Bhopal lehrte was
man bei Giftunfällen nicht machen darf
1.
Vorunfälle
führten zur Anschaffung einer Sirene. Anliegern hätte man sagen müssen, dass
sie bei ihrem Heulen nicht zum Unfall laufen und dort sterben sollten.
2.
Die
verwendete Chemikalie sollte zumindest einem örtlichen Arzt bekannt sein, ebenso
die Reaktionsprodukte und die Antidote.
3.
Bei
immensen gelagerten Giftmengen sollte ein Katastrophenplan existieren, Übungen
und Antidotlager.
4.
Aus
moralischen Gründen sollte jede Chemiefirma dafür Sorge tragen.
Der Versuch einer Hilfe gestaltete sich zum Krimi. Nach 25 Jahren nun die ersten Details.
Nach vierstündlichen Verhandlungen mit dem
Katastrophen-Lagezentrum im Bonn, dem Verteidigungsministerium und Chemiefirmen
wegen Antidoten, der
Der Indische Botschafter meinte, dass sein Land keinerlei
Hilfe bräuchte und auch nicht wollte. Ich sollte doch heimfahren. Ich hielt
dies für einen Motivationstest, blieb stur. Er fragte, was er machen soll, wenn
das Trinkwasser fahl und vergiftet schmecke, ich riet ihm, vorher viel Wasser
aus der alten Leitung abfliessen zu lassen. Dann bestand er darauf, dass ich das
Krabben-Desert essen sollte, das seine Gäste extra für mich übrig gelassen
hatten.
Der Weiterflug von Dehli nach Bhopal war blockiert, da eine Fernsehgesellschaft meinen Platz brauchte, wie ein plötzlich aufgetauchter „Betreuer“ meinte. Ich fuhr zur deutschen Botschaft und zahlte den hundertfachen Preis dafür.
Keiner wollte, dass ich nach Bhopal kam.
Der Botschafter Dr.Vogler war die Liebenswürdigkeit in Person, besorgte mir sofort die gewünschten Dolmetscher für Indisch und den Dialekt in Bhopal, zwei energische Deutsche Lehrerinnen, die meine ständigen Begleiter und Beschützer wurden.
In der anschließenden stundenlangen Besprechung im Parlament unter Leitung des Gesundheitsministerium ging es darum, ob Indien wirklich eine ausländische Hilfe wolle. 80% waren dagegen, man schickte mich wieder heim. Einen ausländischen Cortisonspray genehmigten sie nicht, Cortisontabletten ohne Dosisangabe bzw.Plazebos wollten sie nach Bhopal schicken.
Ich beschloss heim zu fliegen, bat die Botschaft noch um einen Besuch der Altstadt,
wurde Augenzeuge wie eine Demonstration für Bhopal mit Knüppeln niedergeschlagen wurde und sah einem Bader beim Zähneziehen zu.
Der Botschafter stellte mir einen bewaffneten BND-Mann zur Seite und ließ mich im schwer gepanzerten Mercedes fahren, da Todesdrohungen gegen mich kursierten. Angst hatten nur meine Begleiterinnen. Ich hatte eine bayerische Wut im Bauch.
Am nächsten Morgen ging alles zügig. Der indische Geheimdienst begleitete mich, vereitelte den Diebstahl meiner Ausrüstung, Der Flug war kurz, es empfing mich herzlich der Rechtsmediziner, der auch meinen Anflug verlangt hatte.
Nun erhielt ich lebensnotwendige Anweisungen:
1.
Die
Zensur der Regierung legt fest, was bekannt werden darf.
2.
Die Zahl
der Toten wurde auf 1540 festgelegt, obwohl täglich etwa 3000 Leichen verbrannt
wurden. Diese Zahl bleibt jahrzehntelang bestehen.
3.
Niemals
darf man sagen, dass Indien nicht alleine mit dem Unglück fertig würde.
4.
Am
Hospital logiert Direktor Warren, der mich empfangen und fürstlich beschenken
will mit dem Wunsch, sofort wieder heim zu fahren.
5.
Vergiftete
sind nach indischer Religion froh, dass sie ins göttliche Reich gerufen werden.
Der Tod sei kein Problem, nichts, was verhindert werden muss.
6.
Meine
Tätigkeit nach europäischen Kriterien sei hier nicht erwünscht.
7.
Nichtindische
Medikamente würden von niemand akzeptiert.
8.
