Kaffee
zu Unrecht als Gift verdächtigt
Das Getränk schmeckt
nicht nur wunderbar, sondern ist auch noch gesund.
König Gustav III. war sich sicher: Kaffee muss giftig sein. Um die üblen Wirkungen
des Gebräus aber zu belegen, missbrauchte der Monarch, der Schweden in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts regierte, zwei zum Tode verurteilte
Häftlinge als Versuchsobjekte. Heute lässt sich sagen, die beiden Männer haben
es verdammt gut erwischt. Erst bestellte Gustav III. den Henker ab, dann
verdonnerte er einen der Verbrecher, fortan täglich Kaffee zu trinken. Der
andere bekam dagegen Tee gereicht. Zwei Mediziner wurden beauftragt, das
erwartete Siechtum zu dokumentieren. Das Experiment sollte zeigen, wie schnell
Kaffee - im Gegensatz zu Tee - seine tödliche Wirkung entfaltet.
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So saßen die Häftlinge im Kerker und tranken.
Erst Tage und Wochen, dann Monate und Jahre. Sie tranken Tasse um Tasse, bis der
erste der beiden gelehrten Versuchsleiter sein Leben ließ. Die beiden Häftlinge
nahmen weiterhin ihren Kaffee und Tee, bis irgendwann der zweite Arzt starb.
Auch als König Gustav III. ermordet wurde, reichten die Wärter Getränke in den
Kerker. Schließlich starb der Tee- vor dem Kaffeetrinker - im Alter von 83
Jahren. Das Todesalter des zum Kaffee Verurteilten ist zwar unbekannt, doch
sicher ist, dass die robuste Konstitution des unfreiwilligen Probanden nicht
die Mär vom giftigen Kaffee aus den Köpfen der Europäer getrieben hat: Bis
heute werden dem Getränk allerlei negative Eigenschaften zugesprochen. Zu
Unrecht wie sich inzwischen zeigt. "Die Aussage, dass Kaffee generell
schädlich sei, ist heute nicht mehr haltbar", sagt Thomas Hofmann, Direktor
des Instituts für Lebensmittelchemie an der Universität Münster.
Nach und nach offenbart sich, dass viele Studien, die dem Kaffee Maliziöses
bescheinigen, methodische Mängel hatten. "Früher hat man zum Teil negative
Wirkungen einzelner Kaffeeinhaltsstoffe auf den Gesamtkomplex Kaffee
übertragen", sagt Hofmann, der mit Wissenschaftlern der Deutschen
Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie in Garching Kaffee und dessen
Eigenschaften untersucht. Das Getränk besteht jedoch aus über 1000 einzelnen
Substanzen, deren Wirkungen sich gegenseitig beeinflussen.
So kamen Gesundheitswarnungen zustande, die auf wackeligen Füßen standen und
sich bis heute im Bewusstsein vieler Kaffeetrinker festgesetzt haben: Koffein
treibe Wasser aus dem Körper, Kaffee erhöhe den Blutdruck, fördere Osteoporose
und sei verantwortlich für Schlaganfälle, Herzinfarkte oder Krebs.
Angesichts der flatterigen Nervosität, die wohl jeder Kaffeetrinker schon
einmal nach zu vielen Tassen gespürt hat, ist es einfach, all diesen Warnungen
zu glauben. Und so ist neben Milch und Zucker oft auch ein leicht schlechtes
Gewissen ein treuer Begleiter des Getränks. Neue Studien stellen Kaffee aber in
ganz anderem Licht dar: So hat der Sud nicht nur einen wunderbaren Geschmack,
sondern offenbar auch eine ganze Reihe wünschenswerter Wirkungen.
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Allein die immense Kaffeemenge, die weltweit konsumiert wird, legt
nahe, dass das Getränk so ungesund nicht sein kann. Heute sei Kaffee eines der
weltweit beliebtesten Getränke, schreiben die Norweger Trine Ranheim und Bente
Halvorsen in einer Überblicksstudie für das Fachmagazin Molecular Nutrition
& Food Research, in der die beiden Mediziner Kaffee von einigen Vorwürfen
wissenschaftlich zurückhaltend freisprechen. Deutschland gehört beim
Pro-Kopf-Verbrauch weltweit zur Spitze: 2004 hat der Bundesbürger 151 Liter
Kaffee getrunken oder 6,4 Kilogramm Kaffeepulver verbraucht, rechnet der
Deutsche Kaffeeverband vor.
Ein beliebter Vorwurf lautete lange Zeit, Kaffee entziehe dem Körper Wasser.
