Die Frau – das unbekannte sexuelle Wesen

 

Besonders seit der Einführung der PDE5-Hemmer steht die Sexualität des Mannes im Vordergrund. Die neuen Therapieformen ermöglichen ihm eine fast jugendliche befriedigende neue Erektionsfähigkeit. Dabei wurden nur in einer geringen Anzahl der Patienten die Partnerinnen in die Therapieentscheidung miteinbezogen. Man musste lernen, dass nur jeder vierte Mann mit Erektionsproblemen seine Partnerin in die Sprechstunde mitbringen wollte. Ist die Sexualität also immer noch ein solches Tabu, dass der Patient seine Erektile Dysfunktion oder Ejakulatio praecox für sich als Mann alleine lösen will? Dem ist definitiv so und für eine Änderung im Bewusstsein des Mannes gibt es noch keinen klaren Beweis.

 

Dabei sollte die Partnerin einen gleichberechtigten Part in der männlichen Sexualität innehaben. Die Praxiserfahrungen zeigen, dass die Frau nicht nur in die Lösungen der männlichen Sexualprobleme miteinbezogen werden will, sondern sie will auch mit ihren eigenen diesbezüglichen Störungen ernst genommen werden. Sexualität kann nur durch die Zufriedenheit der Frau und des Mannes als Einheit gelingen.

 

Frauen und Männer können in allen Lebensabschnitten an Sexualstörungen leiden. Wie beim Mann sind auch bei der Frau sowohl körperliche als auch seelische Ursachen dafür verantwortlich. Dazu gehören bei den Patientinnen vor allem die sexuelle Lustlosigkeit, Orgasmusstörungen und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr.

 

Dabei können die weiblichen Störungen eine Reaktion auf ein männliches Unvermögen sein oder sie entwickeln sich unabhängig innerhalb oder ausserhalb einer Partnerschaft. Die sexuelle Erregung der Frau wird eher mental ausgelöst und ist somit auch leichter zu stören. Sexuelle Probleme in der Partnerschaft blockieren somit bei vielen Frauen das sexuelle Interesse. Das kann aber auch reaktiv an der Überlastung als Mutter, Berufstätige, Haushaltskraft und „Liebesdienerin“ liegen.

 

Therapeutisch hat somit die Paarberatung und Paartherapie einen hohen Stellenwert. Dort werden Angst und Leidensdruck abgebaut, Hemmungen beseitigt und eine gemeinsame lustvolle Sexualität wieder möglich gemacht (Hartmann 2003).

 

Die therapeutischen Optionen der weiblichen Sexualstörungen sind bei weitem komplizierter als bei den männlichen. Experten stellen gerne stark vereinfacht den Vergleich an, dass sich die Sexualität des Mannes auf eine Taste beschränkt, während die Sexualität einer Frau einer ganzen Tastatur ähnelt. In puncto Wissen um die cerebralen, anatomischen und vor allem genitalen physiologischen Vorgänge während der sexuellen Stimulation und besonders auch um deren Pathophysiologie stehen wir etwa da, wo wir beim Mann vor 15 Jahren standen. Zum Beispiel ist erst seit kurzem bekannt, dass 90 Prozent der Klitoris im Unterleib verborgen liegen.

 

