftrag gegebene Studien haben nun genauer
beleuchtet, was an den Neosino-Versprechen dran ist.
Das übereinstimmende Ergebnis lautet: nichts.
Die Hauptuntersuchung fand an der Creighton
University in Omaha (US-Bundesstaat Nebraska) statt.
Das Team um Robert Heaney, der als weltweit führender
Experte auf dem Gebiet der Mineralien-Absorption im menschlichen Körper gilt,
hat Neosinos "Nanosilimagna-Kapseln"
mit gewöhnlichen Kalzium- und Magnesium-Brausetabletten aus einem deutschen
Supermarkt verglichen. Zwölf Freiwillige wurden im Rahmen der klinischen Studie
eine Woche lang per Urin-Analyse beobachtet.
"Die Daten dieser Studie ergeben keinen Hinweis auf eine größere oder
schnelle Kalzium-Absorption durch Nanosilimagna",
schreibt Heaney in der Zusammenfassung seiner Studie.
Bei der Magnesium-Absorption waren die sündhaft teuren Kapseln (49,95 Euro für
45 Gramm) den Billigpillen aus dem Supermarkt (65 Cent für 80 bzw. 90 Gramm)
sogar "eindeutig unterlegen". Den Messungen zufolge haben die Kapseln
praktisch überhaupt kein Magnesium in den Kreislauf der Probanden geschleust:
"Zu keinem Zeitpunkt hat sich die Ausscheidung von Magnesium nennenswert
von Null unterschieden", erklärt Heaney.
Daten der Pilotstudie bestätigt
Die Daten bestätigen die Ergebnisse einer Pilotstudie, die einige Wochen
zuvor durchgeführt wurde. Das Nürnberger Institut für Biomedizinische und
Pharmazeutische Forschung (IBMP) hatte Neosinos
"Nanosilimagna Kapseln" und "Sport Nano Liquid" gegen Brausetabletten aus dem Supermarkt
und aus der Apotheke sowie gegen ein wirkstofffreies Placebo antreten lassen.
Schon hier zeigte sich: Nach der Einnahme der Nanosilimagna-Kapseln
befand sich kaum mehr Kalzium und Magnesium im Urin der Probanden als nach der Einnahme
des Placebos. Die "Sport Nano Liquid"-Ampullen ("Kleine Kraftpakete für große
Leistung") konnten die beiden Mineralienwerte zwar geringfügig steigern,
blieben aber ebenfalls deutlich hinter den Billigpillen zurück.
IBMP-Direktor Fritz Sörgel, dessen Institut jedes Jahr zahlreiche Medikamente
für die Arzneimittelindustrie prüft, fällt ein hartes Urteil: Die beiden Neosino-Produkte seien "in keinerlei Hinsicht
marktfähig". "Würden mir solche Präparate von einer pharmazeutischen
Firma zur Begutachtung vorgelegt, würde ich auf Grund dieser Pilotstudie - ohne
eine weitere Studie durchzuführen - dringend davon abraten, dieses Präparat
noch weiter zu verfolgen." Stattdessen würde er empfehlen, das Konzept
aufzugeben - "da es außer Wirkungslosigkeit nichts bietet."
Die Neosino AG, der am Montag beide
Untersuchungen von SPIEGEL ONLINE vorgelegt wurden, hat bis zum heutigen
Donnerstag lediglich zu Sörgels Pilotstudie Stellung
genommen. In einem Katalog von 15 Fragen werden vor allem die statistischen
Methoden bezweifelt. So würden die Messwerte der einzelnen Probanden stark vom
Mittelwert abweichen, und schon nach der Einnahme des Placebos hätten sich
deutliche Unterschiede zwischen den Probanden gezeigt.
