Elektrosensibilität
ist ein wichtiges Thema in einigen wenigen Ländern, vor allem Schweden.
Außerhalb dieser gilt Elektrosensibilität entweder als alltagstheoretischer
Irrationalismus und "wissenschaftlich nicht belegt", oder zumindest als "sehr seltenes Phänomen".


Ausbreitung und biologische Wirkung der EMF sind frequenzabhängig. Bei der Wirkung unterscheidet man zwischen thermischen und nicht-thermischen Effekten.
Thermische Effekte treten nur bei Wechselfeldern auf; sie sind umso ausgeprägter, je höher die Frequenz ist, und werden im Arbeitsbereich seit vielen Jahren untersucht.
Dabei gilt der thermische Effekt als Hauptnoxe; andere Effekte sind kaum untersucht. Das Interesse an nieder-frequenten Feldern und ihren vorwiegend nicht-thermischen Effekten ist dagegen relativ neu (BORT 1996). Nicht-thermische Effekte treten schon im statischen Magnetfeld auf; sie können nachweisbar Sinnes-, Nerven und Muskelzellen reizen.

Die Wirkung elektrischer Felder ist geringer und läßt sich gut abschirmen. Bei Magnetfeldern ist kaum Abschirmung möglich, und daher Abstandhalten
der einzige Schutz; ihre biologische Wirkung ist insgesamt größer.

Die Diskussion biologischer Wirkungen begann in den 60er Jahren mit sowjetischen Studien, die neuropsychiatrische, kardiovaskuläre und gastrointestinale Wirkungen von EMFs berichteten, aber im Westen nicht bestätigt wurden. In den 70er Jahren wurden dann erhöhte Leukämie-Raten in der Nähe von Hochspannungsleitungen (WERTHEIMER/LEEPER 1979) berichtet und erhöhte Raten von Hirntumoren und Leukämien in 'elektrischen Berufen' (MILHAM 1982).

Dies setzte sich fort in der Arbeitsmedizin der 80er Jahre mit der Kontroverse um Gesundheitsstörungen durch Bildschirmarbeit (BERGQVIST 1984, BOIKAT 1984), und hat in den letzten Jahren zur elektro- und baubiologischen Diskussion um EMFs im Wohnbereich geführt
(ROSE 199o).

Als mögliche gesundheitliche Folgen von EMF werden genannt: Störungen des Hormonhaushalts, EEG-Veränderungen, Veränderungen an biologischen Membranen, Störungen der Stoffwechselregulation und Krebserkrankungen, vor allem Leukämien und Hirntumore (BATES 1991, FEYCHTING/AHLBOM 1982, FLODERUS u.a. 1992, 1993, GUENEL u.a. 1993, MYERS u.a. 1985, SAHL u.a. 1993, SAVITZ u.a. 1988, SEVERSON u.a. 1988, TOMENIUS 1986, WASHBURN u.a. 1994, WERTHEIMER/ LEEPER 1982, WILSON u.a. 1990).

Besonders Leukämien und Hirntumore sind nach zahlreichen amerikanischen und skandinavischen Studien deutlich erhöht
(vgl. FRENTZEL-BEYME 1994), vor allem in 'elektrischen Berufen'. Auffallend sind auch erhöhte Brustkrebs-Raten bei Männern (FLODERUS u.a. 1994).
In einzelnen Regionen sollen um starke Radiosender und/oder Radaranlagen Leukämie-Cluster auftreten. So sind z.B. im kleinen Ort Vollersode bei Bremen mit einer Radaranlage der Bundeswehr und einem Sendeturm der Telekom - eine bundesweit einmalige Konstellation - seit 1981 schon 15 Hirntumor-Fälle aufgetreten, darunter auch bei Kindern, 13 schon verstorben, bei einer Bevölkerung von ca. 3.ooo Personen
('Weserkurier', 1o.7.1997).
Die untersuchenden Behörden, Bundeswehr und Telekom können sich dieses Cluster angeblich nicht erklären und verweisen darauf, daß in der Nähe von Großflughäfen oft noch höhere EMF-Belastungen vorliegen.

