INTELLIGENZFORSCHUNG Gescheite
grantige Greise
Unfreundlich zu sein, gilt nicht gerade
als erstrebenswerter Charakterzug. Bei über 60-Jährigen könnte diese
persönliche Eigenart jedoch Gutes mit sich bringen: Psychologen berichten, dass
die alten Grantler einen höheren IQ haben als ihre netten Altersgenossen.
Der Großvater ist wie immer grantig und die alte Frau in der Schlange vor der
Supermarktkasse schimpft ohne Ende: Alte Menschen können manchmal wirklich ruppig
sein - doch dieser Charakterzug muss nicht unbedingt schlecht sein. Im
Gegenteil: Der grantige Großpapa ist womöglich einfach nur intelligenter als
andere und die alte Dame pflichtbewusster. Dass sich mit bestimmten
Charakterzügen die Intelligenz schätzen lässt, berichteten zwei Psychologen
gerade auf der Jahrestagung der "American Psychological Association"
in New Orleans.
Thomas Baker von der York University im kanadischen Toronto und Jacqueline
Bichsel von der Pennsylvania State University haben junge und alte Menschen
miteinander verglichen, um herauszufinden, wie sich aus persönlichen
Charakterzügen, zum Beispiel Offenheit, auf die Intelligenz der Person in
verschiedenen Altersstufen schließen lässt. Bisherige Studien hatten immer nur
junge Erwachsene einbezogen.
Insgesamt 381 Erwachsene zwischen 19 und 89 Jahren hatten an der
Untersuchung von Baker und Bichsel teilgenommen; vom Highschool-Abgänger bis
zum Hochschul-Absolvent waren alle Bildungsniveaus vertreten. Die Probanden
wurden in folgende drei Gruppen aufgeteilt: In Gruppe A kamen alle "jungen
Erwachsenen" - zu ihnen zählten die ganz jungen Spunde mit 18 Jahren
ebenso wie noch (wohl jung gebliebene) 60-Jährige.
In Gruppe B wurden die mehr als 60 Jahre alten Testpersonen eingeteilt, die
ähnlich intelligent waren wie die Menschen in Gruppe A. Und zur Gruppe C kamen
die, die älter als 60 Jahre und intelligenter als die Probanden aus den anderen
beiden Gruppen waren.
Offenheit und Extrovertiertheit gut für die Merkfähigkeit
Es sei erwähnt, wie die über 60-jährigen Probanden in die zwei Gruppen B
und C aufgeteilt wurden: nicht etwa durch Rätsel wie "Wer am schnellsten
dieses Sudoku löst" und "Wer am meisten bei Trivial Pursuit
weiß" - sondern mit richtigen standardisierten Intelligenz- und Persönlichkeitstest.
Auch die junge Gruppe musste diese Untersuchungen mitmachen. Dabei stellte
sich heraus: Offenheit und Extravertiertheit - so der psychologische
Fachbegriff für die Hinwendung zu andereren, gewissermaßen das Gegenteil von
Schüchternheit - sind wichtige Indizien für ihre Allgemeinbildung. Je offener,
freigeistiger ein Mensch sei, desto besser könne er sein Allgemeinwissen
behalten und sich kurzfristig Informationen abspeichern.
Bei den über 60-Jährigen mit ähnlichem IQ wie ihn die Jüngeren hatten,
hatten die zwei Charakterzüge kaum einen Einfluss auf ihre Merkfähigkeit - oder
gar keinen. Im Vergleich zur jungen Gruppe A scheint in dieser Gruppe B die
Persönlichkeit nicht mehr geeignet, um die Unterschiede in den kognitiven
Fähigkeiten zu vorherzusagen, folgerten die Psychologen.
Alte Superhirne sind unsympathisch
Bei den Superhirnen in Gruppe C ergaben die Persönlichkeitstest hingegen:
Sie sind unsympathischer als alle anderen Probanden. Je schlechter gelaunt ein
intelligenter Alter sei, scheine "Hand in Hand zu gehen mit besserem
Vokabular und und Merkfähigkeit im Alter", wie Baker und Bichsel
berichten. Das bestätige bisherige Erkenntnisse und Erfahrungen, nämlich dass
diese Hochintelligenten unabhängig und distanziert seien.
Wenn die Großeltern also das nächste Mal granteln: Einfach an deren IQ
denken.
spiegel online 11.8.06