2009
Bhopal lehrte Erste Hilfe bei Giftunfällen
1.
Vorunfälle
führten zur Anschaffung einer Sirene. Anliegern hätte man sagen müssen, dass
sie bei ihrem Heulen nicht zum Unfall laufen und dort sterben sollten.
2.
Die
verwendete Chemikalie sollte zumindest einem örtlichen Arzt bekannt sein,
ebenso die Reaktionsprodukte und die Antidote.
3.
Bei
immensen gelagerten Giftmengen sollte ein Katastrophenplan existieren, ebenso
Übungen und ein Antidotlager.
4.
Aus
moralischen Gründen sollte jede Chemiefirma dafür Sorge tragen.
5.
Ärzte
sind nur eine Hilfe, wenn sie vorher geschult wurden.
Der Versuch einer Hilfe gestaltete sich zum Krimi. Nach 25 Jahren nun Details.
Nach vierstündlichen Verhandlungen mit dem
Katastrophen-Lagezentrum im Bonn, dem Verteidigungsministerium und Chemiefirmen
wegen Antidoten, der
Der Indische Botschafter meinte, dass sein Land keinerlei
Hilfe bräuchte und auch nicht wollte. Ich sollte doch heimfahren. Ich hielt
dies für einen Motivationstest, blieb stur. Er fragte, was er machen soll, wenn
das Trinkwasser in Frankfurt fahl und vergiftet schmecke, ich riet ihm, vorher
viel Wasser aus der alten Leitung abfliessen zu lassen. Dann bestand er darauf,
dass ich das Krabben-Desert essen sollte, das seine Gäste extra für mich übrig
gelassen hatten.
Der Weiterflug von Dehli nach Bhopal war blockiert, da eine Fernsehgesellschaft meinen Platz brauchte, wie ein plötzlich aufgetauchter „Betreuer“ meinte. Ich fuhr zur deutschen Botschaft und zahlte den hundertfachen Preis dafür.
Keiner wollte, dass ich nach Bhopal kam.
Der Botschafter Dr.Vogler war die Liebenswürdigkeit in Person, besorgte mir sofort die gewünschten Dolmetscher für Indisch und den Dialekt in Bhopal, zwei energische Deutsche Lehrerinnen, die meine ständigen Begleiter und Beschützer wurden.
In der anschließenden stundenlangen Besprechung im Parlament unter Leitung des Gesundheitsministerium ging es darum, ob Indien wirklich eine ausländische Hilfe wolle. 80% waren dagegen, man schickte mich wieder heim. Einen ausländischen Cortisonspray genehmigten sie nicht, Cortisontabletten ohne Dosisangabe bzw.Plazebos wollten sie nach Bhopal schicken.
Ich beschloss heim zu fliegen, bat die Botschaft noch um einen Besuch der Altstadt,
wurde Augenzeuge wie eine Demonstration für Bhopal mit Knüppeln niedergeschlagen wurde und sah einem Bader beim Zähneziehen zu.
Der Botschafter stellte mir einen bewaffneten BND-Mann zur Seite und ließ mich im schwer gepanzerten Mercedes fahren, da Todesdrohungen gegen mich kursierten. Angst hatten nur meine Begleiterinnen. Ich hatte eine echte bayerische Wut im Bauch.
Am nächsten Morgen ging alles zügig. Der indische Geheimdienst begleitete mich, vereitelte den Diebstahl meiner Ausrüstung, Der Flug war kurz, es empfing mich herzlich der Rechtsmediziner, der auch meinen Anflug verlangt hatte.
Nun erhielt ich lebensnotwendige Anweisungen:
1. Die Zensur der Regierung legt fest, was bekannt werden darf.
2. Die Zahl der Toten wurde auf 1540 festgelegt, obwohl täglich etwa 3000 Leichen verbrannt wurden. Diese Zahl bleibt jahrzehntelang bestehen.
