1957 Chemie die Mutter der Innovationen

Vom Großvater gab es zahlreiche  Chemikalien, vom Schwarzpulver über gelben Phosphor, Kaliumpermanganat bis zum Salpeter, Bunsenbrenner und viele Reagenzgläser.

Alles eignete sich für Knallexperimente. Blaukrautsoße als Indikator und vieles mehr sammelte sich in einem Laborkästchen in Vaters Praxis. Beim Chemiehändler der Universität, Viktor von Scheffel, konnte man für Pfennige manches erwerben. Es wurde die ganze Chemie durcherprobt.

Ein stiller Mitschüler, der Klassenprimus Reiserer, Sohn des BASF Personalchefs, erzählte, er träume, einen besseren Raketentreibstoff zu entwickeln als Wernher von Braun. Er sammelte vom Truppenübungsplatz der Amerikaner in München Freimann Blindgänger- Raketengeschosse.

Die wollte er mit einer neuen Mischung füllen. Eines Tages wollte er das Herausgekratzte Pulver haben, das in einer Blechdose, auf dem Fensterbrett seines Bubenzimmers in der Morawitzkystraße 1 gegenüber unserem Gymnasium, in der heißen Sonne stand.

Da sich die Dose nicht öffnen ließ, nahm er einen Schraubenzieher.

Dabei explodierte die Dose. Durch den fürchterlichen Knall flog die Zimmerwand in den Garten, die Haustür ins Stiegenhaus und der Freund war mit Splittern übersät. Zum Glück führte ein Splitter im Auge nicht zu Sehstörungen und die Splitter in der Brust verheilten folgenlos. Am Anfang wusste man jedoch lange nicht, ob er überlebt.

Für mich war deprimierend, dass kein behandelnder Arzt wusste, welche Gesundheitsgefahren durch die verbrennenden Chemikalien zu erwarten waren. Alle waren hilflos.

Etwas ahnten meine Eltern und daraufhin wurde die gesamte Chemieausrüstung in Kisten verpackt in den Keller gestellt und jede  Tätigkeit verboten. Mein Sohn Michael erbte sie und arbeitete höchst gewissenhaft damit. Die Weltraumrakete hatten ja andere schon gebaut.

(Auszug aus meiner neuen Biografie)