II-2.8
Organschäden durch Umweltgifte
Chemische Umweltfaktoren können eine allergisierende, toxische und mutagen/kanzerogene Wirkung auf den menschlichen Organismus ausüben. Toxische Effekte zeigen sich am ehesten am Nervensystem, am Atemtrakt und an der Haut.
Als vordergründiger Aspekt der Leberschädigung ist eine Beeinflussung der Biotransformation anzunehmen.
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Abb. 6: Wirkungsspektrum chemischer Umwelteinflüsse (Beispiele)
Quelle: Schimmelpfennig W: Toxische Leberschädigungen durch chemische Arbeits- und Umweltstoffe. Nat. Ganzh. Med. S, 1992,307-310.
Leberschäden durch Umweltchemikalien (ausgenommen durch Alkohol und durch Arzneimittel und abgesehen von akuten Vergiftungen) sind ein häufig zitiertes, aber wenig systematisch untersuchtes umweltmedizinisches Problem. Einzelbeobachtungen sollten zu sorgfältigen differentialätiologischen und -diagnostischen Untersuchungen Veranlassung geben.
Quelle: AP 43, 1993, S. Prof. Dr. med. W. Schimmelpfennig, Klinisch-diagnostischer Bereich des Bundesgesundheitsamts, Waldowallee 117, D-10318 Berlin
Leberstau (Cholestatische Hepatose) oder Hepatitis |
Athophan, 17-a-substituierte Östogene (Estinylöstradiol, Megestrol, Mestranol, Stilböstrol), anabole Steroide (Norethistheron, Norethynodrel, Methandienon, Methylöstronil, Noräthandrolon, Methyltestosteron), Diamarole, Dimitriphenol, Thyreostatika (Thiouracil, Methimazol, Carbimasol)
Antidiabetika (Tolbudamid, Chlorprapamid), Metahexamid, Phenformin, Psychopharmaka (Carbamazepin, Meprobamat, Haloperidol, Oxazepam, Diazepam, Chlordiazepoxid), Phenebrin, Phenindione, Pyrazincarbonsäure, Testosteron
Phenotiazine (Promazin, Chlorpromazin, Perphenazin, Perizyazin, Pecazin)
Tuberkulostatika (INH, Rifampicin), Erythromyzin, Goldsalze
Antidepressiva Irnipramin, Opipramin, Trimipramin
Antiarrhythmika (N.-Propyl-Ajmalin), Hydantoine, Phenylbutazon
Arsen-Verbindungen Arsphenamin, Syntharsan, Carbarson, Neosalvarsan
Diuretika und Urologika Furosemid, Chlorothiazid, Polythiazid, Nalidixinsäure, Nitrofurantoin, Meandomycin, Ovulationshemmer, Penicillin, Sulfonamide
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Leberzerfall (Leberdystrophie, akute gelbe)
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Acetazolamid (Diamox®), Amanita phalloides (Knollenblätterpilz), Antimon, Arsenik, Atophan, Chlordiphenyle, Chlornaphthalin, Chloroform, Dinitrobenzol, Dinitrophenol, Diphenyle chlorierte, Eibe, Goldsalze, Gerbsäure (hohe Dosen), Halothan (b. Sensibilisierung), Helvella (Lorchel), Ipromazid, Naphthaline chlorierte, Paracetamol, Paraquate, PCB, Phenylbutazon (Butazolidin®, Irgapyrin®), Phenylchinolinkarbonsäure (Atophan), Phenylhydrazin, Phosphor, Pikrinsäure, Salvarsan, Sulfonamide, Tetrachlorkohlenstoff, Toluidin, Toluilendiamin, Trichlornaphthalin, Trinitrotoluol
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Lebergifte |
