Am 27.
September 1996 traf der Europäische Rat, kaum wahrgenommen von der
Öffentlichkeit, eine wegweisende Entscheidung. Die damals verabschiedete
„Luftqualitätsrahmenrichtlinie“ soll ein Problem endlich entschärfen, das die
Menschen überall in Europa seit Beginn der Industrialisierung begleitet,
belastet, krank macht und bis heute zigtausendfach tötet: die Verschmutzung der
Atemluft durch giftige Abgase und gesundheitsschädliche Staub- und Rußpartikel.
Mehr als
acht Jahre nach seiner Verabschiedung sorgt das ehrgeizige Paragrafenwerk doch
noch für Wirbel und politische Turbulenzen. Von Lissabon bis Tallinn, von Rom
bis Kiruna, von Berlin bis Donaueschingen verspricht die Brüsseler Order unter
dem Codenamen 96/62/EG frische Luft für alle. Doch ein Selbstläufer, das haben
die ersten Monate des Jahres 2005 gezeigt, wird die Umsetzung der guten
Vorsätze nicht. Denn die Vorgabe erlaubt als letztes Mittel auch harsche, im
Einzelfall umstrittene Maßnahmen. Um die Menschen vor chronischen und schweren
Erkrankungen zu schützen, können Behörden künftig Industriebetriebe zeitweise
stilllegen, rigide Tempolimits verhängen und Ballungszentren für Lkw und Pkw
sperren, sofern die Grenzwerte für Luftschadstoffe anders nicht in den Griff zu
kriegen sind.
Dass es so
weit kommt, glauben und befürchten immer mehr Verantwortliche in Städten und
Kommunen. Denn einige der in der EU-Richtlinie proklamierten Grenz- und
Alarmwerte für Luftschadstoffe wie Schwefel, Blei, Feinstäube oder Stickoxide
werden bis heute längst nicht überall eingehalten. Vor allem in den Metropolen
sammeln sich Feinstäube und Stickoxide an verkehrsreichen Straßen,
mancherorts auch in der Umgebung industrieller Staubschleudern.
Lange wurde
in einigen Bundesländern das Problem – und die Richtlinie, die es bekämpfen
soll – verdrängt. Statt sich auf die neue Rechtslage vorzubereiten,
hoffte man, die Sache werde sich von allein erledigen: Durch weniger Schmutz
aus Industrie- und privaten Heizanlagen, durch sauberere Kraftwerke, eine
ausgeklügelte Auto-Abgastechnik und gelegentlich auch eine „findige“ Wahl der
Messpunkte. Doch die Erwartung trog. Zwar gingen die Smog-Belastungen aus
Industrieanlagen und Auspuffrohren dank moderner Filter und Katalysatoren in
den vergangenen Jahrzehnten zum Teil stark zurück, doch gleichzeitig stieg das
Verkehrsaufkommen rasant. Vor allem der Siegeszug Sprit sparender
Dieselfahrzeuge sorgte dafür, dass sich der positive Trend schließlich
umkehrte: Immer mehr, vor allem aber immer kleinere Partikel werden in die Luft
geblasen, von wo sie ihren Weg in die feinsten Verästelungen der menschlichen
Lunge finden. 2002 schlug der Sachverständigenrat für Umweltfragen der
Bundesregierung Alarm. Die Ruß-Emissionen aus Diesel-Pkw und Diesel-Lkw,
mahnten die Umweltweisen, seien „das derzeit wichtigste Problem der
Luftverschmutzung“. Der Bundesumweltminister hat bereits 2002 vor drohenden
Verkehrsbeschränkungen gewarnt. Erschreckt hat das zunächst kaum jemand.
Mit dem
Jahreswechsel hat sich das geändert. Am 1. Januar 2005 traten zu-nächst die
bisher mit Toleranz-Margen entschärften Feinstaubgrenzwerte der Europäischen
Luftqualitätsrichtlinie verbindlich in Kraft, fünf Jahre später soll dies auch
für die Stunden- und Jahresmittelwerte von Stickstoffdioxid (NO2) der Fall sein. Die Lage ist prekär.
Der Jahresgrenzwert für NO2,
eine so genannte Vorläufersubstanz des Reizgases Ozon und auch sehr
gesundheitsschädlich, wurde in den vergangenen Jahren vielerorts nicht
eingehalten. Mit einer kurzfristigen Abnahme der Belastungen ohne
einschneidende Maßnahmen ist nicht zu rechnen. Bei den Feinstaubpartikeln
stiegen die Schadstoff-Frachten vor allem in den Innenstädten häufiger als nach
der EU-Richtlinie erlaubt über die zulässigen Tagesspitzenwerte. Die „momentane
Entwicklung lässt befürchten“, schreiben die Umweltweisen, dass weder die
Stickstoffdioxid- noch die Feinstaub-Grenzwerte „eingehalten werden.“
Eine
Übersicht über die aktuellen örtlichen Grenzwertüberschreitungen in Deutschland
bietet die Internetseite des Umweltbundesamt: www.umweltbundesamt.de.
Informa-tionen zur aktuellen Feinstaubpolitik finden Sie beim
Bundesumweltministe-rium auf www.bmu.de/luftreinhaltung.
