Grippeviren resistent auf Tamiflu

 

Atlanta/Leiden – Praktisch alle Influenzaviren der aktuellen

Grippewelle sind nach den Ergebnissen einer Studie im US-amerikanischen

Ärzteblatt resistent gegen Oseltamivir (JAMA 2009; 301: 1066-1069). Als

Grund nennen die Editorialisten auch den unkritischen Einsatz des

Virustatikums (JAMA 2009; 301: 1066-1069). Zudem scheint die

anfängliche Hoffnung, die Resistenzmutation würde die Virulenz der

Erreger schwächen, nicht einzutreten (JAMA 2009; 301: 1042-1046)

 

Bereits im Dezember 2008 hatten die Centers for Disease Control and

Prevention (CDC) bekannt gegeben, dass die meisten zirkulierenden

Grippeviren vom Stamm H1N1 resistent gegen Oseltamivir sind. Nach den

jetzt vom CDC-Team um Nila Dharan vorgestellten Daten beträgt die

Prävalenz 98,5 Prozent, was eine erstaunliche Zunahme gegenüber der

Saison 2007/2008 darstellt, als der Anteil erst bei 19 Prozent lag. In

den Jahren zuvor hatte es nur sporadische Fälle gegeben.

 

Die Gründe für die Ausbreitung sind nicht klar. Eine unkritische

Verwendung von Oseltamivir (Tamiflu®) scheidet allerdings aus. Sie

könnte nicht erklären, warum im letzten Jahr die mit Abstand höchs te

Prävalenz von Resistenzen (67 Prozent) ausgerechnet aus Norwegen

gemeldet wurde, wo Tamiflu nur gegen Rezept ausgegeben und daher selten

angewendet wird.

 

Die Editorialisten David Weinstock vom Dana-Farber Cancer Institute und

Gianna Zuccotti vom Brigham and Women's Hospital, beide in Boston,

haben eine andere Erklärung: Sie vermuten, dass die Resistenzmutation

H274Y den Viren einen Selektionsvorteil gegenüber anderen Stämmen

verschafft, der nicht in der Wirkungslosigkeit von Oseltamivir zu

suchen ist, sondern in einer gesteigerten „Fitness“ des Virus.

 

Sie warnen davor, dass die Resistenzen auch auf andere N1-haltige

Grippeviren überspringen könnten, darunter das Vogelgrippevirus H5N1.

In diesem Fall wären die für den Ernstfall gelagerten Tamiflu-Vorräte

wertlos. Andere Grippeviren, etwa der Stamm H3N2 oder Influenza

B-Stämme sind von der Resistenz (bisher) nicht betroffen.

 

So sehr die rasche und wohl globale Ausbreitung der

Oseltamivir-Resistenzen die Experten auch überraschte. Sie ist nach

Angabe von Weinstock und Zuccotti nicht einzigartig. In der Saison

2005/2006 war es zur Ausbreitung von Influenzaviren des Stammes A(H3N2)

gekommen, die zu 92,3 Prozent resistent gegen Adamantane (Amantadin und

Ramantidin) waren. In der Saison zuvor hatte der Anteil nur 14,5

Prozent betragen. Grippeviren, das wissen die Experten seit langem,

sind extrem variabel, weshalb der Impfstoff regelmäßig aktualisiert

werden muss.

 

Einige Experten hatten in den letzten Monaten gehofft, die

Oseltamivir-Mutation könnte das Übertragungsrisiko mindern und einen

abgeschwächten Verlauf der Erkrankung bei den Infizierten zur Folge

haben. Die Analyse einer kleinen nosokomialen Ausbreitung in den

Niederlanden, die Jairo Gooskens von der Universität Leiden vorstellen,

spricht gegen diese Erwartung.

 

Die Forscher können anhand einer genetischen Analyse der Erreger

zeigen, wie ein Patient, der wegen einer rheumatischen Erkrankung mit

Prednisolon behandelt wurde, drei weitere Patienten in den Klinik mit

oseltamivirresistenten Viren infizierte, von denen zwei starben. Beide

waren ebenfalls lymphozytopenisch, was den schweren Verlauf der

Erkrankung begünstigt haben wird.

 

Die Studie zeigt aber, dass die Gabe von Oseltamivir ohne Kenntnis der

Resistenzen in derartigen Situationen wertlos ist.“

Deutsches Ärzteblatt  rme/aerzteblatt.de 3.3.09