Dextromethorphan in Hustensaft Rauschmittel amerikanischer Kinder
BILLIGE DROGEN Teenager werden high mit Hustensaft
In den USA schlucken immer mehr Teenager
Erkältungsmittel, um sich einen Rausch zu verschaffen. Ihre Zahl steigt
dramatisch und geht inzwischen in die Millionen. Suchtforscher sind alarmiert,
denn die Folgen des Medikamenten-Missbrauchs können tödlich sein.
"Robotripping" nennen es Experten, wenn sich Teenager
mit freiverkäuflicher Medizin gegen Husten und Erkältungen berauschen. Die
Bezeichnung leitet sich von dem Hustensaft "Robitussin"
ab - dem Medikament, das im US-Bundesstaat Kalifornien inzwischen am
zweithäufigsten als Droge missbraucht wird. In einer Studie, veröffentlicht in
der aktuellen Ausgabe der US-Fachzeitschrift "Archives
of Pediatrics and Adolescent
Medicine", warnen Wissenschaftler jetzt: Robotripping wachse derzeit um 50 Prozent pro Jahr und habe
sich seit 1999 in Kalifornien verzehnfacht. Drogen wie Ecstasy, LSD und Liquid
Ecstasy (GHB) seien dagegen in ihrer Popularität gesunken.
AFP
In den USA erhältliche Erkältungsmittel: "Robotripping"
greift um sich
Am häufigsten betroffen seien Coricidin-Tabletten,
ein starkes Mittel gegen Erkältungen, und Robitussin-Sirup,
ein Hustensaft, aber auch andere geläufige Arzneimittel. Die Zahlen der
Konsumenten unter 17 Jahren sind alarmierend: Besonders populär seien die
Arzneien unter 15- und 16-Jährigen, hieß es. 13-Jährige überträfen in ihrem
Konsum die 18-Jährigen bei weitem, schreibt Irene Anderson,
Toxikologie-Spezialistin und Autorin der Studie.
Für
ihre Erhebung untersuchten die Forscher knapp 1400 Notrufe im California Poison Control Center innerhalb von sechs Jahren, die alle mit
einem bestimmten Wirkstoff aus Medikamenten gegen Erkältungskrankheiten zu tun
hatten. Meist kamen die Notrufe von Ärzten in Krankenhäusern, deren Patienten
eine Überdosis eingenommen hatten. Die Fälle, von denen ein halbes Prozent
lebensbedrohlich waren, bildeten allerdings nur einen
Teil des Spektrums, wie Anderson der "Los Angeles Times" sagte. Im
Dunklen liege dagegen die Anzahl derer, die sich unbemerkt mit dem Mittel
berauschten.
2,4
Millionen Jugendliche missbrauchen Hustenmittel
Bereits
2005 missbrauchte einer Erhebung der "Partnership
for a Drug Free America" zufolge einer von zehn
Teenagern in den USA Hustenmittel. Das entspricht rund 2,4 Millionen
Jugendlichen. Ebenso viele Menschen hätten im Vergleichszeitraum Kokain
genommen, fast genauso viele synthetisch hergestellte Designerdrogen (Methamphetamine). Die aktuellen Erkenntnisse aus
Kalifornien decken sich mit denen nationaler Studien, erklären Anderson und
ihre Kollegen.
Was
die Medizin gegen Erlältungskrankheiten für Teenager
so attraktiv macht, ist dem Bericht zufolge der Wirkstoff Dextromethorphan,
von Konsumenten "DXM" oder "Dex" genannt. Er ist mit den
Opiaten Codein und Morphin verwandt und kann Halluzinationen und
außerkörperliche Erfahrungen auslösen. In extremen Fällen führt die Einnahme
von Dextromethorphan zum Tod - so geschehen bei einer
16 Jahre alten Schülerin aus dem kalifornischen Anaheim, die nach der Einnahme
von 20 Hustentabletten an Leberversagen starb.
Dextromethorphan ist in Apotheken und Lebensmittelgeschäften leicht und
kostengünstig zu haben. Auf Eltern wirke der Anblick des Medikaments meist
harmlos. In vielen Fällen reiche bereits eine Packung, um Halluzinationen zu
erzeugen, heißt es in der Studie.
Wie
ein Rausch erlebt wird, können Teenager in Erfahrungsberichten im Internet
nachlesen: Einige Konsumenten beschreiben die Wirkung des Stoffes als
"leicht berauschend", andere vergleichen ihre Halluzinationen mit
Erfahrungen nach der Einnahme von Narkosemitteln.
Dextromethorphan
verursacht ab einer
bestimmten Einnahmemenge Herzrasen und erhöht den Blutdruck, es macht unruhig
oder lethargisch, löst Schwindel und Verwirrung aus. Eine Art Rausch-Rechner im
Internet verhilft Teenagern sogar auf Wunsch zu einem bestimmten
Bewusstseinsstadium: Sie geben ihr Gewicht, die Bezeichnung des Medikaments
sowie den "Level", das sie erreichen wollen, in eine Tabelle ein. Als
Ergebnis kommt die Höhe der empfohlenen Dosis heraus.
Lebensbedrohliche
Nebenwirkungen sind den Experten zufolge unter anderem Anfälle und stark
erhöhte Körpertemperatur. Auch weitere Inhaltsstoffe von Erkältungsmedikamenten
könnten diese und andere gefährliche Effekte haben: beispielsweise erhöhte
Dosen von Antihistaminika oder Pseudoephedrin. Einer
der gefährlichsten Wirkstoffe sei Paracetamol, ein
Schmerzstiller und Fibersenker. Er könne
Leberversagen auslösen, warnt Andersons Team.
In
Deutschland kein Trend zu erkennen
Versuche
seitens der Gesetzgeber in Kalifornien, den Verkauf von Arzneien mit dem
gefährlichen Wirkstoff an Minderjährige zu stoppen, schlugen bislang fehl. Dextrometorphan ist in mehreren Hundert Produkten
enthalten. Einige Geschäfte haben den Zugang zu derartigen Medikamenten für
Jugendliche unter 18 Jahren freiwillig eingeschränkt.
Nach
Informationen des Münchner Instituts für Therapieforschung (IFT) ist der Trend
zum Missbrauch von Erkältungsmedizin noch nicht bis nach Deutschland
vorgedrungen. "Eventuell gibt es vereinzelt Fälle in spezifischen
Szenen", sagte IFT-Experte Roland Simon zu
SPIEGEL ONLINE. Studien aus Instituten und regionalen Beobachtungsstellen
wiesen aber nicht auf derartige Vorfälle hin.
Zuletzt
waren Simon zufolge in den achtziger und neunziger Jahren Hustenmedikamente
missbraucht worden, die auf dem Wirkstoff Codein basierten. Das
Klientel gehörte der klassischen Heroinszene an. Nachdem eine flächendeckende
Methadon-Substitution eingeführt wurde, sei aber auch dieses Phänomen seltener
geworden.
SPIEGEL
ONLINE - 06. Dezember 2006, 11:38
URL: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,452575,00.html