Tab. 1:
Grenzwerte für Feinstaub (PM10) seit 1. Januar 2005
Zeitraum Grenzwert Ausnahmen
Tages-Mittel 50 Mikrogramm / m3 35 Tage pro Jahr
Jahres-Mittel 40 Mikrogramm / m3
Tausende
Klima-Diplomaten ringen in der alten japanischen Kaiserstadt um den besten Weg
zur Minderung von Kohlendioxid und anderen hausgemachten Treibhausgasen. Alle
reden von der Zukunft im Treibhaus Erde, nur die Vertreter der
Weltgesundheitsorganisation WHO nicht. Sie reden von der Gegenwart.
Gemeinsam
mit Experten des in Washington ansässigen World Resources Institute erinnern
die WHO-Wissenschaftler bei der Weltklimakonferenz vor acht Jahren an die fast
vergessenen Verheerungen, die giftige Abgase von Stromfabriken und Automotoren
bereits heute anrichten. Die Quintessenz ihrer Überlegungen: Erfolge bei der
Bekämpfung des globalen Klimawandels würden automatisch auch die
alltägliche Smogbelastung aus der Verbrennung von Kohle und Öl eindämmen. Das
Leben von Millionen Menschen, die vorhersagbar an den Abgasschwaden des
fossilen Zeitalters zugrunde gehen, könnte gerettet werden.
Es war ein
starkes, zusätzliches Argument für ein ehrgeiziges Klimaabkommen – doch
namentlich die Europäer bewegte der WHO-Alarmruf nur am Rande. Schließlich
hatten sie über Jahrzehnte beobachten können, wie sich die dunklen Schleier
über den Städten lichteten, wie die grauen Rauchfahnen der Industrieschlote und
die atemberaubenden Schmuddelschwaden hinter den Diesel-Autos
allmählich verschwanden. Smogwetterlagen, bis in die frühen Achtziger noch
ebenso zuverlässige wie unerfreuliche Begleiterscheinungen eines jeden Winters,
wurden beständig seltener, um am Ende fast ganz zu verschwinden. Entwarnung
schien angesagt, wenn es um die Verschmutzung der Atemluft in den
Industriestaaten ging. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Ein schwerer Irrtum.
Weltweit
acht Millionen Menschenleben, errechneten die WHO-Experten, würden die Abgase
zwischen 2000 und 2020 kosten, die Mehrheit erwartungsgemäß in den versmogten
Armenhäusern der Welt, aber auch eine gewaltige Zahl von 1,1 Millionen in den
Industrieländern. In den letzten Jahren kamen Dutzende Studien hinzu, die
belegen, dass das Problem gerade in Regionen mit strikten Umwelt-Regularien
unterschätzt wird. Abermilliarden feinster Teilchen schweben an jeder
Hauptverkehrsstraße in jedem Kubikmeter Luft, halten sich dort über Stunden und
Tage und werden von jeder Luftströmung erneut aufgewirbelt. Besonders tückisch:
Die feinsten Partikel mit Durchmessern von 2,5 Millionstel Metern und weniger
sind mit bloßem Auge nicht wahrzunehmen – und gerade wegen ihrer Winzigkeit
besonders gefährlich.
Feinstäube
belasten die Atemwege und die Lunge, die winzigsten Teilchen finden über
Atemwege und Blut ihren Weg direkt in viele Organe des Körpers, auch ins Herz.
Sie führen zu Atemwegskrankungen, Herz-Kreislauf-Versagen und Lungenkrebs. So
gefestigt sind die Erkenntnisse inzwischen, dass sich die EU-Kommission Anfang
2005 in einem Aufsehen erregendem Papier zutraute, konkrete Zahlen zu nennen:
Mehr als 288.000 Menschen sterben danach allein in Europa Jahr für Jahr
vorzeitig an den unsichtbaren Feinstaub-Wolken. Weil statistisch gesehen jeder
Arbeitnehmer wegen der Belastung einen halben Tag länger krank geschrieben ist,
schrumpft das Bruttoinlandsprodukt der EU um über 80 Mrd. Euro.
Auch in
Deutschland hat sich die Diskussion über die Frage verschärft, ob zu früh
Entwarnung gegeben wurde. Weil die Luft nach der Einführung von Katalysator und
Kraftwerks-Entschwefelung erkennbar klarer wurde und auch der „deutsche Wald“
als Gesamtbiotop nicht mehr gefährdet schien, legten viele die Hände in den
Schoß.
Der Münchner
Umwelt-Epidemiologe Heinz-Erich Wichmann hat lange gewarnt. Nach
jahrzehntelangen Forschungen schätzt der Direktor am GSF-Forschungszentrum für
Umwelt und Gesundheit, dass in Deutschland jährlich zwischen 10.000 und 19.000
Menschen vorzeitig an Feinstaub-Abgasen sterben, die meist unsichtbar aus den
Auspuffrohren von Diesel-Pkw und -Lkw geschleudert werden – das sind mehr als
doppelt so viele Tote wie durch Unfälle im Straßenverkehr. Besonders gefährdet
sind Kleinkinder, Menschen mit geschwächter Immunabwehr und Alte. Die
Lebenserwartung aller Deutschen sinkt nach neuesten Schätzungen wegen der
Feinstaubbelastung um 9 Monate, ein bis drei Monate gehen auf das Konto des
Diesel-Smogs.
Winzig sind
sie alle. Und doch unterscheiden sich die Partikel, die vielfältige
gesundheitsschädliche Folgen für den Menschen haben können, gewaltig. Nicht
zuletzt durch ihre Größe: Die gröbsten erreichen Durchmesser von über 200
Mikrometern, was etwa der doppelten Dicke eines menschlichen Haares entspricht.
Die feinsten sind zwanzigtausend Mal kleiner – 0,01 Mikrometer.
