Feinstaub
Recht auf Reinheit
Seit Jahresanfang 2005 ist saubere Luft einklagbar. Der
neue Grenzwert zur FEINSTAUB-BELASTUNG darf nur an 35 Tagen überschritten
werden, sonst drohen Fahrverbote.
Der Weg aus Münchens Innenstadt nach Norden führt durch
eine tiefe Schlucht. Täglich rollen mehr als 150000 Fahrzeuge an den
Hochhäusern der Landshuter Allee vorbei. Im Schatten der Betonklötze saugt eine
unscheinbare Messstation den Abgasdunst ein und dokumentiert einen Rekord:
Nirgendwo in Deutschland ist nach den Erkenntnissen des Umweltbundesamtes (UBA)
die Luft schlechter als an dieser acht Kilometer langen Asphaltstrecke.
SEIT DEM 1. JANUAR muss die Luft nicht nur dort, sondern
in ganz Deutschland sauberer werden. Eine neue EU-Richtlinie verlangt strengere
Grenzwerte für Feinstäube, also vor allem für Rußpartikel
aus Diesel-Pkw und Lastwagen sowie für Industrie- und Heizungsabgase. Ein
Kubikmeter Atemluft darf innerhalb von 24 Stunden nicht mit mehr als 50
Mikrogramm Feinstaub belastet werden. Wird dieser Wert öfter als 35-mal im Jahr
überschritten, müssen die Kommunen einschreiten.
Schon die Einhaltung des höheren Grenzwerts von 60
Mikrogramm war ein Problem. Im Jahr 2003* registrierten 41 von 366 Messstationen
in Deutschland, dass die Werte häufig darüber lagen. Damals hat dies allenfalls
den Umweltdezernenten der jeweiligen Gemeinde um den Schlaf gebracht.
Öffentlich diskutiert wurde der Begriff "Feinstaubgrenzwert" nicht.
Das wird jetzt anders: Nun drohen erstmals auch Fahrverbote in den Innenstädten
oder die Sperrung von Straßen. Experten rechnen nicht damit, dass die
Konzentration der Feinstaubpartikel flächendeckend auf 50 Mikrogramm zu
reduzieren ist "Diese EU-Grenzwerte sind eigentlich zu ambitioniert"
sagt Björn Dosch vom ADAC.
Die Stadtväter stehen seit Jahresbeginn unter doppeltem
Druck. Sie müssen nicht nur ab dem 36. Überschreitungstag eingreifen, sie
werden es auch mit Bürgern zu tun bekommen, die dank dieser Richtlinie erstmals
saubere Atemluft vor Gericht einklagen können. Der Bund für Umwelt und
Naturschutz bereitet schon Musterklagen für Anwohner stark befahrener Straßen
vor. Aus Berlin ist keine Hilfe zu erwarten: "Die Länder und die Kommunen
sind jetzt gefordert, ihrer Verantwortung für die Gesundheit der Bürger gerecht
zu werden" sagt Umweltminister Jürgen Trittin. Der Deutsche Städtetag rät
dagegen, Straßensperrungen und Fahrverbote "nur als letzten Baustein"
einzusetzen. Doch wie dem Übel sonst beizukommen ist, weiß keiner.
Die schlechte Luft quält besonders Kleinkinder, Menschen
mit geschwächter Immunabwehr und alte Menschen. Aber auch für Gesunde gilt eine
erschreckende Erkenntnis des UBA auf der Basis von Langzeitstudien: Bei einer
dauerhaften Erhöhung der Feinstaubkonzentration um zehn Mikrogramm pro
Kubikmeter Luft verringert sich die Lebenserwartung um durchschnittlich sechs
Monate.
DIE GEFÄHRLICHKEIT des Feinstaubs liegt in seiner
Winzigkeit. Während grobe Partikel lediglich einen Hustenreiz in den oberen
Atemwegen auslösen, können die ultrafeinen Teilchen - kleiner als ein
Hundertstel Millimeter - in die Lunge und von dort über die Blutbahn ins Gewebe
gelangen. Der Stuttgarter Umweltmediziner Rainer Dierkesmann
sieht sogar einen Zusammenhang zwischen den Feinstäuben und der Nervenkrankheit
Alzheimer, weil die Partikel selbst an Nervenbahnen entlang wandern können.
"In Tierversuchen hat man Stäube in der Gehirnregion entdeckt, in der die
bei Alzheimer gestörten Funktionen sitzen" sagt er.
Begünstigt werden Grenzwertüberschreitungen vor allem im
Winter durch Inversionswetterlagen. Liegen milde Luftmassen unbeweglich auf
bodennaher Kaltluft, kommt der Luftaustausch in der Atmosphäre praktisch zum
Erliegen. Auch die Heizungen tragen dazu bei. Der schlimmste Tag der vergangenen
zwei Jahre war der 27. Februar 2003. Damals wurde in Deutschland vielerorts die
zulässige Norm weit überschritten.
Fast die Hälfte der Feinstaubbelastung kommt aus den
Auspuffrohren von Dieselautos. Inzwischen ist nahezu jeder zweite neu
zugelassene Pkw in Deutschland ein Diesel (2004: 44 Prozent), hat aber leider
selten einen Rußfilter. Hinzu kommen die zirka
800.000 Lastwagen, die jeden Tag durch Deutschland dieseln
und Rußpartikel weitgehend ungehemmt in die Umwelt
blasen.
Wirksam zurückhalten kann die Partikel derzeit nur der Rußfilter, das ungeliebte Kind der deutschen Automanager.
Ihre krasse Fehleinschätzung verhinderte, dass der Saubermann längst
millionenfach eingebaut ist Wer beispielsweise Ende vergangenen Jahres einen VW
Golf mit Dieselmotor und Partikelfilter bestellt und auf baldige Auslieferung
gehofft hat, wird sich wahrscheinlich bis Sommer gedulden müssen. Lange ist es
noch nicht her, da galt der Diesel als das Beste, was man fahren kann. Sogar
die Bundesregierung ließ sich vor den Karren spannen -und löste einen Boom aus.
"Heute muss man schmunzeln, denn umweltpolitisch war das ein
Eigentor", sagt ADAC-Mann Dosch.
Während in Rom jüngst ein Sonntagsfahrverbot wegen
Überschreitung des Grenzwerts verhängt wurde, weil ein Drittel des Jahresguthabens
von 35 Tagen bereits in der zweiten Januarwoche aufgebraucht war, gibt man sich
in München gelassen. Schnell greifende Maßnahmen gegen eine überhöhte
Feinstaubkonzentration sind nicht geplant, Strafen werden nicht gefürchtet.
"Sanktionen von der EU gibt es sicherlich nicht" glaubt der Münchner
Umweltreferent Joachim Lorenz. Derweil wurde der Grenzwert an der Landshuter
Allee seit Jahresanfang bereits zehnmal überschritten.
Quelle: Stern 06/2005