Neben den genannten schweren Erkrankungen werden diverse Befindlichkeitsstörungen bei EMF-Exposition berichtet, wie Nervosität, Erschöpfungszustände, Hautreaktionen (FRENTZEL-BEYME 1996, KNAVE 1994). Es ist umstritten, ob diese Wirkungen auf EMF beruhen, oder eine allgemeine Antwort des Gehirns auf rhythmische Reize darstellen, wie bei der Auslösung epileptischer Reaktionen durch periodische Lichtreize (NEUBURGER 1996).

Als besonders gefährdet gelten 'elektrische Berufe', wie Elektromonteure und -ingenieure, E-Lokfahrer, Zugschaffner, Bahnhofspersonal, Schweißer, Schmelzofenarbeiter, Telefonistinnen, Beschäftigte in der Telefonwartung, Radio- und Fernsehreparatur (KNAVE 1994). Die Ergebnisse sind bisher sehr widersprüchlich; Grenzwert-Empfehlungen können um den Faktor 1o.ooo differieren.

Allerdings stimmen viele methodisch anspruchsvolle Studien der letzten Jahre aus den USA, Kanada, Großbritannien und Skandinavien in den Ergebnissen gut überein (vgl. FRENTZEL-BEYME 1994), besonders hinsichtlich Krebs. Dies spricht dafür, dass wohl eher die Negativstudien
als 'Ausreißer' zu interpretieren sind.

Ein Problem besteht hier darin, dass es offensichtlich nicht-lineare Dosis-Wirkungs-Beziehungen gibt mit spezifischen Frequenzfenstern, und nach Tageszeit und Individuum stark wechselnder Empfindlichkeit. Die biologische Variationsbreite scheint in diesem Bereich groß zu sein, was Elektrosensibilität mit erklären könnte.

LEISS/CHOCIOLOKO (1994) und BRODEUR (1995) haben politische Kontroversen um die Trassenführung von Hochspannungsleitungen in British Columbia und Connecticut nachgezeichnet. Diese waren dort Ausgangspunkt für die Mobilisierung betroffener Bürger und führten zu jahre- bis jahrzehntelangen politischen Auseinandersetzungen.

In der BRD gibt es noch keine entsprechenden Bewegungen, außer bei einigen kleinen Gruppen Elektrosensibler. Immerhin haben sich an bestimmten Orten Bürgerinitiativen gebildet, z.B. gegen die Aufstellung neuer Sender. In Wohngebieten der Mittel- und Oberschicht hatten sie manchmal Erfolg; in Wohngebieten der Unterschicht dagegen reagieren Behörden und Betreiber deutlich 'verhaltener'.

Möglich erscheinen zukünftige politische Auseinandersetzungen um die Gesundheitsrisiken durch Mobilfunk (HERRMANN 1997), die insbesondere durch Summationseffekte denkbar erscheinen (LAUX/SCHULZ 1996). Es handelt sich aber hier um einen hoch-profitablen und rasch expandierenden Wirtschaftsbereich, zu dem Risikoforschung in der BRD - anders als etwa in den USA und Dänemark - nicht gefördert wird (FRENTZEL-BEYME 1996).

Fazit
EMFs sind in der BRD bisher kaum untersucht worden, bis auf thermische Effekte hoch-frequenter Felder. Nach überwiegender Auffassung ausländischer Forscher sind EMFs ein Gesundheitsrisiko. Die deutsche Arbeits- und Umweltmedizin ignorieren dieses Thema weitgehend trotz Hochkonjunktur der entsprechenden Wirtschaftsbereiche,
und können daher Politik kaum beraten. Allerdings suggeriert die
Nichtbefassung mit dem Thema, dass es gesundheitlich irrelevant sei. Über die Gründe der auffälligen wissenschaftlichen Enthaltsamkeit im Bereich EMF lässt sich nur spekulieren; möglicherweise wirkt sich die wirtschaftliche Bedeutung dieses 'Zukunftsmarktes' wenig förderlich auf Forschungen über seine Gesundheitsrisiken aus.


Präventionspolitische Bewertungskontroversen
im Bereich ‘Umwelt und Gesundheit’ von
Rolf Rosenbrock
Werner Maschewsky
Berlin, Mai 1998

2.2.10 von Experten überprüft: aktuell!