1971 Drogenabhängige bekamen eine
Heimat
Vor Einrichtung der
Intensivstation kam ein pummeliges 14jähriges Mädel zur Aufnahme ins
Krankenhaus weil sie in Schwabing 30 Minuten vorher 20 Tabletten des
Aufputschmittels "Rosimon Neu" geschluckt hatte. Vor 30 Minuten 20
Tabletten. Die Ärzte wussten nicht so recht, was sie tun sollten. "Aus
erzieherischen Gründen" entschlossen sie sich zur Magenspülung im
Stationszimmer von Station 8a. Nach einiger Zeit kam es zum Herzstillstand, das
Mädchen ließ sich nicht mehr wieder beleben. Meine Frau war als angehende
Ärztin dabei, ich hatte dienstfrei.
Nun erkundigte ich
mich eingehend über Ursachen und Folgen, ging zu Clarmann, dem Toxikologen des
Nachbarkrankenhauses, und erstellte einen gründlichen Therapieplan. Ein halbes
Jahr später ereignete sich dasselbe.
Zu Dienstschluss
abends kam auf meine neu errichtete Intensivstation wieder ein 14jähriges
Mädchen zu Fuß an, die 20 Tbl. Rosimon Neu geschluckt
hatte.
Nun trat mein ganzer
Plan in Kraft. Von Magenspülung mit Spezialzusätzen bis zum Herzschrittmacher
wurde alles eingesetzt. Nach vier Stunden trat wieder ein Herzstillstand ein,
der nach elfstündigen Wiederbelebungsversuchen erschöpft als bleibend anerkannt
wurde. Verbittert gab ich damals unwissend Presseauskunft. Die
"Quick" schrieb: Drogenarzt hält Rosimon Neu für ein extrem gefährliches,
verkapptes Aufputschmittel. Die Herstellerfirma am Bodensee drohte daraufhin
mit einer Schadenersatzklage von 500.000.-DM. Ein Rechtsanwalt wollte
30.000.-DM Vorschuss. Verzweifelt ging ich zum Rechtsmediziner, Prof. Spann.
Dieser: "Du Depp, bei uns hat die Industrie das Sagen". Zufällig
hatte er beide Gehirne in Alkohol konserviert. Er wollte sie auf Giftschäden
untersuchen. Dabei fand er einen Untergang der Kleinhirnkörnerschicht, also
eine hoffnungslose Vergiftungsfolge.
Er und ich trugen die
Ergebnisse auf der 50. Jahrestagung der Rechtsmediziner in Mainz vor. Ich
erhielt dafür meine erste Auszeichnung (1971), das Mittel wurde verboten, der
erfolgreiche Kampf gegen eine skrupellose Chemieindustrie hatte begonnen.
Durch die
Veröffentlichung in einer Illustrierten, die mich fälschlich als erfahrenen
Drogenarzt bezeichnet hatte, kamen jeden Tag auf meine TOX- Intensivstation
unzählige Kinder und Jugendliche sowie Probierer und Abhängige, täglich etwa
ein Dutzend Fixer, Hascher, LSD-Schlucker und Politoxikomane, die irgend eine
Hilfe benötigten und wollten mit mir reden. Zweifellos war ein Teil sehr schwer
und oft hoffnungslos krank. Anfang der 70er Jahre wandten sich alle Ärzte
angewidert von den oft unappetitlichen Hippiejüngern ab. Wenn man sich jedoch
eingehend mit ihren Schicksalen befasste, musste man feststellen, dass alle
sehr hilfsbedürftig waren. Alle erinnerten mich an meine vier Kinder zu Hause
und ich versuchte, jedem eine Fürsorge teilhaben zu lassen. Im Ärztekasino bat
ich alle Kollegen und Kolleginnen im Winter alte warme Winterkleidung zu
stiften. Auf meiner Station gab es eine Wäschekiste aus der sich jeder
Drogenabhängige warme Handschuhe, Wollmütze, Pulli u.ä.
holen konnte. Die Stationsschwester erklärte sich bereit, dass zu jeder Tageszeit
(meist am späten Abend) Hungrige Rühreier mit Schwarzbrot erhalten würden. Ich
versorgte Spritzenabszesse, eitrige Anginen, fischte frische Syphilis, eitrige
Herzmuskelentzündungen und Gelenksvereiterungen heraus, um sie zu den
Fachärzten im Haus zu schicken.
