Lost Fall
Klinisch-Toxikologisches
Gutachten
AZ: S 24/U
769/84
S. H., geb. 20.08.1928, wohnhaft 8220
Traunstein
(….) Um die
neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über Lost nicht zu übergehen, wurde ein
Zusatzgutachten von Doz.
Außerdem
wurde über eine Anfrage beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation
und Information eine Literatur-Recherche zu „Lost Spätschäden, nur
Gefäßschäden“ angefordert.
Zur
persönlichen Qualifikation muss ich betonen, dass ich zwar ein erfahrener
klinischer Toxikologie und Alleinautor eines mehrbändigen Handbuches „Klinische
Toxikologie“ bin (siehe Fotokopie „Schwefellost, Stickstofflost“), aber bis vor
kurzem über keinerlei persönliche Erfahrung bei Lostschäden verfügte.
Der einzige
mir bekannte anerkannte Kenner dieser Materie war Prof. W., dessen Resumée über 300 Gutachten über Lost-geschädigte
ungeheuer eindrucksvoll und wichtig ist (Bl 57). Er
schreibt hier in einem anderen Fall, dass er grundsätzlich eine Berufskrankheit
annimmt, wenn nach sicherer Lost-Exposition eine M.d.E.
von mindestens 20% vorliegt. Fehlende Brückensymptome hält W. sen. nicht für
erforderlich. Eine Lungensymptomatik war jedoch stets vorhanden.
Lost - Fall Herr A. L.
Herr A. L.,
*09.10.1920 war vom 24.06.1947 bis 14.10.1950 in der ehemaligen Heeresmunitionsanstalt
St. Georgen mit unsachgemäßer Beseitigung von Lost-Munition beschäftigt, was 20
hier vorliegende Originalphotos (u.a. offene
Verbrennung, defekte Schutzkleidung u.a.) belegen.
Er erlitt
besonders schwere Verbrennungen am linken Unterarm, rechten Fußgelenk, am
Rücken und an beiden Augen durch die Explosion einer Sprühbüchse.
Herr L.
wurde seit 12.12.1985 regelmäßig in Abständen von mir untersucht.
Diagnosen:
1. Zustand nach wiederholten
Lost-Verbrennungen
2. Arterielle Gefäßschäden:
Niere:
dialysepflichtig
Herz:
koronare Herzerkrankung, Z.n. Infarkt
Kreislauf:
Hypertonie
Lunge: chron. Bronchitis, restr.
Wirkungscharakter
von Lost
Der einzige
mir bekannte anerkannte Kenner dieser Materie war Prof. W., dessen Resumée von 300 Gutachten über Lostgeschädigte ungeheuer
eindrucksvoll und wichtig ist. Er schreibt in einem Falle, dass er
grundsätzlich eine Berufskrankheit annimmt, wenn bei einem Arbeiter nach
sichererer Lostexposition eine M.d.E. von mindestens
20% vorliegt. Brückensymptome hält W. sen. für irrelevant.
Als
Kampfstoff wurde Schwefellost im 2. Weltkrieg produziert. Seine Entsorgung ist
so gefährlich, dass die USA sie auf einem entlegenen Atoll durchführe (400 t
Vorräte, deutscher Herkunft). Die ausführliche Beschreibung ist dem Handbuch
„Klinische Toxikologie“ zu entnehmen. Schwefellost durchdringt die unverletzte
Haut (0,001 mg pro cm2 je Minute, gesteigert durch Temperaturanstieg und höhere
Luftfeuchtigkeit). Auch unbeschädigte Kampfanzüge durchdringt Lost nach einiger
Zeit. Eine Reinigung dieser Anzüge ist nicht möglich. Die Berufsfeuerwehr
München hat daher für einen Lost-Alarmfall die Anweisung, jeden lostverseuchten Schutzanzug sofort zu vernichten, auch wenn
er nur eine halbe Stunde benutzt wurde. P. fand jüngst bei seinen Patienten
Gefäßschäden als Folge der Kapillarintimaläsion
(innerste Auskleideschicht der Haargefäße). Die
Schädigung der Lungenkapillaren ist die Ursache der Lungenfunktionsstörungen.