Weniger toxisch: Acetaldehyd, Acetazolamid (Diamox®) (bei vorgeschädigter Leber durch NH3-Vergiftung), Ammoniumchlorid (bei vorgeschädigter Leber durch NH3-Vergiftung), Anilin, Antimonverbindungen organische, Apiol, Arsen, Arsenwasserstoff, Asplit, Atophan, Benzin, Benzole chlorierte, Beryllium, Borane, Bromate, Cadmium, Chlorate, Chlor-Benzole, Chlordiphenyle, Chlorkohlenwasserstoffe (z.B. Fluothan®), Chlornaphthaline, Chloroform, Chlorpromazin, Chlortetracyclinum (Aureomycin®), Chromate, Cycloserin®, Diaminodiphenylmethan, Diethylendioxid, Diethylnitrosamin, Dibromethan, Dichlorethan, p-Dichlorbenzol, Dichlorhydrin, Dimethylnitrosamin, Dinitrobenzol, Dinitrokresol, Dinitrophenol, Dinitrotoluol, Dioxan (Nekrosen ohne Ikterus), Diphenyle (PCB), Eisensulfat, Erythromycin, Ethakrinsäure, Ethylalkohol, Filix Mas, Formalin, Glycidaldehyd, Goldsalze, Halothan, Hydrazin, Hydrochinon, INH, Isozyanate, Kobalt, Koloquinten, Kresol (Lysol®), Kupfersalze (akut), Lorchel, MAO-Blocker, MCPA, Mepactin (Atebrin®), Molybdän, Naphthaline chlorierte, Naphthol, Nikkeltetrakarbonyl, Nitrobenzole, Nitrodimethylamin, Oleandomycin, Oxalsäure, Paracetamol, Paratoluolsulfochlorid, Phenacetin, Phenylchinolinkarbonsäure (Atophan), p-Phenylendiamin, Phosgen, Phosphor, Phosphorwasserstoff, Plastikhärtemittel (Diaminodiphenylmethan), Pyrazincarbonsäureamid (Pyrazinamid®), Quecksilberpp., Resorcin, Ricin, Salicylate, Selenium, Senfgas, Tanninsäure (cutane Resorption), Tellurium, Tetrachlorethan, Tetrachlorkohlenstoff, Thallium, Thiocyanat (selten), Thiosemicarbazon, Thiouracil (selten), Toluilendiamin, Trinitrotoluol, Uranium, Urethan, Viomycin (hohe Dosen), Vitamin A (Hepatomegalie)
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Leberzirrhose |
Anilinderivate, Arsen, Ethylalkohol, Kadmium, Phenylchinolinkarbonsäure, (Atophan), Phosphor, Tetrachlorethan, Tetrachlorkohlenstoff, Trinitrotoluol
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Die Biotransformation dient überwiegend der Entgiftung von körperfremden Stoffen durch Umwandlung von lipophilen in hydrophile und damit ausscheidungsfähige Stoffwechselprodukte. Sie spielt sich hauptsächlich im endoplasmatischen Retikulum der Leberzellen ab und ist an mikrosomale Enzymaktivitäten gebunden. Mittels Oxidation, Reduktion und Hydrolyse (Phase I) und durch diverse Konjugationsreaktionen (Phase II) werden die oral, inhalativ oder dermal aufgenommenen chemischen Substanzen metabolisiert.
Biotransformation unterliegt zahlreichen Modifikatoren, wodurch sich Stoffwechsel-Unterschiede zwischen Individuen und Gruppen ergeben können:
– Enzym-Mangel im Alter, bei reduziertem Allgemeinzustand und gravierenden Leberschäden,
– genetisch bedingte Enzymdefekte (z.B. hinsichtlich der Glukuronyltransferase) und Enzym-Polymorphismen (z.B. bezüglich der Arylamin-N-Acetyltransferase),
– exogen verursachte Enzyminduktion, z.B. durch Dichlordiphenyltrichloräthan (DDT), Hexachlorzyklohexan (HCH), Pentachlorphenol (PCP), polychlorierte Biphenyle (PCB), Dioxine, polychlorierte aromatische Kohlenwasserstoffe (PaKW), langfristigen Alkoholkonsum, Tabakrauch und Medikamente (Barbiturate u.a.),
– Enzyminhibition, beispielsweise durch Organophosphate, kurzfristigen Alkoholabusus und Medikamente (Disulfiram u.a.).
