Bhopal lehrte was man bei Giftunfällen nicht machen darf

1.    Vorunfälle führten zur Anschaffung einer Sirene. Anliegern hätte man sagen müssen, dass sie bei ihrem Heulen nicht zum Unfall laufen und dort sterben sollten.

2.    Die verwendete Chemikalie sollte zumindest einem örtlichen Arzt bekannt sein, ebenso die Reaktionsprodukte und die Antidote.

3.    Bei immensen gelagerten Giftmengen sollte ein Katastrophenplan existieren, Übungen und Antidotlager.

4.    Aus moralischen Gründen sollte jede Chemiefirma dafür Sorge tragen.

 

Der Versuch einer Hilfe gestaltete sich zum Krimi. Nach 25 Jahren nun die ersten Details.

Nach vierstündlichen Verhandlungen mit dem Katastrophen-Lagezentrum im Bonn, dem Verteidigungsministerium und Chemiefirmen wegen Antidoten, der Familie, die gerade auswärts bei den Schwiegereltern war und der Hilfe, die gerade bei der gewünschten Hausentbindung 24 Stunden schreiend am Küchentisch sich festhielt, bestieg ich mit 10 Koffern Notfallausrüstung, Gasspürgerät mit hunderten Einsätzen, Gegengiften, veralteten aus meinem Vorrat und viel Geld mein Flugzeug nach Frankfurt. Der Indische Botschafter verlangte vorher eine Gesichtskontrolle, ob er die Hilfe genehmigt. Am Vorabend hielt ich den seit Monaten vereinbarten Vortrag an der Uni und bat dort noch um Nachweis-Chemikalien und Reagenzgläser. Das war mein wirklich aktuellster Vortrag von über 1000, die ich gehalten hatte.

Der Indische Botschafter meinte, dass sein Land keinerlei Hilfe bräuchte und auch nicht wollte. Ich sollte doch heimfahren. Ich hielt dies für einen Motivationstest, blieb stur. Er fragte, was er machen soll, wenn das Trinkwasser fahl und vergiftet schmecke, ich riet ihm, vorher viel Wasser aus der alten Leitung abfliessen zu lassen. Dann bestand er darauf, dass ich das Krabben-Desert essen sollte, das seine Gäste extra für mich übrig gelassen hatten. Es schmeckte fahl. Solange er zusah, führte ich einen Bissen zum Mund, den zweiten spuckte ich aus und täuschte einen Hustenanfall vor. Ich war mir sicher, dass es vergiftet war, sah seine hämischen Blicke, rannte zur Toilette und spülte den Mund. Erbrechen konnte ich vor Aufregung nicht. Nach 20 Min Bauchgrimmen und extremer Stuhldrang Ich nahm an, dass es Arsen war. Die kurze Latenzzeit tröstete mich jedoch, es war wohl nur Staphylokokus Sofort schluckte ich den Einmalbecher Kohle mit 10 Gramm und Mineralwasser. .Ich setzte mich im Flugzeug neben die Toilette und musste 12 mal heftig aufs Clo. Dann kehrte Ruhe ein, ein todesähnlicher Schlaf ließ mich den weiten Flug ruhen.

Der Weiterflug von Dehli nach Bhopal war blockiert, da eine Fernsehgesellschaft meinen Platz brauchte, wie ein plötzlich aufgetauchter „Betreuer“ meinte. Ich fuhr zur deutschen Botschaft und zahlte den hundertfachen Preis dafür.

Keiner wollte, dass ich nach Bhopal kam.

Der Botschafter Dr.Vogler war die Liebenswürdigkeit in Person, besorgte mir sofort die gewünschten Dolmetscher für Indisch und den Dialekt in Bhopal, zwei energische Deutsche Lehrerinnen, die meine ständigen Begleiter und Beschützer wurden.

In der anschließenden stundenlangen Besprechung im Parlament unter Leitung des Gesundheitsministerium ging es darum, ob Indien wirklich eine ausländische Hilfe wolle. 80% waren dagegen, man schickte mich wieder heim. Einen ausländischen Cortisonspray genehmigten sie nicht, Cortisontabletten ohne Dosisangabe bzw.Plazebos wollten sie nach Bhopal schicken.

Ich beschloss heim zu fliegen, bat die Botschaft noch um einen Besuch der Altstadt,

wurde Augenzeuge wie eine Demonstration für Bhopal mit Knüppeln niedergeschlagen wurde und sah einem Bader beim Zähneziehen zu.

Der Botschafter stellte mir einen bewaffneten BND-Mann zur Seite und ließ mich im schwer gepanzerten Mercedes fahren, da Todesdrohungen gegen mich kursierten. Angst hatten nur meine Begleiterinnen. Ich hatte eine bayerische Wut im Bauch.

                     Am nächsten Morgen ging alles zügig. Der indische Geheimdienst begleitete mich, vereitelte den Diebstahl meiner Ausrüstung, Der Flug war kurz, es empfing mich herzlich der Rechtsmediziner, der auch meinen Anflug verlangt hatte.

                    Nun erhielt ich lebensnotwendige Anweisungen:

1.      Die Zensur der Regierung legt fest, was bekannt werden darf.

2.      Die Zahl der Toten wurde auf 1540 festgelegt, obwohl täglich etwa 3000 Leichen verbrannt wurden. Diese Zahl bleibt jahrzehntelang bestehen.

3.      Niemals darf man sagen, dass Indien nicht alleine mit dem Unglück fertig würde.

4.      Am Hospital logiert Direktor Warren, der mich empfangen und fürstlich beschenken will mit dem Wunsch, sofort wieder heim zu fahren.