Unter 10 Mikrometer werden die Teilchen (PM10, das Kürzel steht für Particulate
Matter mit 10 Mikrometern Durchmesser) mit der Atemluft eingeatmet, unter 2,5
Mikrometern (PM2,5) dringen sie als „lungengängiger Feinstaub“ tief in das
menschliche Atmungsorgan ein. Die ultrafeine Fraktion (kleiner als 0,1
Mikrometer) schafft es leicht in die Lungenbläschen und direkt ins Blut, von
dort ins Gewebe und in praktisch alle Organe.
Je kleiner
die Teilchen, umso länger halten sie sich in der Luft und umso leichter können
sie immer wieder aufgewirbelt werden. Zig-Milliarden Teilchen können so in
jedem Kubikmeter Luft „gezählt“ werden – und doch alle zusammen nur
ein Zwanzigstel Gramm wiegen.
Weil gerade
die kleinsten Winzlinge im Verhältnis zu ihrem Volumen eine sehr große
Oberfläche aufweisen, gelten sie als besonders reaktionsfreudig – in diesem
Zusammenhang ein anderes Wort für giftig. Die Wissenschaftler unterscheiden
„primäre“ Feststoffpartikel und „sekundäre“ Teilchen, die sich in der
Atmosphäre aus Gasen und kondensierten Flüssigkeitskeimen bilden können. Die
kleinsten können sich, weil sie in der Luft quasi hin- und hergestoßen werden,
leicht zusammenfinden („koagulieren“) und auf diese Weise wachsen. Ultrafeine
Partikel werden von größeren eingefangen wie kleine Seifenblasen im Badeschaum
von großen. Das ist ein besonders perfider Effekt: Denn so relativieren
sich frühere Erfolge der Luftreinhaltung. Weil grobe Teilchen, an die sie sich
andocken könnten, nun fehlen, nimmt die Konzentration der
gesundheits-schädigenden Winzlinge in der Umwelt relativ zu.
Seit einigen
Jahren finden die „lungengängigen“ Feinstäube (PM2,5) die besondere
Aufmerksamkeit der Wissenschaftler. Sie vor allem werden für schwere
medizinische Folgen wie Herz-Kreislauferkrankungen und Lungenkrebs
verantwortlich gemacht. Gleichzeitig messen fast alle derzeit eingesetzten
Messstationen nur pauschal die Masse aller Teilchen mit Durchmessern von 10
Mikrometern und darunter – jedoch nicht ihre Zahl. Sicher ist inzwischen: Je
kleiner die Teilchen, umso größer ist der Anteil, der dem Straßenverkehr
zugeordnet werden kann. Die Konzentration ultra-feiner Partikel steigt deshalb
an Werktagen an den städtischen Verkehrsadern auf um rund 40 % höhere Werte als
an Wochenenden.
Epidemiologen
können zweifelsfrei nachweisen, dass hohe Feinstaub-Konzentrationen krank
machen und insgesamt die Sterblichkeit in Belastungsgebieten erhöhen. Wie die
Partikel im Einzelnen medizinisch wirken, ist nicht annähernd so klar. Offenbar
führen die winzigen Fremdkörper im Körper zu inneren Entzündungen. Doch
wirken sie lediglich als Vehikel für giftige Substanzen, die sich an ihren
Oberflächen angelagert haben? Oder ist ihre „Giftigkeit“ allein Folge ihrer
chemischen Zusammensetzung oder Größe? Dieselmotor-Emissionen bestehen aus Ruß,
also Kohlenstoff, an dessen Oberfläche Krebs erzeugende Substanzen wie
„polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe“ andocken können. Eine andere
Theorie über den bei Smogwetterlagen regelmäßig beobachteten Anstieg der
Gesamtsterblichkeit und akuter Erkrankungen (wie Herz-Rhythmus-Störungen bis
hin zum Herzinfarkt bei gefährdeten Personen) besagt, dass Feinstpartikel die
Flüssigkeit („Viskosität“) des Bluts verringern und zu einer bedrohlichen
Verlangsamung seiner Fließgeschwindigkeit führen.
Besonders
dramatisch sind die Wirkungen der Luftbelastung mit Feinstaub und Stickstoffdioxid
auf die Lungenbildung von Kindern und Jugendlichen, wie amerikanische
Langzeitstudien gezeigt haben. Mangelnde Reserven im Lungenvolumen führen zu
einem lebenslangen Handicap.
Mit
derartigen Fragen befasst sich eine Arbeitsgruppe der WHO in Bonn. Diese
berichtet ihre Ergebnisse an die Europäische Kommission (Generaldirektion
Umwelt) und an die einschlägigen Ausschüsse der Genfer Luftreinhaltekonvention,
die 2004 ihr 25-jähriges Bestehen feiern konnte und gegenwärtig 49
Vertragsparteien (48 Staaten und die EG) zählt.
Die
Luftverschmutzung hat die industrielle Revolution von Anfang an begleitet und
wurde zum Inbegriff ihrer dunklen Kehrseite.
„Aus tausend
Schloten steigt ein dicker Rauch, der wälzt sich langsam durch die Lüfte her,
dann sinkt er nieder dicht und schwarz und schwer, und brütet dumpf auf Haus
und Baum und Strauch. Es lauert rings ein großes schwarzes Sterben“, so
schwermütig besang der Dichter Philipp Witkop im Jahr 1901 die grassierende
Rauchplage an der Ruhr. Die Industrialisierung brachte den Menschen jener Zeit
Wohlstand und ein weniger entbehrungsreiches Leben – aber auch
Umweltzerstörung, Krankheit und Tod.
