Geruchssinn
Bochumer
Duftforscher enträtseln die Macht des Geruchssinns – den Weg bahnten zwei
US-Kollegen, die dafür vorige Woche den Nobelpreis bekamen.
Hier ein fixer
Fruchtbarkeitstest für den besorgten Mann: Einfach mal ein Maiglöckchen
pflücken. Es genügt, daran zu schnuppern. Die Blüte riecht nach nichts? Dann
steht es wahrscheinlich schlecht um die Spermien.
Das folgt aus einer
Entdeckung, die Hanns Hatt gemacht hat, Zellforscher an der Uni Bochum. „Auch
Samenzellen“, sagt Hatt, „sind geruchsempfindlich.“ Sie haben Sensoren vom
gleichen Schlag, wie sie auch in der Nase vorkommen.
Ein altes Rätsel
ist damit gelöst: Wie finden wohl die blinden Wimmler durch die Gebärmutter zum
Ei? Nun ist bewiesen: Sie wittern die Richtung. Eine Art Maiglöckchenduft,
genannt Lilial, weist ihnen den Weg.
Ein Mann also, dem
ein genetischer Defekt die Empfänglichkeit für Maiglöckchen geraubt hat, könnte
aus dem gleichen Grund zeugungsunfähig sein. Vermutlich sind dann auch seine
Samenzellen mit Duftblindheit geschlagen.
Hatt fand
inzwischen sogar einen Stoff, der gezielt die Wahrnehmung von Lilial blockiert:
Wer ihn einschnüffelt, riecht danach eine Weile alles mögliche, nur keine
Maiglöckchen mehr.
Samenzellen können
mit dem Antiduft ebenfalls geblendet werden. Das berichtet Hatts Forschergruppe
in der jüngsten Ausgabe des Fachmagazins „Current Biology“ – ganz neue
Aussichten für Verhütungsmittel tun sich damit auf. Aber auch Gestank aller
Art, glaubt Hatt, ließe sich vielleicht eines Tages treffsicher ausschalten.
Solche Erkenntnisse
bringt die Duftforschung in wachsender Zahl hervor. Das ganze Fach ist
beschwingt von den Entdeckungen, die den US-Forschern Richard Axel, 58, und
Linda Buck, 57, gelungen sind. Dafür bekamen die beiden vergangene Woche den
Nobelpreis für Medizin und Physiologie.
Vor dem großen Durchbruch
galt die Nase als das unergründlichste Sinnesorgan. Jedes Säugetier
unterscheidet viele tausend Gerüche nach ihrer Chemie – wie ist das möglich,
ohne dass es einen gewaltigen Analysezinken im Gesicht trägt? Erst 1991
vermochten Axel und Buck diese Frage zu klären.
Die Antwort ist von
raffinierter Schlichtheit. Der Mensch zum Beispiel nimmt in Wahrheit nur knapp
350 verschiedene Duftmoleküle direkt wahr. Für jeden dieser elementaren Düfte
hat er Riechzellen in der Nase mit je einer eigenen Sorte von Empfängern,
genannt Rezeptoren.
Wenn nun
Kaffeeschwaden heranwabern, werden Dutzende Rezeptorentypen gleichzeitig
gereizt. Denn so gut wie alle Aromen außerhalb des Chemielabors sind
zusammengesetzt aus vielen Einzeldüften. Das Gehirn registriert stets, welche
Sorten von Duftmeldern gleichzeitig anschlagen. Beim typischen Muster von
Kaffee ruft es dann die passende Geruchsvorstellung auf.
Menschen kommen so
auf ein Vokabular von schätzungsweise 10 000 erlernten Duftmustern. Der
Weinkenner erschnuppert dann mühelos „eine Note von frisch gemähtem Gras“ im
Châteauneuf du Pape; und die Parfumberaterin besingt das „pudrige Bouquet“ des
neuesten Mirakelfläschchens.
„Die Arbeit von
Axel und Buck hat uns den Weg zur Geruchswahrnehmung gebahnt“, sagt Hanns Hatt.