5.      Vergiftete sind nach indischer Religion froh, dass sie ins göttliche Reich gerufen werden. Der Tod sei kein Problem, nichts, was verhindert werden muss.

6.      Meine Tätigkeit nach europäischen Kriterien sei hier nicht erwünscht.

7.      Nichtindische Medikamente würden von niemand akzeptiert.

8.      Seine Schätzung: 30 000 Tote in den ersten Tagen, 120 000 schwer vergiftet,

ein Drittel des Bodens der Stadt irreversibel verseucht, 30 Jahre Spätfolgen.

9.      Er war an einem Therapieplan interessiert, verfasste ihn später mit mir. Diesen

     nahm ich als Kopie mit nach Hause.

Er hasste den Ordinarius der Inneren Medizin, da er ihm mit einer unsterilen Spritze einen Schlaganfall mit Halbseitenlähmung eingebracht hatte. Er wollte, dass seine Tochter bei uns wohnt und studiert (geschah nicht). Er verwechselte Cyanid mit Cyanat durch schlechtes Englisch, war todfroh, wie ich neben Cyanat auch in einigen Fällen Cyanid als Metabolit fand. Sein Gegner, der Internist verbat jedoch die unschädliche Gegengiftbehandlung mit Thiosulfat i.v.

Mit seiner Ausnahme versuchten alle indischen Ärzte und Behörden, mir das Leben so schwer wie möglich zu machen.

Herr Warren am Eingang der Klinik war tief enttäuscht, als ich nicht seine Bestechung wollte, sondern an ihm grußlos vorbei rauschte.

Der Haut-Ordinarius wollte mit mir Tee trinken, obwohl etwa 1000 Kranke mit Augenverätzung in Schlange vor seiner Türe wartete. Es gab keine Schwester, die alle leicht hätte versorgen können. Jeder musste persönlich zu ihm. Ich sagte es ihm, er war sauer.

Der Kinder-Ordinarius zeigte mir eine „schwer vergiftete Frühgeburt“. Ich hörte ab und sagte, „dies ist eine Verwechslung: dieses Kind hat einen angeborenen Herzfehler und keine Lungenvergiftung, weswegen es blau ist“. Alle lachten hämisch und sagten „dies sei meine Prüfung gewesen, jetzt wüssten sie erst, dass ich ein Arzt bin“. Von Herzlichkeit oder gar Kollegialität war jedoch nichts zu spüren. Abends erzählte man mir, dass überall steht, dass mein Leben in Gefahr sei. Meine deutschen Dolmetscher meinten, ich solle möglichst schnell heim fliegen.

Mit meinen Dolmetscherinnen fuhr ich an den Unfallort in der Fabrik, machte Fotos und Messungen. Die fast leeren Tanks stanken bestialisch, das Erdreich war weiträumig verseucht, alles abgesperrt.

Die überlebenden Arbeiter berichteten:

1.lZur Revision sollte der Tank gereinigt werden. Es waren noch etwa 40000 Liter Methylisocyanat im Tank.

2.Ein fachfremder Hilfsarbeiter spritzte abends mit Wasser hinein, was gänzlich verboten ist. Dabei explodierte die Chemikalie (Laienerklärung!)

3.Er lief in panischem Schrecken davon.

4.Der Wachhabende erkannte nachts die Misere und löste die Warnsirene aus. Daraufhin strömten alle in Notunterkünften lewbenden tausende Arbeiter neugierig herbei und starben sofort in den nun dicken Giftgasschwaden. Nur jeder hundertste Überlebte, wenn er ein feuchtes Tuch vor das Gesicht hielt.

5.Die Giftgaswolke zog allmählich durch die Stadt und löste noch in 400 km Entfernung schwere Lungenverätzungen aus.

Es gab in den Vorjahren schon dreimal Giftaustritte, zuletzt wurde deswegen die Sirene installiert, die letztlich für die vielen Todesfälle ursächlich war (Firmenfehler, fehlende Aufklärung!).

6.Die Reichen im Süden der Stadt mit stabilen Fenstern goldenen Griffen spürten überhaupt nichts von der Giftgaswolke und waren froh, dass viele Obdachlose weniger waren.

Ich organisierte noch die Aufklärung der Helfer am den Behandlungsschwerpunkten und demonstrierte die Handhabung der Cortisonsprays. 40000 hatte ich in meinem Flugzeug dabei- Vier Tage gab der Zoll angeblich die Notfallmedikamente nicht frei. Beim Auspacken war ich am Flughafen und musste erleben, wie alles binnen Sekunden unter allen Schaulustigen verteilt wurde. Einem lief ich nach; „Deutsche Medikamente im Originalkarton, diese Schau!“ Alle Kranken gingen leer aus. Dafür flog ich nach Indien!

Mit meinen alten, ausgemusterten Cortisonsprays konnte ich vorher tausend Leute vor Spätschäden bewahren.

Zuhause beim Auswärtigen Amt in Bonn wurde ich gefragt: „Meinten Sie wirklich, dass im Katastrophenfall die Hilfe bei Bedürftigen ankommt??? Einen Tag nachdem wir zum Erdbeben in Friaul Spirituskocher gesandt hatten, wurden sie am Markt in Palermo teuer verkauft. Opfer bekamen keinen!“

Resumee: Ausser Spesen nichts gewesen.

Zwar waren Teile der Bevölkerung sehr froh um die Hilfe und Zuwendung, aber die Lebensgefahr für den Helfer war unverhältnismäßig groß.

International sollte man den Schluß ziehen, dass alle möglichen

technischen Vorkehrungen

getroffen werden müssen, um so ein

Erreignis rechtzeitig zu verhindern!