Über ein
Jahrhundert blieb die Luftverschmutzung die schwarze Kehrseite der boomenden
Kohle- und Hüttenindustrie. Ohne Unterlass schickten Wälder von Schornsteinen
ihre giftigen Rauch- und Rußwolken gen Himmel. Klagen der schleichend
um ihre Gesundheit Gebrachten gab es damals schon. Doch meist obsiegte das
„öffentliche Interesse“ an Wachstum, Arbeitsplätzen und Staatseinnahmen über
den Ruf nach frischer Luft. Ein doppeltes Dilemma bremste den Widerstand: Die
Betroffenen und ihre
Früh
entwickelte die Industrie Abwehrstrategien gegen drohende staatliche Auflagen
zur Eindämmung der Luftverschmutzung. Als der Hamburger Senat im Jahre 1890 die
auch in der Hansestadt immer häufigeren Smogphasen gesetzlich eindämmen
wollte, lief die Wirtschaft unter Führung des Werfteigners Hermann Blohm Sturm.
Flugs gründeten er und andere Industrielle einen „Verein für Feuerungsbetrieb
und Rauchbekämpfung.“ Die Stadtregierung gab klein bei, verzichtete auf ihr
Gesetz und legte die Problembekämpfung in die Hände der Verursacher. An der
Rauchplage in Hamburg änderte das wenig – aber das Instrument der „freiwilligen
Selbstverpflichtung“ (damals nannte man es „industrielle Selbsthilfe“) war geboren.
In der
ersten Dezemberwoche 1930 wurde das Maas-Tal um Lüttich bei einer lang
anhaltenden Temperaturinversion von einem ausdauernden dichten Nebel
eingeschlossen. In Verbindung mit dem Nebel verursachten Schwefeloxide und
andere durch die örtliche Industrie ausgestoßene Gase Atem-Schwierigkeiten bei
mehreren Tausend Bewohnern und sogar den Tod von etwa 60 Menschen.
Im Dezember
1952 erlebte die britische Hauptstadt London das bis heute folgenreichste
Smog-Desaster in der Geschichte. Ein halbes Jahrhundert später berichteten
Augenzeugen anlässlich einer Konferenz am Schauplatz der Katastrophe, wie sie
in der schwefelgelben Erbsensuppe („pea-soup“), die sich zwischen dem 5. und
10. Dezember über die Stadt ergossen hatte, den Weg zur Schule oder in ihre
Betriebe nicht mehr fanden, wie Ehefrauen den Männern am Steuer ihrer Autos zu
Fuß voraustastend den Weg wiesen – und wie am Ende die Leichenkammern in den
Krankenhäusern nicht mehr ausreichten. 4.000 Menschen starben in jenen Tagen
und – so vermuten Umweltmediziner heute – noch einmal bis zu 8.000 an den
Spätfolgen.
Der
sprichwörtliche Londoner Nebel, verbunden mit dem Rauch aus Millionen Kohleöfen
war damals Auslöser des winterlichen „London-Smogs“, (der Begriff Smog
verbindet die Wörter smoke und fog). Der dramatischen Episode in der
britischen Hauptstadt sollten zahllose andere folgen, in denen weltweit
Millionen Menschen ihr Leben ließen. Sie tun es in vielen Metropolen der
Entwicklungsländer bis heute. In den Industrieländern sind schwere Smogperioden
dank sauberer Brennstoffe und effizienter Filtertechniken selten geworden.
Gelöst ist
das Problem dennoch nicht. Denn im selben Maße wie moderne Abgasreiniger und
saubere Brennstoffe das giftige Schwefeldioxid weitgehend aus der Atemluft
verbannten, nahm der Straßenverkehr mit seinen immensen Schadstofffrachten zu.
Im Sommer reichern sich Stickoxide und Kohlenwasserstoffe bei Smog-Wetterlagen
an und verwandeln sich unter dem Einfluss des Sonnenlichts in das Reizgas Ozon,
das wiederum die Atemwege angreift. Dieser sommerliche Smogtyp wird auch „Los
Angeles-Smog“ genannt, nach der kalifornischen Großstadt, in der er dramatische
Ausmaße annahm. In Mitteleuropa endete die Periode der schweren
Wintersmog-Episoden in den neunziger Jahren, Sommersmog-Spitzen sind
rückläufig, aber weiterhin zu hoch.
Noch im
Januar 1985 erlebte das Rhein-Ruhr-Gebiet eine schwere Smogphase mit einem
eklatanten Anstieg der Krankenhaus-Einlieferungen von Patienten mit
Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Herz-Rhythmusstörungen und Durchblutungsstörungen
des Gehirns. Als treibende Kraft für diese Symptome gerieten damals jene
Feinstäube in Verdacht, die die Wissenschaftler heute neben der weiter
bestehenden Stickstoff-Überdüngung einhellig als größtes
Luftverschmutzungsproblem in Deutschland betrachten.
„Der Himmel
über der Ruhr muss wieder blau werden.“ Als Willy Brandt im
Bundestags-Wahlkampf 1961 mit diesem Slogan erstmals ein umwelt-politisches
Thema ins Rampenlicht schob, wurde er vielerorts belächelt. Doch der Himmel
über dem Revierklarte bald tatsächlich auf. Dennoch kritisierte noch Jahre nach
Brandts Wahlkampfeinsatz der rheinland-pfälzische CDU-Abgeordnete Helmut Kohl,
der SPD-Vorsitzende habe mit seiner Parole „einer allgemeinen politischen
Hysterie“ Vorschub geleistet.