Bei entsprechender Disposition kann dies auch zur Manifestation an anderen
Organen führen. Klehr fand in der Gruppe der
Kampfstoffarbeiter von Traunreuth 80% mit einer
koronaren (gefäßbedingten) Herzkrankheit, darunter
37% mit einem Herzinfarkt, sowie 13% mit Lungenembolien.
Durch
generalisierte Giftwirkung kann es zu Schädigung an allen Organen inklusive
Krebsentstehung kommen. Bei Kriegsveteranen standen Lungenbeteiligungen expositionsbedingt im Vordergrund, bei der
Kampfstoffentsorgung geschah die Aufnahme bevorzugt über die Haut.
Beurteilung:
Der
weitgehend ungeschützte Umgang bei der Aufarbeitung und die Sekundärwirkung von
Lostdämpfen, die angeblich mehrfach zur Evakuierung der Nachbarschaft zwang, führte zu einer chronischen Giftgaseinwirkung. Einmal trat
ein dokumentierter Unfall mit den Kampfstoffen hinzu.
Die
chemische Entsorgung der Kampfstoffe geschah ohne effektiven Atem- und
Hautschutz. Die chronische Gifteinwirkung erfolgte insbesondere über die Haut.
Da die Gifteinwirkung bei Lost nicht auf den Aufnahmeort
beschränkt bleibt, ist es nicht verwunderlich, dass diverse Organschäden
auftraten. Wie für alkylierende Substanzen üblich,
traten die systemischen Veränderungen nach einer Latenzzeit von 25 Jahren auf.
Bei den
jüngsten iranischen Lostopfern, die in Europa behandelt wurden, stellte man
fest, dass im Gegensatz zu inhalatorischen
Vergiftungen mit ihren Lungenkomplikationen bei der perkutanen Vergiftung neben
systemischen Organkomplikationen die Gefäßschäden im Vordergrund stehen.
Als Ursache
der arteriellen Gefäßschäden ist daher mit großer Wahrscheinlichkeit die
wiederholte Lost-Vergiftung infolge der beruflichen Tätigkeit zu sehen.
Nachdem es
sich bei dem „Nierensteinleiden“ in der Anamnese anscheinend um den
komplikationslosen Abgang eines kleinen Oxalatsteinchens
gehandelt hat und eine eitrige Mandelentzündung jeweils stets mit Penicillin
ausgeheilt worden zu sein scheint, muss auch bei den koronarangiographisch
nachgewiesenen Gefäßveränderungen in erster Linie an
eine Schädigung durch Lost gedacht werden.
Vorgeschichte:
1966
Verkehrsunfall mit Frakturen der unteren Extremitäten sowie Leberruptur,
Laparatomie und Relaparatomie,
1970 Magenresektion, Pylorusstenose, ebenso 1975
wegen gastrointestinaler Blutung (Bl.
1263), angeblich chronischer Alkoholismus (Bl. 1361),
rasche Lebervergrößerung (Bl. 1086), 1983
Lungentuberkulose.
Der Patient
trank nach eigenen Angaben viel Alkohol. „In den letzten Jahren“ ständig
steigende Serumkreatinin-Werte.
Beurteilung:
Die feingeweblichen Untersuchungen der Nieren ergaben
Veränderungen, die bevorzugt toxischer Natur waren, aber auch gefäßbedingte Veränderungen traten hinzu. Die Meinung von
Der Patient
bekam mehrmals Mexaform S bzw. plus ein Clioquinol, das sich in sehr seltenen immunologischen
Einzelfällen bei Europäern - im Gegensatz zur extrem Häufigkeit bei Japanern,
der sog. Gnom-Krankheit, der ca. 20.000 erkrankte zum
Opfer fielen - zu schweren Nierenschäden mit Nierenversagen führte (Wiedemann).
