Seit dem
Auftreten von SARS hat auch Deutschland die Vorsichtsmaßnahmen verschärft. Doch
die Experten sind skeptisch, ob man sich in einer globalisierten Welt vor
Pandemien schützen kann.
Die
Lungenseuche SARS hat uns vor Augen geführt, dass in einer globalisierten Welt
kein Land mehr vor tödlichen Infektionskrankheiten sicher ist. Erreger können
von Flugreisenden innerhalb weniger Stunden von Kontinent zu Kontinent getragen
werden und selbst für die Bevölkerung in Ländern mit höchstem medizinischen
Standard zur Bedrohung werden.
Die Anzahl der SARS-Opfer blieb zwar verglichen mit der
Anzahl der Todesfälle durch andere Infektionskrankheiten vergleichsweise
gering. Nach WHO-Angaben erkrankten 8 096 Menschen an SARS, 744 Menschen
starben. Aids, Malaria, Tuberkulose und Hepatitis forderten dagegen allein im
Jahr 2004 zusammen 8,3 Millionen Todesopfer. Doch SARS (schweres akutes
Atemwegssyndrom) verbreitete sich wie kein anderes Virus rasend schnell über
den Globus und stellte Politiker, Katastrophenschützer und Ärzte vor neue
Herausforderungen.
Um in Zukunft
besser gerüstet zu sein, diskutierten Katastrophenschützer auf dem
internationalen Kongress “Intercon" Anfang September in Hamburg über
Möglichkeiten der effektiven Kontrolle von biologischen Gefahren. Rund 700
Notfallmediziner und Feuerwehrleute aus 20 Ländern nahmen an dem Treffen teil.
Als in Kanada
die ersten SARS-Fäl-le auftraten, gab es keinen Masterplan. Aber die
Verantwortlichen reagierten schnell: Sie gründeten ein Kompetenzteam, bei dem
fortan alle Informationen zusammenliefen, das alle Entscheidungen traf und alle
Handlungsanwei-
sungen gab.
“Die Entscheidungen lagen in einer Hand und wurden pragmatisch Schritt für
Schritt umgesetzt. Deshalb waren das Kompetenzteam und die Feuerwehr von
Toronto so erfolgreich", sagte Tareg Bey, Professor für innerklinische
Notfallmedizin an der University of California Irvine.
Neben China,
wo SARS erstmals 2002 auftrat, war Kanada am stärksten betroffen. Dort
erkrankten 251 Menschen, 43 starben. Besonders heikel wurde die Situation, als
die erste Person, ein Feuerwehrmann, an SARS erkrankte, ohne jemals in Kontakt
mit einem Infizierten gekommen zu sein, berichtete William Stewart, Chef der
Feuerwehr von Toronto. Nur mit spärlichen Informationen über das Coronavirus
mussten ad hoc Schutzmaßnahmen getroffen werden. Um das besonders gefährdete
Klinikpersonal zu schützen, wurde die gesamte Notfallmedizin auf den Kopf
gestellt: Die Beatmungsgeräte wurde ausgetauscht, Ärzte und Krankenschwestern,
die mit SARS-Patienten in Kontakt kamen, erhielten Schutzkleidung, Schutzmasken
und -bril-len, die aus dem Ausland beschafft werden mussten. Die
Hygienemaßnahmen wurden verschärft, der Gesundheitszustand der Klinikmitarbeiter
täglich kontrolliert. Bei jedem Arzt und jeder Schwester wurde morgens Fieber
gemessen. Nicht alle konnten gerettet werden: Ein Arzt und zwei Schwestern
starben. Mit den Kontroll- und Vorsichtsmaßnahmen gelang es aber, die
Ausbreitung des
Aufwendige
Schutzmaßnahmen in Schanghai 2003: Um SARS-Verdachtsfälle herauszufiltern, wird
bei Pendlern die Temperatur gemessen.
Erregers
außerhalb der Klinikmauern zu verhindern.
Seit dem
Auftreten von SARS sind auch die Vorsichtsmaßnahmen in Deutschland erheblich
verschärft worden. Bundesweit wurden Kompetenzteams gegründet, die die
möglichen Einfallstore für biologische Erreger überwachen und Notfallpläne
bereithalten.