Immer wieder
ist die Europäische Union gezwungen, die Abgasgrenzwerte für Pkw und Lkw zu
verschärfen – und bohrt dabei regelmäßig dicke Bretter. Nächster Stichtag ist
der 1. Januar 2010. Die Bundesregierung hat schon mal den Bohrer angesetzt.
Dieses Mal heißt das Brett Euro-5.
Die
Betroffenen sind immer schon da. In Brüssel. In Berlin. In anderen europäischen
Hauptstädten. Die Vertreter des Europäischen Automobilhersteller-Verbandes
ACEA, die des Verbandes der deutschen Automobilindustrie VDA
und
natürlich die führenden europäischen Hersteller selbst. Wenn die Festsetzung
neuer Abgasnormen in der EU auf die Tagesordnung drängt, gehen die Lobbyisten
mit besonderer Intensität zu Werke. Sie wollen das – in ihren Augen –
Schlimmste verhindern: Scharfe Grenzwerte. So war es vor über zwanzig Jahren
vor der Einführung des geregelten Katalysators, so ist es heute wieder.
Was den
Lobbyisten entgangen ist: Schon seit dem 1. Januar 2005 gelten EU-weit strenge
Luftqualitätsgrenzwerte für Feinstaub (Partikel) und ab 2010 wird dies auch für
Stickstoffdioxid der Fall sein. Fehlen schärfere Abgasnormen für Fahrzeuge,
wird die Einhaltung der Grenzwerte aber kaum ohne Verkehrsbeschränkungen
erreichbar sein.
Umweltschützer
und Nicht-Regierungsorganisationen mühen sich deshalb auch bei den Abgasnormen
Anschluss an die Schlagkraft der Auto-Lobby zu halten. Auch sie haben
inzwischen Büros in Brüssel und Berlin bezogen und hoffen auf ein offenes Ohr
bei den „Entscheidern“. Ohne Dieselfilter, so das Credo der Verbände, rücke die
von der EU beschlossene Reinigung der Atemluft in den Städten in weite Ferne.
Deshalb sei ein Euro-5-Grenzwert zwingend, der sich an der besten verfügbaren
Technik orientiere. Und das sei derzeit der Rußfilter, der zuverlässig etwa 99
% der winzigen Partikel abscheidet, die bei der Dieselverbrennung entstehen.
Wenn ab 2010
zusätzlich die Stickstoffdioxid-Grenzwerte der Luftqualitätsrichtlinie
punktgenau eingehalten werden müssen, wird auch für diesen Schadstoff die
Schraube bei den Abgasnormen angezogen werden müssen. Der Bundesrat fordert
inzwischen auch konkrete Maßnahmen zur Eindämmung der Stickstoff-Emissionen,
insbesondere bei schweren Nutzfahrzeugen. Die KfW-Bankengruppe hat deshalb auf
Initiative von Bundesumweltminister Trittin einen Förderschwerpunkt für saubere
Nutzfahrzeuge mit dem bereits geltenden europäischen Abgas-Standard EEV
(„Enhanced Environmentally Friendly Vehicle“) aufgelegt. Denn Euro-Abgasnorm
und Luftqualitätsrichtlinie sind durch eine einfache Gesetzmäßigkeit verknüpft:
Je weniger Schadstoffe jeder Diesel – ob Pkw oder Lkw – nach 2010 noch
ausstößt, umso milder können die Verkehrseinschränkungen in den Belastungszonen
der Städte ausfallen.
Das
politische Startzeichen im aktuellen Grenzwert-Poker hatten im Frühjahr 2003
Umweltminister Jürgen Trittin und seine damalige französische Kollegin Roselyne
Bachelot-Narquin gegeben. In einem gemeinsamen Kommunique beschlossen sie eine
deutsch-französische Initiative zur Minderung der Partikelemissionen aus
Diesel-Pkw. Darüber hinaus forderte der Umweltminister im Juni 2004 nochmals im
Kreis seiner EU-Kollegen die Kommission auf, schnellstmöglich eine neue,
verschärfte europäische Abgasnorm Euro-5 für Diesel-Pkw vorzulegen.
Schon der
erste Zug war von erheblicher Brisanz. Denn während der französische
Automobil-Konzern PSA (Peugeot/Citroen) seit Ende der Neunziger den Rußfilter
zur Serienreife entwickelte, setzten die meisten deutschen Hersteller auf so
genannte „innermotorische Lösungen“. Die Philosophie hinter dieser Strategie:
Es ist besser, gefährlichen Dieselruß gar nicht erst entstehen zu lassen, als
ihn nachträglich aus dem Abgasstrom zu filtern. Doch über Jahre kollidierte die
schöne Theorie mit der schnöden Praxis. Zwar gab es durchaus Erfolge bei
der ausgeklügelten Diesel-Verbrennung, doch hinter den Reinigungsleistungen des
Filters blieben sie weit zurück. Unterdessen verkauften die Franzosen
Hunderttausende ihrer Pkw mit Rußfiltersystemen, auch in Deutschland. Den
deutschen Herstellern drohten Marktanteil-Verluste – und das zu Hause. Dennoch
zögerten sie die Wende zum Rußfilter weiter hinaus und trommelten flankierend
für vergleichsweise wenig ambitionierte Grenzwerte nach 2010.