Eigene Beobachtungen bestätigen dies (Daunderer, 1987). Die dort gefundenen
histologischen Veränderungen sind den Veränderungen nach Phenacetinabusus
identisch. Die Mexaform-Einnahmen standen in direktem
Zusammenhang mit dem anerkannten Unfall, da sie während der dafür nötigen
Krankenhausaufenthalte erfolgten. Clioquinol wurde
wegen dieser schweren Nebenwirkungen am 01.04.85 weltweit von Ciba aus dem Verkehr gezogen. Der 47jährige Patient starb
außerordentlich schnell. Zwischen der Diagnose der Nierenfunktionsschwäche und
dem Tod lag ein halbes Jahr. Im Gegensatz dazu überleben Patienten mit einer Phenacetinniere mindestens einige Jahre - allerdings meist
mit einer künstlichen Niere. Durch die Nierenschädigung kam es zur
Lungenstauung und hierdurch zur Herzschädigung. Die Vergiftung führte zu einer
Leberschädigung und wahrscheinlich zu einer Gerinnungsstörung, die die tödliche
Massenblutung im Gehirn mitverursacht haben kann. Der
unfallunabhängige chronische Alkoholismus verstärkte sicher den schnellen
Verlauf des Nierenversagens und war Ursache für die Inkooperation.
Dieser
Befund wurde bei der Sektion erhoben.
Lost - Sie
leiden heute noch an den Spätfolgen
Ehemalige
„Kampfstoffarbeiter“ trafen sich in Traunreut - Erinnerungen an die Munazeit
Traunreut.
Im Evangelischen Gemeindehaus trafen sich auf Einladung der „Initiative
Lost-Geschädigte“ ehemalige Kampfstoffarbeiterinnen und -arbeiter. Ziel dieser
Zusammenkunft war es, die gemeinsamen Erinnerungen aufzufrischen und die
Arbeiter der Munitionsanstalt St. Georgen über die Spätfolgen, mit welchen auch
heut noch nach mehr als 30 Jahren zu rechnen ist, aufzuklären.
In einer
sehr anschaulich vorgeführten Lichtbildserie gab Hans Schwarz - einer der
ersten Kampfstoffarbeiter - mit vielen heute schon historischen Aufnahmen einen
Überblick über die ersten Entgiftungsarbeiten.
Es begann
1939
Die
Anfangsgeschichte der Stadt Traunreut begann bereits 1939 mit dem Aufbau einer
Munitionsanlage im St. Georgener Forst. Nach
Beendigung des 2. Weltkrieges besetzten die Amerikaner das Territorium. Erst im
Jahre 1947 gab die Besatzungsmacht das Gelände der Munitionsanlage wieder ab.
Die Staatliche Erfassungsgesellschaft für öffentliches Gut mbH - kurz Steg -
konnte daraufhin mit den Lost-Beseitigungsarbeiten beginnen. Nicht nur Lost aus
den ehemaligen deutschen Heeresbeständen wurde beseitigt, sondern, so wird von
Hans Schwarz betont, auch amerikanische Fliegerbomben mit Gelbkreuzgas wurden
hier ebenfalls entgiftet.
Mangel an
Sicherheit
Von großem
Interesse für die Besucher waren die Bilder von der Entschärfung der
Sprühbüchsen und von den Kampfstoffentgiftungen. Die unzureichenden
Sicherheitsmaßnahmen, die auch zu elf Todesfällen während der Arbeiten der
„Heeres-Munitions-Anstalt“ geführt hatten, wurden in diesem Diavortrag nicht
beschönigt.
Obwohl alle
Kampfstoffarbeiter Gummianzüge und Gasmasken trugen, ließ es sich nach
Augenzeugenberichten nicht vermeiden, mit dem Lost beziehungsweise Lostdämpfen
in Berührung zu kommen. Immer wieder kamen Verbrennungen vor, die die Haut
zerstörten. „Wir konnten damals die Heimtücke dieses Stoffes noch nicht ahnen,
da niemand“ - so einer der letzten Munaarbeiter -
„uns über die Gefährlichkeit des Lostes aufklärt hätte.“
Heutige
Rechtslage
Würde mit
der heutigen Rechtslage über diese Beseitigungsarbeiten geurteilt, so müsste
nach
Schreckliche
Folgen….