Große
internationale Flughäfen, wie der in Frankfurt/M., gelten als am stärksten
gefährdet. Dort werden jährlich 52 Millionen Passagiere abgefertigt, die Hälfte
von ihnen ist Umsteiger. Sollte bei einem Passagier der Verdacht auf eine
gefährliche Viruserkrankung bestehen, müsse er in der ersten halben Stunde nach
der Landung festgehalten und versorgt werden. “Danach sind Passagiere nicht
mehr zu identifizieren, weil die Airlines die Daten nicht herausgeben",
sagte Dr. med. Walter Gabler, leitender Betriebsarzt der Betreibergesellschaft
Fraport am Frankfurter Flughafen. “Wir fordern deshalb von den Airlines, uns
bei Verdachtsmomenten ihre Passagierlisten zugänglich zu machen."
Am Flughafen
Frankfurt sei zwar eine Vielzahl von Maßnahmen für den Notfall ergriffen
worden. Es wurden temporäre Quarantäneunterkünfte eingerichtet, Schutzkleidung
und Desinfektionsmittel gegen Viren, Bakterien und Pilze angeschafft sowie
Handlungsanleitungen bei Notfällen ausgearbeitet. Dennoch, so Gabler, sei der
Ausbruch einer Influenza-Pandemie nicht zu verhindern. So sei es zum Beispiel
rein rechtlich nicht möglich, Passagieren eines bereits gelandeten Flugzeugs
aufgrund eines SARS-Verdachtsfalls den Ausstieg zu verweigern.
Auch der
Einsatz von Infrarotkameras an Flughäfen, die die Körpertemperatur der
Passagiere messen, ist für Gabler keine praktikable Maßnahme. Allein in Hongkong
wurden 400 000 Passagiere mit Infrarotkameras gescreent. “ Drei Personen wurden
mit SARS-Verdacht ins Krankenhaus gebracht. Im Endeffekt wurde aber bei
niemandem SARS festgestellt", sagte Gabler. Zudem könnten Passagiere vor
dem Flug fiebersenkende Medikamente eingenommen haben. Auch Appelle an
Fluggäste, bei erhöhter Temperatur oder Unwohlsein die Reise nicht anzutreten,
seien nahezu erfolglos. Gabler verdeutlichte zugleich, dass aufwendige
Schutzmaßnahmen den Geschäftsinteressen von Airlines und Flughäfen
entgegenstünden. Maßnahmen, deren Wirksamkeit fraglich sei, dürften den
internationalen Flugverkehr nicht dauerhaft stören. “Wir sind überzeugt, dass
Viruserkrankungen kommen werden. Wir wissen nur nicht, wann", so Gabler.
Ähnlich
äußerte sich die Leiterin des Stadtgesundheitsamtes Frankfurt, Sonja Stark.
“Die Welle einer Influenza-Pandemie wird uns überrollen." Sorge bereiteten
vor allem die großen Passagierflugzeuge wie der neue Airbus 380, der bis zu 555
Passagiere transportiert. “Die Stadt hat Maßnahmen getroffen, auch diese
größere Anzahl von Passagieren in Quarantäne nehmen zu können."
Parallel zu
den Maßnahmen auf nationaler Ebene arbeitet die Europäische Union (EU) an der
Verbesserung des Schutzes vor Epidemien. Das neue “European Centre for Disease
Preven-tion and Control" in Stockholm hat die Aufgabe, die Aktivitäten der
EU-Länder aufeinander abzustimmen. Mit der Entwicklung eines EU-weiten
Überwachungssystems befasst sich auch ein Forschungsprojekt, das die
EU-Kommission ausgeschrieben hat. 17 Hochschulen in Europa, China und Taiwan
sollen Strategien zur Kontrolle von SARS entwickeln. Beteiligt ist auch eine
Forschungsgruppe der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften, die
Richtlinien zur Kontrolle hochansteckender Krankheitserreger entwickeln
soll. Inga Niermann
Quelle:
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 1021 | Heft 381 | 23. September 2005