Aktuell
reichen die auch ohne Filter erzielten Verbesserungen aus, um in Diesel-Pkw der
Mittelklasse die Euro-4-Norm einzuhalten, die 25 Milligramm Ruß pro Kilometer
erlaubt und seit Jahresbeginn 2005 in Kraft ist. Hochmotorisierte Oberklasse-
und Luxus-Fahrzeuge werden inzwischen mit dem Filter ausgeliefert, um die
Euro-4-Norm zu erfüllen.
Druck auf die
deutschen Hersteller kommt auch von den Umweltverbänden. Eine Initiative „Kein
Diesel ohne Filter“, in der sich unter Koordination der Deutschen Umwelthilfe
(DUH) alle wichtigen Umweltorganisationen zusammenfanden, fordert seit Ende
2002 mit wachsender öffentlicher Resonanz den Filter-Schwenk der deutschen Hersteller. In
einer überraschenden Koalition mit den Umweltaktivisten schlug sich auch der
mächtige ADAC öffentlich auf die Seite der Umweltschützer.
Derart unter
Druck geraten, trat die Industrie den geordneten Rückzug an: Immer mehr Pkw
wurden mit dem Filter angeboten – wenn auch meist nur gegen Aufpreis. Die
wichtigsten Autohersteller versprachen dem Bundeskanzler im Juli 2004, ab 2008
in Deutschland alle neuen Diesel-Pkw mit Rußfilter – also ohne Aufpreis –
ausliefern zu wollen. Umgehend forderte Gerhard Schröder die EU-Kommission auf,
möglichst bald einen Grenzwert-Vorschlag für 2010 (Euro-5) vorzulegen. Der
deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen präsentierte schließlich am 13. Januar
2005 in Brüssel ein Arbeitspapier, wonach es den Mitgliedstaaten gestattet ist,
Diesel-Pkw im Vorgriff auf Euro-5 steuerlich zu fördern, sofern
sie einen Partikelwert von 5 Milligramm Ruß pro Kilometer ein--halten, Damit
gibt es keine EU-rechtlichen Hinderungsgründe mehr für eine steuerliche
Förderung.
Die
Bundesregierung griff daraufhin eine Initiative von Bundesumweltminister
Trittin aus dem Jahr 2004 auf, wonach Pkw, die die künftige Euro-5-Norm
vorzeitig erfüllen, steuerlich gefördert werden sollten. Um eine möglichst
rasche Absenkung der Feinstaub-Belastungen zu erreichen, sollen nach dem
aktualisierten Regierungsvorschlag Neufahrzeuge, die den EU-Fördergrenzwert
einhalten, 350 Euro weniger Kfz-Steuer zahlen. Darüber hinaus soll der
nachträgliche Einbau von Partikelfiltern in Altfahrzeuge mit 250 Euro honoriert
werden. Der Steuernachlass soll für die Jahre 2006 und 2007 gewährt werden und
auch nachträglich für 2005 gekaufte oder nachgerüstete Diesel-Pkw gelten.
Weil die
Kfz-Steuer bisher vollständig in die Kassen der Länderfinanzminister fließt,
haben diese bei der Förderung ein gewichtiges Wort mitzureden. Sie sind nun am
Zug. In jedem Fall soll die Änderung für den Fiskus aufkommensneutral erfolgen
– ein Kriterium, das nach Überzeugung der Bundesregierung mit ihrem Vorschlag
mehr als erfüllt ist. Denn weil bei Diesel-Pkw eine höhere Kfz-Steuer fällig
ist als bei Benzin-Fahrzeugen, profitieren die Länder auch in den
kommenden Jahren vom anhaltenden Boom der Selbstzünder. Nach Prognosen des
Umweltministeriums können die Länder bis 2015 deshalb mit Mehreinnahmen von
rund 11 Mrd. Euro rechnen, während sich der befristete Steuernachlass für
saubere Diesel-Pkw nur auf Einnahmeverluste von 1 bis 1,5 Mrd. Euro summiert.
Weil die Autofahrer für Dieseltreibstoff außerdem weniger Mineralölsteuer
zahlen müssen als für Benzin und der Spritverbrauch von Dieselfahrzeugen
geringer ist, geht das Mineralölsteuer-Aufkommen absehbar zurück. Die
Mineralölsteuer fällt aber im Gegensatz zur Kfz-Steuer dem Bund zu.
Bundesfinanzminister Hans Eichel wird also tatsächlich weniger Geld in der
Kasse haben, weil auch in Zukunft immer mehr Diesel-Pkw gekauft werden.
Ist die Kuh
damit vom Eis? Keineswegs. Denn nun müssen sich Bund und Länder über die
Einzelheiten der Förderung verständigen, was angesichts unterschiedlicher
Reaktionen der Länder auf die Initiative der Bundesregierung noch einmal für
Turbulenzen sorgen könnte.
Umweltminister
Trittin hat mehrfach versichert, Ziel der Bundesregierung sei nicht die
Einführung einer bestimmten Technik, sondern eine möglichst niedrige
Partikel-Belastung der Atemluft, um die Menschen besser zu schüt-zen. Der
Grenzwert müsse sich deshalb „wie in der Vergangenheit an den neuesten
technischen Möglichkeiten orientieren.“
Autokäufer,
die sich von manchen kritischen Stimmen aus den Bundesländern zum Vorschlag der
Regierung verunsichert fühlen, müssen mit ihrer Kaufentscheidung dennoch nicht
warten. Denn saubere Euro-4 Benzin-Pkw und Diesel-Pkw mit Filter bieten
inzwischen viele Hersteller an. Erdgasfahrzeuge, die der Bundesumweltminister
seit Jahren propagiert, sind auch ohne Filter sauber, haben weder ein Partikel
noch ein Stickoxidproblem und bleiben bis mindestens 2020 bei der
Mineralölsteuer begünstigt. Auch Hybrid-Fahrzeuge, in denen Benzinmotoren auf
intelligente Weise mit einem Elektromotor kombiniert werden, sind nicht nur
sparsam im Verbrauch, sondern auch sauber.