Unmittelbar
nach der Einwirkung von Lost bilden sich auf der Haut Blasen; in der Lunge
kommt es zu einer Wasseransammlung, die später zum Kreislaufkollaps führt. Da
die Einwirkung des Losts auch das Immunsystem zerstört hatte, heilten die
Wunden des ehemaligen Kampfstoffarbeiters nur sehr langsam und daher verzögerte
sich der Heilungsprozess oft um viele Wochen. Die Reaktion von Lost im Körper
verglich
…. auch für
die Zukunft
Da die
Zellen durch Lost nicht nur zerstört, sondern zum Teil auch verändert werden
können, bergen diese Substanzen eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die
Zukunft in sich. Teilen sich geschädigte Zellen, so entstehen anormale Zellen.
Normalerweise können diese defekten Zellen vom Organismus repariert werden. Da
allerdings die „Repariereinrichtungen“ im Körper durch die Losteinwirkung
ebenfalls geschädigt werden, funktioniert dieser Ablauf nicht, so dass im
Organismus der Kampfstoffarbeiter falsche Zellteilungen stattfinden können. -
Untersuchungen über die Krebshäufungen bei den Lost-Arbeitern bringen ganz klar
die wesentlich höhere Todesursache durch diese Krankheit zum Ausdruck. Als
besonders bedrohlich kommt hinzu, dass infolge einer Losteinwirkung (sei dies
in Dampf-, Gas- oder Nebelform) jede Krebsart entstehen kann. Neben
verschiedenen Formen von Krebs leiden viele ehemalige Kampfstoffarbeiter an einer
Erkrankung der Lunge, da durch das Einatmen des Losts dieses Organ sehr stark
geschädigt wurde. Eine Erkrankung des Herzens ist ebenso in vielen Fällen zu
beklagen.
Auch Kinder
sind betroffen
Einige Munaarbeiter interessieren sich neben den unmittelbaren
Spätschäden auch für die Genmutation, da zu befürchten ist, dass einige Kinder
ehemaliger Kampfstoffarbeiter infolge einer Genmutation betroffen sind.
Viele der
bisher erstellten Gutachten werden nach
Quelle:
Traunsteiner Wochenblatt, 20. August 1982
Wirkungscharakter
von Lost
Als Kampfstoff
wurde Schwefellost im 2. Weltkrieg produziert. Die ausführliche Beschreibung
siehe beiliegendem Handbuch-Artikel. Schwefellost
durchdringt die unverletzte Haut (0,001 mg pro qcm je
Minute), gesteigert durch Temperaturanstieg und Luftfeuchtigkeit. Auch durch
unbeschädigte Kampfanzüge dringt S-Lost nach einiger Zeit hindurch. Eine
Reinigung dieser Anzüge ist nicht möglich. Die Berufsfeuerwehr München hat
daher für einen Lost-Alarmfall die Anweisung, jeden Lost-verseuchten
Schutzanzug sofort zu vernichten. P. fand jüngst bei seinen Patienten
Gefäßschäden als Folge der Kapillarläsion (innerste Auskleideschicht der Haargefäße). Die Schädigung der
Lungenkapillaren ist die Ursache für die Lungenfunktionsstörung. Bei
entsprechender Disposition kann dies auch zur Manifestation an anderen Organen
führen. K. fand in der Gruppe der Kampfstoffarbeiter von Herrn S. 80% mit einer
koronaren (gefäßbedingten) Herzkrankheit, darunter
37% mit Herzinfarkten, sowie 13% mit Lungenembolien.
Andere
bekanntere Organschäden bis hin zur Krebsentstehung sind für diesen Fall
unwesentlich.
