Gene und Medikamente von Krankheiten
Auch Wissenschaft unterliegt Trends. Das gilt für
Physiker (Nanotechnik) und für Chemiker (weiße Biotechnologie) genauso wie für
Genetiker. Bei letzteren sind Landkarten derzeit sehr en vogue. Im
US-Wissenschaftsmagazins Science stellte das „Boston“-Konsortium die neueste
Form von „Gen-Mapping“ vor: Eine
Datenbank, die Gene, Krankheiten und Medikamente unter einen Deckel
bringt. Diese „Connectivity Map“[1] soll Verknüpfungen zwischen der Wirkung von
Medikamenten und Krankheiten aufzeigen – und zwar anhand ihres genetischen
Fingerabdrucks. Jedes Leiden zeigt sein eigenes Profil im Erbgut, ebenso wie
jedes Medikament. Überschneiden sich die Muster, liegt es nahe, dass der
Wirkstoff die Krankheit beeinflusst. So, hoffen die Forscher, neue Ansätze für
Therapien zu ermitteln.
Beteiligt sind Wissenschaftler vom MIT, von der
Havard Medical School und drei weiteren renommierten Bostoner
Forschungsanstalten, dem Whitehead
Institute for Biomedical Research in Cambridge sowie dem Howard Hugh
Medical Institute in Chevy Chase. Eine recht illustre Runde mit einem „schier
unmöglichen Ziel“ - das muss selbst Todd Golub, Assistant-Professor für
Kinderheilkunde an der Harvard-Universität, zugeben, der das Projekt initiiert
hat.
Für die wenigsten Mittel ist bekannt, wie sie auf das
Erbgut wirken. Nach den genetischen Zusammenhängen zwischen den meisten
Erkrankungen und Medikamenten suchen Mediziner wie Biowissenschaftler nach wie
vor vergebens. Bislang forscht jedes Labor nach seinen eigenen Rezepturen:
Nimmt Forscher A Brustkrebszellen, um eine Krankheit oder eine Arznei zu
untersuchen, nutzt Forscher B Blutkrebszellen. Setzt der eine 10 Mikroliter
einer Substanz ein, mischt ein Anderer 150 Mikroliter hinzu. Lässt der
Schmerzforscher seinen Cocktail vier Stunden einwirken, weil Veränderungen sich
schnell zeigen müssen, muss der Herz-Kreislaufspezialist zwei Tage warten,
damit sich irgendetwas tut.
Mit welchen Daten also sollte eine gemeinsame
Datenbank, die das ambitionierte Ziel hat, alles mit einander zu verbinden,
gefüllt werden? Golub aber überzeugte eine Menge Mitstreiter von der Idee. Das
Wissenschaftler-Konsortium testete 164 von der amerikanischen
Gesundheitsbehörde (FDA) zugelassene Medikamente und andere Substanzen, die das
Erbgut beeinflussen. „Einfach und übersichtlich musste es bleiben“, sagt Golub.
Also einigte man sich auf Durchschnittsparameter: Zelllinien wie eben die vom
Brustkrebs, die sich unter Genforschern ausgesprochener Beliebtheit erfreut.
Man entschied sich für die gängigen zehn Mikroliter und wählte einen
Beobachtungszeitraum von sechs und zwölf Stunden. „Das“, so Golub, „ist lang
genug, um eine Wirkung zu erzielen, aber zu kurz, als dass man bereits
Folgeeffekte erwarten müsste.“ Zwischen vier und zwölf Stunden braucht die
menschliche Genmaschinerie, um richtig anzulaufen.
„Einfach klasse“, urteilt Stefan Wiemann,
Gruppenleiter in der Abteilung Molekulare Genanalysen am Deutschen
Krebsforschungszentrum
(DKFZ) in Heidelberg. Die Idee sei nicht völlig neu,
aber in dieser Konsequenz hätte dies bislang noch niemand eingesetzt „und das
Ergebnis ist frappierend“.
Zunächst prüften die Forscher ihren Ansatz an
Mitteln, deren Wirkungsmechanismus bereits aufgeklärt ist. Nachdem sie diesen
Eingangstest erfolgreich bestanden hatten, trauten sie sich weiter – und fanden
eine mögliche Lösung für Krebspatienten, die gegen das Mittel Dexamethason
unempfindlich geworden sind. „Das ist ein schwerwiegendes Problem in der
Krebstherapie, weil die Tumoren resisten
Golub und seine Mitarbeiter entdeckten in ihrer
Datenbank, dass ein anderes Medikament, dass gewöhnlich bei
Organtransplantationen oder Autoimmunerkrankungen eingesetzt wird, die gleichen
Gene beeinflusst, die für die Resistenz verantwortlich sind – allerdings
entgegengesetzt.
Der Vergleich von zwei verschiedenen genetischen
Aktivitätsmustern, die bei Alzheimer von anderen Wissenschaftlern gefunden
wurden und sich zusätzlich noch auf unterschiedliche Hirnregionen bezogen,
zeigte eine unerwartete Gemeinsamkeit: In beiden wurde eine Verbindung zu einer
erst kürzlich entdeckten Substanz entdeckt, die in der Lage ist, die verklebten
Fibrillen, die vermutlich Nervenzellen in den Tod schicken, wieder aufzulösen.
Tatsächlich wird das so genannte DHCP als heißer Kandida
Faszinierender noch findet Wiemann die Erkenntnis,
dass es gar nicht nötig zu sein scheint, immer exakt die gleichen
Versuchsbedingungen einzuhalten, um mögliche Zusammenhänge zu erkennen. So
schauten die Amerikaner in der Literatur nach Genen, die bei Ernährungs-induzierter
Fettsucht eingeschaltet sind – und wiederholten ihren eigenen Ansatz. Die
Versuche konnten kaum unterschiedlicher sein: Beschrieben die
Veröffentlichungen ein Genmuster, dass sie im Gewebe von Ratten vorfanden,
prüften Golub und seine Mitstreiter die Aktivität in menschlichen Zelllinien.
Während der Versuch in der Literatur 65 Tage andauerte, behielten die Forscher
aus Boston ihre sechs Stunden bei. Trotzdem kamen sie zu vergleichbaren
Resultaten. Mit Hilfe der Connectivity Map hätte sogar die zu Übergewicht
treibende Nebenwirkung eines Wirkstoff vorausgesagt
werden können, schreiben die Wissenschaftler.
„Das ist wirklich unerwartet“, sagt DKFZ-Forscher Wiemann.
Natürlich sei diese erste Arbeit eher ein Anfang,
schränkt er ein. „Aber der Ansatz stellt ein bemerkenswertes neues Instrument
da, mit dessen Hilfe sich Zusammenhänge zwischen Medikamenten, der
Genexpression und Krankheitszuständen besser erkennen lassen.“ Vor allem da
sich die Autoren entschieden, ihre Datenbank öffentlich und kostenlos zu etablieren
– ähnlich wie bei der Entschlüsselung des menschlichen Erbguts und der
Landkarte des Hapmap-Projekts, die die winzigen genetischen Unterschiede
zwischen Menschen wiedergibt. Eine Bedingung müsse jedoch immer erfüllt sein,
ergänzt Wiemann. „Zusammenhänge lassen sich nur erkennen, wenn die Gene, die
bei Krankheiten betroffen sind, auch in den Zelllinien aktiv sind, derer sich
die Connectivity Map bedient.“ (nbo-tr[2]/Technology
Review)
:
http://www.heise.de/tr/artikel/79330