„Vorher hatten wir keine Ahnung, wie das funktioniert.“
Nun aber wurde zum
Beispiel auch das Unglück begreiflich, das dem Forscher Heiner Pohl (Name
geändert) widerfahren war. „Eine Viruserkrankung“, erzählt Hatt, „zerstörte ihm
fast völlig den Geruchssinn.“ Überall, selbst in Speisen und Getränken, roch
Pohl nur noch Fleckenwasser und Lösungsmittel. Kaffee schmeckte für ihn wie
Benzin. Offenbar hatten ausgerechnet die Rezeptoren für diese Duftanteile als
Einzige die Infektion überlebt.
So lief Pohl durchs
Leben als ein wandernder Detektor für besonders abstoßende Appetitzügler. Der
seltsame Übersinn verleidete dem Forscher das Dasein derart, dass er am Ende um
Komplettverödung des verbliebenen Riechapparates bat.
Wie aber kann
Kaffee nach Benzin riechen, wenn er keines enthält? Es genügt, dass in seinem
Duft geringe Anteile enthalten sind, die für sich allein so riechen würden. Wer
Kaffeeduft chemisch zerlegt, stößt noch auf ganz andere Einzelgerüche, darunter
Katzenurin und käsigen Fußschweiß. In der Summe des Aromas aber verschwindet
der ganze Stunk ohne jede Spur.
Das liegt an der
Arbeitsweise des Gehirns. Es achtet nur auf die Muster – quasi die Duftvokabeln
– und geht über die Buchstaben hinweg, aus denen sie bestehen. Die Lautsprache
funktioniert ganz ähnlich: Auch im Wort „Veilchen“ erinnert nichts an die
„Leiche“, obwohl derer Buchstaben alle darin aufgelöst sind.
In seinem Bochumer
Labor ergründet Hanns Hatt seit Jahren, wie der Mensch einzelne Duftbuchstaben
erfasst. Nierenzellen sind für seine Versuche gut geeignet. In deren Kerne
schleusen die Forscher Gene ein, die jeweils den Bauplan für eine Sorte von
Duftmeldern enthalten. So lernt das Nierengewebe quasi riechen. Dann kann man
es mit allerlei Aromen benebeln.
Mit diesem
Verfahren hat der Wissenschaftler bereits verschiedene Rezeptoren aufgespürt:
Neben dem Maiglöckchenspezialisten gibt es einen zweiten, der für eine Duftnote
irgendwo zwischen Melone und Meeresbrise zuständig ist. Weitere vier
Rezeptoren, sagt Hatt, stehen kurz vor der Veröffentlichung.
Die Arbeit ist
allerdings langwierig – und wenn eines Tages die Nase geschafft ist, bleibt
immer noch eine Menge zu tun. Denn nicht nur das Riechorgan ist für Duftstoffe
empfänglich. Schier überall im Körper tauchen nun auf einmal geruchsbegabte
Zellen auf, die niemand dort vermutet hätte. „Auch in der Lunge, in der
Prostata und auf der Haut haben wir Rezeptoren gefunden“, sagt Hatt. Ihr
Daseinszweck ist noch unklar.
Es scheint aber,
als sei der Geruchssinn ein urtümliches Werkzeug allseitigen Ausschnüffelns.
„Kein Wunder“, sagt Hatt, „das ist ja auch ein perfekter Detektor für die
Körperchemie.“
Jede riechende
Zelle hat als duftempfindliche Sonde ein spezielles Molekül; außerhalb der
Zelle stülpt es eine Art Schlinge aus. Passende Duftmoleküle verfangen sich
darin; alle anderen werden ignoriert. Mit dem gleichen Verfahren, meint Hatt,
könnte eine beliebige Körperzelle sich etwa über die Zusammensetzung des Blutes
informieren.