Die Frauen unterliegen einem monatlichen hormonellen Zyklus, wobei in der ersten Hälfte mit dem Heranreifen des Eifollikels die Einflüsse der Östrogene und nach dem Eisprung in der zweiten Hälfte während der Gelbkörperphase die Einflüsse der Gestagene dominieren. Die Östrogene sind bei der Frau, ähnlich wie die Androgene beim Mann, für das Wohlbefinden und die cerebralen Leistungen wie Gedächtnis und Merkfähigkeit verantwortlich. Weiterhin sind sie für die Neurotransmittersynthese und –freisetzung (McEwen 1992), für den Knochenbau und die Fettverteilung zuständig. Ein ausgeglichener Serumöstrogenspiegel ist somit für das gesunde weibliche Genitale, insbesondere das Vaginal- und Klitorisgewebe notwendig. Untersuchungen (Berman 1997) haben gezeigt, dass durch eine Östrogendysbalance aufgrund der Abnahme der endothelialen Stickoxid-Synthetase ein Zelluntergang des Vaginalepithesi und der glatten Wandmuskulatur eintritt. Auf die Psyche bezogen, bewirken Gestagene (besonders das Progesteron), eine entgegengesetzte Wirkung. Sie wirken eher beruhigend und anxiolytisch. Ein weiteres wichtiges Hormon der Frau ist das Testosteron (Androgen), das u.a. für die Leistungsfähigkeit, den Antrieb und die Libido zuständig ist. Über die Neurotransmitter Adrenalin/Noradrenalin, Acetylcholin, Dopamin, Oxytocin und Serotonin findet unter regulierendem Einfluss der Östrogene und Androgene eine hemmende oder stimulierende Wirkung statt.

 

Untersuchungen an humanem Klitorisgewebe haben ergeben, dass hier die gleichen Übertragungsmechanismen sexueller Stimuli greifen wie bei den männlichen Schwellkörpern (Park 1998). Die Relaxation der vaginalen und der klitoralen glatten Muskulatur erfolgt nach sexueller Stimulation und Aktivierung der para-sympathischen Nervi pelvici über die VIP-induzierte cAMP-Aktivierung (Vagina) und die Stickoxidfreisetzung mit cGMP-Aktivierung (Klitoris) (Azadzoi 1998). Da die arterielle und nervale Versorgung der des Penis ebenfalls identisch ist, kann es bei Operationen im Genital-Becken-Bereich zu Verletzungen mit konsekutiven Lubrikations- und Sensibilitätsstörungen kommen. Leider wird hierüber präoperativ oft nicht aufgeklärt, da man fälschlicher Weise glaubt, dass eine Frau nicht impotent werden könne (Porst 2000).

 

In einer Studie mit 1921 befragten Frauen (18. bis 59. Lebensjahr) litt jede 3. Frau unter Libidoverlust, jede 4. Frau unter Orgasmusstörungen und jede 5. Frau unter Lubrikationsstörungen und schmerzhaftem Geschlechtsverkehr (Rosen 1998). Prämenopausale Frauen leiden insbesondere an Libido-, Erregungs- und Orgasmusstörungen, postmenopausale Frauen besonders an Lubrikationsstörungen und Dyspareunie. Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus, Hyperprolaktinämie, Schilddrüsenfunktionsstörungen, Psychopharmaka (z.B. Serotonin-Reuptake-Inhibitoren) und exzessives Radfahren begünstigen weibliche Sexualstörungen (Bürr 1998, Heimann 1998, La Salle 1998). Diagnostisch ist genauso wie beim Mann mit der Allgemein- und Sexualanamnese zu beginnen. Dabei ist es notwendig, neben den oben erwähnten Störungen auch einen früheren sexuellen Missbrauch aufzudecken. Bei der körperlichen Untersuchung ist auf Hirsutismus-, Atrophie- oder Entzündungsanzeichen zu achten. Neben einem Hormonstatus (Testosteron, Östradiol, Progesteron, DHEAS, Prolaktin) sind die Serumwerte, das Blutbild und Urinuntersuchungen erforderlich. Wenn bei der vaginalen pH-Messung während der sexuellen Stimulation der normale Wert von 4,5 auf 6,0 - 6,5 steigt, kann man von einer normalen vaginalen Durchblutung ausgehen (Bermann 1998). Diagnostische Verfahren wie die Messung der vaginalen Resistance (Berman 1998), der vaginalen Plethysmographie (Laan 1998), der Vaginometrie mit Druck-Volumen-Studien (Berman 1998) und der vaginalen und klitoralen Dopplersonographie (Berman 1998) sind keine Routinediagnostik. In aktuellen experimentellen Studien werden die Reaktionen der inneren Genitalien auf sexuelle Reize mit Hilfe der Magnetresonanzspektrometrie sichtbar gemacht (Heimann 2003).