Die klinische Bedeutung einer durch Umweltchemikalien belasteten Biotransformationskapazität ist bisher wenig untersucht. Es muss aber damit gerechnet werden, dass potente Enzyminduktoren einen Wirkungsverlust von Arzneimitteln hervorrufen können.
Wenn bestimmte angeborene Enzymvarianten und bestimmte chemische Expositionen zusammentreffen, könnte die Entstehung bestimmter Krebse gefördert werden. So gibt es Hypothesen für das Blasenkarzinom (Langsam-Azetyüerer und Arylamine, z.B. b-Naphthylamin), für das Lungenkarzinom (stärkere In-duzierbarkeit der Aryl-Kohlenwasserstoff-Hydroxylase und Aryl-Kohienwasserstoffe, z.B. Benzpyren) und den Leberkrebs (schlechte Debrisoquin-Oxidierer und Aflatoxin).
Nur wenige chemische Stoffe erfahren durch die Biotransformation eine Giftung, indem sich reaktive Metaboliten im Sinne von freien Radikalen (Beispiel: Tetrachlorkohlenstoff) oder von Epoxiden (Beispiel: Vinylchlorid) bilden.
Hepatotoxizität
Lebernoxe Nr. 1 ist ohne Zweifel der Alkohol, der nahezu dosisabhängig eine Leberschädigung verursachen kann. Arzneimittel können fakultativ in seltenen Fällen akute und chronische Leberschäden hervorrufen. Schädigungen der Leber durch chemische Arbeits- und Umweltstoffe werden nach klinischen Erfahrungen - abgesehen von der Leberbeteiligung bei akuten Intoxikationen - ebenfalls relativ wenig beobachtet.
Klassische Umweltschäden der Leber sind die Reichensteiner Krankheit durch arsenkontaminiertes Trinkwasser sowie Leberfibrose und -sarkom der Moselwinzer durch Arsenrückstände im sog. Haustrunk. In der Arbeitsmedizin sind besonders aliphatische Halogenkohlenwasserstoffe, Benzolhomologe, Methanol und Diniethylformamid von Bedeutung.
Im Mittelpunkt des heurigen umweltmedizinischen Interesses stehen chlorierte aromatische Kohlenwasserstoffe. Hexachlorbenzol (HCB) hat 1955-1959 in der Türkei durch verunreinigten Weizen über eine Induktion der Deltaaminolävulinsäure-Synthetase zu einer Massenerkrankung an Porphyria cutanea tarda geführt. Das Holzschutzmittel Pentachlorphenol (PCP) kann einen toxischen Leberschaden verursachen, wenn auch die irritative Wirkung auf Haut und Schleimhäute, Chlorakne und Ekzem, vegetative, neurologische und vermutlich hämatologische Schäden vordergründig auftreten können.
Polychlorierte Biphenyle (PCB), eingesetzt u.a. als Isoliermittel und Weichmacher, haben 1968 in Japan durch den Verzehr von kontaminiertem Speiseöl die Yusho-Krankheit ausgelöst, in deren späterem Verlauf auch Ikterusfälle beobachtet wurden. Mit dem Ultragift 2,3,7,8-Tetrachlorodibenzo-p-Dioxin (TCDD) sind inzwischen bei nahezu 20 Industrieunfällen (am bekanntesten Seveso 1976) über 1000 Menschen in Berührung gekommen. Neben Hautsymptomen (Akne, Hyperpigmentation, Hirsutismus) sind besonders Polyneuropathien und Schaden innerer Organe, darunter auch Leberschäden (Fibröse, Verfettung), beobachtet worden.
Von umweltmedizinischer Bedeutung sind außerdem einige mit der Nahrung aufgenommene Lebertoxine: Pyrrolizidin-Alkaloide (veno-okkiusive Krankheit), Aflatoxine (Leberkarzinom) und Knollenblätterpilz-Gifte (akutes Leberversagen).
Leberschäden durch chemische Umweltstoffe, ausgenommen durch Alkohol und Arzneimittel und abgesehen von akuten Vergiftungen, stellen ein kaum systematisch untersuchtes umweltmedizinisches Problem dar.