Wie auch
immer der Rußfilter-Streit im Detail ausgeht: Schadstoffarm fährt in jedem Fall
gut – weil in der neuen Abgasnorm auch die Grenzwerte für Ozon-Vorläuferstoffe
wie Stickoxide und Kohlenwasserstoffe verschärft werden. Schon jetzt zeigen
Prognosen von Profis, die auf Gebrauchtwagenpreise spezialisiert sind, dass der
Neuwagenkäufer - wie damals bei Einführung des Katalysators - gut beraten ist,
sich über das Abgasverhalten seines neuen Autos Gedanken zu machen. Wer will
schon mit seinem neuen Auto als „alter Stinker“ dastehen?
Tab. 2:
Partikelgrenzwerte für Pkw
Abgasnorm
Partikelgrenzwert
Euro 1
(ab 1992) 180 mg/km
Euro 2
(ab 1996) 80 mg/km
Euro 3
(ab 2000) 50 mg/km
Euro 4
(ab 2005) 25 mg/km
Seit zur
Jahreswende 2004/2005 die neuen EU-Grenzwerte für gefährlichen Feinstaub in
Kraft getreten sind, stehen die Verantwortlichen unter verschärfter
Beobachtung. Wer das Klassenziel „saubere Luft“ verfehlt, muss umgehend mit
konkreten Maßnahmeplänen gegensteuern. Untätige Kommunen, die die für ihren
Zuständigkeitsbereich etwa in Aktionsplänen festgelegte Maßnahmen nicht
umsetzen, sind von Klagen betroffener Einwohner bedroht.
Fast einen
Monat lang rührte sich kaum ein Lüftchen. Über weiten Teilen Deutschlands lagen
milde Luftmassen träge auf der bodennahen Kaltluft. „Inversion“ nennen die
Meteorologen die winterliche Wetterlage, die den Luftaustausch in der Atmosphäre
praktisch zum Erliegen bringt. Im Februar und März 2003 war es mal wieder so
weit.
Doch was die
Ballungszentren zwei Jahrzehnte zuvor unweigerlich in milchig-trübe Waschküchen
verwandelt hätte, ist heute dank Drei-Wege-Katalysator und gewaltiger Kraftwerksfilter
kaum mehr wahrnehmbar. Kein trüber Dunst unter der unsichtbaren Käseglocke,
kein schwefeliger Geruch, vielleicht ein bisschen mehr Gehüstel rundum. Von den
Menschen wurde die besondere Wetterlage im Winter 2003 denn auch kaum
registriert. Von den etwa 400 übers Land verteilten Mess-Stationen aber schon:
Nahezu un-bemerkt pumpte sich die Luft in den Ballungszentren mit bis zu
dreimal mehr Feinstaub (PM10) auf, als die EU-Regularien heute erlauben.
Der vom Berliner Umweltbundesamt in bunte Landkarten verwandelte Datenstrom
färbte das Land dunkel-orange. Alarmstufe Orange im Internet – und niemand hat
es gemerkt.
Das wird
jetzt anders. Denn seit Januar 2005 können die für die Maßnahmen
verantwortlichen Stellen nicht mehr einfach abwarten, bis sich die
winzig-feinen Teilchen wieder verziehen. Die Bundesländer, zuständig für
Luftrein-halte- und Aktionspläne, befürchten, dass im Jahr nach Einführung der
verbindlichen Regelung in 70 bis 120 Kommunen der zulässige Tagesmittelwert
für Feinstäube zu häufig überschritten wird, in etwa 30 Städten auch der
Jahresgrenzwert. Zum Schutz ihrer Bürger müssen betroffene Kommunen dann die in
Luftreinhalte- bzw. Aktionsplänen festgelegten konkreten Maßnahmen umsetzen, um
die Schadstoffwerte rasch und dauerhaft abzusenken.
EU und
nationale Regierungen können und müssen helfen, die globalen Feinstaub-Frachten
zu drosseln – etwa durch die Festlegung scharfer Grenzwerte bei Auto-Abgasen,
Industrie und Gewerbe. Die Bundesregierung hat deshalb in dieser
Legislaturperiode Maßnahmen verabschiedet, die u.a. zu einer deutlichen
Reduzierung der Feinstaubfrachten aus Industrie- und Feuerungsanlagen führen
werden. Dabei handelt es sich um Novellierungen der zentralen anlagenbezogenen
Vorschriften zur Luftreinhaltung, der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der
Luft und die Verordnungen über Großfeuerungsanlagen sowie Abfallverbrennungsanlagen.
Danach sind die Emissionen aus den Anlagen nach dem Stand der Technik zu
begrenzen. Für die Umsetzung vor Ort sind die Bundesländer und die von ihnen
beauftragten Behörden gefragt. Deren Aufgabe ist der Vollzug der von der
Bundesregierung erlassenen Vorschriften.