Zwar schränkt Sörgel ein, dass er nur eine
Pilotstudie mit sechs Teilnehmern durchgeführt habe. Doch die Ergebnisse einer
statistischen Varianzanalyse - laut Sörgel die
"Methode der Wahl" bei solchen Studien - seien "so eindeutig,
dass diese Aussagen sicher auch in einer größeren Studie bestätigt werden
können." Die hat nun US-Professor Heaney
durchgeführt - und sieht seine Ergebnisse durch Sörgels
Daten untermauert: "Wenn zwei Studien an unterschiedlichen Enden der Welt
zu den gleichen Ergebnissen kommen, kann man sehr zuversichtlich sein, dass
ihre Schlussfolgerungen korrekt sind."
Worauf basieren Neosinos Versprechen?
Die Neosino AG bezweifelt hingegen, dass ihre
Produkte anhand von Urinwerten bewertet werden
können: Schließlich sollten die Mineralien vom Körper absorbiert und nicht
wieder ausgeschieden werden. US-Professor Heaney
zeigt sich befremdet über diese Argumentation: "Wenn Mineralien absorbiert
werden, gehen sie verstärkt ins Blut und damit in höherer Menge wieder über die
Nieren verloren." Deshalb sei die Urin-Analyse
durchaus geeignet - zumal sie auch empfindlich genug gewesen sei, die Wirkung
der Billig-Brausetabletten zu messen.
Zur Heaney-Studie äußerte sich die Neosino AG zunächst nicht. Weitere Stellungnahmen kündigte
das Unternehmen allerdings bis Ende der Woche an. Zudem wird mitgeteilt, dass
die Neosino AG derzeit vom Institut für
Sporternährung in Bad Nauheim eine "randomisierte,
placebokontrollierte Doppelblind-Studie mit Neosino Nano-Liquid"
durchführen lässt. Mit Endergebnissen sei frühestens Ende August zu rechnen.
Auf welchen Studien aber beruhen die bisherigen Versprechungen der Neosino AG über ihre Nano-Mittelchen?
Diese entscheidende Frage ist weiterhin offen und blieb auch auf ausdrückliche
Anfrage von SPIEGEL ONLINE unbeantwortet. Denn während echte Medikamente vor
dem Verkauf in langwierigen klinischen Studien getestet werden müssen, gilt das
für Nahrungsergänzungsmittel nicht. "Deshalb ist bei ihnen der Weg von der
Laborratte zum Menschen oft kurz", kommentiert Peter Burkhardt
von der Université Vaudois
in Lausanne. Die Hersteller und Vertreiber von Nahrungsergänzungsmitteln können
zunächst viel versprechen. Konsequenzen müssen sie erst dann fürchten, wenn
sich jemand die Mühe macht, die Mittelchen wissenschaftlich prüfen zu lassen.
Gewagte Versprechungen: Wird die Neosino AG zum Fall für den Staatsanwalt
Gerät Neosino
ins Visier der Ermittler? Fraglich ist, ob sich auch die Behörden
bezaubern lassen. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft hatte nach den Vorwürfen
in der "Panorama"-Sendung bereits wegen
Kapitalanlage- und Prospektbetrugs gegen Vorstände und Aufsichtsräte der Neosino AG ermittelt; Auslöser war eine anonyme Anzeige.
Das Verfahren wurde eingestellt, nachdem die Firma die Gegengutachten über
die Existenz der Nanopartikel in ihren Produkten
vorgelegt hatte. Doch nun könnte es möglicherweise zu einer
Wiederaufnahme der Ermittlungen kommen. Auch das Landgericht Hamburg hat die
einstweilige Verfügung, die Neosino gegen den für
"Panorama" verantwortlichen NDR erwirkt hatte, inzwischen wieder
aufgehoben. Der NDR habe neue Daten vorgelegt, sagte eine Sprecherin des
Landgerichts zu SPIEGEL ONLINE. Ab sofort darf man also erst einmal
wieder ungestraft davon sprechen, dass der Zauber mit den Nanopartikeln
in den Neosino-Mittelchen "offenbar ein
Schwindel" ist. Man darf außerdem gespannt sein, ob die von Neosino angekündigte Berufung gegen die Entscheidung
daran etwas ändert - und ob die Firma jetzt auch wegen der schwächlichen
Wirkung der Nano-Mittel ins Visier der Ermittler
gerät.
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Siegel online 3.8.06