Aktenlage
Nach
eigenen, belegten und nicht widersprochenen Angaben hatte Herr S. vom 15.7.46
bis 11.8.48 in Betrieben gearbeitet, die Kampfstoffe wie Lost verbrannten und
entgifteten. Diese Lost-Verbrennungen fanden täglich statt und geschahen unter
primitivsten Schutzmaßnahmen der Arbeiter. Die völlig veralterten Schutzanzüge
wurden nie auf ihre Dichtigkeit geprüft, die Atemschutzmasken wurden ungeprüft
solange verwendet, bis hinter dem Filter eine Atemreizsymptomatik auftrat.
Teile des Körpers waren nicht durch Schutzkleidung geschützt.
Bis 1950
lebte er in Holzbaracken auf dem Gelände der ehem. Landesmunitionsanstalt in
St. Georgen, die fast ständig von einer Lostgaswolke eingehüllt war.
Bei der
staatlichen Erfassungsgesellschaft kam er beim Entgiften der
Kampfstoffbekleidung in der Entgiftungsabteilung täglich mit Lost in Berührung.
Die extreme Unfallhäufigkeit (angeblich 11 Todesfälle) und Gefährlichkeit
dieser Arbeit wird belegt (Bl. 164) dadurch, dass 20 Arbeiter in 6 Wochen
schwere Lostunfälle erlitten, darunter zweimal Herr S.
Einmal sei
Herr S. angeblich nach Losteinwirkung fast eine Woche erblindet (Bl. 24).
Seit
1.5.76, dem 48. Lebensjahr erhält er eine EU-Rente. Laut Aufzeichnungen der AOK
Trostberg sind folgende kampfstoffbedingte
Arbeitsunfähigkeitstage verzeichnet:
Eitr. Lidrandentz. 29.7.47 - 16.8.47 (19 Tage)
Kampfgasverätzung
15.9.47 - 4.10.47 (20 Tage)
Lostverätzung
li. Fuß 8.3.48 - 22.4.48 (15 Tage)
Lostverbrennung
Fuß 23.4.48 - 23.5.48 (31 Tage)
Herr S.
hatte demnach in den drei Jahren seiner Tätigkeit mit Lost vier schwere Unfälle
mit einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit von 85
Tagen! (Bl. 38R).
Spätere
(relevante) Erkrankungen:
Sept. 1975 Profundaplastik, Sympathekt. li. Bein,
12.10.78
Hinterwandinfarkt, Eisenmangelanämie
19.07.79 periph. Durchbl.störg., Bypass re. Bein,
24.11.80 periph. Durchbl.störg., 2. Bypass re. Bein
Im Januar
1980 kam es wohl aufgrund der salicylhaltigen
Schmerzmittel wegen der Gefäßverschlussschmerzen zur Haematemesis
(Magenblutung) unter Marcumar.
Der Vater
starb mit 58 Jahren an Lungenkrebs, die Mutter mit 62 Jahren an Thrombose. Ein
Bruder erlitt einen Herzinfarkt.
Untersuchungsbefund
58-jähriger
Mann, leichtes Übergewicht (177 cm, 75 kg), pyknisch, guter Allgemein- und
Ernährungszustand, wirkt vorgealtert; sichtbare Schleimhäute sind gut
durchblutet, feucht.
Keine Dyspnoe, keine Zyanose, keine
Ödeme, kein Ikterus.
Verstärkte
Gefäßzeichnung, multiple senile Pigmente an Schultern und Rücken, seborrhoische Warzen, unauffälliger Hautturgor,
tastbare Lymphknoten nicht vergrößert.
Kopf:
Normal
konfiguriert, kein Druck- oder Klopfschmerzen, freie Nervenaustrittspunkte,
Bewegung aktiv und passiv schmerzhaft nicht eingeschränkt.
Augen:
Stabismus
divergens, Fern- und Lesebrille, Pupillenreaktion auf
Licht und Konvergenz unauffällig, ebenfalls Führungsbewegungen.
HNO:
Freie
Nasenatmung, Ohren äußerlich unauffällig.
Mundhöhle:
Unter und
Oberkiefer-Vollprothesen.
Hals:
Halsumfang
41 cm, unauffällige Gefäßzeichnung, keine Gefäßgeräusche, Struma
Grad I.
