Hirnschäden Beweise
Interview mit
Professor Gunnar Heuser, einem der führenden Experten für Chemikalienopfer
Der in Hamburg geborene Toxikologe und
Hirnforscher Gunnar Heuser lehrte lange Zeit an der Universitätsklinik
von Kalifornien (UCLA). Heute behandelt
er in seiner Privatpraxis in Los Angeles Chemisch Verletzte. Außerdem vertritt
er die Kranken als medizinischer Gutachter vor Gericht. Um Schäden durch
Chemiegifte im Gehirn nachzuweisen, setzt der renommierte Mediziner zwei junge –
und teure – Verfahren ein:
„Positronen-Emissions-Tomographie“ (PET)
und „Single Photon Emission Computed Tomography“ (SPECT). Dass die Chemisch Verletzte Cindy Duehring 1997 den Alternativen Nobelpreis für ihre aufklärerische Arbeit zu den gesundheitlichen Risiken von
Chemiegiften verliehen bekam, geht auf den Vorschlag von Gunnar Heuser zurück.
GPM: Herr Heuser, was leisten PET und
SPECT für Chemisch Verletzte, wie Sie die Kranken nennen?
HEUSER: Damit können auch Laien erstmals
sehen – bei PET dreidimensional und in Farbe –, was Chemiegifte in ihren Hirnen
anrichten. Für jemanden, der oft jahrelang als Simulant angegriffen wurde, ist
das sehr wichtig. Viele weinen, wenn sie in meiner Praxis die Bilder sehen.
Was zeigen die Bilder genau?
Aktive Hirnregionen sind auf PET-Bildern
rot oder gelb. Blaue Areale sind geschädigt. Bei Chemisch Verletzten sind oft
Zentren blau, die etwa für das Erinnerungsvermögen wichtig sind. Deshalb leiden
die Patienten unter Gedächtnisstörungen. Auf SPECT-Bildern
sind violette Flecken – geradezu Löcher – zu sehen, wo die Durchblutung vermindert
ist. Wenn etwa die Scheitellappen des Hirns schlecht versorgt sind, können
Patienten Gesehenes und Gehörtes nicht mehr richtig mit Erinnerung verknüpfen.
Welche Chemiegifte die Schäden verursachen, kann PET allerdings nicht klären,
auch nicht, wann die Exposition stattgefunden hat.
Wieso sind Sie so sicher, dass die
Hirnschäden auf das Konto von Chemikalien gehen?
Weil diese Schäden nur im Denkorgan von
Pestizid- und Lösemittel-Geschädigten sichtbar sind. Bei Menschen, die nicht
solchen Chemikalien ausgesetzt waren, fehlen sie. Auch die Befunde von
Patienten mit Depression oder chronischer Müdigkeit sind deutlich anders. Oft
werden Chemisch Verletzten ja psychiatrische Diagnosen
unterstellt. Die Hirn-Scans
bestätigen das nicht.
Wie entfalten denn Chemikalien eigentlich
ihre gefährliche Wirkung im Gehirn?
Was im einzelnen
passiert, wissen wir noch nicht. Sicher ist, daß die
Chemikalien die Blut-Hirn-Schranke überwinden können. Diese Barriere schützt
die empfindlichen Nervenzellen normalerweise vor Schadstoffen oder Arzneimolekülen.
Offenbar versagt dieser Schleusenwärter bei potenten Chemikalien.
Die neuen Verfahren sind extrem teuer.
Können die Patienten sich diese Untersuchungen leisten?
Ein PET-Scan
kostet 2000 US-Dollar. Erst seit diesem Jahr zahlen die Versicherungen dafür.
Für Gerichtsverfahren sind solche „objektiven Beweise“ jedoch unerlässlich. Bei
den Fällen geht es immerhin um Berufsunfähigkeitsrenten bis zu 500.000
US-Dollar. Mehr als 50 Arbeiter des Flugzeugherstellers Boeing in Seattle, die
1987 bei der Produktion feuerfester Plastikteile Formaldehyd, Phenolen und Lösemitteln ausgesetzt
waren, wurden danach chronisch krank. Ich
habe einige untersucht, und sie haben schließlich durch vier Instanzen ihre
Anerkennung als berufsunfähig erkämpft.
Womit behandeln Sie ihre Patienten?
Wir setzen für die Mobilisierung von
Gehirnzellen auf eine Art Infrarotbestrahlung. Außerdem trainieren die Patienten
mit Hilfe von Biofeedback, ihre Gehirndurchblutung zu verbessern. Bei sechs von
zehn Patienten hilft das.
Sie halten Kontakt zu Cindy Duehring. Wie geht es ihr?
Ihr geht es extrem schlecht. Der Kontakt
zur Außenwelt ist nahezu unterbrochen. Sogar telefonieren fällt ihr schwer.
Selbst physische Reize – in diesem Fall Töne – machen ihr zu schaffen.
SPECT-Aufnahmen messen die Durchblutung des Gehirns, dem
das Blut Sauerstoff und Nährstoffe liefert. Bei normaler Blutversorgung erscheinen
Hirnregionen auf dem Bild gelb bis rot. Bei mangelhafter bis fehlender Durchblutung
hingegen werden die betroffenen Regionen blau bis violett dargestellt.
Schlechte Sauerstoffversorgung führt zu verringerter Aktivität der Hirnregion.
Dunkle Zonen wie im Bild oben finden sich bei
Chemisch Verletzten, nicht aber bei
psychisch Kranken, als die an MCS Leidende oft behandelt werden.
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