Tab. 13: Potenzielle nephrotoxische Substanzen
Chemikalien |
Therapeutika |
Organische Verbindungen, Lösemittel – Chloroform – Ethylenglykol – Herbizide – Perchlorethylen |
Analgetika, nicht-steroidale Entzündungshemmer – Paracetamol – Phenacetin |
Metalle – Blei – Cadmium – Quecksilber |
Antibiotika – Aminoglykoside – Amphotericin B – Cephalosporin – Tetrazykline |
Mykotoxine |
Zytostatika – Adriamycin – Cisplatin |
Silikon |
Kontrastmedia |
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Lithium |
Auswahl etablierter bzw. diskutierter neuerer Parameter für eine nicht-invasive Nierenfunktionsdiagnostik zur Früherkennung und Lokalisation von Nierenschäden
Tab. 14: Parameter zur Früherkennung und Lokalisation
Etablierte Parameter |
Neue Parameter |
glomerulär |
|
hochmolekulare Serumproteine (HMWs) Immunglobuline Transferrin |
Fibronektin Thromboxan B2 6-keto-Prostaglandin F1 |
proximal tubulär |
|
niedermolekulare Serumproteine (LMWs) Enzyme (NAG, AAP, GT) |
Bürstensaumantigene
Enzyme (Intestinale AP) |
Henle'sche Schleife |
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Tamm-Horsfall-Protein |
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distal tubulär |
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Kallikrein |
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interstiriell |
|
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Prostaglandin E2 Prostaglandin F2 |
NAG = N-Acetyl-b-D-Glukosaminidase
AAP = Alaninaminopeptidase
GT = Glutamyltransferase
AP = Alkalische Phosphatasche
Die Bedeutung möglicher gesundheitlicher Auswirkungen der Anreicherung von Schadstoffen im menschlichen Körper lässt sich an zwei Beispielen in eindringlicher Weise erkennen:
a) In Fastenperioden oder bei auszehrenden Krankheiten erfolgt ein verstärktes Ausschwemmen toxischer Substanzen aus dem Fettgewebe, in dem sie sich u.U. über Jahre angereichert hatten. Dies könnte zu Belastungen von Leber sowie anderen kritischen Organen führen (Hirn, Herz).
b) Mit der Frauenmilch werden zahlreiche schwerflüchtige chlororganische Verbindungen vom Säugling aufgenommen. Sie stammen ebenfalls hauptsächlich aus dem Fettgewebe der Mutter. Die dadurch gegebene außerordentlich hohe Belastung des Säuglings überschreitet nach Auffassung des Sachverständigenrates für Umweltfragen die Grenzen der zumutbaren Belastung. Beide Aspekte sind bisher irregulativen Beurteilungen praktisch nicht berücksichtigt worden.
Der Grad der Anreicherung organischer Verbindungen wird durch die biologische Halbwertzeit einer Substanz im Körper des Menschen anschaulich. Es wird deshalb vorgeschlagen, bei Substanzen mit humanbiologischen Halbwertzeiten von über einem Monat einen Schutzfaktor von 10 und bei solchen mit einer Halbwertzeit von über einem Jahr (wie z.B. PCB) einen Schutzfaktor von 100 einzuführen (Sagunski, 1990).
Tab. 15: Beispiele für Speicherungsphänomene von Fremdstoffen im Organismus (Henschler, 1991)
Stoff |
|
Speicherorgan |
Mechanismus |
DDT |
(Insektizid) |
Körperfett |
hohe Fettlöslichkeit, geringe Abbaubarkeit |
TCDD |
(Dioxin, Ultragift) |
|
|
PCB |
(Schmierstoff, |
|
|
Blei |
|
Knochen |
Als schwer lösliches Phosphat deponiert |
Tetrazykline |
|
Zähne (Säuglings- und Jugendalter) |
Als Kalziumchelator im Schmelz deponiert |
Kadmium |
|
Niere |
An Metallothioncin gebunden und gespeichert |
Methylquecksilber |
|
ZNS |
Durch Methylierung von Hg in Mikroben zu fettlöslichem Hg4CH3 |