Seine
Schätzung: 30 000 Tote in den ersten Tagen, 120 000 schwer vergiftet,
ein Drittel des Bodens der Stadt irreversibel verseucht, 30 Jahre Spätfolgen.
9. Er war an einem Therapieplan interessiert, verfasste ihn später mit mir. Diesen
nahm ich als Kopie mit nach Hause.
Er hasste den Ordinarius der Inneren Medizin, da er ihm mit einer unsterilen Spritze einen Schlaganfall mit Halbseitenlähmung eingebracht hatte. Er wollte, dass seine Tochter bei uns wohnt und studiert (geschah nicht). Er verwechselte Cyanid mit Cyanat durch schlechtes Englisch, war todfroh, wie ich neben Cyanat auch in einigen Fällen Cyanid als Metabolit fand. Sein Gegner, der Internist verbat jedoch die unschädliche Gegengiftbehandlung mit Thiosulfat i.v.
Mit seiner Ausnahme versuchten alle indischen Ärzte und Behörden, mir das Leben so schwer wie möglich zu machen.
Herr Warren am Eingang der Klinik war tief enttäuscht, als ich nicht seine Bestechung wollte, sondern an ihm grußlos vorbei rauschte.
Der Haut-Ordinarius wollte mit mir Tee trinken, obwohl etwa
1000 Kranke mit Augenverätzung in Schlange vor seiner Türe wartete.
Der Kinder-Ordinarius zeigte mir eine „schwer vergiftete
Frühgeburt“. Ich hörte ab und sagte, „dies ist eine Verwechslung: dieses Kind
hat einen angeborenen Herzfehler und keine Lungenvergiftung, weswegen es blau
ist“.
Mit meinen Dolmetscherinnen fuhr ich an den Unfallort in der Fabrik, machte Fotos und Messungen. Die fast leeren Tanks stanken bestialisch, das Erdreich war weiträumig verseucht, alles abgesperrt.
Die überlebenden Arbeiter berichteten:
1.lZur Revision
sollte der Tank gereinigt werden.
2.Ein fachfremder
Hilfsarbeiter spritzte abends mit Wasser hinein, was gänzlich verboten ist.
Dabei explodierte die Chemikalie (Laienerklärung!)
3.Er lief in panischem
Schrecken davon.
4.Der Wachhabende
erkannte nachts die Misere und löste die Warnsirene aus. Daraufhin strömten
alle in Notunterkünften lewbenden tausende Arbeiter neugierig herbei und
starben sofort in den nun dicken Giftgasschwaden. Nur jeder hundertste
Überlebte, wenn er ein feuchtes Tuch vor das Gesicht hielt.
5.Die Giftgaswolke
zog allmählich durch die Stadt und löste noch in 400 km Entfernung schwere
Lungenverätzungen aus.
6.Die Reichen im
Süden der Stadt mit stabilen Fenstern goldenen Griffen spürten überhaupt nichts
von der Giftgaswolke und waren froh, dass viele Obdachlose weniger waren.
Ich organisierte noch die Aufklärung der Helfer am den
Behandlungsschwerpunkten und demonstrierte die Handhabung der Cortisonsprays. 40000
hatte ich in meinem Flugzeug dabei- Vier
Tage gab der Zoll angeblich die Notfallmedikamente nicht frei. Beim
Auspacken war ich am Flughafen und musste erleben, wie alles binnen Sekunden
unter allen Schaulustigen verteilt wurde. Einem lief ich nach; „Deutsche
Medikamente im Originalkarton, diese Schau!“
Mit meinen alten, ausgemusterten Cortisonsprays konnte ich vorher tausend Leute vor Spätschäden bewahren.
Zuhause beim Auswärtigen Amt in Bonn wurde ich gefragt: „Meinten Sie wirklich, dass im Katastrophenfall die Hilfe bei Bedürftigen ankommt??? Einen Tag nachdem wir zum Erdbeben in Friaul Spirituskocher gesandt hatten, wurden sie am Markt in Palermo teuer verkauft. Opfer bekamen keinen!“
Resumee: Ausser
Spesen nichts gewesen.
Zwar waren Teile der Bevölkerung sehr froh um die Hilfe und Zuwendung, aber die Lebensgefahr für den Helfer war unverhältnismäßig groß.
International sollte man den Schluß ziehen, dass alle möglichen
technischen
Vorkehrungen
getroffen werden müssen, um so ein
Erreignis rechtzeitig
zu verhindern!