Der Duftforscher
vermutet sogar, dass die ersten Geruchsrezeptoren gar nicht in der Nase
entstanden sind. Die Evolution hat sie wohl eher für die Navigation der frühen
Einzeller erfunden, die blind und taub im Ozean trudelten. „Die mussten
einander ja irgendwie chemisch finden.“
Selbst eine simple Samenzelle
hat, wie sich in Bochum zeigte, bereits mehrere Arten
von Rezeptoren. Schlägt der bekannte Maiglöckchenmelder an, so schwänzelt die
Zelle doppelt so schnell voran. Wofür die anderen Duftspezialisten gut sind,
die Hatts Gruppe gerade erforscht, ist noch nicht ganz klar. Einer könnte aber
beispielsweise das Verhalten kurz vom Ei steuern, wo die Samenzelle mit
stärkeren Geißelschlägen gegen ihr Ziel vordringt. Hatt: „So gesehen ist ein
Spermium nur eine Art schwimmende Riechzelle.“
Weitaus der größte
Reichtum von Duftmeldern ist freilich nach wie vor in der Nase versammelt. Als
Lohn der Entschlüsselung winken Anwendungen aller Art: künstliche Nasen zum
Beispiel mit 350 Sensoren, die schnüffeln können, wie ein Mensch. Sie würden
objektive, detailtreue Messdaten liefern, etwa zur Qualitätskontrolle von
Lebensmitteln oder Aromastoffen.
Die Riechgeräte,
die es bislang gibt, sind noch recht primitiv. Sie arbeiten mit wenigen
chemischen Sonden, die nur ganz bestimmte Stoffe aufspüren. Und ihre Befunde
haben mit dem Dufteindruck des Menschen so gut wie nichts zu tun.
In seinem Bochumer
Labor sucht Hatt unterdessen bereits nach möglichen Anti-Stoffen, mit denen man
die wahrnehmbaren Düfte neutralisieren könnte. Die Substanz namens Undecanal,
die jeglichen Maiglöckchengeruch tilgt, war nur der erste Fund. Sie lagert sich
am Maiglöckchenrezeptor an, wo sie selbst gar nichts bewirkt. Aber der Zugang
für das duftende Lilial ist damit gesperrt.
„Ich bin
überzeugt“, sagt Hatt, „Dass es auch für alle anderen Duftmoleküle solche
Blocker gibt.“ Wer sie findet, kann nicht nur üble Gerüche gezielt ausschalten.
Auch künstliche Aromen wären damit möglich, die sich noch niemand vorstellen
kann – Produkte aus einem reichhaltigen Geruchsbaukasten, erstellt von
Ingenieuren, die hier ein Element nach Plan hinzufügen und dort ein anderes
tilgen.
Bislang baut die
Aromaindustrie ihren Geschmackszauber mehr oder weniger durch Herumprobieren
zusammen. All die Käsekuchen-Joghurts und Steinpilzpülverchen entstehen auf
recht simple Weise: Die Hersteller lassen vom natürlichen Aromenspektakel die
meisten Bestandteile weg – schlicht weil die Chemiker sie gar nicht kennen. Sie
behelfen sich stattdessen mit wenigen Schlüsselstoffen: Methylbutyrat für
Ananas, Amylacetat für Banane, Filberton für Haselnuss.
Die Illusion
gelingt, weil der Mensch sich seine wichtigsten Geruchsmuster irgendwann
zuverlässig eingeprägt hat. Sobald er weiß, wie eine Banane schmeckt, genügt
ein einzelner Schlüsselduft, der ihn daran erinnert. Die fehlenden Aromastoffe
werden aus dem Gedächtnis ergänzt. Die meisten Konsumenten aber wissen nach wie
vor: Eine richtige Banane ist das jetzt nicht.
„Das Problem
beginnt da, wo Kinder von Anfang an mit künstlichen Aromen aufwachsen“, sagt
Hatt. Was Bananengeschmack ist, erlernen sie anhand der grobschlächtigen
Schlüsselreize der Lebensmittelchemie.
Ein Fall für die
Schule, meint der Forscher. Schön und gut, dass der Musikunterricht dort das
Gehör verfeinert. Der Geruchssinn aber, wenn es nach Hatt geht, verdient ebenso
viel Bildungsarbeit, Geschmacksstunden sozusagen. „Sonst wird den Kindern eine
echte Banane irgendwann langweilig vorkommen.“
Manfred Dworschak, Der
SPIEGEL, 42/2004