Thorax:
Rundrücken,
Thorax symmetrisch gewölbt, seitengleiche Atemexkursionen.
Lungen:
Vesikuläratmen,
bds. basal vereinzelt Giemen,
sonorer bis hypersonorer Klopfschall, Atemgrenze bds. An physiologischer Stelle
ausreichend verschieblich. Stimmfrenitus
unauffällig.
Herz:
RR 180 / 95
mm Hg, Puls 90/min.
Herztöne
leise, keine pathol. Geräusche. Herzaktion regelmäßig,
palpatorisch und perkutorisch
unauffällig.
Brustumfang
inspiratorisch 105 cm, expiratorisch
96 cm.
Abdomen:
Gut eindrückbar, keine Resistenzen, kein Druckschmerz, keine
Abwehrspannung.
Abdomenumfang
97 cm. Li. Abdomen Narbe nach Sympathektomie, an
beiden Hüften nach Bypassop.
Leber:
2
Querfinger unter dem Rippenbogen tastbar vergrößert, perkutorisch
12,5 cm in MCL. Gallenblasenlager nicht druckempfindlich.
Milz:
Nicht
tastbar.
Nieren:
Kein Druck-
bzw. Klopfschmerz.
Genitalien:
Äußerlich
unauffällig. Bruchpforten geschlossen.
Rektum:
Unauffällig.
Prostata von normaler Größe und Konsistenz.
Skelett und
Extremitäten:
Obere BWS
leicht klopfschmerzempfindlich. Gesamte WS frei beweglich. Grobe Kraft beider Unterschenkelmuskul. Etwas verringert. Seitengleiche
Hauttemperatur auch an den Beinen.
Gefäßstatus:
Keine
Varizen, venös unauffällig.
Pulse der
A. carotis, A. radialis
bds. Seitengleich gut, der A. femoralis bds. Nur
schwach tastbar. A. poplitea, A tibialis
post. und Adorsalis pedis
bds. Nur sehr schwach tastbar.
ZNS:
Grob
klinisch unauffällig mit normal auslösbaren physiologischen Sehnenreflexen,
keine Spastik, keine Koordinationsstörungen,
Oberflächen- und Tiefensensibilität intakt. Psychisch kooperativ, keine
Aggravationsneigung, Depression.
Schmerzen
nach Gehstrecke von 20m in beiden Beinen (links stärker als rechts).
Einzelbefunde
Die Teste
auf eine durchgemachte Hepatitis-B zum Ausschluss
einer virusbedingten Leberschädigung sind negativ (Bl. 8). Antikörper nach einer Hepatitis A bestehen.
Ebenso sind
alle relevanten Tumormarker negativ 8Bl. 8).
EKG:
Sinusrhythmus, Linkstyp, F 76/min., PQ 0,14“, QRS 0,08“, QT 0,38“, Q in II und avf. Ungest. Erregungsablauf.
Diskussion
Alle
Überlebenden der Kampfstoffentgiftungsanlagen in Traunreuth
sind krank. Diejenigen mit einer Lungen- oder Tumorsymptomatik haben aufgrund
des derzeiten Wissenstandes eine
Berufskrankheitsrente erhalten. Soweit bekannt waren alle Raucher. Bis vor
kurzem war unbekannt, dass Schwefellost auch Gefäßschäden hervorruft. Erst die
aufwendigen Untersuchungen kurz nach der Vergiftung und nach einem längeren
Intervall von G. P. (Wien) und P. F. (Recklinghausen) haben dies belegt. Eine
Lostvergiftung schädigt ausnahmslos alle Organe. Natürlich ist das Organ, das
die höchste Giftkonzentration abbekommt am meisten gefährdet. Lostvergiftete
Soldaten erleiden daher bevorzugt Lungenkomplikation und als Spätschäden
Lungenkarzinome.
Die Gruppe
der Lostarbeiter von Traunreuth macht hier global
eine besondere Ausnahme. Es wurde zwar mit Atemschutzmasken gearbeitet, aber
allein die Beschreibung von Herrn S., dass er den typischen Knoblauchgeruch von
Lost wahrgenommen hat, belegt, dass die Atemschutzmasken undicht waren bzw.
nicht immer getragen wurden.