Überschritten
werden die Tagesgrenzwerte fast ausschließlich in Ballungszentren und da
wiederum an den Haupt-Verkehrsadern, wo sich überregionale
Hintergrundbelastung, Staubteilchen aus Heizungen und Industriebetrieben mit den
verkehrsspezifischen Emissionen zu so genannten Hot Spots verdichten.
Eingriffsmöglichkeiten ergeben sich insbesondere beim Straßenverkehr, der den
größten lokalen Verschmutzungs-beitrag und die gefährlichsten Partikel
verursacht. Eine flüssigere Verkehrsführung kann helfen, ein staubarmer
Fahrbahnbelag, öffentliche Aufrufe, bei Grenzwertüberschreitungen, das Auto zu
Hause zulassen, verbilligte Fahrscheine für Busse und Bahnen in
Hochbelastungssituationen oder Verkehrsleitsysteme, die den Schwer- und
Durchgangsverkehr aus den Innenstädten verbannen. Mittelfristig hilft auch die
Ausrüstung aller Dieselfahrzeuge mit einem Rußfilter, die Förderung von
wirklich sauberen Bussen und Bahnen zu Lasten des privaten Autoverkehrs oder
eine Abkehr von der Zersiedelungspolitik, die zusätzlichen Verkehr erzeugt.
Auf kurze
Sicht allerdings schaffen alle diese Strategien wenig Entlastung. Andererseits
schrecken viele Politiker vor rigiden, in aller Regel unpopulären Maßnahmen
zurück. Verkehrsbeschränkungen, mahnt etwa der Deutsche Städtetag, kämen nur
als „letzter Baustein“ in Betracht. Das sehen Umweltschützer und viele Experten
anders. Sie fordern wahlweise eine City-Maut, deren Einführung in London einen
Rückgang des Autoverkehrs in der Inner City um ein Fünftel zur Folge hatte,
oder auch örtlich und zeitlich begrenzte Fahrverbote. Diesel-Autos, deren
Anteil an den Neuzulassungen seit Jahren rasant steigt, geraten ins Visier der Umweltaktivisten.
Sie verlangen, die Zufahrt von Dieselfahrzeugen – Lkw wie Pkw – ohne Filter in
belastete Gebiete zu beschränken. Das Land Brandenburg hat solche Maßnahmen
bereits für 25 seiner Städte angekündigt. Dies zeigt, dass das Problem offenbar
nicht auf Großstädte beschränkt ist. Gegen Kommunen, die trotz entsprechender
Vorgaben der zuständigen Länderbehörden keine Abhilfe schaffen, zieht die
Deutsche Umwelthilfe (DUH) im Namen betroffener Anwohner vor Gericht. „Saubere
Luft ist seit Januar 2005 einklagbar“, verkündet einer ihrer Anwälte. In der
Hauptstadt klagen drei Anwohner der hochbelasteten Frankfurter Allee gegen das
Land Berlin. Ähnliche Klagen gegen München, Stuttgart und andere Metropolen
sollen demnächst eingereicht werden. Zudem wollen besorgte Kommunalpolitiker
zögerliche Stadtväter mit Anträgen in den Lokal-Parlamenten zu wirksamen
Maßnahmen zum Schutz ihrer Bürger antreiben.
Viele
Wissenschaftler hegen Sympathie für die Einrichtung so genannter „Low Emission
Zones“ mit rigiden Verkehrseinschränkungen. Echte Gewinne für die
Lebensqualität wurden auch bei der Einrichtung von Fußgängerzonen in den 60er
und 70er Jahren erst nachträglich entdeckt. Jedoch: Bisher wehren sich viele
Kommunalpolitiker hartnäckig, auch aus Sorge um die Konkurrenzfähigkeit ihrer
jeweiligen Heimatstädte. In Berlin wird neuerdings erstmals in Deutschland eine
so genannte „Umweltzone“ mit Verkehrsbeschränkungen für „Dieselstinker“
vorbereitet - allerdings soll sie erst ab 2008 wirksam werden, was
Umweltschützer zu der erwähnten Klage veranlasste.
Angesichts
derart bedrohlicher Perspektiven liegen politische Versuche, dem Problem
auszuweichen und „Schwarzer Peter“ zu spielen, nicht fern. So wird gern auf
pflügende Bauern in Mecklenburg-Vorpommern, schlecht gefilterte Kraftwerke in
Polen, Waldbrände in Russland oder verwehtes Nordsee-Salz verwiesen. Im Juni
2004 forderte sogar der Bundesrat mit der Stimmenmehrheit der unionsgeführten
Länder die Bundesregierung einerseits auf, Anreize – auch über die Kfz-Steuer –
für partikel- und stickoxidarme Pkw, Lkw und Busse aufzulegen und andererseits
sich in Brüssel für eine Lockerung der Grenzwerte einzusetzen. Das
Förderprogramm hat der Bund inzwischen aufs Gleis gesetzt. Vorschläge zur
Kfz-Steuer liegen auf dem Tisch. Zur Forderung nach Lockerung der Grenzwerte
aber warf Bundesumweltminister Trittin den Bundesländern, die vorher die
Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht begrüßt hatten, „Doppelmoral“
vor. Angesichts der erwiesenen Gesundheitsgefahren durch Feinstaub seien „engagierte
Taten“ gefragt, nicht „Beschlüsse, die Staub aufwirbeln und in der Sache nichts
bringen.“ Eine Tageszeitung warnte angesichts des Gezerres um die Kfz-Steuer
bereits mit der Überschrift „Föderalismus schadet der Gesundheit“.
Quelle: Bundesumweltministerium, Stand: Mai 2005