3. Niemals darf man sagen, dass Indien nicht alleine mit dem Unglück fertig würde.
4. Am Hospital logiert Direktor Warren, der mich empfangen und fürstlich beschenken will mit dem Wunsch, sofort wieder heim zu fahren.
5. Vergiftete sind nach indischer Religion froh, dass sie ins göttliche Reich gerufen werden. Der Tod sei kein Problem, nichts, was verhindert werden muss.
6. Meine Tätigkeit nach europäischen Kriterien sei hier nicht erwünscht.
7. Nichtindische Medikamente würden von niemand akzeptiert.
8. Seine Schätzung: 30 000 Tote in den ersten Tagen, 120 000 schwer vergiftet,
ein Drittel des Bodens der Stadt irreversibel verseucht, 30 Jahre
Spätfolgen.
9. Er war an einem Therapieplan interessiert, verfasste ihn später mit mir. Diesen
nahm ich als Kopie mit nach Hause.
Er hasste den Ordinarius der Inneren Medizin, da er ihm mit einer unsterilen Spritze einen Schlaganfall mit Halbseitenlähmung eingebracht hatte. Er wollte, dass seine Tochter bei uns wohnt und studiert (geschah nicht). Er verwechselte Cyanid mit Cyanat durch schlechtes Englisch, war todfroh, wie ich neben Cyanat auch in einigen Fällen Cyanid als Metabolit fand. Sein Gegner, der Internist verbat jedoch die unschädliche Gegengiftbehandlung mit Thiosulfat i.v.
Mit seiner Ausnahme versuchten alle indischen Ärzte und Behörden, mir das Leben so schwer wie möglich zu machen.
Herr Warren am Eingang der Klinik war tief enttäuscht, als ich nicht seine Bestechung wollte, sondern an ihm grußlos vorbei rauschte.
Der Haut-Ordinarius wollte mit mir Tee trinken, obwohl etwa
1000 Kranke mit Augenverätzung in Schlange vor seiner Türe wartete.
Der Kinder-Ordinarius zeigte mir eine „schwer vergiftete
Frühgeburt“. Ich hörte ab und sagte, „dies ist eine Verwechslung: dieses Kind
hat einen angeborenen Herzfehler und keine Lungenvergiftung, weswegen es blau
ist“.
Mit dem Rechtsmediziner Chandra machte ich gemeinsam zehn Sektionen Vergifteter, untersuchte das Herzblut mit dem Drägerschen Gasspürgerät und fand erwartungsgemäß unterschiedlichste Giftkonzentrationen. Der Gang durch die Rechtsmedizin vorbei an hunderten Leichen, Säuglinge im Arm ihrer Mütter, viele nackt, viele tiefblau, manche hellrot.
Wir fuhren an die riesigen brennenden oder glimmenden Scheiterhaufen mit jeweils etwa 1000 Leichen. Die Inder hatten so etwas auch noch nicht erlebt. Die Leichen sollten möglichst schnell weg. Das Unglück wear zwar schon lange zuvor, aber stündlich wurden noch etwa 100 neue Leichen entdecfkt und abgefahren. Die Asktivität erstarb völlig in der Leichenbergung. Um die Zehntausende Hustenden und Sterbenden in der Stadt kümmerte sich niemand.
Während meiner Visite im Krankenhaus starben etwa 100
Kranke. Lautlos, nie hörte man Jammern oder klagen. Nur, wem Verwandte
Hier sah man, wie wichtig es ist, Helfer vorher zu schulen.
Ärme hoc
Mit meinen Dolmetscherinnen fuhr ich an den Unfallort in der Fabrik, machte Fotos und Messungen. Die fast leeren Tanks stanken bestialisch, das Erdreich war weiträumig verseucht, alles abgesperrt.
Die überlebenden Arbeiter berichteten:
1.lZur Revision
sollte der Tank gereinigt werden.