 

Therapeutisch steht neben der oben schon erwähnten Gesprächstherapie und eigenen Masturbationsübungen seit längerem die immer wieder umstrittene Hormonsubstitution im Vordergrund. Einerseits haben sich besonders auch im Postklimakterium Östrogen-/Gestagensubstitutionen bei Lubrikationsstörungen und Dyspareunien bewährt (kontraindiziert bei Brustkrebsanamnese!). Andererseits zeigen auch Erfahrungen in der Praxis, dass besonders bei Libido- und Orgasmusstörungen Mesterolon bzw. Testosterondecanoat hilfreich sind (Platt 1998). In dem Zusammenhang will ich besonders darauf hinweisen, dass die Vulva ein testosteron- und nicht östrogenabhängiges Organ ist und somit einer Östrogensubstitutionstherapie nicht zugänglich ist (Redmond 1998).

 

Die Substitution mit DHEA (Arlt 1999, Goldstein 2001) ergab in mehreren Studien einen signifikanten Anstieg an sexuellen Phantasien, sexuellem Interesse und häufigeren Orgasmen.

 

Wenn auch in verschiedenen Studien immer wieder erfolgreiche Therapieversuche unter PDE5-Hemmern beschrieben werden, so muss man aus zahlreichen Erfahrungen aus der Praxis vor überhöhten Erwartungen warnen. Die sehr guten Erfolge bei den Männern können bei den Frauen nicht wiederholt werden. Es ist aber nicht zu bestreiten, dass unter dieser Therapie eine klitorale (cGMP) Durchblutungserhöhung und ein intravaginaler pH-Anstieg objektiv gegeben sind (Berman 1998/2002, Angulo 2002). Allerdings zeigen sich bei der Libidostörung und der sexuellen Erregbarkeit keine Verbesserungen. Somit sind nach Expertenerfahrungen (Porst 2000, Potempa 2004) alle drei PDE5-Hemmer höchstens gegen Lubrikationsstörungen geeigent.

 

Therapieversuche mit dem nicht selektiven Alphablocker Phentolamin brachten genauso wenig wie Osytocin-Injektionen den gewünschten Erfolg. Wesentlich erfolgreicher sind auch in der Praxis dagegen der zentral im Hypothalamus wirksame Dopamin-Rezeptor-Agonist Apomorphin und Buproprion, deren Wirkung bei den weiblichen Erregungsstörungen (vaginale und klitorale Durchblutungszunahme) weiterhin durch Studien überprüft werden.

 

Eine besonders vielversprechende Stoffgruppe zur Behebung der weiblichen Lust- und Erregungsstörungen ist der nicht selektive Melanocortin-Rezeptor-agonist PT141. Da dieser aber ebenfalls beim Mann zur Libido- und Erektionssteigerung führt, hat man von einer Tablettenform abgesehen. Denn es könnte jeder dem Partner seiner Wahl unbeobachtet dieses Medikament ins Getränk geben. Zur Zeit ist daher eine nasale Applikationsform in der Testphase.

 

Als lokale Therapiemöglichkeiten ist eine alkoholfreie DHT (Dihydrotestosteron)-Creme (in Frankreich erhältlich) für den Vulvabereich sinnvoll (Graziottin 1998). In der klinischen Überprüfung befindet sich ein durchblutungsförderndes PGE1-Gel. Weit verbreitet und bewährt sind seit den 50er Jahren auch aus therapeutischen Gründen Vaginal- und Analvibratoren im Einsatz.

 

Eine neue apparative Therapiehilfe für die Durchblutungssteigerung im Klitorisbereich ist das der Vacuumerektionshilfe des Mannes nachempfundene Eros CTD, welches nur im Medizintechnikhandel erhältlich ist.

 

Eine operative Therapie von Sexualstörungen durch Hysterektomie ist nur bei Uterus myomatosus und nicht behandelbaren Schmierblutungen indiziert. Dies kann allerdings zu weiteren Sexualproblemen führen.

Dr. med. Axel-Jürg Potempa

FA für Urologie / Andrologie

Sexual- und Partnerschaftsmedizin