Kaffee sei auf der Soll- nicht der Habenseite der persönlichen
Flüssigkeitsbilanz abzurechnen, mahnte auch die Deutsche Gesellschaft für
Ernährung (DGE) bis vor kurzem. Doch sind keine Berichte über Menschen bekannt,
die im Café nach ein paar Tassen Kaffee dehydriert vom Stuhl gekippt sind.
"Das Bild vom Kaffee als Wasserräuber ist durch die Fehlinterpretation
älterer Studien entstanden", sagt Antje Gahl von der DGE. So wurde es den
Teilnehmern einiger Experimente untersagt, in einem gewissen Zeitraum vor den
Tests Kaffee zu trinken. Das Resultat: Der Körper war entwöhnt und reagierte
auf die Wirkung des Suds besonders sensibel.
Ein Fehler, den Kristin Reimers von der Universität in Omaha/Nebraska kürzlich
nicht mehr machte: Dort sammelte sie 24 Stunden lang den Urin ihrer Testpersonen.
Von diesen musste die Hälfte ihren Durst ausschließlich mit koffeinhaltigen
Getränken löschen, während die übrigen nur Flüssigkeit ohne die psychoaktive
Chemikalie trinken durften. Das Resultat: Koffein hin oder her, am Ende war die
Urinmenge in den Behältern der Versuchleiter gleich groß. Zu einem
vergleichbaren Ergebnis kam der britische Physiologe Ron Maughan in einer
Übersichtsarbeit für das Fachmagazin Journal of Human Nutrition and Dietetics:
Demnach sind zwei bis vier Tassen Kaffee täglich, also 300 bis 600 Milliliter,
unbedenklich für den Wasserhaushalt.
Dennoch bestreitet kein seriöser Wissenschaftler den akut
harntreibenden Effekt von Kaffee. Koffein hemmt das antidiuretische Hormon der
Hirnanhangsdrüse und signalisiert so den Nieren, vermehrt Flüssigkeit
auszuscheiden. Bei regelmäßigem Konsum sei der Effekt aber reduziert, erklärt
Maughan. "Außerdem wirkt sich dieses kurzfristige Ausschwemmen nicht auf
den Flüssigkeitshaushalt des Körper aus", ergänzt Antje Gahl - über den
Tag entstehe kein Verlust. Auch die Wirkungen auf das Kreislaufsystem sind
nicht so gravierend wie lange angenommen. "Wer an Kaffee gewöhnt ist, wird
nach ein, zwei Tassen höchstens einen geringfügig höheren Blutdruck
haben", sagt Andreas Pfeiffer, Ernährungsmediziner an der Charité in
Berlin.
Eine Ansicht, die bereits länger anerkannt wird: So hat das Nationale Herz-,
Lungen- und Blutinstitut der USA 2003 eine Empfehlung zurückgenommen, wonach
Patienten mit hohem Blutdruck höchstens moderate Mengen Kaffee trinken sollten.
Wolfgang Winkelmayer von der Harvard School of Public Health in Boston
untermauerte diese Einschätzung: Im Journal of the American Medical Association
präsentierte er kürzlich eine Studie mit Daten von 150000 Frauen. Hinweise auf
einen Zusammenhang zwischen Kaffeekonsum und hohem Blutdruck habe man nicht
gefunden, hieß es darin.
Dennoch lässt sich am Tatort Herz-Kreislauf Kaffee in einer Hinsicht als
Übeltäter überführen: In einigen Studien gab es Hinweise darauf, dass Kaffee
den Cholesterinspiegel im Blut steigen lässt, wie Trine Ranheim und Bente
Halvorsen berichten. Sollte das Kaffeetrinker-Herz jetzt vor Schreck schneller
schlagen?
Sollte es nicht. Denn dieser Zusammenhang lässt sich nur für ungefilterten
Kaffee herstellen. Cafestol und Kahweol - so genannte Diterpene - sind die
Stoffe, die den Blutfettspiegel in die Höhe treiben, und diese bleiben im
Filterpapier der Kaffeemaschinen hängen. "Und bei Espresso ist die
Kaffeemenge so gering, dass man sich keine Sorgen machen muss", sagt
Andreas Pfeiffer. Stattdessen lassen sich mit dem Geschmack auch
gesundheitliche Freuden des Kaffees genießen: Der treue Bürobegleiter hemme
Parkinson, da das Koffein die Produktion des Nervenbotenstoffs Dopamin anrege,
melden amerikanische Neurologen. Der Ausbruch der Alzheimerkrankheit könne
durch regelmäßigen Genuss vielleicht verzögert werden, heißt es von anderer
Stelle.