2.Ein fachfremder Hilfsarbeiter spritzte abends
mit Wasser hinein, was gänzlich verboten ist. Dabei explodierte die Chemikalie
(Laienerklärung!)
3.Er lief in
panischem Schrecken davon.
4.Der Wachhabende
erkannte nachts die Misere und löste die Warnsirene aus. Daraufhin strömten
alle in Notunterkünften lebenden tausende Arbeiter neugierig herbei und starben
sofort in den nun dicken Giftgasschwaden. Nur jeder hundertste Überlebte, wenn
er ein feuchtes Tuch vor das Gesicht hielt.
5.Die Giftgaswolke
zog allmählich durch die Stadt und löste noch in 400 km Entfernung schwere
Lungenverätzungen aus.
6.Die Reichen im Süden der Stadt mit stabilen
Fenstern goldenen Griffen spürten überhaupt nichts von der Giftgaswolke und
waren froh, dass viele Obdachlose weniger waren.
Man erzählte mir:“Wenn Sie von München nach Bhopal kommen ist das so, wie wenn in München ein Obdachlosenheim brennt und aus aller Welt kommen Spezialisten und raten, wie man 50 Schwerverbrannte am Leben erhält.“
Meine Filme wurden nachts vom Geheimdienst in der Kamera belichtet. Nur die wenigen Bilder meiner Dolmetscherinnen blieben mir.
Ich organisierte noch die Aufklärung der Helfer am den
Behandlungsschwerpunkten und demonstrierte dort die Handhabung der
Cortisonsprays. 40000 hatte ich in meinem Flugzeug dabei- Vier Tage gab der Zoll angeblich die Notfallmedikamente nicht frei. Beim
Auspacken war ich am Flughafen und musste erleben, wie alles binnen Sekunden
unter allen Schaulustigen verteilt wurde. Einem lief ich nach; „Deutsche
Medikamente im Originalkarton, diese Schau!“
Mit meinen alten, ausgemusterten Cortisonsprays konnte ich vorher tausend Leute vor Spätschäden bewahren.
Unser Botschafter in Dehli lud mich noch zu einem herzlichen
Der Indische Geheimdienst wollte noch unbedingt meinen Drägerschen Gasspürgerät-Koffer, aber ich war störrisch, zahlte ein Mehrfaches dem Zoll. Beim Hinflug war alles kostenlos. Die Geheimdienst-Leute begleiteten mich wie einen Gefangenen bis Frankfurt.#Dort war der ganze Flughafen voll Fernsehen. Ich wurde hinten herausgeführt und brauchte bis heute, um mit den gräßlichen Enttäuschungen weiterleben zu können.
Zuhause beim Auswärtigen Amt in Bonn wurde ich gefragt: „Meinten Sie wirklich, dass im Katastrophenfall die Hilfe bei Bedürftigen ankommt??? Einen Tag nachdem wir zum Erdbeben in Friaul Spirituskocher gesandt hatten, wurden sie am Markt in Palermo teuer verkauft. Opfer bekamen keinen!“
Resumee: Ausser
Spesen nichts gewesen.
Zwar waren Teile der Bevölkerung sehr froh um die Hilfe und Zuwendung, aber die Lebensgefahr für den Helfer war unverhältnismäßig groß.
International sollte man den Schluß ziehen, dass alle möglichen
technischen
Vorkehrungen
getroffen werden müssen, um so ein
Erreignis rechtzeitig zu verhindern!
In Dutzenden Vorträgen Kastastrophenmedizin vermittelte ich vielen jungen Kollegen die Kenntnisse, die nötig sind bei einem Zusammenbruch der Versorgung, unseren Mitmenschen eine tatkräftige Hilfe zukommen zu lassen.
Ich hoffe, dass diese Kenntnisse nicht alsbald wieder abverlangt werden.
Ich werde alles dafür tun, um bei uns keine indischen Verhältnisse aufkommen zu lassen!
Bhopal
lehrte, was man bei Giftunfällen nicht machen darf
MD