Herr S.
erlitt bei seiner Arbeit vier Lostunfälle. Es waren die Augen (mit
vorübergehender Erblindung) und die Füße betroffen. Insbesondere die
Lost-Verätzung der Füße führte zu langen Krankenzeiten (66 Tage). Die Unfälle
waren am 15.9.47, 8.3.48 und 23.4.48 (Bl. 38).
Hierbei
wurde nach neuesten medizinischen Kenntnissen das Epithel der Kapillaren
geschädigt.
Das
Besondere an diesem Fall ist, dass diese Schädigung nicht wie bei den übrigen Lost-Opfern
zu Lungenkomplikationen geführt hat, sondern auf Gefäßveränderungen
in der Peripherie beschränkt blieb. Eine familiäre Disposition (Mutter starb
angeblich an einer Thrombose, ein Bruder erlitt einen Herzinfarkt) förderte
diese Prädilektion.
Ebenso
förderte das frühere Rauchen (bis 1975 bis 30 Zig. pro Tag) diese Komplikation
wesentlich.
Aus der
Weltliteratur ist wohl bekannt, dass Zigarettenrauch die Organkomplikationen
nach Lostexposition begünstigt.
So wies J.
E. Norman 1975 an Kriegsveteranen nach, dass nur Raucher von den
Lostexponierten einen Lungenkrebs bekamen.
Es ist
möglich, aber noch nicht eindeutig geklärt, dass die Lostbedingten
Veränderungen der Gefäßwand zu dem Bluthochdruck geführt hatten, der das
Gefäßleiden letztlich ebenso beschleunigt hat. Andererseits ist auch bekannt,
dass Lost zur Nierenschädigung führt, was ebenso Ursache des Bluthochdrucks
sein kann.
Auch die prädiabetische Stoffwechsellage kann ursächlich auf eine
Lostbedingte Schädigung der Bauchspeicheldrüse zurückzuführen sein.
Als
Brückensymptome werden eine chronische Bronchitis und Kopfschmerzen im
Anschluss an die Augenverätzung durch Lost am 29.4.47 beschrieben.
Wahrscheinlich
kam es durch das frühzeitige (1975) Aufhören des Rauchens nach Eintritt der
Gefäßkomplikationen zum Sistieren der Progredienz der
Lungensymptomatik. Gewöhnliche arteriosklerotische
Veränderungen hätten sicher eine wesentlich stärkere Progredienz
und eine deutlichere Beteiligung des Gehirn (Denk-, Merk- und Schlafstörungen),
der Augen (Augenhintergrund, Sehstörungen) und der Nierengefäße (deutliche
Nierenfunktionseinschränkung) hervorgerufen.
Der
bisherige 13jährige Verlauf nach Beginn der ernsten Erkrankung spricht gegen
die Annahme einer üblichen arteriosklerotischen
Erkrankung.
Die einmalige
Häufung von vier Lostvergiftungen und die damit verbundene große Giftaufnahme
müssen in jedem Fall zu Spätschäden führen.
Auch die Leberparenchymschädigung muss in diesem Rahmen gesehen
werden.
Zur Frage
des Zusammenhangs mit der Lostvergiftung denken wir an den großen deutschen
Lostspezialisten, Prof. W. sen., der postulierte, dass grundsätzlich eine
Berufskrankheit anzunehmen ist, wenn eine M.d.E. von
mindestens 20% vorliegt.
Da Herr S.
seit 1.5.76 eine EU-Rente wegen seiner Gefäßschäden erhielt, die nach oben
gesagtem lostbedingt sind, ist seit diesem Zeitpunkt
auch eine Berufskrankheitsrente fällig.
Zusammenfassung
1. Nach neuesten Erkenntnissen liegt bei
Herrn S. H. eine Erkrankung im Sinne einer Berufskrankheit durch Lost (Ziff. 1311 BeKV) vor.