Dies war die erste
Drogenambulanz, die es gab. Krankenkassen bezahlten damals noch nichts, da es
die Diagnose einer Drogenabhängigkeit noch nicht gab. Das Krankenhaus hatte
auch keine Genehmigung für ambulante Behandlungen. So wie Drogen verboten war, war auch deren Behandlung verboten.
Getreu meinen ersten
Veröffentlichungen über Drogen habe ich damals bis heute nie einem
Drogenabhängigen irgendeine Droge gegeben. Wie ein Fixstern am Himmel, an dem
sich Seefahrer orientieren, galt mein oberstes Ziel
ein Leben ohne Drogen.
Kurioserweise wurde
dies von ausnahmslos allen Drogenabhängigen respektiert und sogar hoch
geschätzt. Vielen half dies rasch zurück aus der Drogen-Scheinwelt.
Hoffnungslos Kranken konnte dies natürlich auch nicht helfen. Von 700 Drogenabhängigen
der Anfangsjahre sind bis auf 10 alle verstorben. Fast alle verstarben an
ungewohnten auf Rezept verschrieben Mitteln wie Valoron, Valium,
Lexotanil, Polamidon u.ä.,das sie zu
ihren gewohnten Drogen einnahmen. Vier
Jugendliche machten stets eine Entgiftung auf den Allgemeinstationen. Da
weder die Krankenkassen eine Entgiftung erlaubten, noch der Chef, wurden sie
"zur Abklärung einer Leberentzündung oder Magenentzündung"
aufgenommen. Wöchentlich bei der Chefvisite erzählten wir ihm über die
diagnostischen Fortschritte.
Konsilarärzte wie Psychiater durften wir auch nicht befragen, weil
diese die Patienten sofort mit der Funkstreife ins Bezirkkrankenhaus nach Haar zwangsverwahrten. Der erste so "Behandelte"
brachte sich sofort dort um. Der Krankenhausverwaltung waren die
Drogenabhängigen ebenfalls ein Dorn im Auge. Bei jedem Diebstahl im Haus,
verwiesen sie die Polizei an die "Daunderer- Patienten“ natürlich
ergebnislos.
Im
Max-Planck-Institut interessierte sich der Vater der Verhaltenstherapie, Prof. J:C:Brengelmann für die Drogenabhängigen. Mit einem
interessiertem Studenten schrieb ich Leitzordnerweise Forschungsanträge an das
Bundesforschungsmiunisterium um Behandlungsprojekte. Als Prof. Hippius, der Ordinarius für Psychiatrie, die genehmigten
Gelder ganz für sein Projekt in Beschlag nehmen wollte, lehnte die Regierung
alles ab und wir erhielten auf einen raschen Neuantrag die gesamte Summe von 40
Mio.DM. Ein Haus gegenüber dem Schwabinger
Krankenhaus wurde gemietet, 10 Psychologen und eine Sekretärin angestellt und
nun 15 Fixer zur gleichen Zeit im Krankenhaus entgiftet und nachbehandelt auf
dem Bauernhof in Aiglsdorf. Die Effizienz war die
gleiche wie vorher, als ich alleine war. Da ich auf mein Honorar für einen
zusätzlichen Mitarbeiter verzichtet hatte, durfte ich jedes Semester mit allen
meinen Studenten dorthin zu einem rauschenden Fest kommen und alle wurden im
Garten verköstigt und waren sehr ausgelassen.
(Auszug aus meiner neuen Biografie)