Auch chronischen Lebererkrankungen könne Kaffee vorbeugen, gerade wenn diese
durch hohen Alkoholkonsum oder Übergewicht hervorgerufen werden, schreibt die
US-Medizinerin Constance Ruhl. Mediziner der Universität Rotterdam bringen das
Getränk in Verbindung mit einem geringeren Diabetes-Risiko. Ist Kaffee vom
bösen Buben zum Wundermittel geworden? "Absolut harte Belege liefern die
Studien zwar nicht, aber immerhin Hinweise", antwortet der
Diabetes-Spezialist Pfeiffer.
In einem Fall verdichten sich diese Hinweise: So haben kanadische Mediziner um
André Nkondjock von der Universität Ottawa entdeckt, dass sechs Tassen Kaffee
täglich das Brustkrebsrisiko bei Frauen um 70 Prozent senken. Das Getränk
könnte vor Blasen- und Dickdarmkrebs schützen, sekundieren Kollegen in anderen
Arbeiten. Als Wohltäter unter den Kaffeeinhaltsstoffen haben Forscher alte
Bekannte identifiziert: Antioxidanzien - Stoffe, die aggressive
Sauerstoffverbindungen im Körper unschädlich machen und auch in vielen Obst-
und Gemüsearten vorhanden sind.
Doch Kaffee, so das Ergebnis einer Studie, ist die wichtigste Quelle für
Antioxidanzien auf dem Speiseplan der US-Bürger. 1300 Milligramm trinkt der
durchschnittliche Amerikaner täglich mit seinem Kaffee, hat der Chemiker Joe
Vinston errechnet. Obst und Gemüse trugen nicht einmal ein Zehntel so viel
Antioxidanzien bei. Auch hier handelt sich nur um Hinweise, doch diese lassen
den Schluss zu: Kaffee ist kein Gesundheitskiller, und wenn ein paar Tassen
täglich sogar helfen, umso besser.
Geschätzt wird das Getränk neben seinem Geschmack doch vor allem wegen seiner
anregenden Wirkung, die dem Koffein zu verdanken ist: Der Muntermacher
blockiert die Wirkung von Adenosin, einem Botenstoff, der dem Körper als
natürliches Schlafmittel dient. Darüber hinaus zeigte sich Kaffee in manchen
Untersuchungen als mildes Antidepressivum. Der Innsbrucker Radiologe Florian
Koppelstätter fand kürzlich sogar Hinweise dafür, dass Kaffee Doping für den
Geist ist. Seine Probanden zeigten unter Koffeineinfluss gesteigerte
Gedächtnisleistungen. Im Magnetresonanztomografen flackerten besonders die
Hirnareale auf, in denen das Kurzzeitgedächtnis verortet wird: der Frontallobus
und der vordere Cingulum.
Kaffeegegner griffen derartige Forschungsergebnisse bislang mit dem stets
gleichen Argument an: Kaffee mache abhängig und deshalb seien die gemessenen
Effekte keine Leistungssteigerung, sondern nur eine Normalisierung. Teilnehmer,
deren Stimmung oder Geistesleistung nach Kaffeegenuss steige, hätten nur ihre
Entzugssymptome beseitigt. Auch diese Meinungsfeste wird geschliffen. Die
Probanden von Andrew Smith durften ihren Kaffeedurst wie gewohnt stillen, bevor
der britische Psychologe von der Universität Cardiff seine Untersuchung begann.
Und mehr Koffein half tatsächlich mehr, die 60 Teilnehmer bewältigten ihre
Testaufgaben im Schnitt schneller.
Doch eines ist wahr: Koffein macht abhängig, jedoch nur leicht, stärkere
Entzugserscheinungen als Kopfweh sind nicht zu erwarten. Kaffee kann nervös
machen oder eine schlaflose Nacht bereiten. Schwangere sollten nicht mehr als
drei Tassen Kaffee pro Tag trinken, empfehlen dänische und amerikanische Ärzte
in einer aktuellen Studie. Aber alles halb so wild, außer man trinkt Caffè
latte literweise: "Die negativen Wirkungen des Kaffees sind moderat",
sagt Andreas Pfeiffer. So viele Indizien erschüttern die Annahme, das Getränk
sei Gift für den Körper. Daher sollte man sich beim Kaffee auf das Wesentliche
beschränken: den Genuss.
GEFUNDEN IN...
SZ Wissen
Heft 8/2006 Spiegel online 11.3.06