2. Entfällt.
3. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit
beträgt seit 1.5.76 100%.
Literatur:
Beiliegend.
Eigenhändig
verfasst:
Gez.: Dr.
med. Dr. med. habil. Max Daunderer
Leitender
Arzt TOX CENTER MÜNCHEN
Lost -
Fallbericht Herr F. S.
Vorgeschichte:
Nach
Angaben von Herrn S. arbeitete er vom 02.02. - 12.08.1948 in der
Kunststofffabrik Bobingen bei der ehemaligen Muna St.
Georgen in zwei Schichten, jeweils zu acht Stunden. Er lebte dort in
Holzbaracken und war Tag und Nacht Dämpfen des in der unmittelbaren
Nachbarschaft verbrennenden Losts ausgesetzt.
Bei der
Entgiftung von Tränengas erhitzte er das Weißkreuz als salzige Masse aus
Fässern, versetzte es dann mit Schwefelsäure und gab zur Bindung Eisenpulver
hinzu bis zur Entstehung einer Kunststoffmasse.
Nach etwa
18 Tagen Arbeitsunfähigkeit, 1.06.05.1948 Verätzung beider Füße, 2.
Kampfstoffverbrennung. Nach etwa 10 Jahren Beginn mit Juckreiz in der Nase,
häufigem Schnupfen, Hautausschlägen, laufende Behandlung bei Hautärzten und in
der Hautklinik. Seit 1977 wiederholte Exzisionen von
Tumoren, meist im Gesicht. Dann traten Magen-Darm-Beschwerden hinzu und seit
1984 auch Durchblutungsstörungen, die bis zur Gefäßstenose
in der linken Leiste führten. Am 06.06.1984 Embolektomie
A. femor. superfic. 1977
Nierentumor recht. Mehrfache Ohroperationen bds., Hörgerät (seit der Kindheit
Probleme mit dem rechten Ohr). Seit 1976 (Bl. 42)
zunehmendes Zittern der Hände, Gleichgewichtsstörungen, Gangunsicherheit. Wegen
Ohr- und Augenschäden Aufgabe des erlernten Berufes als Uhrmacher.
Verheiratet,
drei Kinder, 47, 38 und 34 Jahre. Vor 7 Jahren Rauchen aufgehört (20 Zig./die).
Jetzige
Beschwerden:
Schmerzen
beim Gehen in beiden Unterschenkeln und in den Gelenken. Ruheatemnot,
Schwank-Schwindel, besonders beim Aufstehen und schnellen Bewegungen, vermehrte
Speichelsekretion und Schluckprobleme bis zum Erbrechen, Brennen im Hals,
Hypersekretion in der Nase und im Rachen.
Untersuchungsbefund:
71jähriger
Mann, deutlich reduzierter AZ, bei gutem EZ, 159 cm, 66 kg 01K.
Keine Zyanose, kein Ikterus, Beine kalt.
Diverse Haut-Akanthome im zentrofacialen
Gesichtsbereich, die zum Teil maliguitätsverdächtig
sind.
Lunge:
Massives Giemen und Pfeifen über beiden Lungen, mäßiggrade, bronchitische Rasselgeräusche (Dr. W. Daunderer).
Herz:
Normaler
erster und atemabhängiger, gespaltener zweiter Herzton.
RR 160/90,
Puls 84
(Dr. W.
Daunderer)
Ohr:
(Audiogramm
21.12.1987): Hörverlust re 46%, li
51%.
Lungenfunktion:
Forcierte
Vitalkapazität erniedrigt auf 0,83 (Soll 2,86), maximale Ausatemgeschwindigkeit
erniedrigt auf 1,68 (Soll 6,74), Lungenwiderstand 0,24 (Soll 0,30).
Sektor
Echo:
Mäßiggradig
vergrößerter rechter Ventrikel, und Vorhof mit
deutlicher Hypertrophie, geringer gekammelter Perikarderguß über dem rechten Ventrikel,
normal großer linke Ventrikel, leichte Septumhypertrophie.